11.10.2011 •

„TRAUMATISCHE EREIGNISSE, PTBS UND ANDERE PSYCHISCHE STÖRUNGEN BEI SOLDATEN

Anlässlich einer Pressekonferenz am 6. April 2011 im Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin haben Herr Professor Dr. Hans-Ulrich Wittchen und Frau Dr. Sabine Schönfeld vom Institut für Klinische Psychologie und dem „Center of Clinical Epidemiology and Longitudinal Studies (CELOS)“ der Technischen Universität Dresden die ersten Ergebnisse eines Forschungsprogramms zu den psychischen Folgen von Auslandseinsätzen der deutschen Bundeswehr vorgestellt.

Die Hauptergebnisse:

Auf der Grundlage von 2.370 persönlichen klinischen Untersuchungen von Soldatinnen und Soldaten mit und ohne Auslandseinsätzen kommen die Autoren im Rahmen dieses noch laufenden Forschungsvorhabens zu folgenden Ergebnissen:

  • 2 % der 2009 im Rahmen der ISAF Mission in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten weisen eine klinisch bedeutsame posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) auf.
  • In absoluten Zahlen sind dies - bezogen auf die untersuchten Kontingente (20. und 21. Kontingent) mit rund 10.000 Soldatinnen und Soldaten, die 2009 im Mittel 4 bis 5 Monate im ISAF-Einsatz waren - ca. 200 (95 % Vertrauensintervall: 137 - 281) Soldatinnen und Soldaten, die von einer PTBS betroffen sind.
  • Dies entspricht im Vergleich zum PTBS-Risiko von Soldaten ohne Auslandseinsatz (0,3 %) einem 6- bis 10-fach erhöhten PTBS Risiko.
  • Jede/jeder zweite durch PTBS Betroffene hat nach eigenen Angaben im Zusammenhang mit seinem Leiden eine professionelle Hilfe aufgesucht. Dabei erlaubt der Stand der Auswertung noch keine Aussagen darüber, ob es auch tatsächlich zu einer Behandlung gekommen ist bzw. aus welchen Gründen keine Hilfe gesucht wurde.
  • Dass nur ein Teil der Soldatinnen und Soldaten mit einer PTBS eine professionelle Hilfe aufgesucht haben, lässt den Rückschluss auf eine nennenswerte Dunkelziffer zu.
  • Diese Dunkelziffer kann unter Annahme vergleichbarer militärischer Einsatzkonstellationen – bezogen auf den Afghanistaneinsatz im Jahre 2009 (ca. 15.000 Soldatinnen und Soldaten) – auf etwa 150 von insgesamt 300 einsatzbezogenen PTBS-Erkrankten geschätzt werden.
  • Über die PTBS hinaus kann ein weiterer Zusammenhang zwischen Auslandseinsatz und psychischen Symptomen derzeit nur hinsichtlich bestimmter Angststörungen und Erschöpfungssyndrome nachgewiesen werden. Beide Störungen sind gegenüber den Raten bei Soldatinnen und Soldaten ohne Auslandseinsatz leicht erhöht.
  • Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Anzahl von PTBS-Erkrankungen nicht das Ausmaß erreicht, wie es gelegentlich in der Öffentlichkeit unter Annahme einer erheblich höheren Dunkelziffer vermutet wurde.
  • Auch ist darauf hinzuweisen, dass bei Anlegen gleicher methodischer Standards, die Raten der deutschen Soldatinnen und Soldaten deutlich niedriger sind, als beispielsweise bei britischen und amerikanischen Soldatinnen und Soldaten, die im Irak oder in Afghanistan im Einsatz waren. • Die relativ niedrige Rate an PTBS bei deutschen Soldatinnen und Soldaten darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Einsätze nahezu ausnahmslos mit einem hohen Ausmaß von Belastungen verbunden sind. Belastende einsatzbezogene Ereignisse (Kampf-, Verletzungs- und Todeskonfrontation) kommen in der Einsatzzeit bei vielen Soldatinnen und Soldaten wiederholt vor. Im Mittel wird über 20 solcher Ereignisse berichtet.
  • 50 % der untersuchten Soldatinnen und Soldaten erlebten im Auslandseinsatz mindestens ein traumatisches Ereignis. 14 % erlebten multiple (drei oder mehr) solcher Ereignisse. Kampftruppen in Kunduz sind nahezu doppelt so häufig betroffen wie andere Truppenteile oder an anderen Standorten eingesetzte Soldatinnen und Soldaten.
  • Noch nicht ausgewertet sind die Daten zur Frage, inwieweit derartige Erlebnisse zu anderen, nicht krankheitswertigen Folgen führten, die aber dennoch die Reintegration und Lebensqualität nach der Rückkehr nach Deutschland - zumindest vorübergehend - beeinträchtigen können.

Die Studienleiter, Frau Dr. Schönfeld und Herr Professor Wittchen, vermuten aufgrund erster Analysen, dass die vergleichsweise niedrigeren Raten an einsatzbezogener PTBS im Vergleich zu den USA mit effektiveren gesundheitlichen Auswahlverfahren bzw. Einsatzmodalitäten der Bundeswehr für Auslandseinsätze zusammenhängt. Hierzu gehören möglicherweise die intensivere Einsatzvorbereitung, die kürzere durchschnittliche Einsatzdauer (4 - 5 Monate statt 1 - 2 Jahre) sowie eine insgesamt im Vergleich zu US- und UK Soldaten niedrigere unmittelbare Exposition an Kampfsituationen.

Sie weisen auch darauf hin, dass angesichts der Fokussierung auf das Krankheitsbild PTBS Angst-, depressive- und somatoforme Störungen sowie Erschöpfungssyndrome nicht vernachlässigt werden dürfen. Diese unabhängig von Auslandseinsätzen vorbestehenden und bislang zumeist nicht erkannten und nicht behandelten Gesundheitsstörungen können gleichfalls durch einsatzbezogene Belastungen an Schwere zunehmen und sollten ebenfalls besondere Beachtung finden.

Wie wurde die Studie durchgeführt?

Grundlage der Studie war eine nach relevanten Merkmalen (Einsatzort, Truppenteil, Dienstgrad etc.) geschichtete Zufallsauswahl von 10.485 ISAF Soldatinnen und Soldaten des 20. und 21. ISAF-Kontingents (Afghanistan) des Jahres 2009.

Die ausgewählten Soldatinnen und Soldaten wurden unter strikter Beachtung des Datenschutzes in einem komplexen Verfahren vor dem Untersuchungstermin persönlich angeschrieben, um ihre Mitarbeit gebeten und dann an ihren Standorten von klinisch geschulten Untersuchungsteams der TU Dresden unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht untersucht. Die Teilnahme war freiwillig.

Von den Zielprobanden nahmen mit 94% nahezu alle Angesprochenen teil. Insgesamt konnte mit 1.488 Soldatinnen und Soldaten mit Auslandseinsatz ein zweistündiges persönliches Untersuchungsgespräch geführt werden. Zusätzlich wurden 882 vergleichbare Soldatinnen und Soldaten ohne Auslandseinsatz an den gleichen Standorten untersucht, die als Kontrollgruppe dienten.

Zur Untersuchung wurde eine im Hinblick auf militärische Besonderheiten weiterentwickelte Version des Composite International Diagnostic Interview (CIDI) verwendet, das eine klinisch differenzierte und zuverlässige Diagnostik psychischer Störungen einschließlich der PTBS ermöglicht. Darüber hinaus erlaubt dieses standardisierte Vorgehen direkte Vergleiche mit ähnlichen Untersuchungen anderer Länder.

Das Forschungsvorhaben ist die weltweit größte und hinsichtlich der Methoden klinisch differenzierteste Studie dieser Art. Sie beruht auf einer sehr aufwändigen Studienstrategie und wurde an 19 Bundeswehr- Standorten im ganzen Bundesgebiet durchgeführt. Das Forschungsprojekt wurde durch das Bundesministerium der Verteidigung finanziert.

Warum nur erste Ergebnisse?

Die vorgestellten Ergebnisse beruhen auf der Auswertung der ersten von insgesamt fünf Fragestellungsgruppen dieses Forschungsvorhabens. Bislang können daher zunächst nur Fragen nach der Häufigkeit einer einsatzbezogenen PTBS sowie der „Dunkelziffer“ beantwortet werden.

Neben der nun angelaufenen umfassenden Datenauswertung ist das Untersuchungsteam mit der Durchführung der längsschnittlichen Studienkomponente befasst. Dabei werden 600 Soldaten vor und nach dem Auslandseinsatz in ähnlicher Weise untersucht, um vor allem Prädiktoren und die Dynamik einsatzbezogener Erkrankungsprozesse genauer analysieren zu können. Dieser Studienteil wird entscheidend sein für die Ableitung von Empfehlungen, wie zukünftig die Prävention und Behandlung von Soldatinnen und Soldaten vor, während und nach einem Auslandseinsatz verbessert werden kann.

Datum: 11.10.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/2

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