FLUGPHYSIOLOGISCHE AUSBILDUNG, FORSCHUNG UND ERPROBUNG - EIN WICHTIGER BAUSTEIN DER FLUGSICHERHEIT
Aus der Abteilung Flugphysiologie in Königsbruck (Leiter: Oberstarzt Dr. B. Brix) des Flugmedizinischen Instituts der Luftwaffe in Fürstenfeldbruck (Leiter: Oberstarzt Dr. W. Krause)
von Bernd Brix
Zusammenfassung
Die flugphysiologische Ausbildung für Luftfahrzeugbesatzungsangehörige ist ein integraler Baustein des gesamten Lizenzierungsprozesses.Sie vermittelt essenzielle Kenntnisse über die Möglichkeiten und Einschränkungen des „biologischen Waffensystems Mensch“ im dreidimensionalen Raum. Adäquate Reaktion in Notfällen und Erkennen der eigenen Grenzen entspringt dem Wissen über die eigenen Fähigkeiten. Hier trägt die flugphysiologische Ausbildung erheblich zur Flugsicherheit bei. Für diesen Auftrag stehen moderne Ausbildungsmittel im Simulationszentrum zur Verfügung: eine Höhen-Klima-Simulationskammer, eine Humanzentrifuge, ein Desorientierungsdemonstrator und eine Nachtseh- Ausbildungsausstattung. Diese Anlagen werden sowohl im Rahmen der Ausbildung als auch der wehrmedizinischen Forschung und Erprobung eingesetzt.
Aviation physiological training, research, and testing – an important part of aviation safety
Summary
Aviation physiological training is an integral part of the licensing process in aviation. It promotes essential knowledge of our biological system exposed to the third dimension. Adequate reaction in case of emergency and recognition the own limits is based on the knowledge of ones abilities. Here aviation physiological training plays an important role and optimises flight safety. For this mission the Simulation Center with it’s altitude chamber, human centrifuge, disorientation demonstrator and night vision lab is essential. These tools are used in training as well as for research and testing
1. Einleitung
Als Autofahrer machen wir alle – hoffentlich – nur einmal im Leben unseren Führerschein. Mit der bestandenen Fahrprüfung ist es dann auch überstanden und obwohl im Straßenverkehr viel mehr Unfälle als in der Fliegerei passieren, ist es dann mit der Qualitätsprüfung unseres Fahrvermögens vorbei. Die Lizenz gilt ein Leben lang, auch die körperlich medizinische Tauglichkeit wird nicht mehr hinterfragt oder überprüft.
In der militärischen, wie auch in der zivilen Fliegerei ist dies völlig anders. Jedes Jahr hat der Lizenzhalter nicht nur im Rahmen seiner Checkflüge seine „Führerscheinprüfung“ erneut abzulegen, auch die gesundheitliche Tauglichkeit muss mindestens einmal jährlich überprüft werden. Zusätzlich zählen noch Tests über die Luftverkehrsgesetze, Wetter, Luftraumstruktur und Flugverfahren, Überlebenstraining Land und See sowie der monatlich abzulegende BOLDFACE-Test (die buchstabengenaue Wiedergabe aller essenziellen Notverfahren) zum Umfang der immer wiederkehrenden Überprüfungen, um die Fluglizenz behalten zu dürfen.
Zu diesem Lizenz-relevanten Paket an Lehrgängen und Überprüfungen gehört für militärische Lizenzhalter noch die flugphysiologische Ausbildung, die alle vier Jahre wiederholt werden muss. Ohne diese Ausbildung nützt das Bestehen aller oben angeführten Tests und Überprüfungen nichts. Ohne eine gültige flugphysiologische Ausbildung steigt keine militärische Besatzung in ein Flugzeug oder einen Hubschrauber. Diese intensive theoretische und vor allem praktische Ausbildung unterscheidet den militärischen Ausbildungsund Lizenzgang deutlich von dem zivilen.
Aufgeteilt in Grund- und Wiederholerlehrgänge werden den Besatzungen die Auswirkungen des Fluges unter den entsprechenden Umweltbedingungen vermittelt. Hierbei kommt es darauf an, Fähigkeiten und Limitierungen des „biologischen Waffensystems Mensch“ und seine Integration in das technische Waffensystem Flugzeug näher zu bringen. Dabei liegt besonderes Augenmerk auf der vorausschauenden Beurteilung möglicher Auswirkungen oder Gefahren auf die sichere Flugdurchführung oder das richtige Verhalten in Notlagen mit unverzüglichem Einleiten von Notverfahren, um die Fähigkeit zu erhalten, das in Not geratene Luftfahrzeug möglichst sicher an den Boden bringen zu können.
Je nach Luftfahrzeugmuster bekommt der Luftfahrzeugführer/ die Luftfahrzeugführerin oder das Besatzungsmitglied eine sogenannte BLAUE oder ROTE Karte, die sichtbarer Ausdruck der Absolvierung dieses Lehrganges sind. Die blaue Karte erwerben alle Angehörigen von Flächenflugzeugen und Hubschraubern, die rote Karte bleibt den Kampfflugzeugbesatzungen vorbehalten. Aber auch Fallschirmspringer, Bordschützen und medizinisches Personal, das im Flugdienst zu Einsatz kommt, müssen diese Lehrgänge absolvieren.
Die vier Ausbildungsfelder sind
- Höhenphysiologie und Sauerstoffmangelprobleme
- Beschleunigungsphysiologie
- Nacht und Sensorflug
- Räumliche Desorientierung.
2. Ausbildung
Für die Ausbildung und das Training sind folgende Großgeräte und Einrichtungen am Institut verfügbar (Abb 1 und 2):
Abb 1: Sauerstoffmangeldemonstration in der Höhen-Klima-Simulationskammer
Abb 2: Humanzentrifuge im Einsatz
• Höhen-Klima-Simulationskammer (HKS)
• Überdruckkammer (Notfallsystem)
• Humanzentrifuge (HZF)
• Anti-G-Maneuver-Trainingsplatz
• Nachtsichtausstattung (Hörsaal mit Terrainboard und Night Vision Goggles)
• Desorientierungsdemonstrator
• Sport- und Fliegertrainingshalle und mehrere Hörsäle.
Vor allem die Kombination von theoretischen und praktischen Ausbildungsanteilen, aber auch die Mischung aus fliegerärztlichem und fliegendem Lehrpersonal, sorgen für eine große Nähe zum Lehrgangsteilnehmer, hohe Akzeptanz und Aktualität der Lehrinhalte.
Zusätzlich werden immer neue und aktuelle Themen in die Ausbildung integriert. Als ein eindrucksvolles Beispiel sei hier die Blendung von Luftfahrzeugen durch Laser und Laserpointer genannt, die nicht nur die zivile Luftfahrt sondern auch die Militärfliegerei in Deutschland und im Einsatz betreffen.
Seit November 2009 ist eine „Anlaserung“ als eigenständiger Flugzwischenfall bei General Flugsicherheit meldepflichtig und die Besatzung muss sich flieger- und augenärztlich untersuchen lassen. Näheres dazu wird in einem gesonderten Artikel vorgestellt, in dieser Ausgabe (siehe S. 127 ff.).
Ein weiteres einsatzwichtiges Thema ist die Ermüdung oder Fatigue im Flugdienst. Dieser Problematik werden wir uns in Zukunft verstärkt widmen, um bei Besatzungen und fliegerischen Vorgesetzten ein Bewusstsein für diesen Problemkreis zu schaffen. Ansprechpartner vor Ort ist und muss der Fliegerarzt der fliegenden Verbände sein.
Um immer wieder die Qualität der Lehrgänge zu überprüfen, haben wir neben der Lehrgangsabschluss-besprechung, die vom Abteilungsleiter selbst oder seinem Vertreter durchgeführt wird, eine schriftliche Befragung der Lehrgangsteilnehmer eingeführt. Damit endet sozusagen der Dialog, den wir mit den Lehrgangsteilnehmern während des gesamten Lehrgangs führen. Dieser Dialog ist ein Informations- und Erfahrungsaustausch von Besatzungen aus vielen fliegenden Verbänden der Bundeswehr untereinander und mit uns. Er stellt hier in Königsbrück eine einmalige Möglichkeit dar, die Teilstreitkraft- und OrgBereich übergreifend intensiv genutzt wird.
3. Forschung und Erprobung
Neben der Flugphysiologischen Ausbildung, die umfänglich etwa 170 Lehrgänge/ Jahr mit 1 950 nationalen und internationalen Lehrgangsteilnehmern umfasst, ist die Abteilung Flugphysiologie auftragsgemäß für Forschung und Erprobung verantwortlich.
Dazu werden, falls erforderlich, Kooperationen sowohl mit militärischen Dienststellen als auch mit zivilen Universitäten eingegangen, um eine optimale Kräfte- und Kompetenzbündelung zu erreichen. Beispielhaft seien die Testung verschiedener Anti-G-Schutzanzüge im Jahr 2008 mit mehr als 1 000 Zentrifugenläufen und die Zusammenarbeit mit der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde der Universitätsklinik an der TU Dresden unter Leitung von Prof. Dr. Zahnert in den Jahren 2009 und 2010 genannt. In diesem Projekt wurden die Einflüsse von Hypoxie und Beschleunigung auf elektrische Potenziale des Innenohres erforscht. In Zusammenarbeit mit dem Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik (TU Dresden) unter Leitung von Prof. Dr. Fasoulas werden wir Atemgasanalysen unter G-Belastung in der Humanzentrifuge (Abb 2) durchführen. Hierbei kann erstmalig der Gasaustausch in der Lunge „online“ gemessen werden. Dadurch werden wir besser verstehen, welche physiologischen Vorgänge unter dieser Belastung ablaufen.
Neben diesen Aktivitäten ist die Abteilung Flugphysiologie auch ein nationales und internationales Tagungszentrum. Die „Sommerschule 2010“ vom 26. bis 28. Mai 2010, „Space Biology and Medicine“, fand unter Beteiligung der Abteilung Flugphysiologie am Zentrum für Luft- und Raumfahrttechnik der TU Dresden und in Königsbrück statt. Darüber hinaus hat sich die Abteilung auch an der Veranstaltung „Lange Nacht der Wissenschaften“ der wissenschaftlichen Institute der Landeshauptstadt Dresden mit großem Erfolg beteiligt (Abb 3).
Abb 3: Ankündigung der Veranstaltung „Lange Nacht der Wissenschaften“ in der Abteilung Flugphysiologie in Königsbrück
4. Zusammenfassung
Alle diese Aktivitäten haben Einfluss auf und finden Eingang in unsere Ausbildung für das fliegende Personal der Bundeswehr. Der Mensch ist mittlerweile zu einem der schwächsten Glieder im Mensch-Maschine-System geworden. Wir müssen uns dieser Defizite immer wieder bewusst sein, um aktiv gegensteuern zu können. Kennen, Erkennen und Akzeptieren unserer „bauartbedingten“ Schwächen sind einige der wichtigsten Faktoren im Kampf für Flugsicherheit.
Die alle vier Jahre stattfindende Wiederholerausbildung erfüllt hier die gleiche Funktion wie eine Auffrischungsimpfung gegen Tetanus oder Diphtherie – ein Booster für Wissen und Informationen, die im Laufe der Zeit unter der hohen täglichen Dienstbelastung in den Hintergrund treten und nicht mehr gegenwärtig sind. Wir „kramen“ das Wissen wieder hervor, erweitern die „flugphysiologischen Abwehrkräfte“ durch angepasste und neue Themen, heben dieses Wissen wieder auf das erforderliche Niveau und regen zur aktiven Diskussion über diese Themen an. Flugsicherheit ist somit ein Produkt vieler Faktoren.
Die Abteilung Flugphysiologie des Flugmedizinischen Institutes der Luftwaffe leistet hierzu einen wichtigen Beitrag.
Bildquelle: Archiv Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe
Datum: 07.04.2011
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/5-6