Das Multinational Medical Coordination Centre-Europe (MMCC-E) ist eine multinational besetzte Einheit, die direkt dem Befehlshaber des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr und stellvertretenden Befehlshaber des Unterstützungskommandos der Bundeswehr unterstellt ist. Getreu seinem Leitspruch „Combining Efforts in Medical Support“ stellt das MMCC-E, das seit dem 01.10.2024 durch Generalarzt Dr. von Uslar geführt wird, Koordinierungs- und Unterstützungsleistungen mit operativem Impakt für die Sanitätsdienste seiner 18 teilnehmenden Nationen sowie Institutionen des Nordatlantikpaktes (NATO) und der Europäischen Union (EU).
Das MMCC-E dient dem Ziel, die Einsatzbereitschaft von Sanitätseinheiten und -stäben in allen Bereichen zu verbessern und wirkt dabei auch als Plattform für die zivil-militärische medizinische Vernetzung. Die Erfahrungen der letzten Jahre sowie die aktuellen sicherheitspolitischen Entwicklungen zeigen den Bedarf eines solchen Koordinierungs- und Arbeitselements für die Sanitätsdienste auf operativer Ebene, das sowohl mit militärischen als auch zivilen medizinischen Stakeholdern zusammenarbeiten kann.
Ein wichtiges Aufgabenfeld des MMCC-E umfasst die Konzeption und Durchführung von multinationalen Übungen mit sanitätsdienstlichem Fokus zum Trainieren von Entscheidungsprozessen und Verfahrensabläufen oberhalb der taktischen Ebene. Hierfür eignet sich besonders die Methode des Wargaming mit der Technik der Table-Top-Exercise. Das MMCC-E verfügt über sehr erfahrenes Personal und ein Experten-Netzwerk für die Durchführung solcher Übungen.
In den letzten fünf Jahren entwickelte und implementierte das MMCC-E eine Reihe solcher Wargames, die eine umfassende Beteiligung und Interaktion der teilnehmenden Nationen und der Sanitätsangehörigen der NATO/EU-Kommandobehörden ermöglichten. Besonders bekannt ist die Casualty Move Serie, wobei 2020 die erste Übung durchgeführt wurde.
Die militärischen Sanitätsdienste in einer multipolaren Welt müssen sich im Besonderen auf „Multi-Domain Operationen“ mit Großverbänden und hoher Kampfintensität im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung einstellen. In diesem Szenar müssen sowohl die militärischen Sanitätsdienste wie auch die zivilen Gesundheitssysteme auf Phasen mit hohen Zahlen an Verwundeten und Erkrankten vorbereitet sein.
Da als Folge der NATO-Erweiterung sich die Ostgrenze der NATO um 1 000 km nach Osten verschoben und auf 2 500 km Länge verdoppelt hat, sind sanitätsdienstliche Evakuierungen von Patienten (MEDEVAC) über große Entfernungen multinational zu planen. Aufgrund der eingeschränkten Luftüberlegenheit sind die jederzeit flexibel nutzbaren Kapazitäten für MEDEVAC per Lufttransport limitiert. Somit sind ausreichende alternative Verwundetentransportmittel für den Transport einer größeren Anzahl an Verwundeten und Erkrankten – wie Eisenbahnzüge, Fähren oder Busse – in ausreichender Zahl vorzuhalten. Zusätzlich ist die Anzahl von Verbindungslinien (Lines of Communication = LOC) in den Verantwortungsbereich eines operativen NATO Joint Headquarters, der Joint Area of Operation (JOA), begrenzt und werden absehbar durch den erhöhten Bedarf von militärischer sowie ziviler Seite überlastet sein.
Der Verwundetentransport benötigt Abstimmung und Koordinierung mit verschiedenen militärischen, aber auch zivilen Stellen. Gemäß der neuen Richtlinie des Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE) für das Management des Patientenflusses wurde während „Casualty Move 2024 (CAMO24)“ das rückwärtige MEDEVAC System (Rearward Medical Evacuation = RWD MEDEVAC) beübt. Das jeweilige operative NATO Joint Headquarters ist innerhalb seines JOA für die Einrichtung und die Funktionsfähigkeit des RWD MEDEVAC-Systems verantwortlich.

Beim RWD MEDEVAC-System werden auf dem Land-, Wasser- oder Luftweg von einer Sanitätseinrichtung der Ebene 2E/3 über eine Casualty Staging Unit die Patienten zu den rückwärtigen Evakuierungszentren, den sog. Rearward Medical Evacuation Hubs (RWD MEDEVAC Hub), verlegt. Der RWD MEDEVAC Hub ist grundsätzlich von zivilen Kräften und Mitteln der Nationen zu stellen. Er ist ein Patientenverteilpunkt, von dem militärische Patienten zur Weiterbehandlung in zivile Krankenhäuser des Aufnahmelandes verlegt werden, um nach ihrer Stabilisierung in ihre Heimatländer verteilt werden. Es ist zugleich der Punkt, an dem die Verantwortung für die Versorgung der Patienten durch das von der NATO organisierte, sanitätsdienstliche Unterstützungssystem an das des Aufnahmelands übergeben wird. Der HUB wird je nach Standort, Umgebung und Anbindung an die wichtigsten LOCs (Bahnhof, See-/Binnenhafen, Flughafen, Busbahnhof, etc.) modular aufgebaut sein.
Im Jahre 2023 hatte das MMCC-E den CERA-Workshop durchgeführt, bei dem die Frage im Mittelpunkt stand, wie medizinische zivile und militärische Einrichtungen im Falle der Landes- und Bündnisverteidigung am besten zusammenarbeiten können. Die Teilnehmer des Workshops waren sich einig, dass für eine weitergehende Beantwortung dieser Frage eine vignettengesteuerte Table-Top-Exercise mit Schwerpunkt zivil-militärische Interaktion auf supranationaler Ebene im Rahmen der Patientensteuerung zwischen den Nationen und den EU- und NATO-Institutionen und Hauptquartieren notwendig sei.
Deshalb wurde dieses Thema in die Übung CAMO24 als eines der Hauptübungsziele integriert. In der Vorbereitung fanden verschiedene Arbeitstreffen und vorbereitende Table-Top-Exercises im nationalen und multinationalen Rahmen statt, um im Besonderen die zivilen Strukturen und Verantwortlichkeiten der jeweiligen Nationen eindeutig zu definieren. Am Ende der Vorbereitung wurde mit jeder Nation und deren zivilen und militärischen Stellen eine Übersicht erstellt, wer für das Patient Flow Management in bestimmten Szenarien verantwortlich ist. Diese Abstimmung zwischen der militärischen und zivilen Seite erfolgte in dieser detaillierten und übergreifenden Form in vielen Fällen zum ersten Mal. Ein Beispiel ist in Anlage 1 abgebildet.
Die Übung CAMO24 fand unter Leitung des MMCC-E Anfang September 2024 in Enköping (Schweden) statt. Die schwedischen Streitkräfte und ihr Sanitätsdienst stellten hierfür das ideal geeignete Swedish Armed Forces Joint C5 Warfare Center Enköping als Gast-Nation zur Verfügung. Es war die erste NATO-Übung seit dem NATO-Beitritt Schwedens.
Das Übungsszenar für CAMO24 umfasste eine NATO Artikel 5 Verteidigungsoperation – angepasst an das sogenannte Occasus Szenar – gegen einen Aggressor, der von Osten das NATO-Verteidigungsbündnis angegriffen hatte.
Die Vorbereitung des Wargames war aufgrund der Komplexität und der Vielzahl der zu berücksichtigenden militärischen und zivilen Faktoren sehr arbeitsintensiv und dauerte ungefähr elf Monate. Über 300 Vignetten, Ereignisse, Befehle und Bekanntmachungen wurden für die Übung entwickelt. Zusätzlich wurde für jeden Übungsteilnehmer ein 60-seitiges Übungshandbuch entwickelt, dass bereits vor der Übung verteilt wurde. Zusätzlich wurde jeder Übungstag mittels einer sehr realistischen, simulierten Nachrichtensendung über die Lage in Europa eingeleitet, was die Betroffenheit und das Engagement der Übungsteilnehmer noch erhöhte.
Folgende Übungsziele wurden für die Übung mit den Nationen definiert:
- Sanitätsdienstliche / medizinische zivil-militärische Interaktion sowie sanitätsdienstliche Konsultation, Führung und Kontrolle (MED C3): die zivil-militärische Zusammenarbeit zwischen der NATO, der EU und den Nationen soll intensiviert und das Verständnis für die Notwendigkeit einer engen medizinischen zivil-militärischen Interaktion gestärkt werden.
- Interoperabilität: weitere Verbesserung, insbesondere bei der Harmonisierung der nationalen und supranationalen Verfahren im Rahmen der medizinischen zivilmilitärischen Interaktion.
- Patientenfluss: Management des Patientenflusses von der Frontlinie bis in das rückwärtige Gebiet des Einsatzraumes eines NATO Joint Headquarters bzw. weiter westlich außerhalb dieses Einsatzraumes unter Anwendung der SHAPE Richtlinie für das Management des Patientenflusses in der neuesten Fassung von April 2024. Hierzu gehören das Training multimodalerer, grenzüberschreitender Patiententransporte, u. a. taktische und strategische Patientenbewegungen der Nationen unter Einbeziehung von NATO, EU und aller Nationen unter Berücksichtigung der Kontinuität der sanitätsdienstlichen Versorgung.

220 zivile und militärische Übungseilnehmer aus insgesamt 21 Nationen nahmen an den vier Übungstagen (09.-12.09.2024) teil. Auch aus wichtigen Kommandobehörden und Direktoraten von NATO und EU erfolgte eine Beteiligung an der Übung. Besonders hervorzuheben ist die fachliche Unterstützung und Beteiligung von Vertretern zweier Kommissionsorgane der EU: zum einen aus dem Zentrum für die Koordination von Notfallmaßnahmen (Emergency Response Coordination Centre) der Generaldirektion Europäischer Katastrophenschutz und humanitäre Hilfe der Europäischen Kommission (DG ECHO), zum anderen aus der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (DG SANTE).
16 Nationen bildeten die primäre Trainingszielgruppe (Primary Training-Audience). Als sogenannte Frontstaaten fungierten EST, FIN, HUN, LTU, NOR, POL, ROU, SVK, SWE – und als Staaten in den rückwärtigen Gebieten betätigten sich BEL, CZE, DEU, ESP, FRA, NLD, USA. Über die sogenannte Simulationszelle wurden Vignetten und Ereignisse eingespielt sowie bei Bedarf Fragen der Nationen beantwortet.
Alle teilnehmenden Nationen hatten die Herausforderung, dass sie zivile und militärische Patienten intern und extern – aus den Nachbarstaaten – aufnehmen, versorgen und koordiniert in deren Heimatländer verteilen mussten. Dabei mussten die nationalen Gesundheitssysteme darauf achten, dass die zusätzlichen Patienten keine negative Beeinträchtigung der Versorgung der Heimatbevölkerung verursachten und allen Patienten die bestmögliche medizinische Versorgung garantiert wurde. Für die Frontstaaten stellte sich die zusätzliche Herausforderung, im Rahmen der zivil-militärischen Interaktion und Koordinierung, alliierte militärische Patienten, die im zivilen medizinischen System des Landes behandelt wurden, koordiniert in die rückwärtigen Gebiete/Nationen zu evakuieren.
Die teilnehmenden Nationen mussten für die Übung eine nationale Koordinierungszelle stellen, die als zentrale nationale Ansprechstelle Patiententransporte (per Luft, Land und Wasser) in ihrem Staat über einen oder mehrere RWD MEDEVAC Hubs aufnimmt, und die Verteilung von militärischen und zivilen Patienten in das nationale Gesundheitssystem ihres Landes koordiniert („Nationale PECC“). Gleichzeitig musste diese Einrichtung die Verteilung von zivilen und militärischen ausländischen Patienten in deren Heimatländer abstimmen.
Die Vertreter Deutschlands hatten als Team entsprechende zivile und militärische Vertreter für die Übungszelle in Schweden gestellt. Gleichzeitig bestanden enge Beziehungen zur PECC des Kdo SanDstBw und zum gemeinsamen Melde- und Lagezentrum im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK). Zusätzlich beteiligten sich ausgewählte Bundesländer über das BBK an der CAMO24. Eine ähnlich enge Zusammenarbeit mit zivil-militärischen Elementen im Heimatland demonstrierten die französischen und im Besonderen die schwedischen Vertreter.
Die vier Übungstage boten einen komprimierten und fordernden Ablauf. Übungstag eins diente der Integration und Einarbeitung in die Übungssituation und -umgebung. Übungstag zwei stand im Zeichen der Abschreckungsmaßnahmen der NATO und der Nationen. Übungstag drei führte zur maximalen Belastung aller Teilnehmer und Systeme aufgrund der laufenden Verteidigungsoperation. Abschließend wurden an Übungstag vier Beobachter einbezogen und spezielle Fragestellungen bearbeitet.
Die Verwundetenzahlen, mit denen in dieser Übung geübt wurde, lehnen sich an Planungszahlen der NATO an. Sie sollten die Trainingsteilnehmer nicht überfordern, aber trotzdem ein realitätsnahes Gefühl vermitteln, was im Falle eines realen Konflikts an der Ostflanke der NATO zu erwarten ist. Entsprechend wurden rund 12 600 Patienten in den vier Tagen der Übung bewegt.
Eine wichtiger und für zukünftige Übungen entscheidender Bestandteil jeder Übungsorganisation ist die Evaluierung. Das Evaluierungsteam bestand aus zivilen und militärischen Teilnehmern der teilenehmenden Organisationen oder Nationen und arbeitete unabhängig vom MMCC-E. Der Erstbericht (First Impression Report) der Evaluation beinhaltet folgende Kernaussagen: ausgezeichnete und detaillierte Übungsvorbereitung; umfassende Informationspakete im Vorfeld der Übung sowie gut vorbereitete Kurzvorträge und Einführungsbriefings erleichterten die Teilnahme an der Übung; Übung, Vignetten sowie Übungsereignisse unterstützten und förderten den Trainings- und Lernprozess der teilnehmenden Nationen, um die zivil-militärische Interaktion zwischen den Nationen und Institutionen aktiv zu beüben; alle drei Übungsziele wurden vollständig erreicht; die Übung erwies sich als eine erfolgreiche Plattform für Diskussionen und gleichzeitigen Informationsaustausch zwischen den Nationen sowie die Vernetzung von zivilen und militärischen medizinischen Akteuren; hervorragende Übungsunterstützung durch die Gastgebernation Schweden.
Aus Sicht der Nationen des MMCC-E war und ist CAMO24 ein entscheidender Bestandteil der Abschreckungsbemühungen der NATO und unterstützt die Stärkung der medizinischen Resilienz unserer Nationen. Die Teilnehmer konnten die Interaktion zwischen zivilen und militärischen Akteuren ausbauen und verbessern, wodurch ein gegenseitiges Verständnis und Vertrauen zum Nutzen der uns anvertrauten Patienten aufgebaut wurde. Es war ein wichtiger Meilenstein für das Beüben und die Verbesserung der Einsatzbereitschaft der zivil-militärischen Interaktion.
Der Erfolg des MMCC-E in Hinblick auf die komplexe und herausfordernde Übung CAMO24 beruht auf dem Geiste der gegenseitigen Zusammenarbeit und der koordinierten Unterstützung aller 18 Nationen des MMCC-E sowie der teilnehmenden NATO- und EU-Einrichtungen.
Alle Teilnehmer waren sich am Ende der Übung einig, dass das Format CAMO weiter fortgeführt werden soll und muss. Die nächste CAMO ist schon in Vorbereitung, und wird als CAMO25 im Mai 2025 am Joint Logistics Support Group Coordination and Training Centre der Logistikschule der Bundeswehr durchgeführt.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4 / 2024
Für die Verfasser:
Oberst A. K. Godau
Multinational Medical Coordination Centre-Europe
Rhein-Kaserne
Andernach Str. 100
56070 Koblenz
E-Mail: [email protected]