Beanspruchung der Halswirbelsäule bei Eurofighter-Piloten unter „high-Gz“ im Realflu

René Lingscheid, Fabian Goell, Roland Nuesse, Kirsten Albracht, Bjoern Braunstein

Thema und Zielsetzung

Kampfpiloten sind in Abhängigkeit vom Luftfahrzeugmuster und ihrem jeweiligen fliegerischen Auftrag ­Beschleunigungen im Bereich des 5- bis 9-fachen der Erdbeschleunigung ausgesetzt. Das uneingeschränkte Bewegungsvermögen der Halswirbelsäule auch unter hoher G-Belastung ist essenziell für die visuelle Beobachtung des umgebenden Luftraums und somit für den Einsatzwert. Der Hals- und Nackenbereich gilt als vulnerable Region, da es kein protektives Entlastungs- oder Schutzsystem (z.B. Anti-G-Suite, Helm) für die HWS gibt.

Belastungsbedingte Beschwerden

Eine Befragung von 58 F-16-Piloten der Königlich Dänischen Luftwaffe deutet darauf hin [3], dass anhaltende und wiederkehrende hohe Beschleunigungen sowie gleichzeitig endgradige Kopfbewegungen (z. B. Blick nach hinten, sogenannte „Check-Six-Position“), kombiniert mit einem beengten Cockpit, einer weitgehend ­statischen Sitzhaltung und dem Tragen von speziellen Pilotenhelmen mit einem hohen Eigengewicht die Arbeitsbelastung eines Piloten deutlich erhöhen und akute oder sogar chronische muskuloskelettale Beschwerden verursachen können. Als akute Effekte werden lokaler Schmerz, Einschränkung des Bewegungsausmaßes sowie die Erhöhung des Muskeltonus beschrieben [3]. Es wird vermutet, dass ein präventives Training der Muskulatur zur Linderung der Beschwerden und zum Etablieren protektiver Reserven führt [7][9].

Präventives Training möglich

Die meisten verfügbaren Publikationen zur Auswirkung erhöhter Belastungen des Realflugs auf die Halswirbelsäule, wie die Studie von LANGE et al. [3], basieren auf retrospektiven Befragungen. Interventionelle Studien mit Piloten sowie Beobachtungsstudien im Realflug zur ­Analyse der Auswirkung erhöhter Belastungen auf die Halswirbelsäule sind die Ausnahme. RAUSCH et al. [7] zeigten, dass ein 12-wöchiges funktionelles Krafttrainingsprogramm bei Jetpiloten die Maximalkraft und das Volumen der Nacken- und Schultermuskulatur vergrößert. Darüber hinaus reduzierte das Training die Muskelaktivierung und die wahrgenommene Beanspruchung der Muskeln, wenn das Personal in einer Langarmzen­trifuge erhöhten Kräften von 1,4 Gz und 3 Gz ausgesetzt war.

Simulation reicht nicht aus

Im Realflug untersuchte eine Forschergruppe aus Austra­lien die neuromuskuläre Aktivität von vier Hals- und ­Nackenmuskeln (M. sternocleidomastoideus, M. levator scapulae, M. erector spinae, M. trapezius) bei 6 Piloten mittels Elektromyografie. Die Aktivitäten wurden bei Einfachen (1 Gz), Dreifachen (3 Gz) und Fünffachen (5 Gz) der Erdbeschleunigung in 4 typischen Kopfpositionen aufgezeichnet [5]. Die höchste Aktivität (71,5 % der maximal willkürlichen Aktivität) wurde am linken M. ster­nocleidomastoideus während der Check-Six-Position bei 5 Gz beobachtet. Aufbauend auf diesen Erkenntnissen des Realfluges wurde in einer weiteren Studie die Eignung des Trainings der Hals- und Nackenmuskeln sowohl mit 3 verschieden starken Widerstandbändern als auch mit entsprechenden Geräten bei 50 %, 70 % und 90 % der individuellen isometrischen Maximalkraft evaluiert [6]. Mit keinem der Widerstandbänder gelang es, die Muskelaktivität äquivalent zu einem Realflug bei 5 Gz zu erreichen. Bei einem Gerätetraining bei 90 % der individuellen isometrischen Maximalkraft ist es zumindest beim M. erector spinae möglich, diese Aktivierung zu erreichen.

Beanspruchung im Realflug unklar

Aufgrund der aktuell verfügbaren Studien ist die Belastung der Halswirbelsäule bei Beschleunigungen im Realflug über den Bereich von 5 Gz hinaus unklar. Daher sollen im Rahmen des Forschungsprojekts Beanspruchung der Halswirbelsäule bei Eurofighter Piloten unter „high-Gz“ im Realflugzum einen die Abschätzung der Halswirbelsäulenbelastung im Realflug bei hohen Beschleunigungen (Gz) mithilfe eines biomechanischen Modells der Halswirbelsäule und zum anderen die Effekte eines Realfluges als Intervention auf die Funktion der Halswirbelsäule untersucht werden. Die gewonnenen Erkenntnisse sollen eine Grundlage zur Empfehlung für Training und Diagnostik und damit einer nachhaltigen Gesunderhaltung des Bewegungsapparates im Schulter-Nacken-Bereich bilden.

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