24.04.2023 •

Akteur im Hintergrund – Beiträge des Arzneimittelüberwachungsbeauftragten der ­Bundeswehr bei der Bewäl­tigung der COVID-19-Pandemie

M. Meyer, A. Martin, N. Echtermann

Impfstoffverteilzentrum im VersInstZ SanMat Quakenbrück
Bundeswehr/Daniel Wolter

Hintergrund

Seit Beginn der COVID-19-Pandemie trägt der Arzneimittel­überwachungsbeauftragte der Bundeswehr (AMÜBBw) mit zusätzlichen regulatorischen Maßnahmen auf Grundlage des Arzneimittelgesetzes (AMG) bzw. der europäischen Medizinprodukteverordnung zu deren Bewältigung bei. In dieser Rolle als „Enabler“ unterstützt er das Gesundheitssystem der Bundeswehr mit den Zielen, systemrelevantes Personal zu schützen, Arzneimittel- und Medizinprodukteengpässe zu überbrücken, den behandelnden ÄrztInnen Therapieoptionen bei der Versorgung von an COVID-19 erkrankten PatientInnen zu eröffnen und die flächendeckende Verteilung von Impfstoffen gegen COVID-19 zu ermöglichen.

Als die zuständige Behörde der Bundeswehr im Sinne des Arzneimittel- bzw. des Medizinproduktedurchführungsgesetzes steht der AMÜBBw in einem kontinuierlichen Austausch mit den Bundeswehrapotheken, den Unterabteilungen V und X des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr (Kdo SanDstBw), den Referaten Führung Streitkräfte Sanität 2 und 3 des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg), dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und den zuständigen Bundesoberbehörden sowie den zivilen pharmazeutischen Kollegialbehörden der Bundesländer.

Das dynamische epidemische Geschehen in Deutschland hat eine kontinuierliche Bewertung der Arzneimittel- und Medizinprodukteversorgung auch im Geschäftsbereich des BMVg notwendig gemacht. Es galt und gilt bis heute, mögliche Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr auch im Hinblick auf die Arzneimittel- und Medizinprodukteversorgung frühzeitig zu erkennen, um rechtzeitig Maßnahmen auf den verschiedenen Handlungsebenen ergreifen zu können. Im Folgenden werden einige der auf Grundlage des Arzneimittelrechtes getroffenen Maßnahmen kurz dargestellt.

Arzneimittelrecht im Krisenfall

Unabhängig von der Feststellung der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“ durch den Deutschen Bundestag Ende März 2020 und der danach in Kraft getretenen und mehrfach geänderten Gesetze und Verordnungen zum Schutz der Bevölkerung, sind im AMG für Krisenzeiten verschiedene Ausnahmen vorgesehen. Diese können beispielsweise erforderlich werden, wenn die notwendige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln ernstlich gefährdet ist oder eine bedrohliche übertragbare Krankheit auftritt, deren Ausbreitung eine sofortige und das übliche Maß erheblich überschreitende Bereitstellung von spezifischen Arzneimitteln erforderlich macht. Mit dem Erlass entsprechender Ausnahmeregelungen haben die jeweiligen arzneimittelrechtlich zuständigen Behörden der Bundesländer und auch der Bundeswehr schon früh von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, lageangepasste regulatorische Maßnahmen zu ergreifen, um der Ausbreitung der COVID-19-Pandemie in Deutschland zu begegnen.

Bereits Ende Februar 2020 hat das BMG festgestellt, dass weltweit keine zugelassenen Arzneimittel zur Behandlung einer Infektion mit dem neuartigen Coronavirus zur Verfügung stehen. Bei COVID-19 jedoch handelt es sich um eine bedrohliche, übertragbare Krankheit, deren Ausbreitung eine sofortige Bereitstellung spezifischer Arzneimittel erforderlich macht.

Die Feststellung und Bekanntmachung eines Versorgungsmangels durch das BMG ist die Voraussetzung dafür, dass die zuständigen Behörden der Länder bzw. der Bundeswehr im Einzelfall gestatten können, dass in Deutschland z. B. nicht zugelassene Arzneimittel befristet in den Verkehr gebracht und gegebenenfalls in größerem Umfang eingeführt werden können. Darüber hinaus können die zuständigen Behörden auch ein befristetes Abweichen von Erlaubnis- oder Genehmigungserfordernissen oder von anderen Verboten des AMG gestatten.

Einfuhr von Arzneimitteln

In der ersten Phase der Pandemie konzentrierte sich die Anwendung von Arzneimitteln zur Behandlung von COVID-19 in Deutschland unter anderem auf Wirkstoffe, deren Sicherheitsprofil als zugelassene Arzneimittel aus anderen Indikationsgebieten bereits bekannt war und die als potenzielle Therapieoptionen angesehen wurden. Bei einer COVID-19-Therapie mit diesen Wirkstoffen handelt es sich immer um einen individuellen Heilversuch ohne klinische Wirksamkeitsnachweise. Daher wurden Arzneimittel mit diesen Wirkstoffen vorrangig bei PatientInnen mit schweren Verlaufsformen und patientenindividuell unter sorgfältiger Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses eingesetzt.

Da keines dieser Arzneimittel über eine Zulassung in Deutschland zur Behandlung von COVID-19-Erkrankungen verfügte, leitete das BMG eine zentrale Beschaffung u. a. von antiviral wirksamen Therapeutika mit den Wirkstoffen Lopinavir und Ritonavir, Favipiravir sowie Camostat ein, die über das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr abgewickelt wurde. Der AMÜBBw wurde frühzeitig durch das BMVg und das Bundesamt in den Beschaffungsvorgang eingebunden, so dass die für die Einfuhr erforderlichen Gestattungen und Bescheinigungen des öffentlichen Interesses unmittelbar erstellt werden konnten. Auch die Bundeswehrapotheken konnten von dieser Einfuhrerleichterung Gebrauch machen, um weitere potenziell gegen COVID-19 wirksame Arzneimittel zu beschaffen – z. B. Remdesivir zur Therapie der seinerzeit in den Bundeswehrkrankenhäusern behandelten schwerstkranken PatientInnen aus Norditalien.

Mittlerweile wurden einige Arzneimittel zur Therapie von COVID-19 zugelassen, z. B. mit den Wirkstoffen Sotrovimab (monoklonaler Antikörper, seit Dezember 2021), Molnupiravir (intrazellulär wirksames Arzneimittel, seit Januar 2022) oder Nirmatrelvir (seit Februar 2022). Darüber hinaus wurden für einige Arzneimittel im noch laufenden Zulassungsprozess bei der Europäischen Arzneimittelagentur bereits Anwendungsempfehlungen ausgesprochen (sogenannte „Advice of Use“).

Einlagerung von COVID-19-Impfstoff in Kühlcontainer
Einlagerung von COVID-19-Impfstoff in Kühlcontainer
Quelle: Bundeswehr/Daniel Wolter

Pharmazeutischer Großhandel und nationaler Umschlagpunkt

Mit der Zulassung der ersten Impfstoffe gegen COVID-19 Ende 2020 bzw. Anfang 2021 wurde es erforderlich, die deutschlandweite flächendeckende Versorgung der (anspruchsberechtigten) Bevölkerung mit diesen Impfstoffen zu organisieren.

Im Oktober 2020 wurde auf Staatssekretärsebene zwischen dem BMG und dem BMVg vereinbart, dass der zentrale nationale Umschlagpunkt Deutschlands für die von der Europäischen Union (EU) beschafften und an die Mitgliedstaaten distribuierten COVID-19-Impfstoffe im Bereich der Bundeswehr eingerichtet wird. Seitens der EU bestand die Forderung, dass dieser zentrale Umschlagpunkt in dem jeweiligen Mitgliedstaat über eine entsprechende Großhandelserlaubnis („wholesale distribution ­authorization“) und über ein gültiges Zertifikat verfügen muss, das die Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Leitlinien der Guten Vertriebspraxis („Good Distribution Pratice“ – GDP) gemäß Artikel 84 der Richtlinie 2001/83/EG bestätigt. Da bis dato keine Einrichtung im Bereich der Bundeswehr über eine Großhandelserlaubnis oder ein GDP-Zertifikat verfügt hat und der Bundeswehr keine Ausnahmen von den europäischen Anforderungen eingeräumt wurden, war es erforderlich, eine Einrichtung der Bundeswehr als Großhändler im Sinne des § 52a AMG festzulegen und personell, infrastrukturell und prozessual zu ertüchtigen. Als designierter nationaler Umschlagpunkt und damit als neuer „pharmazeutischer Großhandel Bundeswehr“ wurde seitens des Kdo SanDstBw das Versorgungs- und Instandsetzungszentrum Sanitätsmaterial (VersInstZ SanMat) Quakenbrück festgelegt, in dem eine temporäre Teileinheit mit dem Auftrag „Sicherstellen der nationalen Verteilung der COVID-19 Impfstoffe“ eingerichtet wurde. Bereits bis Ende 2020 konnten die erforderlichen Abnahmeinspektionen durch den AMÜBBw durchgeführt und mit positivem Ergebnis abgeschlossen werden. Die Großhandelserlaubnis sowie das GDP-Zertifikat wurden ohne Einschränkungen oder Auflagen zeitgleich mit der Herstellung der Betriebsbereitschaft der nationalen Verteiler- und Impfzentren der Länder am 15.12.2020 erteilt und in der entsprechenden europäischen Datenbank EU-weit veröffentlicht.

Ab Anfang des Jahres 2021 wurden sukzessive die COVID-19-Impfstoffe Vaxzevria®, Spikevax® und COVID-19 Vaccine Janssen® vom nationalen Umschlagpunkt zunächst über die Impfstoffverteilzentren der Länder an die Impfzentren der Länder und im weiteren Verlauf des Jahres zusätzlich über den zivilen pharmazeutischen Großhandel und zivile Apotheken an die Arztpraxen deutschlandweit verteilt. Der COVID-19-Impfstoff Comirnaty® wurde zunächst durch die Firma BioNTech selbst distribuiert. Ab der zweiten Jahreshälfte bestand seitens des BMG der Bedarf, auch diesen Impfstoff über den nationalen Umschlagpunkt Quakenbrück zu bewirtschaften, so dass dessen Großhandelserlaubnis bzw. GDP-Zertifikat kurzfristig zu erweitern waren. Da für den Impfstoff Comirnaty® initial keine geeignete Lagerfläche zur Verfügung stand, die eine Lagerung bei -65 °C und darunter ermöglicht hätte, musste eine zusätzliche Betriebsstätte des Großhandels Quakenbrück bei einem zivilen Dienstleister in Wilhelmshaven eingerichtet werden. Unter ­Beteiligung des staatlichen Gewerbeaufsichtsamtes Oldenburg konnten im August 2021 die auch um die Ausfuhr erweiterte Betriebserlaubnis sowie das GDP-Zertifikat für den Großhandel Quakenbrück einschließlich der neuen zivilen Betriebsstätte in Wilhelmshaven erteilt werden. Im November 2021 wurde der Betrieb unter Beteiligung des nationalen Zentrums für Pandemie-Impfstoffe und -Therapeutika evaluiert und die Übereinstimmung mit den Grundsätzen und Leitlinien der Guten Vertriebspraxis für die Betriebsstätten Quakenbrück und Wilhelmshaven bestätigt.

Ende 2021 hat der zivile Dienstleister für seine Betriebsstätte in Wilhelmshaven eine eigene Großhandelserlaubnis beim staatlichen Gewerbeaufsichtsamt Oldenburg beantragt und diese nebst eigenem GDP-Zertifikat Anfang 2022 erhalten. Nach rund 18 Monaten konnte der gesamtgesellschaftliche Zusatzauftrag des VersInstZ SanMat Quakenbrück als nationaler Umschlagpunkt für die COVID-19-Impfstoffe zum 01.04.2022 vollständig auf den zivilen Dienstleister transferiert werden.

Impfkampagne Bundeswehr

Seit Verfügbarkeit der COVID-19-Impfstoffe wurden durch den AMÜBBw insgesamt acht Gestattungen bzw. Allgemeinverfügungen zur Sicherstellung der flächendeckenden Versorgung der Bundeswehr mit diesen Impfstoffen auf Grundlage des AMG, des Infektionsschutzgesetzes und der „Medizinischer Bedarf Versorgungssicherstellungsverordnung“ (MBVSV) erlassen. Da für keinen der Impfstoffe praxisgerechte Packungsgrößen verfügbar sind, ist es nach wie vor erforderlich, die Abgabemengen an den in kleineren Impfeinrichtungen benötigten Bedarf an Impfstoffen anzupassen. Dafür besteht die Notwendigkeit, aus den von den Herstellern bereitgestellten Fertigarzneimittelpackungen Teilmengen, also einzelne ungeöffnete Vials abgeben zu können. Anders als bei den meisten „herkömmlichen“ Arzneimitteln bedürfen auch Apotheken für das Auseinzeln von Impfstoffen einer arzneimittelrechtlichen Herstellungserlaubnis. Da die wenigsten der zivilen und der Bundeswehrapotheken über die infrastrukturellen, personellen und prozessualen Voraussetzungen für die Erlangung einer Herstellungserlaubnis verfügen, stand diese arzneimittelrechtliche Forderung einer flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit COVID-19-Impfstoffen außerhalb von Impfzentren zunächst entgegen. Sowohl die „Arzneimittelgesetz-Zivilschutzausnahmeverordnung“ als auch die MBVSV sehen jedoch vor, dass die zuständigen Behörden das Inverkehrbringen von Arzneimitteln, die abweichend von den Erlaubnisvorschriften des AMG hergestellt worden sind, gestatten können. Voraussetzung dafür ist aber, dass die zuständige Bundesoberbehörde, hier das Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel - Paul-Ehrlich-Institut (PEI), nach Vornahme einer Nutzen-Risiko-Bewertung festgestellt hat, dass die jeweilige Ausnahme von den genannten Vorschriften zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln erforderlich ist und die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit der herzustellenden Arzneimittel gewährleistet sind. Nachdem das PEI die jeweiligen Positiv-Bewertungen in Verbindung mit dezidierten Hand­lungs- und Arbeitsanweisungen getroffen hatte, konnte dem pharmazeutischen Großhandel der Bundeswehr und den Bundes­wehrapotheken gestattet werden, COVID-19-Impfstoff-Vials entsprechend der Anforderung der jeweiligen Impfeinrichtungen auszueinzeln.

Fazit

Die Arzneimittel- und Medizinproduktesicherheit in der Bundeswehr ist auch in Krisensituationen zu jeder Zeit gewährleistet – dieses Fazit kann uneingeschränkt als Erfahrung aus der COVID-19-Pandemie gezogen werden. Zugleich gewährleistet die Funktion des AMÜBBw, dass der Sanitätsdienst im Sinne einer Patientenversorgung auf einem hohen medizinischen Niveau im Eigenvollzug auch auf regulatorischer Ebene flexibel und unabhängig auf Lageänderungen reagieren kann.

Auch wenn „Überwachungsbehörden“ aufgrund ihrer Bezeichnung oft als „Kon­trollinstanz“ wahrgenommen werden, haben sich gerade während der COVID-19-Pandemie die begünstigenden Verwaltungsakte wie die Erlaubniserteilung oder der Erlass eigenständiger Allgemeinverfügungen im Rahmen der rechtlich möglichen Ausnahmeregelungen als eine unverzichtbare wehrpharmazeutische Fähigkeit des Sanitätsdienstes der Bundeswehr erwiesen.


Verwandte Artikel

Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr: Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus ­Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der ­wehrmedizinischen Relevanz

Das Post-COVID-Syndrom in der Bundeswehr: Ein Jahr Post-COVID-Studie am Bundeswehrzentralkrankenhaus ­Koblenz – Zwischenauswertung und Einordnung der ­wehrmedizinischen Relevanz

Die vorläufigen Ergebnisse zeigen, dass die Patientinnen und Patienten in der Post-COVID-Sprechstunde vor allem mit Fatigue, Leistungsminderung, Dyspnoe, Konzentrationsstörungen und Schlafproblemen vorstellig werden.

Wehmedizinische Monatszeitschrift 10/24

Studie zu Post-Covid mit ermutigenden Ergebnissen Stationäre Rehabilitation: Ein Schritt zurück ins Leben

Studie zu Post-Covid mit ermutigenden Ergebnissen Stationäre Rehabilitation: Ein Schritt zurück ins Leben

Berlin – Starke Erschöpfung, Atembeschwerden, Schmerzen und kognitive Leistungseinschränkungen – diese Symptome machen Menschen mit Post-Covid-Syndrom das Leben schwer.

Abwasserbasierte Infektionsepidemiologie – manchmal muss man für Innovationen auch im Trüben fischen

Abwasserbasierte Infektionsepidemiologie – manchmal muss man für Innovationen auch im Trüben fischen

Abwassermonitoring, eine Methodik, um die Zusammensetzung und Qualität von Abwasser zu analysieren, ist eine revolutionäre Methode, deren Ergebnisse es ermöglichen, Einblicke in die öffentliche Gesundheit und Umweltbelastungen auf Ebene einer...

Wehrmedizinische Monatsschrift 6/2024

Meist gelesene Artikel