EIN JAHR SIMULATIONSZENTRUM AM BUNDESWEHRKRANKENHAUS HAMBURG
Das Tourniquet ist angelegt, die Blutung steht. Das offensichtliche „C“- Problem ist vorerst gelöst. Also bei „A“ beginnen. Er atmet, aber flach und schnell, Sauerstoffmaske auf das Gesicht, „10 Liter pro Minute“ die Anweisung für den Rettungsassistenten.
Das Atemgeräusch links fehlt, die Halsvenen sind gestaut und der Alarmton leitet die Aufmerksamkeit des Rettungsteams auf den Monitor: Herzfrequenz 160/Minute, Pulse nur noch schwach tastbar. Nadeldekompression im 2. ICR links. Der Patient stabilisiert sich. „Vielen Dank!“ klingt es aus dem Lautsprecher – die Simulation ist an dieser Stelle beendet.
Simulation ist für das Militär nichts Neues: Wir simulieren den scharfen Schuss auf dem Übungsplatz und im Schießsimulator, wir simulieren ganze Gefechte im Sandkasten und in Computersimulationen. Auch in der Medizin wird die Simulation in den letzten 10 Jahren mit stetiger Verbesserung der Simulatoren zunehmend in der Ausbildung eingesetzt. Die erste Nutzung eines Patientensimulators am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg erfolgte 2009 in einen alten NAW des Rettungszentrums (Abb. 1) im Rahmen des einsatzvorbereitenden BAT-Kurses (siehe unten), damals noch ohne die Möglichkeit des Videodebriefings. Die gerade nicht aktiven Teilnehmer mussten das Geschehen live durch die geöffneten Hecktüren des Fahrzeuges beobachten. Im Sommer 2010 begann der Aufbau unseres Simulationszentrums in den ehemaligen Räumlichkeiten der Zentralsterilisation zunächst mit Eigenmitteln.
In der jetzigen Form verfügt das Simulationszentrum über zwei Simulationsarbeitsplätze. Ein Simulationsarbeitsplatz ermöglicht die Darstellung innerklinischer Szenarien im Schockraum und Operationssaal bis zum Intensivbehandlungsplatz. Hier werden verschiedene innerklinische Simulationssznarien geübt, wie sie vergleichbar in Simulationszentren an Universitätskliniken durchgeführt werden. (Abb 2) Als Besonderheit unseres militärischen Simulationszentrums betreiben wir einen Patientensimulator in einem speziell für die präklinische einsatzvorbereitende Ausbildung erbauten Mockup der Patientenkabine des gepanzerten Sanitätsfahrzeuges „Yak“. Aus beiden Simulationsräumen können je drei Kameraperspektiven und Ton aufgezeichnet und live in den Debriefingraum übertragen werden. Der angegliederte Debriefingraum bietet Platz für 15 Teilnehmer und dient für Unterrichte und der Nachbesprechungen der Simulationsszenarien. Für mobile Simulation z.B. in Rettungsfahrzeugen oder sonstigen Notfallorten steht eine weitere mobile Video-Debriefingeinheit mit drei Kameras zur Verfügung.
Der Patientensimulator
Wie jeder Sanitätssoldat erlebt hat, wird bereits im Erste-Hilfe-Kurs die kardiopulmonale Reanimation an einem einfachen Simulator gelehrt und geübt. Die Möglichkeiten der Simulation in der Medizin gehen jedoch weit über das Erlernen und Üben von einfachen Maßnahmen (Skills), wie der Reanimation oder der Atemwegssicherung hinaus. Die von der Bundeswehr beschafften „full-scale“-Patientensimulatoren (SimMan der Fa. Laerdal) (Abb 3) verfügen über eine „Spontanatmung“ mit sichtbaren Thoraxexkursionen und auskultierbaren Atemgeräuschen. Zur Erhebung der Kreislaufparameter kann an den Extremitäten wie an beiden Leisten und den Karotiden der Puls palpiert werden. Die Blutdruckmessung ist sowohl durch manuelle als auch automatische Verfahren möglich. Die Sprachausgabe über einen Lautsprecher im Kopf des Simulators ermöglicht die realitätsnahe Kommunikation zwischen dem „Patienten“ und dem Behandlungsteam. Neben der Möglichkeit der Atemwegssicherung - sowohl supraglottisch wie auch endotracheal - kann auch ein Pneumothorax durch Nadeldekompression oder durch Anlage einer Thoraxdrainage therapiert werden. Über die Defibrillator- und EKG-Anschlüsse können Herzrhythmusstörungen durch Defibrillation/Kardioversion werden. Die Gefäßdarstellung im „Infusionsarm“ erlaubt die intravenöse Applikation von Medikamenten und Infusionen in den tatsächlichen Volumina (2). Nahezu alle anästhesiologisch und notfallmedizinisch relevanten Probleme lassen sich mit dem Simulator darstellen und therapieren. Technisch nicht darstellbare Symptome, wie z. B. Blässe oder Schwitzen, werden durch Regieanweisungen des Instruktorenteam an die Teilnehmer übermittelt.
Crisis Resource Management
Neben dem Lösen von einfachen bis komplexen medizinischen Problemstellungen, werden im Simulator vor allem die „Non-Technical- Skills“ in einem Teamtraining vermittelt. Hierzu zählen Kommunikation, Teamführung, Situation Awareness und Entscheidungsfindung. Mängeln bei diesen „Human Factors“ werden etwa 70 Prozent der Fehler in der Medizin zugeschrieben (1). Die Einführung von Crisis Ressource Management (CRM) nach dem Vorbild der Luftfahrt hilft Fehler in der Medizin zu reduzieren und erhöht somit die Patientensicherheit. Die Verbesserung des CRM ist das wesentliche Ausbildungsziel der zivilen Simulationszentren, in unserem Simulationszentrum werden diese Ausbildungsziele auch einsatzbezogene sanitätsdienstliche Umgebung projiziert.
Debriefing – Lernen aus den eigenen Fehlern
Nach einer kurzen Einführung in die Lage werden Szenarien von 10 bis 15 Minuten bearbeitet. Während der gesamten Zeit wird Bild und Ton registriert. Die gerade nicht beübten Lehrgangsteilnehmer können das Geschehen am Monitor verfolgen. Unmittelbar an die Simulation schließt sich die Nachbesprechung (Debriefing) an (Abb. 4). Die noch frischen Eindrücke und Emotionen aus dem Simulationsszenario werden vom Instruktorenteam abgefragt und dann die medizinischen und CRM-spezifischen Probleme erarbeitet. Den Teilnehmern wird anhand von Videosequenzen aus dem Simulationsszenario die Möglichkeit zur Reflexion ihres Verhaltens gegeben (3). Viele Details aus dem Szenario, wie Alarmtöne des Monitors oder der Überflug eines Kampfjets, werden von den Teilnehmern erst beim Betrachten des Videos bewusst wahrgenommen. Dies lässt sich im Debriefing aufgreifen und zum Beispiel unter dem Aspekt der Situation Awareness nachbereiten. Grundsätzlich gilt: Im Szenario sollen Fehler gemacht werden, da das Lernen im Mittelpunkt steht. Es zählt nicht die Leistung in der Simulation.
Grundsätzliche Einsatzmöglichkeiten des Simulators
Im klinischen Bereich erlaubt die Simulation die strukturierte Schulung von anästhesiologischen Zwischenfällen, wie anaphylaktischen Reaktionen, dem Management des schwierigen Atemweges oder dem Umgang mit Medizingerätefehlern. Im Schockraumtraining kann speziell die interdisziplinäre Teamarbeit gefördert werden. Die Simulation ermöglicht weiterhin die Konfrontation der Teilnehmer mit in Deutschland seltenen Verletzungsmustern und Krankheitsbilder. Relevanz für den Auslandseinsatz haben unter anderem penetrierende Verletzungen oder Explosionstraumata, die wir unseren Teilnehmern auch in wochenlangen Praktika auf unseren Rettungsmitteln in Hamburg nicht bieten können. Verschärfend können einsatzspezifische Stressoren eingespielt werden, zum Beispiel Funkverkehr, Kampfgeräusche und strikte Zeitvorgaben.
Einsatzvorbereitender fachlicher Ergänzungslehrgang für Rettungsmediziner („BAT-Kurs“)
Ein dreiwöchiger BAT-Kurs mit Skill- und anschließenden Simulationstraining war das erste Kursformat das im Simulationszentrum stattfand. Nachdem die Teilnehmer die einzelnen Skills zur Notfallbehandlung wie intraossärer Zugang, Notkoniotomie und Thoraxdrainage an den einzelnen Trainingsgeräten und an der Leiche erarbeitet haben, werden die Teilnehmer im Mockup mit Simulationsszenarien konfrontiert, die sich im Rahmen eines Einsatzes als BAT-Notarzt ereignen könnten (Abb. 5). Das Spektrum reicht vom einfachen Extremitätentrauma über das Polytrauma bis zur Durchführung eines Sekundärtransportes in eine höhere Versorgungsebene. Neben der Behandlung des Patienten kann die Komplexität des Szenarios durch Gefechtslärm und taktische Belange zusätzlich gesteigert werden. Mittlerweile wurde hier bereits der 12. Kurs mit jeweils vier Teilnehmern erfolgreich absolviert.
Reanimationstraining
Das monatliche Reanimationstraining für das Krankenhauspersonal wurde ebenfalls ins Simulationszentrum verlegt und inhaltlich auf das Niveau des Basic-Life-Support (BLS) standardisiert. Die Lernziele sind die sichere Anwendung der Basismaßnahmen der CPR, wie effektive Thoraxkompressionen und Maskenbeutelbeatmung sowie die Anwendung des Defibrillators im halbautomatischen Modus. Die Einweisung in den Defibrillator (Zoll M Serie biphasisch) und den Notfallrespirator (Weinmann Lifebase-3) nach Medizinproduktegesetz haben wir in den Kurs integriert. Im Anschluss an die Basismaßnahmen werden Simulationen mit z.T. noch ansprechbaren, aber vital gefährdeten Patienten durchgeführt. Insbesondere die Simulationsanteile sind bei den Teilnehmern aufgrund der Realitätsnähe zur Stationsarbeit sehr beliebt. Aufbauend auf den Basisreanimationskurs bieten wir den Ärzten der Abteilung Anästhesie und Innere Medizin sowie den Pflegekräften und Rettungsassistenten der Abteilung Anästhesie einen zweitägigen zertifizierten Kurs ACLS – (Advanced Cardiovascular Life Support) nach den Vorgaben der AHA (American Heart Association) an. Das Bundeswehrkrankenhaus ist von der AHA anerkannte Ausbildungsstätte (Trainingssite des AHATrainingscenters des Hamburger Institutes für Notfallmedizin).
Hands-On Training für Berufsanfänger
Für junge Sanitätsoffiziere und –unteroffiziere haben wir im Jahr 2011 begonnen, die Bearbeitung von Notfallsituationen im OP, auf der Intensivstation und in der Notaufnahme berufsgruppenübergreifend zu trainieren. Dieses erste Teamtraining am Anfang der beruflichen Tätigkeit fördert nicht nur medizinisches Können sondern auch ein besseres Verhalten im therapeutischen Team. Hier zeigt sich die besondere Stärke des Simulationstrainings darin, wie bei unterschiedlichen Vorkenntnissen ein gutes Teamergebnis in kritischen Situationen erreicht werden kann.
NATO Emergency Medicine Predeployment Team Training
Im Januar diesen Jahres wurde der Pilotlehrgang NATO Emergency Medicine Predeployment Team Training des NATO Centers of Excellence for Military Medicine (Budapest, Ungarn) gemeinsam mit dem Bundeswehrkrankenhaus Hamburg durchgeführt. Die Hälfte der einwöchigen Kurszeit wurde im Simulationszentrum verbracht. Die Teilnehmer aus drei Nationen bewältigten präklinische und Schockraumszenarien, die am Anschluss mittels Videodebriefing nachbesprochen wurden (Abb. 6). Die Lernziele des Erkennens von Kommunikationsschwierigkeiten und kulturellen Unterschieden in multinationaler Zusammenarbeit und deren Lösungsmöglichkeiten wurden den Teilnehmern erarbeitet. Die nächste Durchführung dieses Kurses ist für November 2012 am Bundeswehrkrankenhaus Hamburg geplant.
Projekte
Neben den regelmäßigen Ausbildungem im Simulationszentrum (Abb. 7) werden weitere Einzelprojekte durchgeführt (Abb. 8). Im Oktober 2011 beteiligte sich das Simulationszentrum mit einem Vortrag und einen Workshop am Interdisziplinären Symposium für Simulation in der Medizin (InSim) in Hamburg- Bergedorf (Abb. 9). Für den Notärztekurs der Ärztekammer Hamburg 2011 führten wir einen Praxistag mit Simulation am Bundeswehrkrankenhaus durch. Im April 2012 werden wir mit einem mobilen Simulationsworkshop das 1.Hamburger Notärztesymposium im Unfallkrankenhaus Hamburg unterstützen. Im Juni 2012 steht die gemeinsame Durchführung eines Intensivtransportkurs nach Vorgaben der DIVI mit dem Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf auf dem Programm.
Weitere Entwicklungsmöglichkeiten
Neben dem Training von kritischen Situationen in der Patientenversorgung kann die Simulation auch zur Schulung und Ausbildung von Mitarbeitern in medizinischen Routinemaßnahmen eingesetzt werden. So ist es denkbar die Simulationspuppe gegen einen menschlichen Darsteller auszutauschen und z. B. eine Aufnahmeuntersuchung, Pflegetätigkeiten oder ein Gespräch mit Angehörigen durchzuführen und im Anschluss mit Hilfe von Bild- und Tonmaterial nachzubereiten.
Datum: 04.07.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/1