Der Weg bis zum Führer einer Einheit
im Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“
R. Michel
Kompaniechef im Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst „Ostfriesland“ (Kdo SES), ein vorläufiger Höhepunkt und eine einzigartige Herausforderung für mich als Soldat, Apotheker und Lebensmittelchemiker. Die Führung einer Kompanie, die jederzeit, weltweit die sanitätsdienstliche Unterstützung deutscher Einsatzkräfte sicherstellen kann, will von Herzen gelebt und solide vorbereitet sein.
Auch im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) sind (Einsatz-) Kompanien und mit ihnen vergleichbare Organisationsstrukturen sowie durch sie abgebildete Sanitätseinrichtungen der verschiedenen Behandlungsebenen die Träger des sanitätsdienstlichen „Gefechts“; sie bilden gleichsam das Rückgrat dieser Einsatzelemente, welche den lebenswichtigen Unterstützungsauftrag im Rahmen der Operationsführung der Streitkräfte (SK) sicherstellen.
Zentrale Führungsfigur auf der Ebene der Kompanie sind die Einheitsführer – sie sind hauptverantwortlich für das Formen der ihnen unterstellten Truppe und damit deren Qualität im Einsatz.
Die Anforderungen an die Einheitsführer sind, insbesondere durch die sich verändernden Einsatzbedingungen, in den letzten Jahren weiter gestiegen. Zusätzlich zu den Soldatinnen und Soldaten der Einheit werden die Kompanien grundsätzlich durch Kräfte aus anderen Bereichen des ZSanDstBw, teilweise auch Organisationsbereich (OrgBer) übergreifend, verstärkt, um ihr jeweiliges Fähigkeitsspektrum zu komplettieren.
Gerade durch die Unterstellung fachdienstlicher Kräfte, müssen die Einheitsführer zum Teil deutlich lebensältere sowie teilweise Dienstgradhöhere Soldatinnen und Soldaten führen, und ihnen durch militärfachliche und soziale Kompetenz vorbildliche Vorgesetzte und fürsorgliche Kameradinnen/Kameraden in allen Lagen sein.
Eine gezielte Vorbereitung auf diese Führungsverwendung ist entscheidend für die zukünftigen Einheitsführer; sorgt sie doch für das zwingend notwendige Rüstzeug dieser anspruchsvollen Verwendung. Die Erfahrung im Führen spielt dabei die zentrale Rolle, um einer Kompanie, selbst in schwierigen Situationen, mit Souveränität und dem richtigen Augenmaß entschlossen und sicher, auch taktisch, den Weg zu weisen.
Wie werden derzeit angehende Einheitsführerinnen/Einheitsführer auf ihre Aufgaben vorbereitet und unterstützt? Wie lange beträgt die Zeitspanne zum Gewinnen von Dienst- und Führungserfahrung nach Abschluss der Offizierausbildung bis zum Beginn einer Chef-Verwendung? Genügt die Chefzeit von zweieinhalb bis drei Jahren, zum Teil sogar noch weniger, um fehlende Erfahrungen wettzumachen, sich als Führerin/Führer zu verbessern und um nachhaltig im Sinne des Auftrages wirken zu können?
Im ZSanDstBw gibt es nach meiner Kenntnis keinen standardisierten Verwendungsaufbau der Sanitätsoffiziere in Führungsfunktionen bis zur Einheitsebene. Die Approbation spielt dabei grundsätzlich keine Rolle.
Im Folgenden möchte ich meinen eigenen Werdegang zum Einheitsführer exemplarisch als einen von vielen möglichen vorstellen. Dabei beleuchte ich prägende Stationen, die für mich und meine derzeitige Verwendung von Relevanz waren und noch heute sind:
Die allgemeine Grundausbildung – Das Leben in der kleinen Kampfgemeinschaft
Ende der neunziger Jahre kam ich als Grundwehrdienstleistender in die Ausbildungskompanie eines Sanitätsregimentes des Heeres. In den folgenden fordernden zwei Monaten lernten wir Rekruten die allgemeinen militärischen Grundfertigkeiten; das solide Fundament des Soldaten wurde gelegt. Hervorragende Kameradschaft, herausfordernde Gefechtsausbildung und der Wille zur Leistung prägten die Gruppe und formten so die kleine Kampfgemeinschaft. „Treu und tapfer“ war unser Motto, welches wir Tag für Tag leben und erleben durften. Den persönlichen Höhepunkt nach dem Ende der allgemeinen Grundausbildung markierte meine Übernahme in die Laufbahn der Sanitätsoffiziere. Mit Stolz trug ich fortan die silbernen Litzen und durfte an der Seite meiner bisherigen Ausbilder als stellvertretender Gruppenführer das frisch Erlernte den neuen Kameraden weitergeben. Erstmals begegnete ich dem Dreiklang: „Führer, Ausbilder, Erzieher“. Er beschreibt die Kernfunktionen einer jeden Vorgesetzten/eines jeden Vorgesetzten, gleich welchen Dienstgrad sie/er begleitet. Noch in der jetzigen Verwendung zehre ich von den Erfahrungen und dem Erlebten aus dieser Zeit - das gelegte Fundament beweist noch heute seinen Nutzen.
Der „Fahnenjunkerlehrgang“ – Das Führen der kleinen Kampfgemeinschaft
Nach der allgemeinen Grundausbildung folgte die zweimonatige Zusammenziehung aller Sanitätsoffizieranwärter (SanOA) aus dem süddeutschen Raum im Schwarzwald, um im Rahmen des „Fahnenjunkerlehrgangs“ die jungen Sanitätsoffiziere zu Unterführern und Vorgesetzten zu formen. Unterrichte, Lehrproben, Märsche und Gefechtsdienst im Gruppenrahmen folgten in stetigem Wechsel und schafften so die Voraussetzung für die einwöchige Abschlussübung der „Grundsätze des Gefechts“ auf der schwäbischen Alb.
Wir konnten diese Zeit hervorragend nutzen, vorhandenes Wissen und Können im Wirken der kleinen Kampfgemeinschaft weiter zu vertiefen. Die ein oder anderen Kameraden kamen bereits hier an ihre psychische und physische Belastungsgrenze, eine zwingend notwendige Erfahrung, das eigene Limit kennenzulernen. Führen unter besonderer Belastung kann meiner Ansicht nach nicht oft genug geübt werden.
Der Offizierlehrgang – „Offiziersschmiede“ Sanitätsakademie
Ein weiterer Meilenstein war der dreimonatige Offizierlehrgang an der Sanitätsakademie in München. Hier erfolgte die Zusammenziehung aller SanOA, um sie mit den Grundlagen in den Bereichen Menschenführung, sanitätsdienstlichen Individualfertigkeiten, Sanitätsdienst im Einsatz, Taktik und Wehrrecht vertraut zu machen. Die Ausbildung erfolgte überwiegend in Unterrichtsform mit abschließenden Prüfungen und schaffte somit eine gute Wissensbasis für die etwaige praktische Umsetzung. Orientierungsmärsche, eine dreitägige infanteristische Kohäsionsausbildung an einer Schule des Heeres sowie eine sanitätsdienstliche Geländeübung gaben den SanOA ein weiteres „Realitätsfeedback“ ihres jeweiligen praktischen Leistungs- und Wissensstandes. Der Lehrgang bot im Schwerpunkt theoretisches Wissen, welches weiter vertieft und auf dem aktuellen Stand gehalten werden wollte. Gerade vor und während der anstehenden Studiengänge eine besondere Herausforderung.
Die postuniversitäre modulare Ausbildung – „Klar zum Gefecht!?“
Je nach Approbation nahm und nimmt man im Anschluss an die Studienzeit an einer postuniversitären modularen Ausbildung der Sanitätsoffiziere mit einer Dauer von sieben bzw. zwölf Wochen teil. Diese beinhaltet die Aufbauausbildung „Einsatzbezogene Zusatzausbildung
zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (EAKK)“ und drei Wochen Führungstraining bei Heer, Luftwaffe oder Marine. Je nach Vorkenntnis, Motivation und Engagement wird hier im Studium „angestaubtes“ Kennen, Können und Beherrschen reaktiviert und/oder weiter ausgebaut. Für einige Kameradinnen/Kameraden ein überraschendes Erleben der Ganzheitlichkeit des Berufsbildes. Speziell das Führungstraining an der Offizierschule des Heeres in Dresden (OSH) stellte ein wahres Highlight dar. Konnte man doch mit dem entsprechenden Engagement und Interesse Grundlagen der Führung in Landoperationen an ehrwürdigem Ort auf den Pfaden großer Heerführer auffrischen und gewinnbringend vertiefen.
Erste Truppenverwendung als Teileinheitsführer
Meine Erstverwendung nach dem Studium führte mich in den Nordharz in das Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial (VersInstZ SanMat) nach Blankenburg, wo ich zunächst als stellvertretender und später als Teileinheitsführer einen Zug mit einer durchschnittlichen Stärke von ca. 65 Soldaten führen durfte. Neben den jeweiligen fachlichen Aufgaben seien hier die truppendienstlichen Aufgaben dargestellt: Als Zugführer trägt man für den unterstellten Bereich nach § 1 der Vorgesetztenverordnung die personelle und materielle Verantwortung. Man gestaltet den Dienstbetrieb im Verantwortungsbereich und stellt die Auftragserfüllung unter besonderer Beachtung wirtschaftlicher Grundsätze, welche speziell im logistischen Bereich eine wesentliche Rolle spielen, sicher.
Ein solcher Dienstposten unmittelbar nach dem Studium ist sowohl Herausforderung als auch unschätzbarer Erfahrungsquelle für den jungen Offizier. Vieles Theoretische wurde hier seiner Feuertaufe in der Praxis unterzogen, vieles vor Jahren Verinnerlichte hatte immer noch Bestand. Wer mit Vorbild und mit Auftrag führt, schafft die besten Voraussetzungen, das volle Potential der unterstellten Soldatinnen und Soldaten zu aktivieren.
Kompaniechef in einer besonderen Auslandsverwendung
Gegen Ende des Jahres 2011 wurde mir für das Winterkontingent des Folgejahres der Dienstposten des Kompaniechef (KpChef) der Versorgungs- und Unterstützungskompanie (VersUstgKp) des Sanitätseinsatzverbandes ISAF angeboten. Nach knapp zwei Jahren auf der Zugebene eine damals willkommene Herausforderung, die ich mit einem einzigen Wunsch verknüpfen musste: die Teilnahme am Einheitsführerlehrgang und zwar bevor man eine solche Verwendung antritt. Soldatisches Führen von Truppe im Einsatz ist entscheidender Faktor für die reibungslose Erfüllung des Auftrags. Bedingung ist ein erfahrener und ausgebildeter Kompaniechef. In meinem Fall konnte ich durch die Lehrgangsteilnahme wenigstens eine der beiden Kriterien nachweislich erfüllen.
Wie viele andere Kompanien auch, war die VersUstgKp ein aus etlichen Standorten und Einheiten in Deutschland zusammengewürfelter Haufen. Die einzige Möglichkeit den Großteil „meiner“ Truppe vor dem Einsatz überhaupt einmal zu Gesicht zu bekommen, waren knapp drei Tage im Rahmen der „Zusatzausbildung Einsatzvorbereitende Ausbildung für Konfliktverhütung und Krisenbewältigung (ZAEAKK)“. Ein Umstand, der dem Zusammenschweißen einer „Kampfgemeinschaft“ wenig Rechnung trug. Durch eigeninitiativ organisierte Dienstreisen und unzählige Telefonate gelang es, Teileinheit für Teileinheit die Soldaten der eigenen Einsatzkompanie kennenzulernen. So konnte eine Vertrauensbasis geschaffen werden, die unabdingbare Grundvoraussetzung für modernes Führen und geführt werden, gerade im Einsatz, sein sollte. Alle Vorbereitungen zahlten sich aus, und ich durfte einen „feinen Haufen“ durch das Kontingent führen.
Kompaniechef im Kdo SES – Jederzeit, weltweit!
Das Kdo SES ist ein Träger der Unterstützung von Eingreifoperationen, Einsätzen zur humanitären Hilfe, Einsätzen zur nationalen Vorsorge sowie zur Landes- und Bündnisverteidigung mit schnell verfügbaren und hochmobilen sanitätsdienstlichen Einsatzkräften der verschiedenen Behandlungsebenen.
Nach einer Vorverwendung im Stab Kdo SES als Dezernatsleiter im Führungsgrundgebiet 4 führe ich seit Anfang 2015 die 3. Kompanie des Verbandes. Sie ist eine von drei Sanitätskompanien, die mit ihren luftverlegbaren Sanitätseinrichtungen im gesamten Spektrum des Kdo SES eingesetzt werden kann. Meine Zeit im Stab dient mir dabei als unschätzbarer Wissens- und Erfahrungshintergrund in einem derart spezialisierten Verband. Eine reibungslose Übernahme der Kompanie war entscheidend, da die 3./Kdo SES den wesentlichen Kern einer Sanitätskompanie der 2015 laufenden Standby-Phase der schnellen Eingreiftruppe der NATO stellte. Wir nahmen im Laufe des Jahres an mehreren Übungen der multinationalen Brigade mit Erfolg teil, was die Einheit mit mir als neuem Chef von Beginn an zusammenschweißte.
Das Tätigkeitsfeld des Einheitsführers baut auf denen des Gruppen- und Zugführers auf und soll im Folgenden kurz skizziert werden. Als Einheitsführer verfügt man grundsätzlich über Disziplinarbefugnis. Man führt mit Auftrag und trägt für den unterstellten Bereich im Grundbetrieb und im Einsatz die personelle und materielle Verantwortung. Als militärischer Führer, Vorgesetzter, Ausbilder und Erzieher führt man die Einheit unter Beachtung der Einsatzgrundsätze und der Prinzipien der Inneren Führung. Als Einheitsführer erzeugt man Vertrauen durch beispielgebendes Verhalten und ist für die gegebene Aufträge und Befehle sowie für deren Folgen verantwortlich und setzt diese mit angemessenen Mitteln durch.
Gerade das alltägliche „Grundrauschen“ einer Kompanie, auch bedingt durch einen unendlich anmutenden Kanon an (Verwaltungs-) Vorschriften, wollte schnell gemeistert werden. Nur so schafft man sich den zwingend notwendigen Freiraum, Initiative entwickeln zu können und nicht im „Sperrfeuer“ der Normen niedergehalten zu werden.
Die gewonnene Initiative gilt es fokussiert in die Bereiche Personalentwicklung und Ausbildung zu investieren. Mit fähigem, motivierten Personal, welches höchstmöglich militärisch, fachlich und einsatznah qualifiziert und parallel dazu zur Kampfgemeinschaft zusammengeschweißt wird, ist es möglich, die jetzigen und zukünftigen Herausforderungen, die ein modernes Gefechtsfeld an den Sanitätsdienst stellt, zu bestehen. Das tägliche Ringen, die Soldatinnen und Soldaten als Einheit zu diesem Ziel zu führen, ist vornehmste Aufgabe des Chefs im Frieden. Im Einsatz gilt es, durch besonnenes soldatisches Führen des jeweiligen Einsatzelements die bestmögliche sanitätsdienstliche Unterstützung der Truppe im Kampf jederzeit weltweit zu gewährleisten.
Zusammenfassung
Soldatisches Führen ist Grundlage der Truppenführung, insbesondere auf Einheitsebene. Die durch die Kompanien und vergleichbare Organisationsstrukturen generierten Einsatzelemente des ZSanDstBw sind dabei wesentliche Träger der sanitätsdienstlichen Einsatzunterstützung der SK. Die Kompanieführung im Grundbetrieb als auch im Einsatz obliegt dem jeweiligen Einheitsführer. Er ist militärischer Führer, Vorgesetzter, Ausbilder und Erzieher in einer Person. Eine gezielte Vorbereitung auf eine solche Verwendung ist entscheidend – Erfahrung spielt dabei die zentrale Rolle. Mein persönlicher Werdegang soll dabei die für mich relevanten und prägenden Stationen und Aspekte vom Soldaten über den Gruppen- zum Zug- und jetzt zum Einheitsführer zeigen. z
Anschrift des Verfassers:
Oberfeldapotheker Ronnie Michel
Kommando Schnelle Einsatzkräfte
Sanitätsdienst „Ostfriesland“
Kompaniechef 3. Kompanie
Papenburger Straße 82, 26789 Leer
E-Mail: ronniemichel@bundeswehr.org
Datum: 19.07.2016
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2016/2