HERSTELLUNG PHARMAZEUTISCHER PRODUKTE IN DER BUNDESWEHR

VERSORGUNGSSICHERHEIT UND WIRTSCHAFTLICHKEIT - EIN WIDERSPRUCH?

„Im Kern geht es darum, die Einsatzorientierung, Wirkung und Wirtschaftlichkeit bei der bundeswehrgemeinsamen Aufgabenwahrnehmung kontinuierlich zu verbessern.“

(Die Neuausrichtung der Bundeswehr, April 2013)

Nicht erst seit Beginn der Neuausrichtung der Bundeswehr wurde die Notwendigkeit der Neuausrichtung – die Verwendung des Begriffes sei hier erlaubt – der Herstellung von pharmazeutischen Produkten in Bundeswehrapotheken erkannt. Ziel ist es dabei, konsequent auf die Bedarfe in Einsatz und Krisenszenaren einzugehen und die dafür erforderlichen Kräfte und Mittel so wirtschaftlich wie möglich einzusetzen.

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Abbildung 1: Apotheke Bundeswehrkrankenhaus ulm.

Dieser Artikel befasst sich mit der im Wandel befindlichen Herstellung von Arzneimitteln und Medizinprodukten (pharmazeutische Produkte) durch den Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr im industriellen Maßstab; die Herstellung im Rahmen des apothekenüblichen Betriebes durch Apotheken der Bundeswehrkrankenhäuser und die Versorgungsund Instandsetzungszentren Sanitätsmaterial bleibt unverändert erhalten. Dazu regeln die aus §§ 7 und 8 der „Verordnung über den Betrieb von Apotheken“ abgeleiteten „Bestimmungen für den Betrieb von Bundeswehrapotheken“ (ZDv 49/63) die Herstellung von patientenindividuellen Rezepturarzneimitteln auf ärztliche Verordnung sowie diejenige von täglich bis zu hundert abgabefertigen Packungen im Rahmen der Defektur.
Wurden in der Vergangenheit noch marktgängige Artikel wie Acetylsalicylsäure- oder Paracetamol-Tabletten in den Bundeswehrkrankenhausapotheken produziert, so geschah dies unter der Prämisse von Rahmenbedingen, die sich von den heutigen deutlich unterscheiden. Mit Erlass des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) Referat Führung Streitkräfte III 5 wurde der Rahmen für die Herstellung neu gesetzt und die Anpassung des herzustellenden Produktportfolios auf die Erfordernisse des Einsatzes sowie von Krisenszenarien eingeleitet. Neben fachlichen Aspekten sind die Implementierung des Integrierten Planungsprozesses (IPP) und des novellierten Customer Product Management (CPM [nov.]) als grundlegende Dokumente zum Ausrüstungs- und Nutzungsprozess von Bedeutung. Die jährliche Überarbeitung des sog. Herstellungserlasses erfolgt unter Einbeziehung der Expertise des dem BMVg nachgeordneten Bereiches (Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr [Kdo SanDstBw], Zentrale Arzneimittelkommission, fachärztliche Konsiliargruppen). In Bezug auf die Zusammenstellung der Produktpalette fließen jeweils der aktuelle Stand von Wissenschaft und Technik, militärpolitische Rahmenbedingungen und auch Erkenntnisse aus der Marktbeobachtung ein.
Mit der Neufassung der Vorgaben für die Herstellung pharmazeutischer Produkte werden zwar einige seit langem etablierte und in der Truppe geschätzte Präparate wie z. B. Meersalzcreme oder Urea-Hautschutzlotion aus der Versorgung genommen, im Gegensatz zu spezifischen Produkten für den militärischen Einsatz sind diese aber durchgängig und zumeist kostengünstiger durch die pharmazeutische Industrie lieferbar.
Die Herstellung pharmazeutischer Produkte in Bundeswehrapotheken war bereits mehrfach Gegenstand von Prüfungen bzw. eines Bemerkungsverfahrens des Bundesrechnungshofes und wurde im März 2013 auch vor dem Rechnungsprüfungsausschuss des Deutschen Bundestages behandelt. Bei allen in diesem Zusammenhang gegebenen Empfehlungen und gefassten Beschlüssen in Richtung weiterer wirtschaftlicher Optimierung wurden folgende Aspekte jedoch klargestellt:

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Abb. 2a: Sterilproduktionsbereich BwKrhs Apotheke ulm und Ansatzbehälter.
Produkte mit besonderer Relevanz für Einsätze oder Krisenszenare sind oftmals nicht oder nicht zeitgerecht im benötigten Umfang am Markt zu beschaffen. In besonderem Maße gilt dies für Antidote zur Verwendung bei Bedrohung mit chemischen Kampfstoffen. Aber auch die Verfügbarkeit von gängigen Antibiotika kann aufgrund der zunehmenden Globalisierung der pharmazeutischen Industrie nicht mehr als gesichert angesehen werden. Produktionsausfälle, eine erhöhte Nachfrage in Krisensituationen oder regionale Konfliktsituationen können vermehrt Lieferausfälle bedingen. Die Streitkräfte müssen hier mit der zivilen Nachfrage konkurrieren, so dass ein im militärischen Umfeld kurzfristig auftretender, hoher Bedarf durch dann einzuleitende Beschaffungen nicht zuverlässig gedeckt werden kann. Insofern ist ersichtlich, dass beispielsweise die Fähigkeit zur Eigenherstellung antibiotisch wirksamer Arzneimittel u. a. vor dem Hintergrund eines möglichen Einsatzes biologischer Waffen als Risikovorsorge des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr unbedingt erforderlich ist. Dementsprechend sind z. B. antibiotisch wirksame Zubereitungen zur Prophylaxe und Therapie gegen die potentiell waffenfähigen biologischen Erreger („Dreckiges Dutzend“) mit dem genannten Erlass zur Herstellung angewiesen.
Wenngleich Anpassungsbedarf erkannt und aufgegriffen wurde, ist die Berechtigung der Herstellung der den genannten Kriterien entsprechenden pharmazeutischen Produkte nicht zu bestreiten. In Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Bundesrechnungshofes und dem Beschluss des Rechnungsprüfungsausschusses erfolgt derzeit eine Konzentration der Herstellungskapazitäten in der Apotheke des Bundeswehrkrankenhauses Ulm (BwKrhsApotheke Ulm). Die Produktionsstätte in der Apotheke des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz wird aufgegeben. Mit dieser Bündelung der Fähigkeiten am Standort Ulm, der in dieser Hinsicht über die weitaus modernere Infrastruktur und Ausstattung verfügt, ist eine Effizienzsteigerung zu erwarten. Die laufende Migrationsplanung von Koblenz in Richtung Ulm erfolgt unter der Maßgabe, dass Ausbildung und Inübunghaltung des in diesem Aufgabenbereich eingesetzten wehrpharmazeutischen Personals weiterhin sichergestellt sind. Zu den eingeleiteten Maßnahmen, den erzielten Fortschritten bei der Effizienzsteigerung und dem Stand der weiteren Fokussierung auf die Einsatzrelevanz ist dem Rechnungsprüfungsausschuss Ende des Jahres 2014 erneut zu berichten.
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Abb. 2b: Sterilproduktionsbereich BwKrhs Apotheke ulm und Ansatzbehälter.

Durch das Kdo SanDstBw wurde eine Projektgruppe eingerichtet, die mit Planungsarbeiten und Schwerpunktprojekten im Rahmen der Neuausrichtung der Herstellung pharmazeutischer Produkte beauftragt ist:

  • Zunächst sind materielle und personelle Grundlagen anzupassen. Hierbei handelt es sich u. a. um die Rückführung des Herstellungsbereichs der Apotheke des Bundeswehrzentralkrankenhauses Koblenz auf einen Teilbereich Herstellung / Galenik, der - analog zu den Bundeswehrkrankenhäusern Hamburg und Berlin - für die reine Versorgung des Hauses im Rezeptur- und Defekturmaßstab ausgelegt ist. Ferner sind die Verlagerung von Produktionsanlagen nach Ulm zu planen, die personelle Sollorganisation der Herstellungsstätte Ulm zu überarbeiten sowie infrastrukturelle Anpassungen des Ulmer Apothekenbaues zu prüfen.
  • Zur Realisierung der Herstellung der gelisteten, einsatzrelevanten Produkte ist die Fertigung von Test- und Validierungschargen bei der galenischen Entwicklung ebenso zu leisten, wie umfangreiche Arbeiten zur Erlangung der jeweils zugehörigen Herstellungserlaubnis und Zulassung. Die letztgenannten Aufgaben werden im engen Zusammenwirken mit dem für regulatorische Angelegenheiten zuständigen Pharmazeutischen Unternehmer der Bundeswehr im Kdo SanDstBw (Sachgebiet V 1.3) bearbeitet. Die BwKrhsApotheke Ulm verfügt für die anstehenden Entwicklungsarbeiten bereits über eine leistungsfähige Ausstattung. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Bereiche der Sterilherstellung und der Tablettenherstellung. Da Injektabilia und Tabletten den Großteil der als einsatzrelevant identifizierten Produkte ausmachen, sind die entsprechenden apparativen Voraussetzungen für die Fertigung am Standort Ulm gegeben bzw. nur in Teilen anzupassen.
  • Ein umfassendes Grundstoffbevorratungskonzept befindet sich in der Erstellung. Mit diesen Vorgaben soll u. a. vor dem Hintergrund möglicher Lieferengpässe oder bei einem erhöhten Bedarf, der sich durch die pharmazeutische Industrie nicht kurzfristig decken lässt, die Fähigkeit zur Ad hoc-Herstellung des festgelegten Portfolios gewährleistet werden. Das Konzept wird sich nicht auf die bloße Einlagerung der Grundstoffe und geeigneter Packmittel beschränken, sondern Einkauf, Bevorratung und Wälzung sämtlicher Materialien sowie die Beschreibungen der anzuwendenden Verfahren über alle Produktionsschritte inklusive Verpackung und Kennzeichnung einbeziehen. Die damit erreichbare Reaktionsfähigkeit konnte bereits unter Beweis gestellt werden: Die World Health Organization (WHO) hat unlängst beim Auswärtigen Amt das nicht marktgängige Antidot „Atropinsulfat- Lösung 100 mg/10ml“ nachgefragt. Im Rahmen der ressortgemeinsamen Arbeit erreichte die Anfrage das BMVg, woraufhin 4 000 Ampullen angeboten werden konnten. Durch die unmittelbare Nachproduktion wäre keine Versorgungslücke für die Bundeswehr entstanden.

Bei der Bevorratung der C-Antidote (Atropin- Autoinjektoren Atro-Pen®; Kombinations-Autoinjektoren ATOX™ II, ComboPen®; Pyridostigmin- Tablettensatz) der Persönlichen ABCSchutzausstattung ist der Aufbau bundeswehreigener Kapazitäten zur Herstellung von Autoinjektoren eine Option zur entsprechenden Bedarfsdeckung. Realisierbarkeit und Kosten dieses ambitionierten Projektes werden zurzeit untersucht. Hier bietet sich ein Ansatzpunkt für multinationale Zusammenarbeit, da befreundete Nationen bereits ihr Interesse an Autoinjektoren aus Produktion der Bundeswehr oder an einer gemeinsamen Beschaffung bekundet haben.

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Abb. 3: Atropinsulfat-Lösung 100mg/10ml Antidot.
Die nutzbaren Synergieeffekte multinationaler Kooperation zeigen sich bereits bei anderen Projekten. Mit dem Sanitätsdienst der französischen Streitkräfte wurde eine Entwicklungskooperation mit dem Ziel der Erwirkung einer arzneimittelrechtlichen Zulassung für Deutschland im Rahmen der „decentralized procedure“ eingegangen. Ziel ist die Verfügbarkeit eines Zweikammer-Kombinationsautoinjektors mit drei Wirkstoffen, der eine vielversprechende Weiterentwicklung der Antidottherapie bei Vergiftungen mit bestimmten Nervenkampfstoffen darstellt. Ebenfalls zu dem thematischen Umfeld der Vergiftung mit chemischen Kampfstoffen gehört ein weiterer Ansatz der deutsch-französischen Zusammenarbeit: Die französische „Direction centrale du service de santé des armées“ (DCSSA) hat ihre Unterstützung beim Aufbau der Produktion von Pyridostigminbromid-Tabletten durch die BwKrhsApotheke Ulm zugesagt und erste Maßnahmen eingeleitet.
Insgesamt bleibt hierzu festzuhalten, dass Kooperationen sowohl mit militärischen Partnern, als auch mit der pharmazeutischen Industrie bereits ermutigende erste Resultate gezeigt haben und weiter zu intensivieren sind. Das Spektrum reicht hier von Unterstützung des Zulassungserwerbs und bundeswehreigener Produktion, über fachlich-wissenschaftlichen Austausch bis zum Zugang zu überaus spezifischen und technisch innovativen Produkten.
Insgesamt kann sich die Herstellung pharmazeutischer Produkte zu einer weiteren Facette des „pooling und sharing“ entwickeln, indem die in der Bundeswehr vorhandenen Fähigkeiten auch befreundeten Streitkräften bzw. staatlichen Organisationen im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU und der NATO zugänglich gemacht werden. Die angesprochene Fähigkeit der Sterilproduktion von Liquida könnte in einem ersten Ansatz zur Verfügung gestellt bzw. angeboten werden (sharing). Der nicht nur im öffentlichen Sektor Deutschlands herrschende Zwang zum wirtschaftlichen Umgang mit Haushaltsmitteln dürfte ebenso für ein solches Vorgehen sprechen wie der Umstand, dass nur wenige Partnernationen über vergleichbare militärische Produktionskapazitäten verfügen. Der auf die Bundeswehr in vielerlei Hinsicht einwirkende Rationalisierungsdruck hat die eingeleiteten Maßnahmen zur Umgestaltung und Neuausrichtung der bundeswehreigenen Herstellung beschleunigt. Essentiell ist es, die vorhandenen Fähigkeiten im Interesse der Versorgungssicherheit und Risikovorsorge des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für alle Soldatinnen und Soldaten bei rückläufiger globaler Verfügbarkeit pharmazeutischer Produkte zu erhalten, in Teilen neu zu ordnen und den Einsatzbezug herauszustellen. Die Möglichkeiten zur wirtschaftlichen Optimierung sind dabei soweit wie irgend möglich zu nutzen, allerdings auch deren Begrenzungen im militärischen Umfeld aufzuzeigen. Die Fähigkeit zur Eigenherstellung pharmazeutischer Produkte stellt eine militärische Kernfähigkeit dar, „…über die das Bundesministerium der Verteidigung bzw. die Bundeswehr aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, politischer Vorgaben oder militärisch unabdingbarer Erfordernisse verfügen [muss] und die für eine Übernahme durch Dritte nicht zur Verfügung [steht].“ (ZDv 30/41 „Begriffe der Logistik und Rüstung“).

Datum: 03.06.2014

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2014/1

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