KARDIO-VASKULÄRE DIAGNOSTIK- UND THERAPIEMÖGLICHKEITEN IM AUSLANDSEINSATZ

Aufgrund der hohen Inzidenz von kardio- vaskulären Erkrankungen muss bei der sanitätsdienstlichen Versorgung auch im Rahmen von Auslandseinsätzen mit einem häufigen Auftreten von entsprechenden Krankheitsbildern gerechnet werden. Insbesondere in Ländern mit einem schlecht entwickelten Gesundheitssystem ist die Diagnostik und Behandlung von kardio- vaskulären Erkrankungen nur unzureichend. Insofern in den Einsatzlazaretten der Bundeswehr die einheimische Bevölkerung mitversorgt wird, ist dies entsprechend zu berücksichtigen. Trotz entsprechender gesundheitlicher Eignungsvoraussetzungen bei Hilfsorganisationen und bei Militärangehörigen finden sich regelmäßig auch im Rahmen von Auslandseinsätzen Patienten mit schwereren kardio-vaskulären Krankheitsbildern. Die Bundeswehr versucht dieser Problematik durch Belastungs-EKG-Untersuchungen bei Soldaten ab dem 40. Lebensjahr vor Auslandseinsätzen zu begegnen. In der folgenden Kasuistik werden kardio-vaskuläre Untersuchungs- und Behandlungsmöglichkeiten in einem Einsatzlazarett der Bundeswehr unter den Bedingungen des Auslandseinsatzes exemplarisch aufgezeigt.

Kasuistik

Zur Krankheitsvorgeschichte Berichtet wird über einen 61-jährigen männlichen deutschen Patienten, der sich am 03.04.2010 in der Notaufnahme des Einsatzlazarettes (ELAZ) des Sanitätseinsatzverbandes (SanEinsVbd) KFOR in Prizren vorstellte. Er war als Mitarbeiter einer deutschen Hilfsorganisation im Kosovo tätig. Er berichtete über eine Gefühlsstörung mit begleitendem Schwächegefühl der linken Körperhälfte, die am 01.04.2010 plötzlich aufgetreten sei. Es sei in diesem Zusammenhang zu einer Synkope mit Sturz gekommen. Die Bewusstlosigkeit habe für ca. 2 Stunden angehalten. Aufgrund der persistierenden Halbseitensymptomatik links stellte sich der Patient schließlich in der Notaufnahme des ELAZ vor. Desweiteren wurde auf näheres Befragen auch eine typische Claudicatio intermittens-Symptomatik beschrieben, die seit ca. 6 Monaten bestehen würde. Die Gehstrecke betrüge ca. 200 bis 300 m. Eine leichte Belastungsdyspnoe hätte im letzten Zeitraum nicht wesentlich zugenommen. Klassische Angina pectoris-Beschwerden wurden nicht angegeben. Aus der weiteren Vorgeschichte ist lediglich eine arterielle Hypertonie bekannt. Es sei zeitweise eine ß-Blocker-Therapie erfolgt, die jedoch von Seiten des Patienten wieder abgesetzt wurde. Ansonsten keine relevanten Vorerkrankungen und keine medikamentöse Therapie.

Körperlicher Untersuchungsbefund Klinischer Befund in der Notaufnahme des ELAZ/Prizren:

61-jähriger Patient in altersentsprechend gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Zeitlich, räumlich und örtlich war der Patient orientiert. RR 230/140 mmHg, HF um 140/min, Herzaktion absolut arrhythmisch. Carotisstrombahn auskultatorisch bds. frei ohne systolisches Strömungsgeräusch. Cor und Pulmo auskultatorisch und perkutorisch unauffällig. Weiches Abdomen ohne Resistenz und ohne Abwehrspannung. Regelrechte Peristaltik über allen 4 Quadranten. Paramedian links war in longidutinaler Richtung eine walzenartige pulsierende Struktur palpabel. Die Fußpulse waren bds. nicht sicher tastbar. Orientierende neurologische Untersuchung: Hirnnerven unauffällig. Geringe Kraftminderung (Kraftgrad 4/5) mit Hypästhesie im Bereich des linken Armes und Beines. Muskeleigenreflexe links etwas lebhafter als rechts auslösbar.


Apparative Diagnostik

Laborbefunde
Pathologische Befunde: MCV 100 fl, MCH 33 pg, Granulozyten 79 %, Lymphozyten 16 %, AT III 77 %, D-Dimere 2,4 mg/l, GGT 58 U/l, Gesamtcholesterin 309 mg/dl, CK 305 U/l, Myoglobin 80 µg/l, CRP 1,6 mg/dl. Die übrigen Parameter befanden sich im Normbereich. Troponin-I-Wert negativ.

Ruhe-EKG
Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern, HF um 119/min, Indifferenztyp. Flache Kammerendteile in den Extremitätenableitungen -unspezifischer Befund. Hohe R/SVoltage in den Brustwandableitungen als möglicher Hinweis auf eine linksventrikuläre Wandhypertrophie.

Orientierendes 2-D Echokardiogramm Normal großer, deutlich hypertropher linker Ventrikel mit eingeschränkter systolischer Pumpfunktion und Hinterwandhypokinesie. Unauffällige rechte Herzhöhlen. Kein Perikarderguß. Soweit beurteilbar kein Hinweis auf ein höhergradiges Vitium cordis.

Sonographie der Abdominalorgane Ausgedehntes infrarenales, zirkulär teilthrombosiertes Aortenaneurysma von ca. 8 x 18 cm Ausdehnung, bis zur Iliacalbifurkation reichend. Sonographisch kein Hinweis auf Perforation.

Übrige orientierende sonographische Untersuchung ohne relevanten Befund.


Radiologische Diagnostik

1. CCT (Ischämie vs. TIA; ICB? RF?)

2. CT-Angiographie
2.1. Aneurysmadarstellung (Dissektion? Ruptur? Ausdehnung?)
2.2. Halsgefäße (Stenosen? Plaques? Dissektion?)

CCT nativ
-Ca. 1 cm messendes hypodenses Areal rechts hochparietal im vorderen Mediastromgebiet auf Höhe des Gyrus präzentralis (A. cerebri media rechts), CT-morphologisch vereinbar mit einem subakuten Infarktareal (Abb. 1). -Lakunäre Infarktareale im rechten Nucleus caudatus sowie auf Höhe der Stammganglien bds., rechts > links (Abb. 2). -Beginnende mikroangiopathische Veränderungen. Arteriosklerose der basalen hirnversorgenden Gefäße.

CT Thorax/Abdomen-Angiographie und der Halsweichteile (Spätphase)
-Ca. 2 cm infrarenal zeigt sich ein partiell thrombosiertes Bauchaortenaneurysma mit einem perfundierten Lumen von ca. 5,1 cm und einem maximalen Aneurysmasackdurchmesser von ca. 9,1 cm (doppelt achskorrigiert). Das Aneurysma reicht bis an die Iliakalbifurkation und misst ca. 19 cm longitudinal. Kein Nachweis einer Dissektion oder Perforation (Abb. 3).

-Hinweise auf einen arteriosklerotischen Plaque am Abgang des ektatisch erweiterten Truncus brachiocephalicus mit ca. 70 %iger Abgangsstenose und flottierenden Anteilen i. S. eines instabilen ulzerierenden Plaque (Abb. 4, Abb. 5).

Carotissklerose bds. mit kleinem Plaque im Bereich der Carotisbifurkation rechts. -Stark kinkende Aorta abdominalis unmittelbar infrarenal um ca. 90°. Ektatische Iliakalarterien links > rechts mit arteriosklerotischen Veränderungen. -Arteriosklerose mit Abgangsstenose des Truncus coeliacus (Abb. 6).


Diagnosen

1. Apoplektischer Insult im Mediastromgebiet rechts
• persistierende Halbseitensymptomatik links
• a.e. thrombembolischer Genese bei instabilem Plaque im Bereich des Tr. brachiocephalicus, DD. bei absoluter Arrhythmie bei Vorhofflimmern

2. Zirkulär teilthrombosiertes infrarenales Bauchaortenaneurysma bis zur Iliacalbifurkation reichend (19 x 9 cm, perfundiertes Lumen bis 5,1 cm)
• derzeit kein Hinweis auf Perforation
• Claudicatio intermittens-Symptomatik seit ca. 6 Monaten

3. Hinweis auf eine koronare Herzkrankheit
• eingeschränkte linksventrikuläre Pumpfunktion mit Hinterwandhypokinesie
• absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern

4. Hypertensive Krise
• bekannte, medikamentös nicht eingestellte Arterielle Hypertonie
• hypertensive Linksherzerkrankung

5. Generalisierte Gefäßsklerose
• V.a. instabilen ulzerierenden Plaques im Bereich des Tr. brachiocephalicus mit ca. 70%iger Stenose
• Carotissklerose bds. mit echoreichem Plaque im Bifurkationsbereich rechts
• V.a. periphere arterielle Verschlußkrankheit

6. Hypercholesterinämie


Zusammenfassende Beurteilung und Verlauf

Die stationäre Aufnahme des Patienten erfolgte über die Notaufnahme des ELAZ bei persistierender Halbseitensympomatik links und vorausgegangener Synkope am 01.04.2010. Bei einem initial durchgeführten CCT zeigte sich ein ischämischer Insult im Mediastromgebiet rechts ohne sekundäre Einblutung. Ursächlich war in erster Linie von einem thrombembolischen Geschehen bei einem instabilen Plaque im Bereich des Tr. Brachiocephalicus auszugehen. Differentialdiagnostisch kamen darüber hinaus ein absolute Arrhythmie bei Vorhofflimmern sowie eine hypertensive Krise mit Blutdruckwerten von 230/140 mmHg und höher in Betracht. Im Rahmen der klinischen Untersuchung ergab sich ferner der Verdacht auf das Vorliegen eines Bauchaortenaneurysmas, wobei die Verdachtsdiagnose sonographisch und CT-morphologisch bestätigt wurde (s.o.). Darüber hinaus ergaben sich, bei deutlich erhöhtem kardio-vaskulärem Risikoprofil, Hinweise auf das Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit sowie einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Es erfolgte eine schrittweise Blutdruckeinstellung mittels Urapidil, Clonidin und ß-Blockergabe. Desweiteren wurde eine niedrig dosierte Thrombozytenaggregationshemmung mittels Acetylsalicylsäure eingeleitet. Angesichts des Aortenaneurysmas und bei hypertensiver Krise erfolgte nur eine zurückhaltende Antikoagulation mit einem niedrig dosierten niedermolekularen Heparin. Zur Optimierung des kardio-vaskulären Risikoprofils und zur Plaquestabilisierung wurde ferner ein Statin verordnet. Am 04.04.2010 erfolgte nach Stabilisierung die Repatriierung nach Deutschland in eine Münchner Universitätsklinik.


Diskussion

Die vorgelegte Kasuistik soll exemplarisch die kardio-vaskulären Diagnostik- und Therapiemöglichkeit im Rahmen eines Auslandseinsatzes aufzeigen. Insbesondere in Ländern mit nur rudimentär oder schlecht ausgebautem Gesundheitssystem sind regelmäßig Patienten mit komplexeren kardio-vaskulären Krankheitsbildern und mit bisher fehlender Therapie anzutreffen. Aber auch bei Hilfsorganisationen, wie hier im Beispiel aufgezeigt, finden sich nicht selten ältere Mitarbeiter mit solchen Erkrankungen, da die gesundheitlichen Einstellungskriterien recht unterschiedlich zu sein scheinen bzw. nicht eingehalten werden. In der Bundeswehr kommt hierbei dem Truppenarzt eine besondere Stellung zu, muss er doch vor jedem Auslandseinsatz die gesundheitliche Eignung prüfen und ggf. fachärztlichen Rat hinzuziehen. Bei Soldaten über 40 Jahren wird seit geraumer Zeit vor jedem Auslandseinsatz die Durchführung eines Belastungs-EKG gefordert. Da nicht selten hierbei asymptomatische oder oligosymptmatische kardio-vaskuläre Erkrankungen erkannt werden, scheint sich dieses Vorgehen zu bewähren, wobei jedoch genaue Daten nicht verfügbar sind. Eine entsprechende Studie wäre wünschenswert. Eine Lücke besteht in diesem Zusammenhang bei Reservisten, bei denen dieses Vorgehen häufig nicht eingehalten wird. Hier sind insbesondere die Kreiswehrersatzämter aufgerufen, auf die entsprechenden Eignungskriterien zu achten und ggf. fachärztliche Expertise hinzuzuziehen.

Die Vorstellung des o. g. Patienten erfolgte bei einer persistierenden Halbseitensymptomatik links nach vorausgegangener Synkope. Im Rahmen der Auslandseinsätze steht für die apparative Primärdiagnostik hierfür ein Mehrzeilen-CT (6 Zeiler) der Firma Siemens (Somatom Emotion 6) zur Verfügung, welches für diese Fragestellung als sicherlich ausreichend zu bewerten ist. Neben der reinen Nativdiagnostik des Kopfes ist hiermit gleichzeitig eine hochauflösende arterielle CT-Angiographie der Kopf- und Halsgefäße möglich. Als Hauptbefund zeigte sich hierbei ein kleines subakutes Infarktareal rechts praezentral. Darüber hinaus fanden sich alte lakunäre Infarktareale im Mediastromgebiet rechts (Ncl. caudatus). Ätiologisch ist hierbei zwischen embolischen Infarkten (Abb. 7) und Grenzzoneninfarkten (Abb. 8) zu unterscheiden. Aufgrund der morphologischen Anordnung und des CT-angiographischen Befundes war am ehesten von embolischen Infarkten auszugehen. Als wahrscheinlichste Emboliequelle zeigte sich ein instabiler arteriosklerotischer Plaque im ektatischen Truncus brachiocephalicus. Differentialdiagnostisch und -therapeutisch mussten hierbei jedoch auch eine Tachyarrhythmie absoluta bei Vorhofflimmern sowie eine hypertensive Krise berücksichtigt werden.

Im Rahmen der weiteren CT-Diagnostik bestätigte sich ferner ein zirkulär teilthrombosiertes infrarenales Bauchaortenaneurysma (19 x 9 cm, perfundiertes Lumen bis 5,1 cm), welches bis zur Iliacalbifurkation reichte. Hinweise auf eine Perforation oder Dissektion fanden sich derzeit nicht. Die diagnostischen Möglichkeiten mittels des o. g. CT sind auch diesbezüglich für die Primärdiagnostik ausreichend. Aufgrund der vorliegenden Krankheitsbilder ergaben sich, nach Ausschluss einer intracerebralen Blutung, an der Gabe eines niedrig dosierten Thrombozyten-aggregationshemmers keine Zweifel. Bei ischämischem Insult wurde der massiv erhöhte Blutdruck gemäß der entsprechenden Leitlinie nur schrittweise gesenkt. Unter Berücksichtigung des großen infrarenalen Bauchaortenaneurysmas wurde hierbei eine Risikoabschätzung zu Grunde gelegt. Auf eine >>high-dose<< - Heparinisierung, die bei einer Tachyarrhythmia absoluta bei Vorhofflimmern erforderlich wäre, wurde bei hypertensiver Krise und der Gefahr einer sekundären Einblutung in das Infarktareal verzichtet.

In Zusammenhang mit einer nachgewiesenen Hypercholesterinämie und zur Plaquestabilisierung erfolgte die Gabe eines Statins. Bei deutlich erhöhtem kardio-vaskulärem Risikoprofil (Hypercholesterinämie, ausgeprägte arterielle Hypertonie) ergaben sich ferner Hinweise auf das Vorliegen einer koronaren Herzkrankheit sowie einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit. Nach Ausschluss eines akuten Koronarsyndroms und bei fehlenden Hinweisen auf eine kritische Ischämie im Bereich der unteren Extremitäten bestand diesbezüglich unter den Bedingungen des Auslandseinsatzes keine Notwendigkeit zur weiteren Diagnostik oder Intervention vor Ort.

In den Einsatzlazaretten der Bundeswehr bestehen weder Möglichkeiten zur invasiven kardiologischen noch zur invasiven angiologischen Diagnostik. Bei den erheblichen logistischen und personellen Voraussetzungen für diese Untersuchungsverfahren ist die Einrichtung entsprechender Diagnostikverfahren im Rahmen von Auslandseinsätzen sicherlich nicht sinnvoll. Hier steht eine zeitnahe Repatriierung unter Intensivmonitoring im Vordergrund.

 

Datum: 11.03.2010

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2010/2

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