WENN DER EINSATZ NICHT VORBEIGEHT

Vom Umgang mit posttraumatischen Belastungstörungen und anderen psychischen Einsatzfolgen

Menschen verlassen das Land und kehren zurück mit Erfahrungen, die auf extreme Weise anders sind als die ihrer zurückgebliebenen Mitmenschen" Jonathan Shay

Seelische Verletzungen

Ein psychisches Trauma wird als ein tiefgreifendes Erlebnis definiert, das den Rahmen üblicher, bisher gemachter Erfahrungen sprengt und die biologischen und psychischen Bewältigungsmechanismen des menschlichen Gehirns überfordert. Traumatische Ereignisse beinhalten Bedrohungen des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, versetzen die Betroffenen in extreme Hilflosigkeit und Angst und gehen mit dem Gefühl extremer Ohnmacht einher. Häufig entwickeln die Opfer von Traumatisierungen schwere psychische Störungen, von denen die „Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)“ nur eine der möglichen Folgeerkrankungen ist.

Nach dem Erleben eines Traumas ist es außerordentlich wichtig, die Betroffenen klar und detailliert über ihre möglicherweise auftretenden psychischen Reaktionen zu informieren. Durch die Erklärung der Symptomatik und Aufklärung darüber, was getan oder vermieden werden sollte, werden Traumatisierte in die Lage versetzt, das schreckliche Erlebnis besser zu verarbeiten. Es ist dabei genauso wichtig auch Familienangehörige und Freunde über das Störungsbild aufzuklären. Durch das Wissen über die Folgen der Erkrankung, um möglicherweise auftretende Spannungen und Konflikte in den persönlichen Beziehungen, sind Angehörige besser in der Lage, Traumatisierte zu verstehen und angemessen auf ihr Verhalten zu reagieren.

Die Auslandseinsätze der Bundeswehr

Wie die gesellschaftliche Diskussion über die Bundeswehreinsätze zeigt, sind „harmlose“ Friedenmissionen nicht mehr eindeutig von bewaffneten Auseinandersetzungen trennbar. Die Strategie der asymmetrischen Kriegsführung mit zunehmenden terroristischen Aktionen, wie Selbstmordattentaten, Angriffe gegen einheimische Zivilisten und Soldaten, ausländische Truppen und internationale Hilfsorganisationen erschweren die Orientierung für die Soldaten im Einsatz. Das Erleben kurzfristiger oder länger dauernder Extremsituationen mit eigener Bedrohung kann die Fähigkeit der Soldaten zur Verarbeitung der Belastungen und zur Wiederanpassung an die Gegebenheiten im Heimatland überfordern. Intensive, überwältigende und desorganisierende Erfahrungen zerstören bisweilen Orientierung und haltgebende Selbstund Weltbilder. In der Folge kann es zur Entwicklung psychische Störungen oder Anpassungsproblemen kommen, die direkt nach den Einsätzen oder nicht selten auch verzögert auftreten. Mitunter werden sie erst dann auffällig, wenn der Einsatz bzw. das traumatisierende Ereignis längst vorbei ist oder der Betroffene eventuell schon lange kein Soldat mehr ist.
Natürlich werden auch die Bundeswehrsoldaten mit den Auswirkungen von Krieg und Gewalt, Terroranschlägen, mit Leichen und Verstümmlungen, Chaos und Zerstörung, unklaren Konfliktlagen eventuell Gefangenschaft, mit fremden Kulturen, langdauernder Trennung von Zuhause, dienstlicher Überforderung aber auch manchmal mit Langeweile und Unterforderung konfrontiert. Die Fragen nach dem Sinn des Einsatzes und das Gefühl totaler Hilflosigkeit gegenüber Not und Elend im Einsatzland können zusätzlich belasten. Der gesellschaftliche Auftrag des humanitären Einsatzes und die persönliche Motivation helfen zu wollen, stehen bisweilen im deutlichen Gegensatz zur Einstellung und Haltung der Bevölkerung in den Hilfsgebieten. Die Soldaten werden nicht nur als Helfer sondern von Teilen auch als Besatzer gesehen und können zwischen die Fronten rivalisierender Gruppen geraten. Sie setzen dabei ihr eigenes Leben oder ihre Gesundheit aufs Spiel ohne positive Auswirkungen des Einsatzes erleben zu können.

Prävention und Psychosoziale Unterstützung

Mit Beginn der Auslandseinsätze wurde im Sanitätsdienst und im Psychologischen Dienst der Bundeswehr an Konzepten gearbeitet, wie man bereits in der Einsatzvorbereitung präventiv wirken kann, wie man die Einsätze sinnvoll begleiten kann und wie die Nachbetreuung nach den Einsätzen aussehen muss. Ein wichtiger Faktor hinsichtlich Prävention ist die Personalauslese, wobei nicht nur körperliche Fitness, intellektuelle Leistungsfähigkeit sondern auch psychische Belastbarkeit und soziale Kompetenz beurteilt werden müssen. Im Bereich der Ausbildung ist nicht nur eine realitätsnahe Truppenausbildung von Bedeutung, sondern auch der Hinweis darauf, wie der Einzelne auf äußere Stressoren reagiert, wie er Stresssymptome an sich erkennt und notwendige Entspannungsmöglichkeiten nutzen kann.
In der Einsatzdurchführung können bei besonders belastenden Ereignissen geeignete Maßnahmen der Krisenintervention wie z. B. Einzelgespräche, Gruppengespräche oder modifiziertes Critical Incident Stress Debriefing (CISD) nach Mitchell und Everly eingeleitet werden. Dieses soll zur Normalisierung und Entaktualisierung und damit Abmilderung der akuten Belastungsreaktionen und schnellen Rückkehr zum seelischen Gleichgewicht dienen. Die Durchführung akuter Maßnahmen ist Aufgabe des Fachpersonals vor Ort (Truppenpsychologen, Psychiatern, Militärseelsorge) die dabei von Peers (d.h. in Techniken der Krisenintervention ausgebildeten Soldaten) unterstützt werden. Nicht zu unterschätzen ist die Bedeutung der Familienbetreuung im Heimatland, da auch die Angehörigen Zuhause eine große Last tragen. Durch die Allgegenwart der modernen Kommunikationsmedien werden Nachrichten über Zwischenfälle und Gefährdungen bis in die Familien getragen. Angst und Sorge treten auf und belasten die Familien. Nicht zuletzt sind es die Kinder, die reagieren, wenn der Vater oder die Mutter über lange Zeit nicht anwesend sind. Durch Telefonate wird diese Sorge wieder in den Einsatz zurückgebracht und führt dort bei den betreffenden Soldaten zu Beunruhigung und dem Gefühl die Familie im Stich zu lassen.
In der letzen Phase, nach der Rückkehr aus dem Einsatz, steht im Mittelpunkt das Wiedereingewöhnen in das private und dienstliche Umfeld sowie das Erkennen und Behandeln möglicher Folgeschäden, nicht nur im körperlichen, sondern auch im seelischen Bereich. Dazu werden von den Truppenärzten Rückkehreruntersuchungen durchgeführt, bei denen den Soldaten auch ein spezifischer Fragebogen, der sich mit möglichen Einsatz-belastungen auseinandersetzt (PTSS 10) vorgelegt. Ein Kurzurlaub nach Einsatzende soll die Wiedereingliederung in die Familie erleichtern, ehe die Soldaten an „Einsatznachbereitungsseminaren“ einige Wochen nach Rückkehr teilnehmen. Wenn Truppenteile besonderen Belastungen ausgesetzt waren können für diese spezifische Kriseninterventionsmaßnahmen nach der Rückkehr durchgeführt werden.

Klinische Versorgung und Psychotrauma-Therapie im Rahmen der Bundeswehr

Die meisten Soldaten bevorzugen eine Versorgung in Bundeswehreinrichtungen, da hier spezifische Kenntnisse über die militärischen Alltagsanforderungen, die Einsatzorte und – szenarien sowie über die Belastungen und Traumatisierungen vorhanden sind. Momentan verfügt die Bundeswehr leider nur noch über 4 Bundeswehrkrankenhäuser in denen stationäre Traumatherapie angeboten werden kann (Berlin, Hamburg, Koblenz, Ulm). Eine engmaschige regionalisierte Versorgung, in der gleichzeitig auch ein profundes Erfahrungswissen des militärischen Umfeldes vorhanden ist, steht momentan nicht zur Verfügung. Wegen mangelnder Erfahrung mit kriegstraumatisierten Soldaten im zivilen Bereich gibt es kaum Möglichkeiten traumatisierte Soldaten ortsnah in eine ambulante psychotherapeutische Versorgung zu übergeben. Wir müssen häufig betroffene Soldaten auch dann stationär behandeln, wenn eine ambulante Versorgung nach den üblichen Kriterienkatalogen im Prinzip möglich wäre. Eine stationäre traumatherapeutische Arbeit im Verbund verschiedener Berufsgruppen (Ärzten, Psychologen, Sozialarbeitern, Ergound Physiotherapeuten, Fach- und Bezugskrankenpflege) wie sie in einem Krankenhaus durchführbar ist, biete darüberhinaus eine sehr effektive Behandlungsmöglichkeit. Die Trauma-Therapieverfahren, die in den Bundeswehrkrankenhäusern angewandt werden, entsprechen den üblichen internationalen Behandlungsstandards in der Psychotraumatologie.

Danach verläuft die Therapie in 3 Phasen:

• Beziehungsaufbau und Stabilisierung,
• Traumabearbeitung,
• Integration und Neuorientierung.

Die Meidung der Trauma-Erfahrung soll aufgehoben und durch Bewältigungserfahrung ersetzt werden.Die Tatsache, dass die Therapie im militärischen Umfeld stattfindet hat vielfältige Implikationen:

1. Die dislozierte Herkunft der Patienten aus dem gesamten Bundesgebiet schränkt den Kontakt zum persönlichen Umfeld der Patienten ein.
2. Die Dauer des Aufenthaltes ist oft länger, da die Dienst- und Verwendungsfähigkeit wieder hergestellt werden soll.
3. Die Versorgung findet in einem „betriebsärztlichen System“ mit entsprechenden Vor- und Nachteilen in der Beziehungsgestaltung, Trennung therapeutischer und regulativer Funktionen, Einflussnahme und Steuerung im beruflichen Umfeld der Patienten statt.
4. Die große Inhomogenität und Vielfalt der Patienten und Diagnosen auf der Station bedingen eine hohe Flexibilität und Fähigkeit zur Konfliktregelung.

Je nach Schweregrad des Traumas beträgt die durchschnittliche Therapiedauer 6 – 8 Wochen. In vielen Fällen ist eine Intervalltherapie mit angemessenen Zwischen-entlassungen und Wiederaufnahmen erforderlich. Psychische Traumatisierungen sind mit dem Gefühl von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe verbunden. Besonders Angehörige von Hochrisikoberufen (wie unsere Soldaten) haben ein Selbstbild, das sich an Funktionalität und Belastbarkeit orientiert. Sie empfinden den Verlust der Kontrolle über sich selbst und ihre Lebenssituation als besonders beunruhigend und belastend. Sie fürchten, Vorgesetzte und Kameraden könnten ihren labilen Zustand bemerken und die Achtung vor ihnen verlieren. Deshalb wird viel Energie darauf verwendet, die Fassade der „Normalität“ auf-recht zu erhalten. In einem Teufelskreis fehlgeschlagener Bewältigungsversuche geraten viele Betroffene immer tiefer in einen Symptomstrudel, aus dem sie sich allein nicht mehr zu befreien vermögen. Viele von ihnen begeben sich überhaupt nicht in Behandlung, da sie die Stigmatisierung im Kameradenkreis und Karrierenachteile befürchten. Es muss noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden, um den seelisch Verletzten die gleichen Chancen und Möglichkeiten einzuräumen wie das auch bei körperlich Verwundeten der Fall ist. Diese haben häufig das Mitgefühl und die volle Unterstützung der Kameraden. Bei Soldaten mit „unsichtbaren Wunden“ stoßen diese häufig auf Missverständnis, Kritik und Ablehnung. Die Traumabearbeitung erfolgt im Bundeswehrkrankenhaus Hamburg ausschließlich in Einzeltherapie. Dabei kommen spezielle für die Traumatherapie entwickelte Methoden zur Anwendung: Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR), Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie sowie imaginative Ressourcen-installation, unterstützt durch stabilisierende Elemente wie Sport, Physio- und Ergotherapie, Soziotherapie etc. In der Verarbeitungsphase kommt es darauf an eine Konfrontation und Durcharbeitung mit den belastenden Aspekten der traumatischen Erfahrung zu ermöglichen, die Vermeidung zu überwinden und das Erlebte in eine adaptive und rationale Perspektive zu rücken. In der letzten Phase der Therapie wird das Ziel angestrebt die Bedeutung des Traumas für das Selbst- und Weltbild zu überdenken, daraus neue Zukunftsperspektiven zu entwickeln, wobei es auch zu neuen Berufs- und Lebens-perspektiven kommen kann, wenn z. B. eine Weiterverwendung als Soldat aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr möglich ist. Besonders in solchen Fällen kann die Traumatherapie auf schwer zu überwindende Widerstände stoßen. Soldaten vertrauen darauf, dass sie von ihrem Dienstherrn unterstützt werden, wenn sie bei der Ausübung des Dienstes Schaden nehmen. Wird diese Erwartung enttäuscht, z. B. weil durch eine einsatzbedingte Posttraumatische Belastungsstörung mit entsprechender Verschlechterung des Funktionsniveaus eine erhoffte Übernahme als Berufssoldat nicht erfolgt, kann dies zu einer tiefen Verbitterung führen, die eine Chronifizierung der Posttraumatischen Belastungsstörung bewirken kann. Der Betroffene empfindet seinen Einsatz und damit seine Person besonders gegenüber Kameraden, die nicht im Einsatz waren, entwertet. Er reagiert mit Depression, Wut, und Hass und psychosomatischen Störungen. Zu der gesundheitlichen Belastung der traumatisierenden Situation kann sich das bittere Gefühl addieren, betrogen worden zu sein. In der Integrationsphase muss der Patient unterstützt werden, die Trauer zu opfern, Verluste zu akzeptieren ohne zu resignieren, Vergebung und Selbstverzeihung zuzulassen um so „traumatischem Wachstum“ Raum zu geben.

Weiterentwicklung der psychotraumatologischen Versorgung

Über 15 Jahre nimmt die Bundeswehr mittlerweile an Auslandseinsätzen teil. Von Anbeginn wurden Konzepte zur Prävention psychischer Erkrankungen, die durch Stress- und Traumatisierung entstehen können, entwickelt. Der klinische Fachbereich „Psychotraumatologie“ war Anfang der 90er Jahre in Deutschland deutlich weniger entwickelt als im angloamerikanischen Sprachraum, in Skandinavien oder den Niederlanden. In der Wehrpsychiatrie engagierte Ärzte und Psychologen der Bundeswehr haben den internationalen fachlichen Austausch im zivilen und militärischen Bereich gesucht und erfolgreich die Erkenntnisse anderer Nationen für die Bundeswehr umgesetzt. Nun müssten die eigenen Erfahrungen innerhalb der Bundeswehr ausgewertet, die Effizienz der Konzepte und Maßnahmen überprüft und eine Modifikation an die heutigen Einsatzbedingungen vorgenommen werden. Dabei sind aus fachlicher Sicht viele Fragen offen. Einige Wichtige seien dabei nur beispielhaft genannt:

• Kommen die Präventionsprogramme bei den Soldaten an der Basis an?
• Werden die vorgeschlagenen psycho-edukativen Maßnahmen durchgeführt, verstanden und als hilfreich empfunden?
• Wird das umfangreiche Informationsmaterial überhaupt gelesen?
• Welche akuten Kriseninterventionsmaßnahmen (early interventions) sind im Einsatz nach einem „critical incident“ erforderlich?
• Funktioniert unser Konzept der „forward psychiatry“?
• Wie groß ist die Prävalenz behandlungsrelevanter psychischer Störungen nach Auslandseinsätzen
• Können wir durch ein niedrigschwelliges Versorgungsangebot die Hemmschwelle abbauen und die Compliance verbessern?

Die steigende Anzahl von Soldaten mit einsatzbedingten psychischen Störungen – nicht nur PTBS – zeigt, dass der wehrpsychiatrischen Versorgung in Lehre, Forschung und klinischer Versorgung in Zukunft ein breiterer Rahmen eingeräumt werden muss. Dies soll dem Willen des Parlamentes nach in einem „Forschungsinstitut“ erfolgen, dass sich aus fachpsychiatrischer Sicht unabhängig von anderen medizinischen Fachgebieten mit der Psychotraumatologie in Forschung und Lehre in den Bereichen

• Ausbildung und Prävention,
• Akutmaßnahmen und Krisenintervention,
• Ambulante und Stationäre Behandlung,
• Begutachtung, WDB-Verfahren, Versorgungsfragen,

beschäftigen müsste.

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1 '
 Jonathan Shay ist amerikanischer Psychotherapeut, der seit vielen Jahren in der Betreuung von Kriegsveteranen tätig ist. In Deutschland ist er durch sein Buch „Achill in Vietnam: Kampftrauma und Persönlichkeitsverlust“ bekannt geworden, in dem er Parallelen zwischen dem Vietnamkrieg (1960/65 – 30.04.1975) und dem Trojanischen Krieg (wahrscheinlich 12. oder 13. Jahrhundert v. Chr.) aufzeigt, die belegen, dass Kriege in jedem Zeitalter permanente seelische Zerstörungen bei Individuen und Gesellschaften verursachen.

Datum: 18.01.2009

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/1

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