24.09.2021 •

Szenarienabhängige Bedrohungen durch radioaktives Iod

Ein neues Softwaretool zur Optimierung medizinischer Gegenmaßnahmen

Alexis Rumpa, Stefan Edera, Cornelius Hermanna, Andreas Lamkowskia, Manabu Kinoshitab, Tetsuo Yamamotoc, Junya Taked, Michael Abenda, Nariyoshi Shinomiyae, Matthias Porta

a Institut für Radiobiologie der Bundeswehr, München
b Department of Immunology and Microbiology, National Defense Medical College, Tokorozawa, Japan
c NBC Countermeasure Medical Unit, Japan Ground Self Defense Force, Tokyo, Japan
d Department of Pediatrics, National Defense Medical College, Tokorozawa, Japan
e President, National Defense Medical College, Tokorozawa, Japan

Zusammenfassung

Bei einem nuklearen Unfall freigesetztes radioaktives Iod reichert sich in der Schilddrüse an und erhöht durch innere Bestrahlung das Risiko für Schilddrüsenfunktionsstörungen und die Entwicklung von Karzinomen. Stabiles (nicht radioaktives) Iod in hoher Dosierung hemmt die Anreicherung von Radioiod in der Schilddrüse und wirkt damit protektiv (sog. „Schilddrüsenblockade“), zum einen durch Kompetition am Iodid-Carrier in der Zellmembran und durch einen Iod-Sättigungseffekt der Drüse mit konsekutivem zeitlich befristeten Iod-Netto-Aufnahmeblock (Wolff-Chaikoff-Effekt). Alternativ kann z. B. Perchlorat durch Konkurrenz mit Iodid um die Aufnahme in die Thyreozyten die Schilddrüse vor radioaktivem Iod schützen.

Biokinetische Modelle für (Radio)iod, die Transportprozesse mit für passive Diffusion typische Kinetiken erster Ordnung beschreiben, simulieren eine Schilddrüsenblockade nicht hinreichend. In Zusammenarbeit des Instituts für Radiobiologie der Bundeswehr mit dem National Defense Medical College der Japanischen Selbstverteidigungskräfte wurde ein neues Schilddrüsenblockade-Modell mit separater Modellierung der Kompetition am Carrier in der Thyreozytenmembran und des Wolff-Chaikoff-Effekts entwickelt, welches wir in dieser Arbeit vorstellen. Das Tool ermöglicht die Simulation nicht nur akuter, sondern auch komplexer prolongierter Radioiod-Expositionsszenarien und die Identifizierung der besten Schutzstrategie zur Reduzierung der Strahlenbelastung der Schilddrüse.

Simulationen zeigen, dass bei akuter Radioiod-Exposition 100 mg stabiles Iod oder alternativ 1000 mg Perchlorat die Radioiod-Akkumulation in der Schilddrüse um über 98 % reduzieren, eine Einzeldosis Iod oder Perchlorat bei längerer Radioiod-Exposition (wie z. B. nach Kernkraftwerksunfällen) aber eindeutig unzureichend ist. Wiederholte tägliche Gaben sind erforderlich und Perchlorat hat im Vergleich zu stabilem Iod bei länger andauernder Radioiod-Exposition eine höhere protektive Wirksamkeit. Bei der Wahl der geeigneten Prävention sind sowohl ethnische Besonderheiten als auch die Menge des mit der jeweiligen Nahrung aufgenommenen Iods zu berücksichtigen.

Unser neues Schilddrüsenblockade-Modell kann auch sehr komplexe Radioiod-Expositionsszenarien sowie die protektive Wirkung verschiedener Dosierungs­schemata von stabilem Iod simulieren. Physiologische ­Unterschiede in der Schilddrüsenfunktion aufgrund intrinsischer oder extrinsischer Faktoren können berücksichtigt werden. Darüber hinaus ermöglicht das neue Modell die Untersuchung der protektiven Wirkung anderer pharmakologischer Wirkstoffe, wie z. B. Perchlorat, und damit kann in Abhängigkeit des Expositionsszenarios die beste Schutzstrategie einschließlich der Dosierungsschemata ermittelt werden.

Den ausführlichen Artikel lesen Sie hier.


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