„Gesundheitsamt der Bundeswehr“ während COVID-19

Die Überwachungsstelle für öffentlich-rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Süd“ (ÜbwSt Süd) - Ein Erfahrungsbericht aus der ersten Reihe des Infektionsschutzes –

„Warum machen wir so einen Aufstand um einen lokalen Ausbruch einer harmlosen Lungenerkrankung irgendwo in China, während es jedes Jahr wieviel Influenzatote allein in Deutschland gibt? Die zehnfache Menge?“ waren Nachfragen nach meinem Vortrag zum Thema „Infektionsschutz in der Bundeswehr“ vor Fachpublikum, Ende Februar 2020, bei dem der Ausbruch der damals noch nicht so benannten Corona Virus Disease 2019 (COVID-19) als aktueller Fallbericht thematisiert wurde.

Zu dieser Zeit eine scheinbar gerechtfertigte Frage und selbst der souveränen Antwort fehlte es damals deutlich an Überzeugungskraft, doch sollte sich kurz daraufhin offenbaren, dass sich mit dem SARS-CoV-2 Erreger bzw. der COVID-19 Pandemie dem öffentlichen Gesundheitswesen, mit Schwerpunkt Infektionsschutz, eine Herausforderung stellen würde, die es in dieser Größenordnung lange nicht mehr gegeben hat. Doch einige Wenige waren besser vorbereitet. 

Bereits im Dezember 2019, bei uns noch eine unbeschwerte Weihnachtszeit, wurde in internen Kreisen und Fachinformationssträngen erste Meldungen bekannt, hier ganz genau die Entwicklung zu beobachten. Zu Beginn, als noch nicht von einer Mensch-zu-Mensch-Übertragung ausgegangen wurde, schien die Lage entspannt, was sich jedoch schlagartig änderte, als nach den zunehmenden Fallzahlen in Wuhan eine direkte Übertragung von Mensch zu Mensch bewiesen wurde. Die ersten Fälle innerhalb Deutschlands im Februar 2020 lagen dann direkt vor unserer Haustür. Der Cluster der Firma Webasto nahe München war der erste scharfe Test für die lokalen Gesundheitsbehörden. Wir selbst, als ÜbwSt Süd zuständig für den Wehrbereich Süd, waren zunächst nur am Informationsfluss beteiligt, da keine Bundeswehrangehörigen primär betroffen waren. Allerdings gab es bereits zu diesem Cluster erste Kontaktpersonenermittlungen, welche die Kasernenzäune und damit unsere Zuständigkeit gefährlich nah streiften. Gleichzeitig waren wir durch das InstMikroBioBw, welches zu Beginn eines von lediglich zwei deutschen Laboren war, die den SARS-CoV-2-Nachweis durchführen konnten und durch die gegenüber der ÜbwSt Süd bestehende Meldepflicht nach § 7 IfSG nahezu in Echtzeit über die Infektionslage informiert.

Das öffentliche Gesundheitswesen sieht in Deutschland für übertragbare Erkrankungen im Prinzip folgendes Procedere vor: Bei Bekanntwerden von übertragbaren Infektionen werden die erkrankten Personen dem Gesundheitsamt durch die feststellenden Gesundheitseinrichtungen gemeldet (sog. „Arztmeldung“ nach § 6 IfSG). Nach Kenntnisnahme durch das Gesundheitsamt werden die Betroffenen isoliert (z. B. mittels angeordneter häuslicher Quarantäne) und die Umstände der Infektion sowie Kontaktpersonen ermittelt. Hierdurch lässt sich der Verlauf der Infektion zurückverfolgen und bestenfalls eine Ursache ermitteln. Gleichzeitig gewinnt man hieraus eine Übersicht über die Infektionslage und kann Maßnahmen identifizieren, die die Infektionskette geeignet unterbrechen. Zusammengefasst sind damit die Kernaufgaben: Ermittlung der Infizierten, Verfolgung der Infektionswege, Übersicht über die Infektionslage und Unterbrechen der Infektionskette. 

Mit dem großen Ausbruch von COVID-19 in Heinsberg und den aus Italien eingeschleppten Fällen erfolgte in der ÜbwSt Süd eine lageangepasste Umstellung: die eigentliche Abteilung I Präventivmedizin und Hygiene mit ursprünglich 5 Mitarbeitern wuchs um die dreifache Personenzahl an und bildete ein eigenes Lagezentrum mit 24/7-Bereitschaft. Die Aufgaben sind seitdem schwerpunktmäßig: Ermittlung der Infizierten, Übersicht über die Infektionslage und Unterbrechen der Infektionskette speziell für den Zuständigkeitsbereich Süd. Hierzu gehörte zunächst primär die Beratung und Unterweisung der regionalen Gesundheitseinrichtungen über den Umgang mit potenziell Infizierten (Eigenschutz, Diagnostikkriterien, Meldewesen etc.). Einerseits zur Gewinnung von Multiplikatoren, andererseits zur frühzeitigen Vermeidung sogenannter Super-Spreader, Infizierte in Schlüsselpositionen (z. B. med. Personal), die viele Neuinfektionen verursachen. Durchgängiger Schwerpunkt ist seitdem die Ermittlung der Neuinfizierten und der zugehörigen Kontaktpersonen. Dies erfolgt oft in enger Absprache mit den Truppenärzten vor Ort, welche im Vergleich zu den zivilen Hausärzten deutlich enger in die jeweiligen Maßnahmen eingebunden sind und somit eine wesentlich hervorgehobene Rolle im Infektionsschutz spielen. 

Darüber hinaus zählt zu unseren Aufgaben, die Vorgaben und Empfehlungen zum Infektionsschutz, welche durch Bundesregierung, Gesundheitsministerium, RKI, der Bw selbst und weiteren Akteuren ausgearbeitet werden, im Zuständigkeitsbereich zu koordinieren und den hiesigen Dienststellen beratend zur Seite zu stehen, aber auch die adäquate Durchführung der Maßnahmen amtlich zu überwachen. Dementsprechend standen hier zunächst während der ersten Welle der allgemeinen Restrik­tionsmaßnahmen neben Abnahmen von z. B. Quarantäneeinrichtungen zahlreiche Beratungsleistungen für die hiesigen Dienststellen an. Etwa zur Durchführung eines reduzierten Notbetriebs und den dazu jeweilig notwendigen Maßnahmen, sowie die Erstellung zahlreicher, notwendiger fachlicher Stellungnahmen. Im weiteren Verlauf geriet dann zunehmend die wachsende Menge an Amtshilfeanträgen in den Mittelpunkt unserer Betrachtung, in deren Rahmen die Bundeswehr unterstützend, z. B. in Seniorenheimen, Personal zur Verfügung stellte. Hierunter waren vereinzelt auch erhebliche COVID-19-Hotspots, die eine umfangreiche Vor-Ort-Betreuung zum Schutz der eingesetzten Soldaten erforderten. Seit Beginn der Lockerungen der Infektionsschutzmaßnahmen bildet, begünstigt durch die sinkenden Fallzahlen, die Beratung zur Wiederaufnahme des Regelbetriebs unter kontrollierten Bedingungen den Schwerpunkt des Tagesgeschäfts. Von der Großübung bis zum Fitnessraum werden uns Hygienekonzepte zur Beratung und Freigabe vorgelegt. Vorrangiges Ziel bleibt hierbei, einen vereinbaren, individuellen Kompromiss zwischen Einsatzbereitschaft und Infektionsschutz zu erreichen. 

Aus der Zwischenbilanz nach achtzehn Wochen Pandemiemanagement zeigt sich, wie wichtig ein gut funktionierender eigenverantwortlich angewandter Infektionsschutz für die Bundeswehr ist. Die Liste der Lessons-learned wächst wöchentlich. Was tatsächlich nach der Pandemie im Schwerpunkt stehen wird, ist selbst jetzt noch nicht vollständig absehbar. Zielgerichtete Maßnahmen zur Verfolgung und Unterbrechung von Infektionsketten erarbeiten und durchsetzen zu können, stellen sich jedoch mehr denn je als unverzichtbare Fähigkeiten heraus, welche die Bundeswehr für den eigenen Zuständigkeitsbereich bis zu jetzigen Zeitpunkt überzeugend demonstrieren konnte.  

OStA Sven Rommel, ÜbwSt Süd
E-Mail: SvenRommel@Bundeswehr.org 

Datum: 27.07.2020

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/20

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