Vorbemerkung und Rahmenbedingungen
Die Digitalisierung hat seit einigen Jahren unsere Welt nachhaltig verändert, wobei in allen Bereichen des Gesundheitswesens eine wie auch immer zu bezeichnende digitale Erneuerung und Transformation stattgefunden hat. Sie ist nicht nur ein technologischer Fortschritt, sondern auch ein fundamentaler Kultur-, Gesellschafts- und Wirtschaftswandel, der kontinuierlich stattfindet.
Das bedeutet, dass die Zusammenarbeit und Kommunikation aller Akteure dezentraler, vernetzter und direkter werden, und dass Partnerschaften und Versorgungsnetzwerke auf Basis neuer digitaler Technologien entstehen. Digitalisierung richtet dadurch den Wettbewerb im Gesundheitssystem neu aus. Dies trifft insbesondere für alle an der Versorgung der Patienten beteiligten Akteure (beispielsweise Ärzte, Apotheker, Kliniken, Krankenkassen und selbstverständlich den Sanitätsdienst der Bundeswehr) zu.
In der Kommunikation untereinander ist ein Paradigmenwechsel zu verspüren.
Akteure mit neuen digitalen Angeboten ergänzen traditionelle Gesundheits- und Versorgungsanbieter und deren Leistungen. Die Übergänge zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen werden übersichtlicher und durchlässiger. Die Patientenversorgung beginnt sich durch digitale Technologien zu verändern. So stärkt zum Beispiel die telemedizinische Sprechstunde die Patientenmobilität und das Patientenengagement. Insgesamt rücken flexible, dezentrale Versorgungsformen zunehmend in den Fokus.
Digitale Analyse-Instrumente und Big Data-Anwendungen ermöglichen IT-gestützte Entscheidungshilfesysteme (Decision Support Systeme). Diese können jedem Arzt bei komplexen schwerwiegenden Erkrankungen Informationen aus verschiedenen medizinischen Datenbanken aufbereiten und daraus ergänzende Therapiehinweise ableiten. Sie bieten neue Lösungen für Konsultationen, der Versorgung im ländlichen und im militärärztlich Bereich aber auch für dezentrale Angebote der Maximalversorgung und Betreuung.
Wege der Transformation
Um diesen digitalen Wandel erfolgreich in die Strukturen des deutschen Gesundheitssystems zu integrieren, braucht es eine zunehmende Akzeptanz aller Beteiligter für Innovationen. Denn durch die skizzierten Entwicklungen verändern sich gleichermaßen die Rollenbilder und das Selbstverständnis der Akteure oder werden zumindest in Frage gestellt. Der Schlüssel zum Erfolg bleibt die Frage nach der Akzeptanz der Mitwirkenden und deren Offenheit für Kooperationen, sowie der Zugänglichkeit auch des militärischen Gesundheitssystems für Innovationen und dem gezielten Einsatz digitaler Technologien.
Die Kombination von moderner Diagnostik und innovativer Arzneimittel ermöglicht eine Optimierung der Versorgungsqualität. Damit wird sich die „Personalisierte Medizin“ weiterentwickeln, die die Wirkungsprofile der Arzneimittel weiter schärft und dem Patienten eine bestmöglich an seine Erkrankung angepasste Therapie bietet. Um dafür die geeigneten Biomarker zu identifizieren und zu validieren, ist ein besonderer Forschungsaufwand nötig. Biobanken schaffen dabei die Verknüpfung von Patientendaten aus klinischen Studien mit genetischen Daten (Sequenzierungsdaten).
Basis für die erfolgreiche Anwendung von Innovationen ist das zeitgemäße Zusammenwirken des öffentlichen und militärischen Gesundheitssystems sowie eine ganzheitliche Betrachtung von „Health Care“ in der Gesundheitswirtschaft. Angesicht dieser zunehmenden Komplexität im medizinischen Alltag können ergänzende digitale Angebote zusätzliche Information für den behandelnden Arzt bereitgestellt werden. Dies macht qualitätsgesicherte, leistungsfähige digitale Plattformen für medizinische Daten nötig, womit es beispielsweise möglich wird, für Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen und ohne vorhandene Therapiemöglichkeiten eine passende klinische Studie zu finden. Zudem unterstützen diese neuen Instrumente Ärzte bei der Nutzung und Kontrolle von personalisierten Therapieansätzen durch den schnellen und zuverlässigen Abgleich der Patientenprofile mit deren genetischen Daten und den bestehenden Medikationen und Therapiemöglichkeiten.
Interoperabilität
Eine große Anzahl von Akteuren im Gesundheitssystem Deutschland engagiert sich dabei in Projekten, um Ärzten und medizinischem Assistenzpersonal eine stärker personalisierte, ortsunabhängige Behandlung von Patienten zu ermöglichen und diese besser in den Alltag integrieren zu können. So unterstützen zum Beispiel elektronische Patiententagebücher und elektronische Fallakten die fachärztliche Versorgung bei komplexen Herausforderungen und vorhandenen Ressourcenproblemen.
Es sind die AIS (Arztinformationssysteme) und KIS (Krankenhausinformationssysteme), die in den Praxisalltag Eingang gefunden haben. Insbesondere bei chronischen oder seltenen Erkrankungen mit hohem Dokumentationsaufwand und dem Bedarf an einem schnellen Fachaustausch zwischen den unterschiedlichen Bereichen der Versorgung schaffen telemedizinische Projekte einen Mehrwert für den Patienten und für die Versorgungsqualität. Zentraler Prüfstein für die Digitalisierung im Gesundheitssystem muss ausnahmslos der Patientennutzen sein.
Die elektronische Patientenakte
Essenziell für die praktische Umsetzung des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Patienten und die Steigerung der Effizienz an den Schnittstellen im System ist eine effektive Dokumentation in Form einer elektronischen Patientenakte (ePA).
In Deutschland wird seit Januar 2021 Patienten über Ihre Krankenkasse eine ePA angeboten, wobei der Datenschutz als zentraler Baustein berücksichtigt ist. Jeder Versicherte behält die Hoheit über seine Daten und nur er entscheidet, wer diese nutzen darf. Die neue elektronische Gesundheitsakte Bundeswehr (noch G-Kartei) wird gerade entwickelt und in den Grundzügen der zivilen ePA Rechnung tragen. Mit der ePA wird den Patienten eine lebenslange Akte im Management seiner Gesundheits- und Krankheitsdaten dauerhaft und ubiquitär zu Verfügung gestellt.
Der Gesetzgeber hat mit dem Patienten-Daten-Schutzgesetz wichtige Weichen für die Ausgestaltung der ePA gestellt. Das E-Rezept für verschreibungspflichtige Arzneimittel soll verpflichtend ab 2022 als Anwendung der Telematikinfrastruktur (TI) eingeführt werden. Neben Befunden, Arztberichten, Vorsorgeleistungen, Labordaten und Röntgenbildern sollen demnächst auch der Impfpass und Zahnarztbefunde aufgenommen werden. Auch hier könnte man eine spiegelbildliche Adaption für den militärischen Bereich auf der gleichen Grundlage ins Auge fassen. Hierbei haben die zivilen Anbieter das größte Know-how in der fortschreitenden technischen Anwendung der TI. Im Ergebnis werden die Patienten eine ePA in der Hand haben, in der alle wesentlichen Gesundheitsdaten ergänzt durch eigene Daten sicher aufbewahrt sind.
Ausblick
Die optimale Transformation in der Gesundheitsversorgung in Deutschland kann nur heißen: “Vernetzt, digitalgestützt, datenbasiert und synchronisiert“. Insgesamt sollte der Fokus auf Projekten und Lösungen liegen, die die Versorgung verbessern. Dazu zählen insbesondere die Vernetzung weiterer Akteure mit der TI, die konsequente Einführung der ePA, die zügige Umsetzung des E-Rezepts, die Ausweitung von Telemedizinangeboten inklusive der Gleichstellung von Videosprechstunde und Arztbesuch in der Praxis.
Dabei sollte der Patient stets über seine Daten und den Zugang zu diesen bestimmen können. Gesundheits-IT ist und bleibt ein vitaler, systemrelevanter Bestandteil der medizinischen Versorgung in Deutschland. Die Anbieter digitaler Lösungen im Gesundheitswesen sind wichtige Partner für Leistungserbringer, medizinische und pflegerische Einrichtungen sowie Patienten. Gemeinsam können sie die aktuellen gesellschaftspolitischen Impulse in eine zielgerichtete Vorwärtsbewegung für eine bessere Gesundheitsversorgung in Deutschland umwandeln.
Die Digitalisierung wird nachhaltig Arbeitsprozesse, Behandlungswege sowie die Aus-, Fort- und Weiterbildung revolutionieren. Wenn es in der Geschichte eine Konstante gab, dann war es der Wandel. Das Zeitalter der Digitalisierung gibt uns viele Möglichkeiten, die Medizin noch besser zu machen und mehr Zeit für eine menschliche Medizin zu haben. Wir sollten die Chancen nutzen.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie
Verfasser:
Generalarzt a. D. Dr. A. M. Roßlau
Unterm Wald 6, 31707 Bad Eilsen-Heeßen
E-Mail: arno-rosslau@t-online.de