TRAUMATOLOGIE DER FRONTOBASIS UND DES MITTELGESICHTS AUS SICHT DER HALS-NASEN-OHREN-HEILKUNDE

Aus der Klinik und Poliklinik für HNO-Heilkunde / Kopf- und Halschirurgie (Leitender Arzt: Oberstarzt Prof. Dr. H. Maier) am Bundeswehrkrankenhaus Ulm (Chefarzt: Generalarzt Prof. Dr. Dr. E. Grunwald)



von Kai J. Lorenz und Heinz Maier

Zusammenfassung



Die Versorgung von Traumen des Mittelgesichts und der Frontobasis gewinnt auch für den operativ tätigen HNO-Arzt zunehmend an Bedeutung.

Sind im zivilen Bereich hauptsächlich Verkehrs- und Sportunfälle die wesentliche Ursache, kommt im militärischen Bereich der Einwirkung von Schusswaffen und sogenannter „Improvised explosive devices“ (IED) eine zunehmende Bedeutung zu.

Anhand einer Literaturrecherche von Kasuistiken und einer Aufarbeitung eigener Erfahrungen stellen wir die modernen Entwicklungen in der Versorgung frontobasaler Traumata dar.

Traumatology of the anterior skull basis and the mid facial region from the point of view of ear nose and throat medicine

Summary

The treatment of trauma to the mid facial region and the anterior skull base is becoming more important for ENT surgeons. Whereas traffic accidents and sports injuries are the main causes of trauma in the civilian setting, guns and improvised explosive devices (IEDs) are playing an increasing role in the military arena.

In this paper, we discuss modern approaches for the treatment of trauma to the anterior skull base on the basis a review of literature, of case reports and our own experience. 

1. Einleitung

Während im 2. Weltkrieg der prozentuale Anteil von Verletzungen im Kopfund Halsbereich an allen Kriegsverletzungen mit 16 % vergleichsweise gering war, stieg er in den kriegerischen Auseinandersetzungen der letzten 30 Jahre auf durchschnittlich 20 % bis 50 % an. Eine im Jahr 2007 veröffentlichte Analyse des Datenmaterials des Traumaregisters des US Navy Marine Corps ergab, dass 39 % aller während der Operation „Iraqi Freedom II“ im Einsatz verwundeten Soldaten Verletzungen im Bereich von Kopf, Hals und Gesicht aufwiesen. Diese Entwicklung ist auf eine verbesserte Schutzausrüstung für Soldaten im Einsatz, vor allem auf splitter- und kugelsichere Westen, zurückzuführen. Hierdurch hat die Häufigkeit von Verletzungen im Brustund Bauchbereich im Rahmen bewaffneter Auseinandersetzungen abgenommen. Ungeschützte Körperregionen, wie zum Beispiel Gliedmaßen und speziell der Kopf- und Halsbereich, sind hingegen durch Explosionen, Geschosse und Splitter in unverändertem Maß gefährdet.

Neben Verletzungen der Gesichtsweichteile und Mittelgesichtsfrakturen kommt es zu Verletzungen der Schädelbasis, vor allem der Frontbasis. Weiterhin muss insbesondere bei Verletzungen durch sogenannte „Improvised explosive devices“ (IED) mit Einsprengungen metallischer und nicht metallischer Fremdkörper gerechnet werden. Eine Versorgung von Frontobasisfrakturen im Einsatz erfordert neben einer fundierten Ausbildung eine ausreichende klinische Erfahrung. Letztere kann in Friedenszeiten nur durch die Versorgung von Patienten mit Schädelhirntraumen im Gefolge von Unfällen, vor allem Verkehrsunfällen, in ausreichendem Maße erworben werden.

2. Ätiologie von Mittelgesichts- und Frontobasisfrakturen

In Friedenszeiten sind Verkehrs- (67 %) und Sportunfälle (22 %) die häufigsten Ursachen für Verletzungen im Bereich des Mittelgesichts und der Frontobasis. Bei isolierten Mittelgesichtsverletzungen müssen auch Rohheitsdelikte in Betracht gezogen werden. Insgesamt sind Männer etwa 6-mal häufiger betroffen, wobei der Altersgipfel bei 20 bis 30 Jahren liegt. Kinder finden sich zu 5 % unter den betroffenen Patienten, wobei unter 3-Jährige nur äußerst selten betroffen sind. Frontobasale Traumen sind hierbei zu 90 % mit Frakturen im Bereich des Mittelgesichts (Jochbeinkomplex) vergesellschaftet [1, 3, 5, 7, 23].

3. Klassifikation der frontobasalen Traumen

Frontobasale Traumen werden in der Regel nach der betroffenen Region klassifiziert. Hierbei umfasst die Region I die Stirnhöhlenhinterwand und den Stirnhöhlenboden, die Region II den Siebbeinbereich mit II a Siebbeindach und II b Riechrinnen und die Region III das Dach, die Seitenwände und die Hinterwand der Keilbeinhöhle. Wesentlich in der Behandlung von Kopftraumen ist der interdisziplinäre Ansatz, der sich am besten in Traumazentren mit einer Kopfklinik realisieren lässt. Der Neurochirurg versorgt dabei schwerpunktmäßig komplexe Traumen des Hirnschädels sowie des Gehirns, während der Mund-Kiefer-Gesichts (MKG)- und der HNO-Chirurg die Versorgung des Mittelgesichts und der angrenzenden Frontobasis übernehmen. Da häufig eine Mitbeteiligung der Orbita vorliegt, muss der Augenarzt fest in das Behandlungskonzept eingebunden sein.

Die Rolle der Hals-Nasen-Ohren- Heilkunde bei der Behandlung polytraumatisierter Patienten ist hierbei vielschichtig. Neben der Versorgung von Verletzungen der Frontobasis und des Mittelgesichts in Zusammenarbeit mit der Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie hat die Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde in der Regel auch eine tragende Rolle hinsichtlich der chirurgischen Sicherung der Atemwege sowie der Blutstillung im Bereich des oberen Atem- und Verdauungstraktes inne.

4. Diagnostik

Neben der Endoskopie der Nasen- und Nasennebenhöhlen spielt die bildgebende Diagnostik für die Klassifikation der Fraktur und die Erfassung zusätzlicher intrakranieller frontobasaler Verletzungen eine maßgebliche Rolle.

Im Vordergrund steht hierbei die Computertomographie (Traumaspirale), die über eine koronare und axiale Rekonstruktion des Mittelgesichts und der angrenzenden Schädelbasis das Ausmaß der knöchernen Verletzungen erkennen lässt. Vorteile der CT-Diagnostik, die in traumatologischen Zentren meist noch in der Notfallaufnahme durchgeführt werden kann, sind die ausgezeichnete Darstellung knöchernen Strukturen und somit die Beurteilung von Frakturen (Abb 1).

Die Kernspintomographie wird insbesondere zum Nachweis von Blutungen, eines Hirnprolaps oder zur Lokalisation einer Rhinoliquorrhö (Abb 2) genutzt. Hier kann durch Verwendung entsprechender MRT-Protokolle (STIR- oder CISS-Protokolle) selbst ein klinisch okkulter Liquorfluss detektiert werden. Ein besonderes Augenmerk ist dem Nachweis gedeckter Frakturen zu widmen, die sich aufgrund der fehlenden Rhinoliquorrhö nicht selten einer Erstdiagnose entziehen. Aufgrund einer traumabedingten Hirnschwellung können Duralecks im Bereich der Frontobasis zunächst gedeckt sein. Nach Konsolidierung des Patienten mit Abnahme der Hirnschwellung kann es zur Spät- Rhinoliquorrhö oder sogar zu Spät-Meningitiden kommen [5, 11, 15, 17, 18, 20, 23].

5. Therapie

5.1 Operationszeitpunkt

Bei frontobasalen und Mittelgesichtsfrakturen wird prinzipiell unterschieden zwischen einer Sofortindikation zur chirurgischen Intervention, einer Frühintervention, die einen Zeitraum innerhalb der ersten 26 Stunden nach Trauma umfasst, sowie einer Spätintervention mit mehr als 4 Tagen zwischen Operation und Trauma. Die Indikationsstellung hängt zum einen von dem Grad der Schädelhirnverletzung und zum anderen von der Gesamtausgangssituation des Patienten ab. Hierbei sind insbesondere die zerebrale Ausgangssituation (Hirndruck, Blutung, Hirnverletzung), die zumutbare Narkosedauer sowie andere versorgungspflichtige Verletzungen im Rahmen eines Polytraumas zu berücksichtigen.

Prinzipiell werden als Sofortindikationen offene Hirnverletzungen mit Hirnprolaps, penetrierende Verletzungen, Pfählungsverletzungen, Schussverletzungen, eingesprengte Fremdkörper und starke intrakranielle Blutungen gesehen. Weiterhin ist eine Frühintervention bei Orbitabeteiligung mit Visusverschlechterung oder drohender Amaurosis zu stellen.

Frühinterventionen bei offenen Duraverletzungen mit Liquorrhö oder Pneumencephalon erfolgen in enger Abstimmung mit der MKG-Chirugie, da vor Verschluss des Duralecks die Mittelgesichtsfrakturen versorgt werden sollten. Spätkomplikationen insbesondere mit mehr als 10 Tagen Intervall zwischen Verletzung und Intervention gehen aufgrund von aufsteigenden Infekten und Vernarbungsreaktionen mit einem erhöhten Komplikationsrisiko einher [5, 7, 17, 18].

5.2 Zugänge für die Versorgung frontobasaler Frakturen

Die Zugänge zur Frontobasis richten sich nach der Lokalisation der Fraktur. So können in der Regel Frakturen im Bereich des Siebbeins transnasal extradural versorgt werden. Keilbeinhöhlenfrakturen werden ebenso transnasal extradural angegangen (Abb 3 a, b). Liegen Frakturen im Bereich der Stirnhöhle vor, ist hier häufig ein extradurales Vorgehen möglich, jedoch muss zur Exposition der Stirnhöhlenhinterwand und des Stirnhöhlenbodens in der Regel ein transfrontaler Zugang gewählt werden (Abb 4).

Liegen Weichteilverletzungen der Stirnhaut bei gleichzeitiger Fraktur im Bereich der Stirnhöhlenhinterwand, des Stirnhöhlenbodens oder des vorderen Siebbeins vor, so kann der Zugang hierüber erfolgen. Bei geschlossenen Verletzungen kann eine Exposition der Stirnhöhle über einen Augenbrauenrandschnitt erreicht werden. Alternativ hierzu, oder wenn eine Reposition des Mittelgesichtspfeilers notwendig ist, empfiehlt sich eine koronare Schnittführung mit Exposition der vorderen Kalotte und der kranialen Anteile des Mittelgesichts.

Frakturen im Bereich des Siebbeinschachtes werden bei intaktem Stirnhöhleninfundibulum rein endonasal operiert. Ist das Stirnhöhleninfundibulum betroffen, sollte über einen offenen Zugang zur Stirnhöhle in Kombination mit einem endonasalen Zugang die Fraktur in beiden Bereichen exponiert werden [11, 16, 20].

Werden zusätzlich Mittelgesichtsfrakturen versorgt, bietet sich eine Kombination aus koronarer Schnittführung sowie Mundvorhofschnitt zur kompletten Exposition sowohl der kranialen als auch kaudalen Anteile des Mittelgesichts an.

Die transnasalen extraduralen und frontalen extraduralen Zugänge zeichnen sich durch ihr hohes Maß an Sicherheit bei äußerst geringer Komplikationsrate, eine minimale Invasivität, den Erhalt des Riechvermögens und die Möglichkeit der Drainage der Nasennebenhöhlen aus.

Ein koronarer Zugang zur Stirnhöhle und zum kranialen Mittelgesicht ist insbesondere bei Frauen kosmetisch vorteilhafter, weil die Narben im Bereich des behaarten Hauptes verschwinden. Auch hier ist eine gute Exposition von Stirnhöhle und Siebbein möglich [1, 8, 10, 12, 15, 17, 18, 21].

5.3 Optische Hilfsmittel

Die Versorgung von frontobasalen Traumata verlangt in der Regel die Verwendung optischer Hilfsmittel, wie Endoskop und Mikroskop. Da jedes Hilfsmittel sowohl Vorteile als auch Nachteile besitzt, empfiehlt sich in der Regel die Kombination der verschiedenen Techniken.

Die Vorteile des Endoskops in der Siebbein- und Keilbeinhöhlenchirurgie liegen im geringen Aufwand, der vertrauten Handhabung und der Möglichkeit variabler Blickwinkel durch die Verwendung entsprechender Optiken. Nachteile sind in den Verzerrungen des optischen Systems, der geringen Tiefenschärfe sowie des nur einhändigen Arbeitens zu sehen. Die Verwendung des Mikroskops ermöglicht ein beidhändiges Arbeiten bei hoher Lichtstärke, erfordert jedoch ein wesentlich aufwendigeres Set up mit entsprechenderWannenlagerung und Verwendung von selbsthaltenden Spekula. Als Nachteile sind weiterhin der geringe Tiefenschärfenbereich und die unidirektionale Sehachse zu sehen.

Die sogenannte „unarmed eye technique“, das heißt, die alleinige Verwendung der Stirnlampe ohne optische Hilfsmittel, ermöglicht eine gute Orientierung bei großer Tiefenschärfe. Nachteilig sind jedoch die fehlende Vergrößerung und die unidirektionale Sehachse [8, 10, 12, 21, 23, 25].

5.4 Duraplastik

Als Materialien zur Deckung von Duradefekten finden in der Regel Schleimhaut von der unteren und mittleren Muschel, lyophilisierte Dura, Fascia lata, bovines Perikard und ähnliche Produkte Anwendung [1, 8, 14, 17]. Es wird zwischen Onlay- und Underlay- Techniken unterschieden. Onlay- Techniken werden insbesondere im Bereich der Stirn- und Keilbeinhöhle eingesetzt. Hier wird das Material zur Duraplastik auf den entepithelisierten Knochen aufgebracht, mittels Fibrinkleber fixiert und entsprechend antamponiert. Underlay-Techniken können bei größeren Defekten im Bereich der Stirnhöhle sowie bei Defekten im Bereich des Siebbeindachs angewendet werden. Der Vorteil dieser Technik besteht darin, dass das Transplantat zwischen Dura und Knochen verankert werden kann, sodass hier eine bessere Abdichtung möglich ist.

5.5 Beteiligung der Nasennebenhöhlen bei Mittelgesichtsfrakturen

Die Operation von Nasennebenhöhlen im Rahmen von Mittelgesichtsfrakturen ohne Beteiligung der Schädelbasis wird inzwischen kontrovers diskutiert. Befürworter der Nasennebenhöhlendrainage sehen den Vorteil in der Prophylaxe von Muko- und Pyozelen und orbitalen Spätkomplikationen (Abb 5). Andere Autorengruppen beobachteten jedoch auch ohne operative Maßnahmen im Bereich der verletzten Nasennebenhöhlen kein erhöhtes Risiko für derartige Spätkomplikationen, sodass die Indikation zu drainierenden operativen Eingriffen bei fehlender Frontobasisbeteiligung eher zurückhaltend gestellt werden sollte [11, 16].

5.6 Antibiotische Abschirmung

Die antibiotische Abschirmung bei Mittelgesichts- und Frontobasisfrakturen wird sowohl in der MKG-Chirurgie als auch in der HNO-Chirurgie standardmäßig durchgeführt. Allerdings muss angemerkt werden, dass keine evidenzbasierten Studien zur Effizienz einer antibiotischen Abschirmung bei entsprechenden Traumen vorliegen, die gängigen Antibiotika nicht ausreichend liquorgängig sind und darüber hinaus eine Selektion resistenter Keime bei subinhibitorischen Konzentrationen im Nasensekret induziert werden kann. So zeigte zum Beispiel eine randomisierte Studie an über 100 Patienten keinen signifikanten Einfluss einer Antibiotikatherapie auf das Infektionsrisiko [9].

5.7 Technische Hilfsmittel

5.7.1 Osteosynthesematerial

Die Verwendung von Osteosynthesematerial richtet sich in der Regel nach der traumatisierten Region, der vorliegenden Knochenstärke sowie der funktionellen Belastung der entsprechenden Region. Prinzipiell kann zwischen resorbierbaren und nicht resorbierbaren Materialien unterschieden werden. Resorbierbare Materialien bieten den Vorteil, dass das Material nicht in einer zweiten Operation nach Stabilisierung der Fraktur entfernt werden muss. Jedoch sind sie auch mit einer Reihe von Nachteilen behaftet. Hier sind vor allem eine geringere Stabilität, eine höhere Materialstärke und die Induktion von Fremdkörperreaktionen im Rahmen der Resorption zu nennen. Insbesondere bei nur gering weichteilgedecktem Knochen kann es zu abakteriellen Entzündungsreaktionen mit deutlichem Krankheitswert kommen. Vorteilhaft sind Osteosynthesesysteme (nicht resorbierbar), die bei verschiedenen Plattenstärken eine einzige Schraubenstärke verwenden. Eine individuelle Anpassung der Platten an die entsprechende Frakturregion bei einem jedoch überschaubaren Materialaufwand wird somit möglich. Diese Systeme lassen sich sowohl von der MKG-Chirurgie als auch von der HNO-Chirurgie anwenden und minimieren insbesondere unter Einsatzbedingungen den erforderlichen Materialaufwand [4, 6].

5.7.2 Intraoperative Navigation

Der Einsatz der intraoperativen Navigation gewinnt bei der Versorgung frontobasaler Traumen und der Versorgung von Mittelgesichtsfrakturen zunehmend an Bedeutung. Vorteile sind hier insbesondere die einfache Möglichkeit der Defektdetektion, die Rekonstruktion der Kontur (Spiegelung der gesunden Seite), die Möglichkeit einer Kombination von CT- und MRT-Diagnostik sowie die Fremdkörpersuche. Die fortschreitende Entwicklung in diesem Bereich hat zu einer zunehmenden Miniaturisierung der Systeme, einer deutlich einfacheren Handhabung und einem geringeren Zeitaufwand geführt (Abb 6 und 7). Die aktuellen Entwicklungen ermöglichen inzwischen auch die Integration eines C-Bogens im Rahmen einer digitalen Volumentomographie, sodass das Therapieergebnis sowohl intraoperativ als auch unmittelbar postoperativ überprüft werden kann [2].

Zur Rekonstruktion ausgedehnter knöcherner Defekte im Bereich des Mittelgesichts und des vorderen Hirnschädels hat sich inzwischen der Einsatz von individuellem Knochenersatz bewährt. Hier stehen verschiedene Materialien wie Glasionomerzement- oder auch Titanimplantate zur Verfügung, die in CAD / CAM–Technologie auf der Basis der CT-Datensätze individuell für den Patienten gefertigt werden können [13] (Abb 8).

5.8 Nachbehandlung

Bei ausgeprägtem Liquorfluss empfiehlt sich zur Entlastung im Bereich der Defektdeckung die Anlage einer Liquordrainage für einige Tage. Weiterhin wird zum Ausschluss einer Blutung in der Regel ein Kontroll-CT nach 24 Stunden durchgeführt. 6 Wochen nach der Operation sollte zum Ausschluss eines Spät-Abszesses nochmals ein Kontroll-CT veranlasst werden.

6. Klinische Fallbeispiele

Anhand von zwei Fallbeispielen soll nachfolgend der Stellenwert der interdisziplinären Kooperation bei der Versorgung von komplexen frontobasalen Traumen verdeutlicht werden.

Fall 1: Ein 21-jähriger Patient wurde im Rahmen von Metallarbeiten in die Backen einer Drehmaschine gezogen. Hierbei kam es zu ausgeprägten Verletzungen im Bereich von Gesichtsweichteilen, Augen, Schädelbasis, Mittelgesicht und Unterkiefer. Als Nebenbefund wies der Patient einen rechtsseitigen Pneumothorax und Frakturen im Bereich von Radius, Ulna sowie Humerus rechts auf. Die Versorgung von Mittelgesicht, Schädelbasis und Unterkiefer erfolgte interdisziplinär durch die Abteilungen Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde. Infolge des Schädelhirntraumas resultierte ein intrakranieller Druckanstieg. Durch die Abteilung Neurochirurgie wurde eine Druckentlastung durchgeführt und eine Hirndrucksonde gelegt. Im Rahmen eines 14-stündigen Eingriffes erfolgten die Rekonstruktion des knöchernen Mittelgesichts unter Verwendung eines Titan- Mashs und die minutiöse Rekonstruktion der Weichteilverletzung. Aufgrund der Einsprengung von Bohröl sowie als Folge des ausgeprägten Gewebetraumas kam es zu Spätnekrosen im Bereich von Wange und Oberlippe, die eine Nekrosektomie und spätere plastische Rekonstruktion notwendig machten. Die Traumatisierung des rechten Bulbus erforderte weiterhin mehrfache ophthalmologische Interventionen mit Hornhauttransplantation und Linsenersatz (Abb 9 und 10).

Fall 2: Es handelt sich um einen 21-jährigen Patienten, der sich in suizidaler Absicht mit einem aufgesetzten Gewehr durch Mundboden, Zunge, Hartgaumen, Siebbeinzellsystem und Frontalhirn geschossen hatte. Der Patient wurde nach primärer Stabilisierung durch den Notarzt intubiert und beatmet in die Klinik eingeliefert. Die Versorgung des Traumas erfolgte im Bereich von Mundboden und Zunge durch die Mund-Kiefer- Gesichtschirurgie und im Bereich des Siebbeinzellsystems, der Frontobasis sowie des Frontalhirns in einem gemeinsamen Eingriff durch die Neurochirurgie und Hals-Nasen-Ohren- Chirurgie. Über einen kombinierten endonasalen und transfrontalen Zugang wurde ein etwa 2 x 4 cm großer Knochen- und Duradefekt der Frontobasis exponiert. Nachdem das zerstörte Frontalhirngewebe vorsichtig abgetragen war, erfolgten eine Duraplastik unter Verwendung von Lyodura und die Rekonstruktion der Frontobasis mithilfe eines von der Tabula externa entnommenen Knochenspans. Ein persistierender kleiner Restdefekt wurde im Intervall (nach 6 Wochen) über einen endonasalen Zugangs gedeckt (Abb 11).

7. Schlussfolgerungen

Die HNO-Heilkunde/ Kopf-Halschirurgie nimmt heute durch den Einsatz schonender minimal invasiver OP-Techniken eine zentrale Rolle bei der Versorgung von Frontobasisverletzungen ein. Dies geschieht in enger Kooperation mit MKG-Chirurgen, Neurochirurgen und Augenärzten. Ideale Voraussetzung für eine optimale Versorgung von polytraumatisierten Patienten mit Schädelhirntraumen sind in interdisziplinär ausgerichteten Kopfkliniken gegeben, die in ein Traumazentrum eingebettet sind. Derartige Einrichtungen verfügen darüber hinaus in der Regel über eine hohe unfallchirurgische und notfallmedizinische Kompetenz und haben Zugriff auf eine leistungsfähige radiologische Diagnostik einschließlich der Möglichkeiten der interventionellen Neuroradiologie.

Der interdisziplinäre Ansatz bei der Versorgung von Schädelhirntraumen erlaubt nicht nur eine optimale Versorgung von schwer verletzten Patienten, sondern ermöglicht auch einen fächerübergreifendenWissenstransfer, wie er für die einsatzorientierte Ausbildung von Sanitätsoffizieren von überragender Bedeutung ist.

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Datum: 01.03.2011

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2011/1

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