„Moral Injury – Moralische Verletzung. Verwundbare Werte?“
Drittes Wehrmedizinethisches Symposium in München am 28.11.2018
Zum dritten Mal fand an der Katholischen Akademie in München am 28. November 2018 ein ganztägiges medizinethisches Symposium statt, veranstaltet vom Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (zebis) unter Beteiligung der Sanitätsakademie der Bundeswehr und dem Fachzentrum ZH Militärmedizinethik.
Mit dem Thema „Moral Injury – Moralische Verletzung. Verwundbare Werte?“ sollte ein der posttraumatischen Belastungsstörung verwandter Symptomenkomplex aus psychiatrischer und medizinethischer Sicht näher beleuchtet werden.
Wie die Direktorin des zebis, Dr. Veronika Bock, in ihrer Einführung erläuterte, sehen sich Soldatinnen und Soldaten gerade in den asymmetrischen Konflikten und Kriegen unserer Tage auf vielfältige Weise mit Einsatzszenarien konfrontiert, die ein hohes moralisches Traumatisierungspotential in sich bergen. Ziel der Veranstaltung sei es deshalb, in diese bedeutende Thematik einzuführen, an der in besonderer Weise der Stellenwert ethischer Bildung für die Bundeswehrangehörigen deutlich werde.In ihrem Grußwort wies die Kommandeurin der Sanitätsakademie der Bundeswehr, Generalstabsarzt Dr. Gesine Krüger, auf die gute Tradition des gemeinsam veranstalteten Ethik-Tages hin und bedankte sich bei der Direktorin des zebis für die Planung und Organisation dieser besonderen Fortbildungsveranstaltung in dem ansprechenden und motivierenden Rahmen in der Katholischen Akademie München. Wie Frau Dr. Krüger betonte, werde gerade an der Sanitätsakademie der ethischen Bildung ein hoher Stellenwert zugemessen. Dies zeige sich insbesondere daran, dass durch einen zielgerichteten Aufbau eine Bündelung von Fähigkeiten und Fachexpertise in den Themenfeldern Ethik, Militärethik, Wehrmedizinethik und auch den verwandten Fachgebieten wie beispielsweise den Geschichtswissenschaften erreicht werden konnte. Zudem blicke die Akademie auf einen hohen Vernetzungsgrad mit anderen militärischen und zivilen Institutionen. An die mehr als 100 Teilnehmenden, darunter zahlreiche Soldatinnen und Soldaten der Sanitätsakademie, appellierte sie, diese einzigartige Gelegenheit anzunehmen und sich mit ethischen Themen zu beschäftigen.
Der wissenschaftliche Teil der Veranstaltung begann mit dem Vortrag von Oberstarzt Privat-Dozent Dr. Zimmermann, Leiter des Zentrums für Psychiatrie und Psychotraumatologie am Bundeswehrkrankenhaus Berlin, der über „Wertorientierungen und moralische Verletzungen im Verarbeitungsprozess militärischer Einsatzerfahrungen“ referierte. Als ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet stellte er zunächst unter Bezugnahme auf epidemiologische Studien (vgl. Wittchen et. al. 2012) die Größenordnung posttraumatischer Belastungsstörungen in der Bundeswehr vor, um dann auslösende Momente aus der Erfahrungswelt von Soldatinnen und Soldaten aufzuführen. Wahrgenommene Ereignisse wie Zerstörungen von Häusern, verletzte Zivilisten, Frauen und Kinder oder auch Zeugenschaft von Gewalt haben eine moralische Dimension. Unter den Fragestellungen „Wie stehen psychische Belastungen und Moral in Verbindung?“ bzw. „Wie wird aus dem Ereignis eine Krankheit?“ diskutierte er persönliche Belastungs-, aber auch Schutzfaktoren, z. B. soziale Unterstützung, bestimmte Charaktereigenschaften oder Wertorientierungen (Optimismus, Religiösität, Pflichtbewusstsein, hedonistische Tendenzen). Diese können eine Schutzfunktion vor negativer Einsatzverarbeitung bieten. Freilich können solche Orientierungen auch zu Krankheit, Verlustängsten und inneren Konflikten beitragen, indem sie ethische Normverletzungen auslösen, innere Dissonanzen erzeugen bis hin zu Autodestruktion.
Zu den besonderen Risikofaktoren zählte Dr. Zimmermann vor allem erlebtes Leid bei Kindern, aber auch zusätzliche Stressoren wie Schlafmangel, Überforderung bzw. Fehlverhalten militärischer Führer oder die Anzahl von Kampfhandlungen. Daraus resultieren Faktoren wie Schuld und Scham, die das Potential haben, soziale Beziehungen zu zerstören. In der Abgrenzung zur PTBS skizzierte der Vortragende unter Bezugnahme auf neuere Studien die Moral Injury als Gefühl, moralisch fehlerhaft gehandelt zu haben, Schuld auf sich geladen zu haben. Abschließend erläuterte Dr. Zimmermann verschiedene therapeutische Ansätze, wie Gruppenkonzepte mit dem Ziel, z. B. Schuld zu vergeben.
Im Anschluss an den Vortrag befassten sich die Teilnehmenden in zwei Arbeitsgruppen mit den vielfältigen Herausforderungen, denen ethisches Denken im militärischen Kontext Rechnung zu tragen hat – nicht zuletzt an der Schnittstelle von Medizin und Ethik.
Die erste Arbeitsgruppe wurde von Dr. Daniel Messelken und Oberst Cord-Dietrich von Einem vom Streitkräfteamt (SKA) geleitet, beide langjährige Experten für Ethik und Humanitäres Völkerrecht an der Universität Zürich bzw. beim International Committee of Military Medicine (ICMM). Unter dem Thema „Moral Injury verhindern durch Wissen um auslösende Situationen: Ethische und juristische Prinzipien im Sanitätsdienst“ stellten sie ihren Arbeitsgruppen die rechtlichen und ethischen Grundlagen vor, die für die Rolle des medizinischen Personals im Militär relevant sind. Insbesondere wurde die Sonderrolle und die mit ihr assoziierten Rechte und Pflichten herausgearbeitet, die medizinischem Personal im humanitären Völkerrecht zugestanden wird. Anhand von Beispielen wurden die durchaus anspruchsvolle Orientierung an medizinethischen Prinzipien im Einsatz und die dadurch mögliche Erfassung und Eingrenzung moralischer Verletzungen bei Soldatinnen und Soldaten diskutiert. In der zweiten Arbeitsgruppe, die sich aus Angehörigen der Sanitätsakademie zusammensetzte, dem Leiter der Lehr- und Forschungsstelle für Wehrmedizinethik (LFWME), Herrn Dr. Dr. Dirk Fischer, dem Dozenten für Militärethik, Oberstleutnant Pascal May, und Flottenarzt Dr. Volker Hartmann, wurde Moral Injury als Phänomen an der Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Ethik vorgestellt. Nach einer Einführung in das Thema anhand eines Films über schwere moralische Verletzungen bei niederländischen Soldaten, die Zeugen des Massakers von Srebrenica im Jahre 1993 in Bosnien wurden, arbeiteten PD Dr. Zimmermann und Dr. Dr. Fischer in einem Gespräch die Schnittstelle zwischen Psychiatrie und Ethik im Hinblick auf moralische Verletzungen heraus. Insbesondere diskutierten die beiden Wissenschaftler den Zusammenhang zwischen einer fundierten ethischen Bildung einerseits sowie der Prävention und Therapie moralischer Verletzungen andererseits. Anschließend stellte Dr. Regina Meyer von der LFWME den durch das Berliner Psychotraumazentrum erstellten Comic „Verwundet“ vor, anhand dessen die Teilnehmenden verschiedene mit einer moralischen Verletzung einhergehende Symptome und die daraus resultierenden sozialen Folgen erarbeiteten. Zudem diskutierten sie mögliche Traumata, die eine moralische Verletzung zur Folge haben können. Außerdem erhielten sie Einblick in mögliche Therapieformen.Das Symposium endete mit einer Zusammenfassung der Arbeitsergebnisse im Plenum, die den Teilnehmenden nicht nur den Blick für vielfältige Einsatzsituationen mit moralischem Traumatisierungspotential schärften, sondern ihnen auch die Bedeutung einer fundierten und kontinuierlichen Ausbildung in Völkerrecht und Ethik verdeutlichte. Denn die im Symposium vorgestellten Mechanismen eines ethischen Kompetenzerwerbs haben zum Ziel, den jungen Soldatinnen und Soldaten Entscheidungshilfen in schwierigen Situationen, im Einsatz und unter Belastung zu geben.
Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
SanAkBw München
Datum: 05.06.2019
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2019