Klinische Flugmedizin – Kein Fliegen ohne Lizenz

J. Frischmuth

Die Klinische Flugmedizin ist verantwortlich für die flugmedizinische Begleitung und Begutachtung des lizenzpflichtigen Luftfahrtpersonals der Bundeswehr. Diese Zuständigkeit besteht für die militärischen Verwendungsfähigkeiten und ebenso für die in bestimmten dienstlichen Bereichen zusätzlich erforderlichen „zivilen Medicals“. Deshalb ist die Klinische Flugmedizin auch als Aeromedical Center nach den Regularien der European Aviation Safety Agency (EASA) durch das Luftfahrtbundesamt (LBA) und das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung (BAF) zertifiziert. Alle Verwendungsfähigkeiten, die in der Klinischen Flugmedizin begutachtet werden, sind mit einer Lizenz verbunden, die von einer durch die EASA anerkannten Behörde (Luftfahrtamt der Bundeswehr, LBA und BAF) ausgestellt werden.

Gliederung der Fachgruppe II 3 Klinische Flugmedizin
Gliederung der Fachgruppe II 3 Klinische Flugmedizin
Quelle: Bundeswehr/Stephan Ink

Militärisch werden die Erstuntersuchungen von BewerberInnen für Wehrfliegerverwendungsfähigkeit (WFV) Stufe I und III, Flugführungsdienst, Steuerer unbemannter zulassungspflichtiger Luftfahrzeuge der Bundeswehr, Joint Tactical Attack Controller, Weapon System Operator, Flugberatungsdienst und Flugsicherungstechnischer Dienst durchgeführt. Nachuntersuchungen erfolgen regulär bei WFV I und II. In Summe werden jährlich rund 6 000 militärische Begutachtungen pro Jahr durchgeführt.

Folgende zivile Medicals werden primär für militärisches Luftfahrtpersonal durchgeführt: EASA Klasse 1 für Erst- und Nachuntersuchungen, EASA Klasse 2, EASA Klasse 3, Federal Aviation Authority (FAA) Class 1, 2 und 3. Daraus ergeben sich 650 Begutachtungen nach EASA- oder FAA-Regularien. Zivile Sondergenehmigungen erfolgen als Verweisungs- und Konsultationsverfahren mit dem LBA und dem BAF. Dabei ist die Klinische Flugmedizin des Zentrums für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe für das LBA und das BAF gefragter Zweitgutachter mit flugmedizinischer Expertise bei schwierigen Verweisungs- und Konsultationsverfahren von extern.

Die Stärke der Klinischen Flugmedizin liegt in der multi- und interdisziplinären Begutachtung. Neun Facharztrichtungen sind arbeitstäglich vertreten: Innere Medizin inklusive Kardiologie, Augenheilkunde, HNO inklusive Allergologie, Orthopädie, Neurologie, Psychiatrie, Radiologie, Labormedizin, Zahnmedizin sowie die Klinische Psychologie.

Dabei sind alle FachärztInnen ausgebildete und lizensierte Flugmedizinische Sachverständige der Bundeswehr sowie Aeromedical Examiner der EASA. Diagnostisch wird ein umfangreiches Spektrum abgedeckt. Neben der Standarddiagnostik steht folgende Spezialdiagnostik zur Verfügung: Echokardiographie, Bodyplethysmographie und Spiro-Ergometrie (Innere Medizin); optische Kohärenztomographie, Pentacam, Wellenfrontanalyse, Computerassistierte Testverfahren, Cone Contrast Test (Augenheilkunde); Drehstuhl, Elektronystagmogramm, oto-akustische Emissionen, Kopfimpulstest (HNO); Anthropometrische Vermessung, Bioimpedanzanalyse, Videorasterstereographie, Muskuläre Leistungsdiagnostik (Orthopädie); Digitales Zahnröntgen, Intraorale Fotografie, 3D Intraoralscanner (Zahnmedizin); Mental Health Assessment, Elektroenzephalogramm, Visuell evozierte Potentiale, Akustisch evozierte Potentiale, Elektromyographie (Neurologie/Psychiatrie). Integraler Bestandteil der Begutachtungsdiagnostik ist ein 3 Tesla MRT. Bei allen ErstbewerberInnen für den fliegerischen Dienst wird ein MRT des Schädels und der Wirbelsäule durchgeführt. Im Dezernat Neurologie/Psychiatrie ist die Klinische Psychologie integriert. Hier werden bei Indikation weitergehende psychologische Untersuchungen ergänzt, Psychotherapien initiiert und durchgeführt. Ein Schwerpunkt ist dabei das Anti Air Sickness Training Program, mit dem sehr erfolgreich Kinetosen bei angehendem Luftfahrtpersonal behandelt werden.

Dieser Aufwand der Begutachtung dient der Auswahl des Luftfahrtpersonals und zur Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit der Luftwaffe. Das oberste Ziel ist, das lizensierte Personal unter dem Aspekt der Flugsicherheit flug- und dienstfähig zu halten. Unter dem Leitgedanken „keep them flying“ gilt es, eine fliegerische Verwendung auch bei auffälligen Befunden zu ermöglichen, wo immer dies vertretbar ist. Gleichzeitig ist im Sinne der Prävention darauf zu achten, dass sich gesundheitliche Einschränkungen durch die Teilnahme am Flugdienst nicht verschlechtern.

BewerberInnen, die nicht alle medizinischen Anforderungen einer Verwendungsfähigkeit erfüllen, können im Rahmen von Sondergenehmigung eine individuelle Freigabe erhalten und somit eine Lizenz erwerben. Um dieses fundiert gewährleisten zu können, sind der hohe Aufwand an Diagnostik und das hochwertig flugmedizinisch wie auch fachspezifisch ausgebildete Personal eine wichtige Grundlage. Es werden pro Jahr etwa 300 Sondergenehmigungen erteilt.

Die Klinische Flugmedizin ist einzigartig in der Bundeswehr. Sowohl das zu begutachtende Personal als auch die Fachrichtung als solche inklusive des medizinischen Personals unterliegen der Lizenzpflicht. Das Personal muss sich in regelmäßigen Intervallen sowohl militärisch wie auch zivil fortbilden und relizensieren. Unser Leitsatz lautet: „Wir sind für die Fliegenden da – Volanti subvenimus“. 


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