13.07.2023 •

Dedicated to military sports medicine

30 Jahre Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr

A. Lison

Wenn Marion K. das Gebäude 25 in der Georg-Leber-Kaserne in Warendorf betritt, ist sie immer die erste des Tages. Um 3:30 Uhr in der Frühe beginnt ihr Arbeitstag. Marion K. ist verantwortlich für die Sauberkeit von Flächen und Böden des weißen, von den dunklen Sporthallen der Sportschule der Bundeswehr (SportSBw) umgebenen Gebäudes: 3 000 m², Arztzimmer und Untersuchungsräume, Büros, behindertengerechte Unterkunftszimmer, klinisch-chemisches und Herz-Kreislauf-Labor, Röntgen, Physiotherapie. „Ich kann mir nicht vorstellen, an einer anderen Stelle der Kaserne meine Arbeit zu machen“ sagt die 53-jährige. Sie spüre, sie gehöre zum Team und ihre Arbeit werde geschätzt.

Das Team, das sind fast 50 SoldatInnen sowie die zivilen MitarbeiterInnen des Zentrums für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw). Eigentlich verfügt die Dienststelle nur über 28 Dienstposten. Doch ohne Reservisten, Zukommandierte, freiwillig Wehrdienst leistende SoldatInnen sowie die zivilen Auszubildenden wären die über die Jahre aufgewachsenen Aufträge der Dienststelle nicht mehr zu schultern.

Marion K. hat ihren Arbeitstag gut durchgeplant. Bestimmte Büros darf sie aus Datenschutzgründen nur in Begleitung betreten, in den Untersuchungs- und Behandlungsbereichen sind die Hygienebestimmungen für medizinische Bereiche zu beachten. Bereits um 7:00 Uhr stehen die ersten PatientInnen an der zentralen Anmeldung des Zentrums und erhalten ihre Tagespläne. Fast alle reisen aus dem gesamten Bundesgebiet an, zwei Drittel werden interdisziplinär in den vier Abteilungen des Zentrums untersucht und beraten. Um kurz nach 6:30 Uhr müssen Herz-Kreislauf- und klinisch-chemisches Labor sauber sein, dann beginnt die Kalibrierung der Geräte und die Vorbereitung der Blutentnahmen. Die drei barrierefreien Unterkünfte mit ihren behindertengerechten Nasszellen sind die Einzigen in der Kaserne. Hier kann nur gereinigt werden, wenn die zum Teil rollstuhlpflichtigen oder amputationsverletzten PatientInnen keine Termine in der Abteilung Interdisziplinäre Rehabilitation oder der Physiotherapie haben. Aber auch in den Arztzimmern muss alles klar sein für die Voruntersuchungen und die interdisziplinären Telefonkonferenzen.

Pünktlichkeit ist für die Reinigungsfachkraft ein Muss. Die Arbeitsabläufe des Zentrums sind mittlerweile durch ein systematisches Qualitätsmanagement (QM) beschrieben und die Schnittstellen genau aufeinander abgestimmt. Ein Merkmal des Zentrums, das während der Coronakrise hart erarbeitet wurde. Nach anfänglichem Widerstand haben schließlich alle verstanden, dass hierdurch Redundanzen beseitigt wurden und jeder seine Arbeitsprozesse mitgestalten konnte. Mittlerweile arbeiten sogar junge freiwillig Wehrdienst leistende Mannschaftssoldat­Innen kreativ daran mit.

Sportmedizin – eine Medizin nicht nur für Sportler

„Bevor ich hier anfing, dachte ich, da kommen die ganzen Olympioniken hin“ erinnert sich Marion K. Sie arbeitet jetzt seit fast sechs Jahren in der „Sportmedizin“ wie sie ihren Arbeitsplatz mit ein wenig Stolz nennt. In der Tat hat sich das Patientenklientel in den letzten drei Jahrzehnten grundlegend verändert. In den Anfängen bestand unter dem damaligen Leiter Oberstarzt Prof. Simon, der eng mit der Spitzensportmedizin verbunden war, eine klare Ausrichtung auf den Spitzensport und nur wenige präventivmedizinische Ansätze wurden verfolgt. Unter seinem Nachfolger Oberstarzt Dr. Hutsteiner änderte sich das. Ein Adipositasin­terventionsprogramm und spezielle Untersuchungs- und Beratungsformate für militärische Führungskräfte kamen hinzu. Die Orthopädische Abteilung, die damals lediglich PatientInnen am Standort versorgte, begann sich zu dem zu entwickeln, was sie heute ist. Die Physiotherapeutische Abteilung spezialisierte sich auf hoch intensive physiotherapeutische Behandlungsmaßnahmen für Spezialkräfte und die orthopädische Sprechstunde wurde überregional angeboten. Dies war der Grundstein für die Entwicklung der rehabilitativen Fähigkeiten des ZSportMedBw. Heute bietet die Abteilung B, Orthopädie/Unfallchirurgie nach vorheriger Überweisung durch andere FachärztInnenn für Orthopädie/Unfallchirurgie der Bundeswehr bei speziellen Frage­stellungen eine bundesweite Sprechstunde an. Im Rahmen der interdisziplinären sportmedizinischen Untersuchungen und Beratungen leisten die beiden Fachärzte ihren Beitrag im konservativ-präventivmedizinschen Kontext. Mit ihrer über die Jahre gewachsenen Erfahrung bei komplexen Hilfsmittelversorgungen und am militärischen Bedarf ausgerichteten Physiotherapien sind die ÄrztInnen und PhysiotherapeutInnen verantwortlich für ihren im QM der Dienststelle beschriebenen Teil des Assessments, der Planung und Steuerung sowie die fachspezifischen Interventionen der Maßnahmen der medizinisch dienstlich orientierten Rehabilitation, die in der Verantwortung der Abteilung interdisziplinäre Rehabilitation am Zentrum stehen. Beide Abteilungen zusammen bilden hierdurch seit 2020 das Kompetenzzentrums somatische Rehabilitation.

Die Fähigkeiten der Abteilung C, Innere Medizin/Leistungsmedizin des Funktionsbereichs des mit Herz-Kreislauflabors und der verantwortlichen Internistin und Kardiologin werden von allen anderen Abteilungen gleichermaßen genutzt, Ausdruck der operationalisierten Interdisziplinarität der Sportmedizin in Warendorf. Und so kommt es, dass Marion K. doch noch Kontakt mit SpitzensportlerInnen hat, wenn sie im zweiten Stockwerk des Zentrums mit ihrem Reinigungswagen unterwegs ist. Das Zentrum ist lizenzierte Untersuchungsstelle nach den Richtlinien des Deutschen Olympischen Sportbundes und des Landessportbundes Nordrhein-Westfalen und so eines von 26 Untersuchungszentren, die zertifiziert sind für die Untersuchungen von KadersportlerInnen (Olympiakader bis Nachwuchskader). Es kann hoch hergehen, wenn die SpitzenathletInnen auf dem Laufband oder in speziellen Fahrrad-Ergometriegeräten ihre leistungsdiagnostischen Untersuchungen durchführen. Auch körperlich hoch belastete SoldatInnen der Spezialkräfte werden hier untersucht und begut­achtet. Und täglich werden PatientInnen vorstellig, die präventivmedizinisch oder rehabilitativ am Zentrum betreut werden und deren lebenslanger Wettkampf darin besteht, die Barrieren ihres Alltags zu überwinden.

Die im Vergleich zu den übrigen PatientInnen eher geringe Anzahl von persönlich am Zentrum erscheinenden SportsoldatInnen darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Abteilung A der Dienststelle (Truppenarzt, Spitzensportmedizin) die Verantwortung für die Betreuung aller fast 1 000 SpitzensportlerInnen der Bundeswehr trägt. Verteilt über ganz Deutschland, in Trainingslagern oder bei Wettkämpfen im In- und Ausland: Im Unterschied zu den übrigen Funktionsbereichen des Zentrums können sich die PatientInnen in den seltensten Fällen persönlich in Warendorf vorstellen. Sie tragen ihre Probleme in Videosprechstunden vor oder wenden sich telefonisch oder per Mail an das Spitzensportbüro, um Überweisungen zu Untersuchungen oder Therapien im zivilen und militärischen Bereich zu bekommen. Um Missbrauch auszuschließen und die medizinische Dokumentation sicherzustellen, wurden hierfür zielgerichtete Verfahrensabläufe und Kommunikationsmöglichkeiten zwischen dem verantwortlichen Personal des ZSportMedBw, den AthletInnen, den Sportfördergruppen und vor allem den zivilen behandelnden ÄrztInnen geschaffen. Um alle erforderlichen Maßnahmen auf ihre Verordnungsfähigkeit und Notwendigkeit zu prüfen, die Qualität sicherzustellen und schnell reagieren zu können braucht es Verständnis für die Besonderheiten im Spitzensport und ein Netzwerk von Akteuren. Da ist die truppenärztliche Versorgung der real vor­stellig werdenden PatientInnen aus dem Bereich der SportSBw wesentlich weniger zeitaufwendig.

Gegen 11:30 Uhr hat auch Marion K. einmal mehr ihren Auftrag erfüllt. Sie und das Personal wissen: ohne sie geht es nicht. Genau wie alle anderen, die zum ZSportMedBw gehören. Denn die Sportmedizin mit ihrem grundlegend interdisziplinären Ansatz lebt von Professionalität und Miteinander. Ob Spitzensport, Prävention oder Rehabilitation, immer geht es dabei um den Einfluss von Bewegung und Sport auf den gesunden und kranken Menschen. Das Ziel ist Leistung zu steigern, Belastbarkeit zu optimieren, Gesundheit zu fördern und Teilhabe zu ermöglichen. Integrativ und multiprofessionell. Und so wird daraus ein Team, „dedicated to military sports medicine“. 


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