Unfälle in der allgemeinen Luftfahrt in den Jahren 2009 bis 2014 im Großraum München und in den angrenzenden Bayrischen Alpen

Aus der Fachgruppe Flugmedizinische und Flugpsychologische Flugunfalluntersuchung¹, Fürstenfeldbruck (Leiterin: Oberstarzt Dr. B. Mayr) des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe, Köln (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. R. Schick) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München² (Vorstand: Prof. Dr. M. Graw)

Michael J. Schwerer¹, ², Barbara Mayr¹, Matthias Graw²

WMM, 59. Jahrgang (Ausgabe 09-10/2015; S. 316-320)

Zusammenfassung

Untersucht wurden Flugunfälle mit Todesfolge aus der allgemeinen Luftfahrt in den Jahren 2009 bis 2014 im Einzugsgebiet des Instituts für Rechtsmedizin München. Diese umfassten elf Absturzereignisse mit insgesamt 18 Opfern im Alter zwischen 17 und 77 Jahren. Betroffen waren verschiedene Arten von kleineren Luftfahrzeugen.

Die umfassende Betrachtung der medizinischen und technischen Hintergründe und Befunde dokumentierte verschiedene Ursachenkomplexe, beispielsweise generell fehlende medizinische Eignung, Überladung und Alkoholisierung. Zudem sind besondere rechtsmedizinische Aufarbeitungstechniken zur Klärung etwa der Frage nach dem zuletzt das Luftfahrzeug steuernden Piloten nötig.

Schlüsselwörter: allgemeine Luftfahrt, Flugunfall, Vorerkrankungen, koronare Herzkrankheit, Verletzungsmuster

Keywords: general aviation, aircraft accident, preexisting diseases, coronary artery disease, injury pattern

Einleitung

Die Untersuchung der Todesopfer von Unfällen in der allgemeinen Luftfahrt erfolgt in Deutschland im Allgemeinen dezentral durch das am jeweiligen Ereignisort zuständige zivile rechtsmedizinische Institut. Aufgrund der geringen Fallzahl derartiger Vorfälle liegen über ihre Aufarbeitung nur wenige Literaturberichte vor. Verfügbare Übersichtsarbeiten enden mit ihrem Beobachtungzeitraum vor dem Jahr 2009 [1]. Unsere aktuelle Stichprobenbetrachtung stellt die Erfahrung des Münchener Institutes für Rechtsmedizin aus den Jahren 2009 bis 2014 in seinen Versorgungsgebieten Ober- und Niederbayern, Schwaben sowie Teilen der Oberpfalz dar. An Hand der Fallsammlung sollen Tendenzen aufgezeigt und mittels Einzelfallberichten besondere Beobachtungen anschaulich diskutiert werden.

Methoden

Von den in den Jahren 2009 bis 2014 im Münchener Institut für Rechtsmedizin untersuchten Flugunfallopfern wurden retrospektiv Daten zu Alter, Geschlecht und, soweit bekannt, zur gesundheitlichen Vorgeschichte erfasst. Ergänzend wurden aus den vorgelegten polizeilichen Ermittlungsunterlagen sowie aus den Zwischen- und Abschlussberichten der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung Angaben zum Unfallgeschehen herausgearbeitet. Die medizinischen Datensätze wurden aus fliegerärztlicher Sicht bewertet. Insbesondere wurden Auffälligkeiten am Herzkreislaufsystem sowie an den festgestellten Verletzungsmustern betrachtet.

Ergebnisse

Allgemeine Beobachtungen
Im untersuchten Zeitraum ereigneten sich elf mit Todesopfern einhergehende Sportflugzeugunfälle. Hierbei kamen insgesamt 18 Insassen zu Tode (Tabelle 1). In keinem Fall waren Todes-opfer am Boden zu beklagen.

Die verunfallten Luftfahrzeuge umfassten jeweils zwei Ultra-leichtflugzeuge, Segelflugzeuge und Motorsegler sowie fünf Motorflugzeuge. Die Unfälle ereigneten sich schwerpunktmäßig in den Sommermonaten und in den späteren Nachmittagsstunden (Abbildungen 1 und 2).

Die Unfallorte lagen bei drei Ereignissen in den tiefer gelegenen Regionen Bayerns. Zwei Abstürze ereigneten sich im Raum Ingolstadt, einer im Raum Passau. Acht Flugunfälle waren im Bereich der bayerischen Alpen lokalisiert, hiervon jeweils vier Fälle in der Region Kempten und im Raum Traunstein.

Die an den Unfällen beteiligten verantwortlichen Luftfahrzeugführer waren allesamt männlich und zwischen 23 und 77 Jahre alt. Als Mitflieger beziehungsweise Passagiere wurden zwei Frauen und fünf Männer im Alter von 17 bis 73 Jahren getötet.

Die aktuell verfügbaren Zwischen- und Abschlussberichte der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung ergaben in keinem Fall den Nachweis eines technischen Defektes am Luftfahrzeug. In vier Fällen wurde als Unfallmechanismus ein Strömungsabriss – zweimal während des Starts, jeweils einmal im Reise- und Landeanflug –- mitgeteilt. In zwei Fällen kam es im Flug zu einer Berührung mit Bodenstrukturen (Baumwipfeln/Bergkuppe). Bei einem Flugunfall kollidierten zwei Maschinen im Flug.

Erster Fallbericht – Vorbefunde, fliegerärztliche, rechtsmedizinische sowie technische Unfallaufarbeitung
Am 23. Juli 2012 um 13:15 Uhr startete ein Segelflugzeug mit Klapptriebwerk vom Typ ASH 25 M im Eigenstart vom Segelflugplatz Füssen. Gegen 14:40 Uhr beobachteten Zeugen vom Boden aus ein Kreisen des Luftfahrzeugs am Kienberg. Es sei dort in sehr steilem Bahnneigungswinkel aus weniger als 100 m Höhe über der Bergkuppe abgestürzt. Das zerstörte Segelflugzeug wurde auf etwa 1 200 m über Meereshöhe aufgefunden. Das Cockpit war bis zum hinteren Sitz zerstört. Beide Insassen konnten nur noch tot geborgen werden.

Der verantwortliche Luftfahrzeugführer im vorderen Cockpitsitz sei nach polizeilicher Ermittlung ein erfahrener Pilot mit guter Gesundheit gewesen, wenngleich er seit einer zurückliegenden Beinvenenthrombose Marcumar habe einnehmen müssen. Die letzte flugmedizinische Untersuchung habe etwa drei Monate vor dem Unfall stattgefunden. Hierbei seien ein Ganzkörperstatus erhoben sowie eine Spirographie und ein EKG durchgeführt worden, ohne dass sich Befunde ergeben hätten, die einer Flugtauglichkeit widersprochen hätten.

Der hinten sitzende Mitflieger habe ebenfalls Flugerfahrung gehabt. Das Luftfahrzeug sei mit einer Doppelsteuerung ausgestattet gewesen. Suizidankündigungen habe es nicht gegeben. Daten und Obduktionsbefunde der beiden Todesopfer sind in Tabelle 2 dargestellt.

Fliegerärztliche und technische Bewertung:

  • Trotz ausgestelltem fliegerärztlichem Tauglichkeitszeugnis war die Flugtauglichkeit des verantwortlichen Luftfahrzeugführers im vorderen Cockpitsitz aufgrund der Marcumar-Therapie, die mutmaßlich dem Hausarzt, nicht jedoch dem Fliegerarzt bekannt gewesen sein dürfte, zum Unfallzeitpunkt aufgehoben.
  • Das fliegerärztliche Tauglichkeitszeugnis des Mitfliegers im hinteren Cockpitsitz war zum Unfallzeitpunkt abgelaufen.
  • Beide Luftfahrzeugführer zeigten einen positiven Nachweis von Alkohol im Muskelgewebe und im Urin. Ausgehend von einem Start etwa 90 min vor dem Unfallereignis sind infolge stattgehabter Elimination über die festgestellten Alkoholkonzentrationen hinausgehende höhere Blutalkoholkonzentrationen zum Beginn des Fluges zwanglos anzunehmen.
  • Ausgehend von den Körpergewichten der beiden Luftfahrzeugführer und dem Eigengewicht des Luftfahrzeugs betrug die ermittelte Abflugmasse etwa 820 kg bei einer technisch maximal zugelassenen Abflugmasse von 777 kg.

Bei Berücksichtigung dieser gesundheitlichen und technischen Ausschlusskriterien hätte der Flug nicht durchgeführt werden dürfen.

Die hochgradige Koronararteriensklerose des verantwortlichen Luftfahrzeugführers wirft darüber hinaus die Frage auf, ob beim Flug in einer Höhe von 1 200 bis 1 300 m über dem Meeresspiegel eine höhenbedingte Verminderung des Sauerstoffpartialdrucks eine am Boden gegebenenfalls noch kompensierte Myokardischämie unfallursächlich negativ beeinflusst haben kann. Zudem kann eine gegebenenfalls verminderte koronararterielle Durchblutung bei gefülltem Magen bei Start und Höhenaufstieg in den frühen Nachmittagsstunden in Betracht gezogen werden. Fehlende Bluteinatmungsherde der Lungen könnten hierbei auf eine vor dem Aufprall bereits vorliegende Bewusstlosigkeit mit Erlöschen des Atemantriebs hindeuten.

Allgemeine Beobachtungen zu Vorerkrankungen des Herzkreislaufsystems in der Gesamtstichprobe
Die Luftfahrzeugführer mit tödlichem Unfall im Raum Ingolstadt zeigten in guter Korrelation zu ihrem jüngeren Lebensalter (23 und 35 Jahre) jeweils keine Zeichen einer Herzkranzschlagadersklerose. Der 73 Jahre alt gewordene, im Raum Passau verunfallte Pilot ließ, soweit bei unfallbedingt zerrissenem und dadurch einschränkt beurteilbarem Herzen möglich, zartwandige Anteile der noch abgrenzbaren Herzkranzschlagadern erkennen.

Bei vier der acht im Lebensalter zwischen 44 und 77 Jahren in den bayrischen Alpen verunfallten Luftfahrzeugführern waren hingegen Zeichen einer höhergradigen Herzkranzschlagader-sklerose zu sichern (Tabelle 3).

Zweiter Fallbericht – Obduktionsbefunde und Unfallrekonstruktion
Am 23.05.2014 gegen 18:00 Uhr kam es am Flugplatz Eggweil unmittelbar nach dem Start zu einem eingeschränkten Höhengewinn eines einmotorigen Kleinflugzeuges. Das Luftfahrzeug stürzte bei einem Strömungsabriss im Kurvenflug, mutmaßlich beim Versuch, die Piste wieder zu erreichen, aus maximal 50 m Flughöhe ab. Der 23 Jahre alte Pilot und seine 17 und 23 Jahre alten Passagiere wurden tot aus den Trümmern geborgen.

Die gerichtliche Leichenöffnung aller drei Unfallopfer dokumentierte jeweils ein schwerstes Polytrauma infolge stumpfer Gewalteinwirkung. Die Befunde sind in Tabelle 4 aufgelistet.

Ausgehend von den Einzelkomponenten des Polytraumas war im Rahmen der rechtsmedizinischen Unfallaufarbeitung die Rekonstruktion, wer zum Zeitpunkt des Aufschlags das Luftfahrzeug gesteuert hatte, zunächst nicht möglich. Erst durch die Präparation der Handflächen mit den Daumenballen, die beim Luftfahrzeugführer links vorne, nicht jedoch bei den Passagieren rechts vorne und auf der Rückbank frisch eingeblutet waren, ließ sich zweifelsfrei darstellen, dass der links vorne sitzende Pilot die Maschine zum Unfallzeitpunkt gesteuert hatte (Abbildung 3).

Allgemeine Beobachtungen zu den Verletzungsmustern aller Unfallopfer
Alle Todesopfer zeigten ein vergleichbar ausgeprägtes Polytrauma wie die im zweiten Fallbeispiel dargestellten Verunfallten. Einzelne Getötete zeigten zudem richtungsweisende Befunde für die Unfallrekonstruktion, wie etwa Anstoßverletzungen an Cockpitteilen oder Aussparungen von Hautunterblutungen aufgrund getragener Ausrüstung (Abbildungen 4 und 5.1/5.2).

Diskussion

Die aktuell vorgelegte Übersicht aus den Jahren 2009 bis 2014 zeigt in Kontinuität zu früheren Arbeiten [1]eine geringe, jedoch gleichbleibende Zahl von Flugunfällen in der allgemeinen Luftfahrt im Großraum München und in den angrenzenden bayerischen Alpen. Die beobachteten Ereignisse umfassen verschiedene Kategorien von Kleinflugzeugen und alle Altersklassen von Privatpiloten.

Wie am ersten Fallbeispiel des Unfalls am Kienberg gezeigt, erfordert die Untersuchung derartiger Ereignisse zwingend die Einbeziehung aller verfügbaren Vorbefunde, sowohl aus den hausärztlichen als auch den fliegerärztlichen Akten. Ohne diese Zusammenführung von Befunden wäre die Marcumarbehandlung als Ausschlusskriterium für die Flugtauglichkeit zum Unfallzeitpunkt [2] beim verantwortlichen Luftfahrzeugführer nicht zu erkennen gewesen. Die Einbeziehung technischer Daten zum Luftfahrzeug [3] – insbesondere dessen Eigengewicht und das maximal zulässige Startgewicht – waren unter Berücksichtigung vor allem der Adipositas des Mitfliegers grundlegend für das Erkennen der Überladung des Luftfahrzeugs.

Eine beim verantwortlichen Luftfahrzeugführer im vorderen Cockpitsitz festgestellte koronare Herzkrankheit war bei Nachschau bei der Hälfte aller im Gebirge verunfallten Piloten zu finden. Diese Beobachtung ist auch in ihrer Häufigkeit übereinstimmend mit früheren Berichten zu größeren Serien verunfallter Privatpiloten [1, 4 - 6]. Deshalb ist die zwingende Notwendigkeit zu betonen, das Herz grundsätzlich einer sorgfältigen pathologisch-anatomischen Untersuchung zuzuführen, um Erkrankungen der Herzmuskulatur, der Herzkranzgefäße aber auch Zufallsbefunde, wie beispielsweise Fehlbildungen, zu erfassen oder auszuschließen, nachdem derartige Veränderungen unmittelbar Einfluss auf die Flugtauglichkeit des Luftfahrzeugführers nehmen können.

Die rechtsmedizinisch zu sichernden Befunde bei Absturzopfern auch aus niedrigen Flughöhen, wie im zweiten Fallbeispiel gezeigt, entsprachen in allen Fällen einem ausgeprägten Polytrauma. Für die Rekonstruktion der Unfallereignisse war insbesondere zur Klärung, wer zuletzt das Flugzeug gesteuert hat, die in der Literatur empfohlene präparatorische Darstellung von frischen Einblutungen der Handflächen beziehungsweise der Daumenballen unerlässlich [7].

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass eine beweiskräftige und gerichtsfeste Untersuchung von Flugunfällen nur durch eine enge Zusammenarbeit von ermittelnden Polizeikräften, technischem Untersuchungspersonal, Rechtsmedizinern und Fliegerärzten gewährleistet wird. Die möglichst vollständige Klärung aller Ursachen eines Flugunfalles hat – neben der Beantwortung straf- und versicherungsrechtlicher Fragen – insbesondere das Ziel, unmittelbar Einfluss auf die Erhöhung der Flugsicherheit zu nehmen. Erkenntnisse aus der Untersuchung von zivilen Flugunfällen sind dabei für die Weiterentwicklung von Technik, Methoden und Verfahren auch in der militärischen Flugmedizin von Nutzen.

Kernaussagen / Fazit

  • Flugunfälle in der allgemeinen Luftfahrt sind seltene Ereignisse. Es liegen nur wenige größere Übersichtsarbeiten vor, die alle vor 2009 datieren.
  • Die Aufarbeitung solcher Ereignisse erfordert einen multidisziplinären Ansatz, denn Hintergründe und Unfallursachen können letztlich nur durch enge Zusammenarbeit von Polizei, Rechtsmediziner, Hausarzt und Fliegerarzt, sowie die technische Aufarbeitung aufgedeckt werden.
  • Erkenntnisse aus der umfassenden technischen, medizinischen und psychologischen Analyse jedes Einzelfalls dienen der Prävention von Flugunfällen und erhöhen damit die Flugsicherheit.
  • Sie sind auch für die Weiterentwicklung von Technik, Methoden und Verfahren, insbesondere in der militärischen Flugmedizin, nutzbar.

Literaturverzeichnis

  1. Gilg F: Todesfälle bei Flugzeugabstürzen im Obduktionsgut der Institute für Rechtsmedizin in Hamburg und München (1984 – 2008) mit besonderer Berücksichtigung von Alkohol, vorbestehenden Erkrankungen, Drogen und Medikamenten beim Flugpersonal. Dissertation, Universität Hamburg, 2009.
  2. Madea B, Musshoff F: Verkehrsmedizin – Fahreignung, Fahrsicherheit, Unfallrekonstruktion. Deutscher Ärzte-Verlag, 2012.
  3. Alexander Schleicher GmbH & Co. Segelflugzeugbau: Flugbetriebshandbuch Schleicher ASH 25 M, 2001.
  4. Booze CF, Pidkowicz JK, Davis AW, Bolding FA. Postmortem coronary artery atherosclerosis findings in general aviation accident pilot fatalities: 1975-1977. Aviat Space Environ Med 1981; 52:24-27.
  5. Booze CF, Staggs CM. A comparison of postmortal coronary atherosclerosis findings in general aviation pilot fatalities. Aviat Space Environ Med 1987; 58:297-300.
  6. Dumser T, Borsch M, Wonhas C. Coronary artery disease in aircrew fatalities: Morphology, risk factors, and possible predictors. Aviat Space Environ Med 2013; 84:142-147.
  7. Brinkmann B, Madea B: Handbuch gerichtliche Medizin, Band 1. Springer-Verlag, 2003.

Erklärung zum Interessenkonflikt:

Die Verfasser erklären, dass keine Interessenkonflikte bestehen.

Bildquelle für alle Abbildungen:

Institut für Rechtsmedizin der Ludwig-Maximilians-Universität München

Datum: 05.11.2015

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2015/9-10

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