02.04.2024 •

„Die hohe Einsatzbereitschaft zeichnet das Kommando über die Jahre seiner Existenz besonders aus.“

Interview mit Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut, Kommandeur des Kommandos Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst

H. Lange

Oberstarzt Dr. Kai Schlolaut, Kommandeur des Kommandos Schnelle
Einsatzkräfte Sanitätsdienst, im Gespräch mit der Verlegerin, Frau Heike Lange
Kdo SES

WM: Sehr geehrter Herr Oberstarzt, das Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst (Kdo SES) wurde 2003 aufgestellt und konnte im letzten Jahr seinen 20. Geburtstag feiern. Was können Sie uns zur Geschichte Ihrer Einheit erzählen?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Seit 20 Jahren stellen wir zuverlässig, ganz getreu unserem Leitspruch ‚Jederzeit – Weltweit‘, die sanitätsdienstliche Unterstützung der Spezialkräfte der Bundeswehr und der spezialisierten Kräfte in ihrem Aufgabenspektrum sicher. Gleichzeitig stehen unsere Fähigkeiten für alle Ersteinsätze oder ad-hoc Einsätze der Bundeswehr zur Verfügung, in denen schnell und luftverlegbar sanitätsdienstliche Unterstützung geleistet werden muss. Auf diesen Auftrag und auf die erbrachten Leistungen der letzten 20 Jahre sind wir zu Recht stolz. Die Einsatzerfahrung, die die Soldatinnen und Soldaten des Kdo SES erworben haben, ist beeindruckend. Ich möchte an dieser Stelle nur einige Einsätze nennen, die besonders prägend für unsere Geschichte waren. Die Erfahrungen aus der sanitätsdienstlichen Unterstützung der Quick Reaction Force in Afghanistan und der Sanitätskompanie bewegliche Einsätze mit seinem Forward Airmobile Surgical Team, der Einsatz im OP North, sowie der spätere Einsatz der Damage Control Surgery Unit sind prägend für unsere Erfahrungen in der ressourcenlimitierten chirurgischen Versorgung, von denen wir bis heute profitieren. In den militärischen Evakuierungsoperationen (MilEvakOp) in Kabul (2021), Sudan (2023) und im Nahen Osten (2023) konnten wir eindrucksvoll unsere Reaktionsfähigkeit in der Evakuierung deutscher Staatsbürger aus Krisengebieten beweisen. Der Tsunami-Einsatz in Banda Aceh (2005), die COVID-19-Hilfeleistung in Portugal (2021) und der Einsatz im Erdbebengebiet in der Türkei (2023) unterstreichen unseren Einsatzwert bei humanitären Katastrophen. Einsätze im Kongo (2006), in Mail (2013) und in Niger (2020) zeugen von der Vielseitigkeit des Kdo SES. Der Stolz und die Begeisterung für kurzfristige Einsätze wurde uns aber bereits 2003 durch die Truppenteile, aus denen wir hervorgegangen sind, der Sanitätsbrigade 1, der Luftlandesanitätskompanie 270 in Varel, das gemischte Lazarettregiment 11 und das Sanitätsregiment 12, in die Wiege gelegt. Der Namenszusatz „Ostfriesland“ unterstreicht unsere langjährige Verbundenheit mit der Region, die Patenschaft zeugt vom engen Miteinander mit der Stadt Leer.

WM: Hat sich das Aufgabenspektrum in den vergangenen Jahren geändert und wenn ja wie?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Die hohe Einsatzbereitschaft zeichnet das Kommando über die Jahre seiner Existenz besonders aus. Diese Einsatzbereitschaft, unsere DNA, ist Maßstab und Verpflichtung für unsere Auftragserfüllung zugleich. Die letzten zwanzig Jahre waren geprägt von kurzfristigen Einsätzen im Rahmen des nationalen Krisenmanagements. Bereits in meiner Zeit als Kompaniechef der Luftlandesanitätskompanie 270 Ende der 90er Jahre war der Auftrag, MilEvakOp kurzfristig zu unterstützen, in 365 Tagen des Jahres sicherzustellen. Diesen Auftrag stellt das Kdo SES auch heute noch sicher. Dies bedeutet, dass wir ständig sanitätsdienstliche Kräfte mit kurzen Reaktionszeiten verlegebereit vorhalten müssen, was ein Höchstmaß an Vorbereitung kostet. Dazu kommt der Auftrag die Spezialkräfte der Marine und des Heeres in Einsätzen chirurgisch versorgen zu können. Das Special Operations Surgical Team (SOST) ist ein hochspezialisiertes Team, dass national und auch international Maßstäbe setzt. Nach einer engen Auswahl des Personals mit einem Potenzialfeststellungsverfahren, trainiert das Team in speziellen Lagen, so dass es den Spezialkräften eng folgen kann und unter unterschiedlichsten Rahmenbedingungen die ressourcenlimitierte chirurgische Versorgung plattformunabhängig bei Geiselbefreiungen im Ausland (Hostage Release Operation – HRO) sicherstellen kann.

Im Jahr 2023 stellte das Kdo SES erstmals die sanitätsdienstliche Unterstützung einer Spezialkräfteverbandes (Special Operations Land Task Group – SOLTG) und des Special Operations Component Command Headquarters mit zwei Behandlungseinrichtungen und dem Patiententransport für die NATO sicher. Dieser Beitrag deutscher Spezialkräfte zur Very High Readiness Task Force erweiterte unseren Auftrag in der Unterstützung der Division Schnelle Kräfte (DSK). Und dieser Auftrag wird bestimmend sein für die Aufgaben, die wir zukünftig vermehrt im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) im NATO-Verbund leisten können müssen. Mit Aufwuchs des deutschen Beitrags zu den SOLTG und der Special Operations Maritime Task Groups der NATO, wird die Unterstützungsleistung des Kdo SES ebenso aufwachsen müssen. Darüber hinaus wird das Kdo SES zukünftig die sanitätsdienstliche Unterstützung der Allied Reaction Force (ARF) der NATO, die die DSK als einen leichten, luftverlegbaren Infanterieverband stellen wird, leisten müssen. Diese Einsatzoptionen aus dem Bereich der LV/BV stellen die wesentliche Änderung unseres Auftrags dar und werden in den nächsten Jahren bestimmend für das Kdo SES sein.

WM: Haben sich durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine Änderungen im Hinblick auf Struktur und Anforderungen an das Kdo SES ergeben?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Der russische Angriffskrieg auf die Ukraine hat genauso wie der Überfall der Hamas auf Israel verdeutlicht, wie wichtig es für eine Nation ist, ausgebildete, voll ausgestattete und verlegebereite militärische Kräfte zur Verfügung zu haben, um lageangepasst reagieren zu können. Das Kdo SES verfügt für seine speziellen Aufträge für MilEvakOp und HRO über diese verlegebereiten Kräfte. Die Anforderungen an die Bundeswehr, ihre Kriegstauglichkeit und ihre Reaktionsfähigkeit steigen aber in den nächsten Jahren signifikant an. Die Spezialkräfte der Bundeswehr und die DSK gewinnen zusätzliche Aufträge in den nächsten Jahren hinzu. Aufgrund des direkten Couleurverhältnisses des Kdo SES mit den Spezialkräften der Bundeswehr (aus Heer und Marine) und der DSK sind die steigenden Anforderungen an die Spezialkräfte, als auch die ARF, zukünftig sanitätsdienstlich durch das Kdo SES zu unterstützen. Dies erfordert einen konsequenten Fähigkeitsaufwuchs. Bereits im Dezember des letzten Jahres haben wir aus dem Sondervermögen des Bundeshaushalts das erste System des neuen Luftlanderettungszentrums, leicht (LLRZ, le) erhalten. Weitere Systeme sowie das neue Luftlanderettungszentrum, Spezialeinsatz sowie mittelfristig die neue Fahrzeuggeneration der Luftlandeplattform, in seiner Version für den Verwundetentransport, werden die Unterstützung dieser Aufträge sicherstellen. Darüber hinaus ist das Kdo SES bereits vollständig mit dem neuen Gefechtsanzug, einschließlich des modularen ballistischen Schutzes ausgestattet. Aber auch im Bereich der Ausbildung spiegelt sich die Ausrichtung auf LV/BV wider. Das Ausbildungs- und Simulationszentrum des Kdo SES stellt aktuell bestehende Trainings konsequent um und ergänzt allgemein militärische Ausbildungsinhalte, den Schutz vor Drohnen und praktische Lagen aus der LV/BV. Das ausgesprochen positive Feedback der Lehrgangsteilnehmer bestärkt uns in unserer Absicht deutlich einsatznäher auszubilden. 

WM: Ist das Kommando international – beispielsweise der NATO – für spezifische Einsätze eingebunden oder vorgesehen? Was für Kooperationen oder enge Verbundenheit mit anderen Einheiten, sowohl national als auch international, gibt es?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Sind unsere Einsatzoptionen der nationalen Risikovorsorge (MilEvakOp und HRO) im Schwerpunkt von nationalen Vorgaben und Einsatzplanungen geprägt, werden die an uns gestellten Anforderungen in der Unterstützung der Spezialkräfte zunehmend eine internationale Vernetzung erforderlich machen. Unsere Fähigkeit des SOST setzt nicht nur national, sondern insbesondere international Standards in Größe, Gewicht und Leistungsfähigkeit. Der konsequente Austausch mit den Spezialkräften anderer Nationen und der ständige Drang des Kdo SES zur Weiterentwicklung luftverlegbarer Sanitätseinrichtungen resultierten in einem System, über das nur wenige Nationen verfügen. Die sanitätsdienstliche Unterstützung der Spezialkräfte und der ARF findet im multinationalen Umfeld statt. Darüber hinaus sind wir stolz und pflegen unsere Patenschaft mit dem 400 Geneeskundig Bataljion in Ermelo.

WM: Gerade das Kommando SES ist darauf ausgerichtet, jederzeit in spezifische Einsatzszenarien zu verlegen. Wie sind die bisherigen Erfahrungen aus den Einsätzen und was bedeutet diese ständige Verlegebereitschaft für die Angehörigen der Einheit? Wie gehen die Soldaten damit um? Bildet sich ein besonderer „Korpsgeist“ heraus?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Die ständige Einsatzbereitschaft und die Ungewissheit bei neuen Einsätzen fordern unseren Soldatinnen und Soldaten körperlich und psychisch viel ab. Gerade die Belastung des letzten Jahres mit zwei Evakuierungsoperationen und dem Einsatz in der Türkei ist im Kommando deutlich spürbar. Gesundheitliche Belastungen werden aber von den Vorgesetzten und dem psychosozialen Netzwerk hervorragend begleitet. Gleichzeitig stelle ich aber auch fest, dass jeder neue Einsatz unsere Kameraden absolut motiviert und als professionelle Herausforderung verstanden wird. Es ist für unsere Soldatinnen und Soldaten motivierend einen klar definierten Auftrag zu haben und dafür auch die Kräfte und Mittel zur Verfügung zu haben. Und es ist faszinierend zu sehen, wie sich alle im Kommando auf einen neuen Einsatz ausrichten. Die hohe Professionalität der Soldatinnen und Soldaten beeindruckt mich jeden Tag aufs Neue. Das Bewusstsein, im Kommando einen besonderen Auftrag zu haben und eine besondere Einsatzbereitschaft sicherzustellen, damit sich der Sanitätsdienst auf das Kdo SES verlassen kann, ist prägend.

WM: Immer wieder gibt es Diskussionen, dass das vorhandene Material sowie die persönliche Schutzausstattung der Soldaten zum Teil nicht mehr auf der Höhe der Zeit seien. Wie sieht es in Ihrem Verantwortungsbereich aus?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Das Kdo SES hatte in der Vergangenheit bereits immer eine, den Aufträgen folgende, höhere materielle Ausstattung als andere Verbände verfügbar. Für MilEvakOp oder HRO mit nur wenig Zeit der Vorbereitung, ist eine vollständige Ausstattung der erforderlichen Systeme am Standort zwingend notwendig. Dies beinhaltet bei uns in der Evenburg-Kaserne auch die umfangreiche Bewirtschaftung, Umwälzung, Konfektionierung und Ausstattung der Teileinheiten mit den erforderlichen Arzneimitteln und Medizinprodukten. Auch wenn unsere Systeme bereits in der Vergangenheit in Teilen erneuert oder neuere medizinische Geräte eingeführt wurden, war es doch an der Zeit, unsere zeltgestützten Behandlungseinrichtungen von Grunde auf zu erneuern. Gerade die Zelthüllen sind nach ständigem Üben und den Einsätzen pflege- und reparaturanfällig geworden. Die neuen Systeme des LLRZ, le bieten uns, neben der Erneuerung kritischer Systemanteile, auch die Möglichkeit mit unseren Behandlungseinrichtungen kleiner, leichter und schneller zu werden. Innovationen in der Medizintechnik, kleinere und leistungsstärkere Monitoring-Systeme und neue Verpackungssystem ermöglichen es uns, unsere sanitätsdienstlichen Unterstützungspakete bei gleichbleibender Qualität zu verringern und so insbesondere bei MilEvakOp wertvollen Lufttransportraum zu sparen. Die erwarteten Luftlanderettungszentren, Spezialeinsatz werden unsere verfügbaren Systeme für die Unterstützung der Spezial- und spezialisierten Kräfte deutlich erhöhen. Mit anschließendem Zulauf der neuen Luftlandeplattform für den Verwundetentransport werden wir wieder State-of-the-Art ausgerüstet sein.

WM: Gerade im Hinblick auf mögliche Kriegsszenarien wird eine deutlich erhöhte Mobilität auch des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gefordert. Wie sieht die zukünftige Strategie im Hinblick auf mobile Sanitätseinrichtungen aus?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Ausstattung, Volumen, Flexibilität, Mobilität, kurze Auf- und Abbauzeiten sowie Schutz sind die entscheidenden Eigenschaften einer sanitätsdienstlichen Behandlungseinrichtungen und bestimmen ihren Einsatzwert. Luftverlegbare Behandlungseinrichtungen sind optimiert auf ihr Volumen, ihre Flexibilität, den schnellen Auf- und Abbau und damit auf ihre weltweite Verlegefähigkeit. Die Kurzfristigkeit unserer Einsätze und der weltweite Einsatzraum erfordern hoch verfügbare, leichte, luftverlegbare Systeme. Dies macht unseren hohen Einsatzwert für Evakuierungsoperationen und Einsätze im Verbund mit Spezialkräften aus. Das SOST kann z. B. vollkommen plattformunabhängig in Luftfahrzeugen, Booten, Fahrzeugen, in einem Zelt oder in fester Infrastruktur betrieben werden. Flexibler geht es nicht. Die geringe Signatur, die Flexibilität und die Verlegefähigkeit sind unser Schutz. Unsere Systeme geben uns eine unerreichte Anpassungsfähigkeit entweder vorhandene Zelthüllen zu nutzen oder uns in fester Infrastruktur einzurichten. Eine in der Ukraine sehr häufig genutzte Option, die Schutz vor direkter Waffeneinwirkung und vor Aufklärung durch die geringe Signatur gleichermaßen bietet.

WM: Das zivile Gesundheitssystem leidet in vielen Bereichen unter enormem Fachkräftemangel. Auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr sind viele Stellen nicht besetzt. Wie ist der personelle Besetzungsgrad in Ihrem Kommando? Haben Sie Nachwuchsprobleme? Wie sieht die Strategie zur Nachwuchswerbung aus?

Oberstarzt Dr. Schlolaut: Das Kdo SES verfügt über eine sehr gute Personallage, um seine Aufträge sicherzustellen. Der Standort Leer in Ostfriesland ist attraktiv. Insbesondere bin ich davon überzeugt, dass unser guter Ruf, die klare Auftragslage und die hohe materielle Ausstattung motivierend sind und damit Soldatinnen und Soldaten anziehen. Aus meiner Sicht sind ein eindeutig definierter Auftrag und die dafür bereitgestellte professionelle Ausrüstung die höchsten Motivationsfaktoren für Soldaten. Aber auch bei guter Personallage mache ich mir, bei zukünftig wachsender Auftragslage, insbesondere Gedanken über die ausreichende Verfügbarkeit einsatzbereiter Fachpfleger und Spezialisten, die im System luftverlegbarer sanitätsdienstlicher Systeme unter widrigsten Bedingungen und auf sich gestellt hochprofessionell arbeiten und zudem in Teilen körperlich und psychisch in der Lage sind Spezialkräften zu folgen. Die Anforderungen in diesem Bereich sind außergewöhnlich.

Ich bin zuversichtlich, dass wir im Kdo SES auch in Zukunft die an uns gestellten hohen Anforderungen erfüllen werden und die schnelle Reaktionsfähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für Auslandseinsätze sicherstellen werden. Die Erfahrungen der letzten Jahre sind immens und unsere Einsatzbereitschaft haben wir gerade im letzten Jahr mehrfach bewiesen. Ich bin ausgesprochen stolz auf das, was unsere Soldatinnen und Soldaten geleistet haben.

WM: Herr Oberstarzt, wir bedanken uns für das Gespräch!



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