von Metronidazol-Infusionslösung im bestehenden Reinraumbereich
Ein wesentlicher Baustein der sanitätsdienstlichen Versorgung ist die Herstellung von nicht sicher marktverfügbaren, wehrmedizinisch relevanten Arzneimitteln und Medizinprodukten. Die pharmazeutische Industrie gerät vermehrt in Folge kurzfristiger Störungen in Lieferketten, fehlenden Packmitteln und Wirkstoffen oder durch unerwartete Bedarfe, ausgelöst durch pandemische Lagen oder militärische Konflikte, in Lieferengpasssituationen. Um die Einsatzfähigkeit der Streitkräfte sicherzustellen, gewinnt daher die resiliente Eigenherstellung im Großmaßstab als wehrpharmazeutische Kernfähigkeit wieder zunehmend an Bedeutung.
Rechtlicher Rahmen der Arzneimittelherstellung
Alle Bundeswehrapotheken müssen nach den apothekenrechrechtlichen Vorschriften in der Lage sein, Arzneimittel herzustellen. Die Herstellung als Rezeptur erfolgt patientenindividuell und erst nach Vorlage einer ärztlichen Verordnung. Bei nachgewiesenem Bedarf aufgrund häufiger Verordnung kann die Herstellung als sogenannte Defektur im kleinen Maßstab auf Vorrat erfolgen. Bei der Defekturherstellung können bis zu 100 abgabefertige Packungen am Tag im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs hergestellt und anschließend in den Verkehr gebracht werden.
Für das Inverkehrbringen größerer Mengen, die vor einem Szenario der Landes- und Bündnisverteidigung benötigt werden, ist grundsätzlich für jedes Arzneimittel eine eigene Zulassung nach Arzneimittelgesetz (AMG) erforderlich. Zudem bedarf es in diesem Fall einer amtlichen Herstellungserlaubnis. Neben der Erlangung von Einzelzulassungen kann – sofern verfügbar – auf sogenannte Standardzulassungen aus einem behördlich festgeschriebenen Kanon etablierter Arzneimittelrezepturen zurückgegriffen werden.
Wenngleich das AMG der Bundeswehr Möglichkeiten zum Eigenvollzug einräumt, steht ihr hier keinesfalls eine Eigenregelungskompetenz zu. Im Sinne einer höchstmöglichen Patientensicherheit ist für das regulatorische Umfeld mitsamt der Anforderungen an Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der eigenhergestellten Arzneimittel somit derselbe hohe Maßstab anzulegen wie bei der pharmazeutischen Industrie.

Arzneimittelherstellung, wie sie einmal war
Bis vor etwa 15 Jahren erfolgte die Herstellung von Arzneimitteln im Großmaßstab noch in mehreren Bundeswehrkrankenhausapotheken (BwKrhs-Apotheken). Dies war bis zu einer umfassenden Änderung im Apothekenrecht möglich. Das Sanitätsamt der Bundeswehr und das Sanitätsführungskommando legten gemeinsam sowohl das Herstellungsportfolio als auch die Mengengerüste fest. Die Produktpalette umfasste bis in die 2000er-Jahre hinein Tabletten, sterile und unsterile flüssige Arzneiformen sowie halbfeste Darreichungsformen wie Cremes und Gele. Ergänzt wurde das Spektrum durch ausgewählte „Dermopharmazeutika“ wie beispielsweise der Lippenpflegestift oder die Meersalzcreme.
Aufgrund einer sich bereits frühzeitig abzeichnenden Änderung der Apothekenbetriebsordnung wurde ministeriell entschieden, dass die Großherstellung in dem Mitte 2004 bezogenen Neubau der BwKrhs-Apotheke Ulm nur noch auf Grundlage einer Herstellungserlaubnis erfolgen sollte. Hierzu musste zunächst ein pharmazeutisches Qualitätssicherungssystem etabliert werden, das die Vorgaben der Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung in Verbindung mit dem EU-Leitfaden zur Guten Herstellungspraxis (Good Manufacturing Practice, GMP) erfüllt. Die erste Herstellungserlaubnis wurde der Betriebsstätte Ulm im Januar 2007 erteilt und begrenzte das Portfolio zunächst noch auf die Herstellung von Tabletten und das Abpacken von Ampullen. Zwei Jahre später konnte das Spektrum zunächst um sterile Atropinsulfat-Lösungen in Ampullen und Metronidazol-Infusionslösungen sowie anschließend sukzessive um weitere Injektions- und Infusionslösungen erweitert werden.
Nicht nur an die Technik und Prozesse der Großherstellung selbst, sondern auch an die Zulassung von Arzneimitteln werden hohe regulatorische Anforderungen gestellt. Zulassungsunterlagen müssen kontinuierlich gepflegt und auf aktuellem Stand gehalten werden. Änderungen sind dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte anzuzeigen. Zudem bestehen weitere umfangreiche gesetzliche Verpflichtungen, um die Sicherheit der in den Verkehr gebrachten Arzneimittel zu gewährleisten. Seit der Aufstellung des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (KdoSanDstBw) werden diese Aufgaben dort durch den Pharmazeutischen Unternehmer der Bundeswehr (PUBw) im Referat V 1 und künftig in der Fachabteilung IV des Kommandos Gesundheitsversorgung der Bundeswehr wahrgenommen.
Die Koordination der Herstellungsaktivitäten erfolgt seit mehr als zehn Jahren durch die Steuergruppe „Herstellung von Sanitätsmaterial in der Bundeswehr“. Unter Federführung des KdoSanDstBw werden seither Belange der Wehrmedizin, der Logistik und des PUBw in diesem Gremium abgestimmt, konkrete Vorhaben in nachgeordneten Projektgruppen bearbeitet und dem BMVg durch die Steuergruppe regelmäßig über die Herstellung berichtet.
Konsolidierung des Herstellungsportfolios nach 2010
In den Jahren von 2008 bis 2012 wurde die wehrpharmazeutische Herstellung grundlegend überdacht und neu strukturiert. Der Zentrale Sanitätsdienst stellt seitdem nur noch wehrmedizinisch relevante Produkte her, die am zivilen Markt nicht oder nur eingeschränkt verfügbar sind. Insgesamt führte dies zu einer massiven Reduktion des Produktportfolios. Auf die Herstellung von Dermopharmazeutika wurde komplett verzichtet. Weil das Konzept des Fähigkeiterhalts durch Inübunghaltung mit gut marktverfügbaren Wirkstoffen fachlich nicht überzeugen konnte, kam es zur Aufgabe der Herstellung von Paracetamol- und Acetylsalicylsäure-Tabletten. Der Herstellungsbereich im Bundeswehrzentralkrankenhaus (BwZKrhs) Koblenz wurde zurückgebaut. Somit verbleibt die BwKrhs-Apotheke Ulm bis heute als einzige Herstellungsstätte für Arzneimittel mit Produktionskapazität im industriellen Maßstab in der Bundeswehr.
Dem sich manifestierenden Bedarf und der daraus resultierenden Herstellungsplanung folgte im Laufe der Jahre eine Spezialisierung der Herstellung auf flüssige sterile Arzneiformen. Hier erweitern zwischenzeitlich im Rahmen des internationalen Krisenmanagements auf dem Balkan, in Afghanistan und Mali benötigte Arzneimittel zur Behandlung einsatzspezifischer Erkrankungen und besondere Antidote wie zum Beispiel hochdosiertes Naloxon zur Therapie von Vergiftungen mit Fentanylderivaten und opioidartigen Kampfstoffen das Sortiment. Diese von der Bundeswehr weiterentwickelten Produkte werden einsatzbezogen hergestellt, um sie für den Notfall vorrätig zu haben. Hierdurch war und ist die Versorgung von Soldaten mit einsatzwichtigen Arzneimitteln gewährleistet, die in Deutschland und der EU aufgrund fehlender Nachfrage von der Industrie nicht bereit gestellt werden. Die erforderliche Qualität wird im engen Schulterschluss mit der Abteilung C des Zentralen Instituts der Bundeswehr München und den dort durchgeführten Stabilitätsstudien sichergestellt.

Herstellung von Autoinjektoren
Autoinjektoren sind ein wesentlicher Bestandteil der Gefechtsfeldanalgesie sowie der Selbst- und Kameradenhilfe bei Kampfstoffvergiftungen. Diese Einsatzfelder in Verbindung mit einer dauerhaft unsicheren Marktverfügbarkeit führten zur Entscheidung, die Eigenherstellung von Autoinjektoren zu etablieren. Nach umfangreichen Vorarbeiten durch die „Projektgruppe Autoinjektoren“ erfolgt seit 2020 ein durch das BMVg angewiesener tiefgreifender Umbau der Herstellungsstätte in Ulm. Dieser schließt eine temporäre Aufgabe einzelner technologischer Fähigkeiten ein, um auf lange Sicht die Versorgung mit dringend benötigten Autoinjektoren zu ermöglichen.
Die durch den Rückbau von Anlagen zum Mischen von Pulvern, von Tablettenpressen und Großrührwerken zur Herstellung von halbfesten Zubereitungen sowie bestehender Reinraumwände und Gebäudetechnik neu entstandenen Flächen wurden genutzt, um eine neue, integrierte Produktionslinie für die Herstellung von Autoinjektoren aufzunehmen. Um das Ziel der Autoinjektor-Herstellung zu erreichen, ergab sich zudem der Bedarf für eine ganze Reihe an state-of-the-art Pharmamaschinen, die sich zwischenzeitlich bereits vor Ort befinden bzw. in absehbarer Zeit zulaufen. Die Beschaffung des Großgeräts geht hier Hand in Hand mit der laufenden, hochgradig GMP-regulierten Infrastrukturmaßnahme. Im Ergebnis wird die Bundeswehr in Zukunft über eine eigene Autoinjektor-Plattform für verschiedene Wirkstoffe auf Basis einer Fertigspritze verfügen. Primär ist die Produktion von Autoinjektoren mit Atropin und Morphin vorgesehen, in Folge soll dann auch eine Verarbeitung der Wirkstoffe Midazolam und Naloxon erfolgen.
Rückbesinnung als Auswirkung von Pandemie und globaler Sicherheitslage: eine neue Herstellungsstätte am Horizont
Die einst für nicht sehr wahrscheinlich gehaltene Ressourcenverknappung, das Fehlen von Packmitteln und Wirkstoffen, die Abhängigkeit von globalen Handelsströmen und damit eintretende Lieferengpässe wurden in den letzten Jahren mehr und mehr zur Wirklichkeit. Unter dem Eindruck der Versorgungseinschränkungen, die im Jahr 2020 während der Coronapandemie besonders deutlich wurden, forderte der damalige Inspekteur des Sanitätsdienstes Überlegungen zu einer Ausweitung der Herstellungsfähigkeiten durch gezielte Einlagerung von Grundstoffen und die Errichtung einer neuen Herstellungstätte. Die Möglichkeiten zur Erweiterung und Ausdehnung der Herstellungskapazitäten sowie der hierfür erforderliche Personalaufwuchs sind in der bestehenden Infrastruktur der Herstellungsstätte in Ulm stark limitiert. In Folge dessen wurde durch das BMVg 2021 die Projektierung einer neuen Herstellungsstätte angewiesen. Der Maßnahme „Neue Herstellungsstätte für wehrmedizinisch relevantes Sanitätsmaterial“ gelang schließlich 2024 die Aufnahme in das Planungsportfolio.
Auf Basis einer aktuellen Bedarfsforderung und einer Wirtschaftlichkeits- und Variantenuntersuchung nach Bundeshaushaltsordnung werden seit Herbst 2024 die Möglichkeiten zur Bedarfsdeckung und zur autarken Herstellung von essenziellen Arzneimitteln geprüft. Dabei ist auch beabsichtigt, die im Rahmen der Infrastruktur-Maßnahmen zur Herstellung von Autoinjektoren in Ulm verloren gegangenen Fähigkeiten zur Herstellung fester Arzneiformen sowie halbfester Zubereitungen wieder zu ermöglichen. Die Gebäudetechnik soll künftig weitgehend redundant ausgebracht werden, um bei Wartungen oder unerwarteten Störungen vor einem längerwährenden Produktionsausfall gefeiht zu sein. Mit dem gleichzeitigen Betrieb von zwei Produktionslinien wird die neue Herstellungsstätte verschiedenste Darreichungsformen im erweiterten Umfang herstellen können, um auch auf kurzfristige Engpässe und Bedarfe besser reagieren zu können.
Die Wehrpharmazie leistet somit durch die Eigenherstellung wehrmedizinisch relevanter Arzneimittel auch weiterhin einen wertvollen Beitrag zur Auftragserfüllung der Bundeswehr.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1 / 2025
Für die Verfasser:
Oberfeldapotheker Dr. Florian Plößl
Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr
Von-Kuhl-Straße 50
56070 Koblenz