19.01.2022 •

Von Wuhan nach Pasewalk

Zivil-Militärische Zusammenarbeit am Beispiel des Impfzentrums Pasewalk

A. Dierich

„Die Bundeswehr kann auf Antrag der Länder mit bis zu 26 Impfzentren sowie bis zu 26 mobilen Impfteams helfen.“ Mit dieser Ankündigung im November 2020 hat die Frau Bundesministerin der Verteidigung den Startschuss sowohl für eine weitere Aufstockung des Corona-Kontingents als auch für intensive Planungen zur Realisierung entsprechender Impfzentren gegeben.

Wie alle Bereiche der Bundeswehr war bis zu diesem Zeitpunkt auch das Sanitätsunterstützungszentrum (SanUstgZ) Neubrandenburg in der Pandemiebekämpfung mittels Abstellen von medizinischem Fachpersonal für mobile Abstrichteams, stationäre Abstrichzentren und Unterstützung im Labor der Universitätsmedizin Rostock eingesetzt. Ein Impfzentrum (ImpfZ) zur Unterstützung des zivilen Bereichs stellte einen völlig neuen Auftrag dar, für den es keine Blaupause gab. Vielmehr bestand die Notwendigkeit, nicht nur entsprechende Konzepte zu entwickeln, sondern auch in enger Abstimmung mit den Landkreisen beziehungsweise der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern und dem Landeskommando Mecklenburg-Vorpommern (LKdo MV), sowie unter Berücksichtigung der zivilen medizinisch-fachlichen Rahmenbedingungen, die notwendigen Voraussetzungen für das Implementieren eines Impfzentrums zu schaffen.

Im SanUstgZ Neubrandenburg wurde als grundlegender Ansatz der Betrieb eines ImpfZ durch die Sanitätsstaffel Einsatz (SanStff Eins) sowie dem Beistellen von impferfahrenem, medizinischen Fachpersonal aus den Sanitätsversorgungszentren (SanVersZ) gewählt. Auf dieser Grundlage erfolgte die Erarbeitung einer ersten funktionalen Aufbauorganisation. Durch die bestehende gute zivil-militärische Vernetzung im medizinischen Bereich wurde Kontakt mit dem Dekan der Universitätsmedizin Rostock (gleichzeitig Berater der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern in infektiologischen Fragestellungen) aufgenommen und Aspekte der Zusammenarbeit aus fachlich-organisatorischer Sicht erörtert. Ebenso erfolgte eine Kontaktaufnahme mit dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit in Schwerin auf der Ebene der zuständigen Staatssekretärin für Gesundheit, bei der auch eine Projektgruppe zur Koordination und Steuerung der Umsetzung der Impfstrategie in Mecklenburg-Vorpommern angesiedelt war.

Die Ende November vorliegende funktionale Planskizze für ein ImpfZ enthielt nicht nur die erforderlichen Organisations- und Funktionsbausteine sowie den Infrastrukturbedarf, sondern stellte auch die erforderlichen Patientenströme und den möglichen Ablauf dar. Gleichzeitig wurde ein dazugehöriges Betriebskonzept entwickelt, wobei dieses im engen Austausch mit den Verantwortungsträgern im zivilen Bereich zur Gewährleistung der erforderlichen Interoperabilität erfolgte. Auf Grund der engen fachlichen Zivil-Militärischen Zusammenarbeit fanden sich sowohl die Planskizze als „Vorschlag der Bundeswehr“, als auch wesentliche Elemente aus dem Betriebskonzept, im Konzept des Landesamts für Gesundheit und Soziales (LaGuS) „COVID-19 Impfung in MV-Konzeption der Impfzentren“ (Stand 01.12.2020) wieder. Umgekehrt wurden Aspekte aus dem zivilen Konzept übernommen.

Parallel dazu erfolgte die Priorisierungsentscheidung zur Abbildung der zwei ImpfZ der Bundeswehr in Mecklenburg-Vorpommern durch die Staatssekretärin in enger Abstimmung mit dem LKdo MV und dem Leiter des SanUstgZ Neubrandenburg für die Landkreise Vorpommern-Greifswald und Ludwigslust-Parchim.

Am 08./09.12.2020 erfolgte in der Sporthalle der Torgelower Ferdinand-von-Schill-Kaserne der erste Probeaufbau und -betrieb eines bundeswehreigenen Impfzentrums durch die SanStff Eins Torgelow in Anwesenheit des Landrates, dem Impfmanager sowie dem Leiter des Ordnungsamts des Landkreises Vorpommern-Greifswald. Beides diente vor allem der Überprüfung des Betriebskonzepts sowie dem Aufspüren von noch nicht oder nicht ausreichend abgebildeten Prozessen. Von besonderer Bedeutung war auch die seinerzeit noch vorgesehene Verlegefähigkeit des ImpfZ, so dass dem schnellen Ab- und Wiederaufbau sowie dem Transport eine besondere Bedeutung zukam.

Letztlich konnte unter Einbeziehen der Vertreter des Landkreises sowie der aus dem Probebetrieb gewonnen Erkenntnisse ein finales Betriebskonzept Mitte Dezember, unter Berücksichtigung ziviler Rahmenbedingungen und militärischer Erfordernisse, durch den Leiter SanUstgZ Neubrandenburg in Kraft gesetzt werden und bildete die Grundlage zur Ableitung aller benötigten Ressourcen (Personal, Material, Infrastruktur, Prozesse).

Ein besonderes Augenmerk in den zum Teil täglich durchgeführten Abstimmungsprozessen zwischen der Staatssekretärin für Gesundheit, dem LaGuS, dem Landkreis Vorpommern-Greifswald, dem LKdo MV sowie dem SanUstgZ Neubrandenburg, lag, in Vorbereitung der Erstinbetriebnahme, auf der herausfordernden Logistik für die Impfstoffe, das medizinische Verbrauchsmaterial aber auch dem Impfmonitoring mit der Etablierung des Digitalen Impfquotenmonitorings (DIM) zum Robert Koch-Institut. Auch wenn klar geregelt war, dass zum Beispiel medizinisches Verbrauchsmaterial oder IT-Ausstattung durch die zivile Seite zu stellen war, so war es für alle Beteiligten ein gutes Gefühl, dass seitens des SanUstgZ Neubrandenburg eine diesbezügliche ­Initialbefähigung gerade während des Jahreswechsel 2020/21 redundant bereitgehalten wurde.

Da initial nicht das gesamte eingeplante medizinische Fachpersonal im ImpfZ selbst benötigt wurde, konnten einzelne Impfteams zunächst in Pflegeeinrichtungen eingesetzt werden. So konnten die ersten beiden mobilen Impfteams, bestehend aus je einem Sanitätsoffizier, einem Portepeeunteroffizier und einem Fahrer des Deutschen Roten Kreuzes, am 27.12.2020 die ersten Impfungen im südlichen Teil des Landkreises Vorpommern-Greifswald durchführen. Ein Impfteam verblieb im ImpfZ Pasewalk und startete dort am 28.12.2020 im Beisein des Landrats, des Kommandeur des Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung sowie dem Kommandeur des LKdo MV die ersten Impfungen bei Senioren aus einem ortsansässigen Altenheim.

Vor dem Hintergrund des umfänglichen Engagements der Bundeswehr am Standort Pasewalk und um dieses erste Impfzentrum im Rahmen der Amtshilfe unter den gegebenen Rahmenbedingungen gangbar zu machen, war es unumgänglich, dass der Staffelchef der SanStffEins vor Ort eine herausgehobene Führungsrolle im Sinne einer Leitungsfunktion für das ImpfZ eingenommen hat, die von ziviler Seite nicht nur akzeptiert, sondern ausdrücklich begrüßt wurde. Auch wenn dies nicht vollständig den Vorgaben des genehmigten Amtshilfeantrags entsprach, so war dieses für die Funktionsfähigkeit in dieser frühen Initialphase unumgänglich. Letztlich wurde im weiteren Verlauf der Amtshilfe mit dem förmlichen Implementieren eines zivilen Leiters des ImpfZ hier wieder den Vorgaben eindeutig Rechnung getragen. Gerade in den ersten Wochen und Monaten des Betriebs bestand die arbeitstägliche Herausforderung in der zivil-militärischen Koordination von Impfstofflogistik, dem zentralen Terminmanagement und den Impfstraßenkapazitäten, die der Staffelchef gemeinsam mit dem Impfmanager des Landkreises und dem LaGuS in enger gegenseitiger Abstimmung sicherstellen musste.

Parallel dazu bestand die Herausforderung für den Stab SanUstgZ Neubrandenburg, die Planung, Steuerung und Koordination der personellen Ressourcen für den Betrieb des Impfzentrums sicherzustellen, während die Koordination des Einsatzes der „Helfenden Hände“ über das LKdo MV reibungslos erfolgte. Neben der Besetzung der Impfstraßen in Pasewalk und in dem zweiten Impfzentrum in Parchim musste der Grundbetrieb in den SanVersZ für die sanitätsdienstliche Versorgung einschließlich Begutachtungen und Betrieb von Covid-19-Impfstellen zwecks Impfung von Soldat*innen, Angehörigen von Zoll, Bundespolizei und Technischem Hilfswerk sichergestellt werden. Gleichzeitig waren aber auch weitere Herausforderungen, beispielsweise Kohortierung, kurzfristige Kinderbetreuungserfordernisse aber auch gesundheitlich bedingte Ausfälle zu berücksichtigen.

Dieses konnte nur gelingen, weil einerseits die Angehörigen des SanUstgZ Neubrandenburg ein hohes Maß an Motivation, Flexibilität und Engagement an den Tag gelegt haben. Andererseits war der unmittelbare Zugriff als Leiter des SanUstgZ und damit der truppendienstliche und fachliche Vorgesetzte für das gesamte medizinische Fachpersonal von Hagenow bis Torgelow, von Kramerhof (Stralsund) bis Prenzlau in Brandenburg und Havelberg in Sachsen-Anhalt ein nicht unwesentlicher Schlüssel für ein erfolgreiches Ressourcenmanagement. Nur so konnte zum Teil sehr kurzfristig auf personelle Ausfälle reagiert werden und gleichzeitig die sanitätsdienstliche Versorgung, teilweise priorisiert, sichergestellt werden, wobei Vertragsärzte praktisch nicht zur Verfügung standen. Darüber hinaus war das SanUstgZ Neubrandenburg jedoch in der glücklichen Situation, auf qualifizierte Reservedienstleistende sowohl im medizinischen Bereich als auch im Stab (beispielsweise als Leiter des eingerichteten Lagezentrums) zurück greifen zu können.

Insgesamt wurde im Verlauf der Pandemiebekämpfung sehr deutlich, dass die Belastungen für das medizinische Fachpersonal sehr hoch waren, insbesondere in den SanVersZ, so dass gemeinsam mit dem LKdo und dem Landkreis eine Exit-Strategie initiiert und besprochen werden musste. Dabei waren die Rahmenbedingungen mit Fragen wie „Müssen weitere Altersgruppen geimpft werden?“ oder „Wird eine 3. Impfung erforderlich?“ herausfordernd und nicht zuletzt auch durch die Wertschätzung der zivilen Seite für das Engagement der Bundeswehr in der Region, die man nur ungern verlieren wollte, nicht leichter. Die hierzu geführten zahlreichen Gespräche und vorgenommenen Abstimmungen führten letztlich zu einer Exit-Strategie mit einem monatsweisen Abschmelzen der personellen Unterstützung durch die Bundeswehr bis Ende September 2021, die für alle Beteiligten eine gute und notwendige Handlungssicherheit aber auch Perspektive gab. Letztlich wurde am 28.09.2021 im Rahmen eines feierlichen Abschlussappells, unter Teilnahme der Staatssekretärin des Ministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit, dem Kommandeur LKdo MV sowie Vertretern der Landkreise, nicht nur das formelle Ende der Amtshilfen durch das SanUstgZ Neubrandenburg, sondern auch der mentale Abschluss bei allen Angehörigen erreicht.

Zusammenfassend lässt sich aus der Bewertung eines Leiters SanUstgZ das folgende Fazit ziehen: Ein paralleler Grundbetrieb bei gleichzeitiger Unterstützung in der Amtshilfe war nur durch Priorisierung in der sanitätsdienstlichen Leistungserbringung möglich. Das Ressourcenmanagement von medizinischem Fachpersonal im gesamten Zuständigkeitsbereich des SanUstgZ Neubrandenburg war über viele Monate tagesbestimmende Aufgabe. Die Initialphase des ImpfZ erfordert „vor-Ort-Entscheidungen“ mit Handlungsspielräumen, da teilweise Vorgaben (noch) nicht verfügbar waren und/oder die lokalen Verhältnisse ein Abweichen hiervon erforderten. Die enge oft arbeitstägliche Abstimmung und Zusammenarbeit zwischen dem LKdo MV und dem SanUstgZ Neubrandenburg war auch mit Blick auf das erforderliche gemeinsame Auftreten gegenüber dem zivilen Bereich zwingend geboten, auch wenn hierfür in einem SanUstgZ keine Ressourcen abgebildet sind. Die Einbindung der fachlichen Expertise des Sanitätsdienstes unmittelbar in den Steuerungs- und Koordinierungsebenen sowohl der Landesregierung als auch der Landkreise bei fachlich-medizinischen Schwerpunkten hat sich in der Pandemiebekämpfung hier in Mecklenburg-Vorpommern als äußerst zielführend erwiesen. Die Belastung für den Stab SanUstgZ Neubrandenburg war während der gesamten Amtshilfephase sehr hoch, auch weil dessen personelle Ressourcen begrenzt sind und viele Grundbetriebsaufgaben parallel weitergeführt werden mussten. Die Einbindung von qualifizierten Reservedienstleistenden ist in einer derartigen Ausnahmesituation essenziell. Eine frühzeitige Exit-Strategie als Perspektive aber auch als Handlungssicherheit ist hilfreich und erforderlich. 


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