01.01.2009 •

PRÄKLINISCHE VERSORGUNG BEIM MASSENANFALL VON VERLETZTEN IM RAHMEN EINES BUSBRANDES

Der Massenanfall von Verletzten (MANV) stellt höchste Anforderungen an medizinisches und organisatorisches Management. Gerade beim Massenanfall von Brandverletzungen kann es innerhalb kürzester Zeit zu einer Überlastung der regionalen medizinischen Resourcen des Versorgungssystems, wie z.B. im Rahmen des Flugunfalles Ramstein, kommen. Auch die spezielle Pathophysiologie des Verbrennungsunfalles und insbesondere die Konsequenzen eines begleitenden Inhalationstraumas sind von erheblicher prognostischer Bedeutung für den Patienten. Vor diesem Hintergrund ist bereits präklinisch ein standardisiertes Management dieser Patienten sowie in der MANV-Situation eine den lokalen Gegebenheiten angepasste Versorgung zu fordern. Im Folgenden wird die präklinische Erfahrung eines Einsatzes mit einer relativ begrenzten Anzahl von Brandverletzten dargestellt.

Fallbericht Busunglück vom 04.11.2008
Ausgangslage

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An einem Werktag kommt es abends gegen 20:34 Uhr auf der Bundesautobahn 2 (BAB 2) in Fahrtrichtung Osten zwischen der Raststelle Garbsen-Süd und Herrenhausen ohne Einwirkung von außen zu einem Busbrand. Der Busfahrer lenkt das Fahrzeug auf den Standstreifen und beginnt unterstützt von Businsassen mit der Rettung Betroffener. Der technisch moderne Bus ist mit insgesamt 33 Personen einschließlich des Busfahrers besetzt. Es handelt sich um überwiegend ältere Personen, die von einem Tagesausflug zurückkehren. Um 20:34 Uhr geht der erste Notruf beim Lage- und Führungszentrum der Regionsleitstelle Hannover (LFZ) ein.

Schadensort

Der Schadensort befindet sich unmittelbar westlich des Stadtgebietes der Landeshauptstadt Hannover auf einer 3-spurigen BAB mit Standstreifen in Fahrtrichtung Hannover (Abb. 1). Es besteht prinzipiell eine gute Verkehrsanbindung, ca. 1,8 km westlich der nächsten BAB-Ausfahrt.Die Wettersituation zum Unglückszeitpunkt ist niederschlagsfrei und trocken, bei Temperaturen von ca. 9°C bei uneingeschränkten Sichtverhältnissen.

Lagemeldung

Gemäß ersten Erkenntnissen muss von mehreren Schwer- und Leichtverletzten ausgegangen werden u.a. mit Rauchgas-Inhalationstrauma. Des Weiteren muss mit mehreren Verstorbenen gerechnet werden. Eine unbekannte Anzahl an Personen ist möglicherweise noch im Bus eingeschlossen.

Alarmorganisation

Aufgrund der Lagemeldung erfolgt die Schadenskategorisierung „MANV 2“ (> 20 Beteiligte) gemäß der Dienstanordnung der Berufsfeuerwehr (BF) Hannover, die neben der technischen Rettung u.a. die Alarmierung von Leitenden Notärzten (LNA) vorsieht. Um 20:42 Uhr (+8 Minuten) erfolgt die Alarmierung des diensthabenden LNA. Zwei Minuten später wird die gesamte LNA-Gruppe zusätzlich alarmiert. Um 20:57 (+21 Minuten) erfolgt der Transport des LNA zur Einsatzstelle. Dabei wird vom LNA bereits die Verfügbarkeit von Verbrennungsbetten im lokalen Verbrennungszentrum angeklärt. Es stehen unmittelbar drei Intensiv-Verbrennungsbetten zur Verfügung.Vom LFZ erhält der LNA die Information, dass die BAB in Fahrtrichtung Hannover/Berlin komplett gesperrt ist. Technische und medizinische Rettungseinheiten sind vor Ort. Um 21:08 Uhr (+ 34 Minuten) erreicht der LNA die Einsatzstelle. Zu diesem Zeitpunkt sind drei Notärzte (NA) der Regelrettung und mehrere Rettungswagen (RTW) bzw. Krankentransportwagen (KTW) bereits vor Ort. Eine mitalarmierte SEG-Einheit baut ein Versorgungszelt auf. Des Weiteren ist der Großraum- Rettung-Transport-Wagen (GRTW) der BF Hannover bereits eingetroffen.

Lage vor Ort

Die Einsatzstelle erstreckt sich über ca. 300m BAB und wird vom LNA abgelaufen. Im Osten der Einsatzstelle befindet sich der ausgebrannte Bus mit offensichtlich mehreren schwerstverbrannten Toten auf den hinteren Plätzen. Etwa 200m östlich des Busses finden sich mehrere Überlebende nahe des GRTW in rettungsdienstlicher Betreuung am Seitenstreifen der BAB. Des Weiteren stehen hier mehrere RTW/KTW, in denen Patienten behandelt werden. Es erfolgt die Kontaktaufnahme mit dem Leiter SEG, dem Einsatzleiter Feuerwehr, dem Organisatorischen Leiter Rettungsdienst (OrgL) und dem örtlichen Transportkoordinator. Eine SEG baut ein Behandlungszelt unmittelbar neben dem GRTW auf den beiden linken Fahrstreifen auf. Der LNA übernimmt die Einsatzstelle. Durch den LNA wird zusammen mit dem OrgL um 21:10 Uhr (+ 36 Minuten) ein Transportstopp angeordnet und zeitgleich die Patienten- Sichtung organisiert.

Sichtung/Medizinische Versorgung/ Transport-Koordination

Um 21:10 Uhr wurde mit der Sichtung begonnen. Es werden zunächst drei Patienten gesichtet, die sich in den RTW/KTW befinden.

Patient 1 (weiblich, ca. Jahre) befindet sich in einem RTW und ist nicht intubiert, weist jedoch Verbrennungen im Gesicht und an den Händen auf, bei klinischem Verdacht auf ein Inhalationstrauma. Es wird die Sichtungskategorie SK 2 festgelegt.

Patient 2 (männlich, ca. 60 Jahre) befindet sich bereits intubiert und beatmet in einem RTW in Behandlung durch einen NA. An Verdachtsdiagnosen bestehen ein ausgeprägtes Inhalationstrauma sowie Verbrennungen im Gesichts- und Handbereich. Es wird die Sichtungskategorie SK 1 festgelegt.

Patient 3 (männlich, ca. Jahre) wird in einem RTW durch einen NA behandelt. Er ist nicht intubiert mit Verbrennungen an Gesicht und Hand und Inhalationstrauma. Eine Intubationsindikation besteht zu diesem Zeitpunkt nicht. Es wird die Sichtungskategorie SK 2 festgelegt.

Entscheidung

Alle drei Patienten werden unmittelbar zum Verbrennungszentrum der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) transportiert. Die Patienten 1 und 2 werden, begleitet durch einen NA, als RTW/NAW-Kolonne, Patient 3 wird durch RTW und NEF transportiert.
Ein weiterer verfügbarer NA wird zu diesem Zeitpunkt zur Sichtung von potentiellen Verletzten zum Bus beordert.

Um 21:13 Uhr (+ 39 Minuten) erfolgt die orientierende Sichtung von Patienten in der Patientenablage am Seitenstreifen gegenüber des GRTW.
Information des LNA durch den NA, der vom Bus zurückkehrt, dass sich keine weiteren Überlebenden im Bus befinden, jedoch von etwa 20 Toten auszugehen ist. Es kann zu diesem Zeitpunkt deshalb davon ausgegangen werden, dass alle Überlebenden auf dem Transport in Zielkliniken sind bzw. sich im GRTW befinden. Der NA erhält den Auftrag die Sichtung zu unterstützen.

Entscheidung

Zur besseren Übersicht und zum Schutz vor Hypothermie und Witterungseinflüssen erfolgt der Transport aller weiteren Patienten aus der Patientenablage in den GRTW. Der Sichtungs-NA wird sich um diese Patienten kümmern. Um 21:15 Uhr werden zwei Patienten in einem KTW gesichtet. Beide Patienten werden ohne Sättigungsüberwachung überwacht. Einer dieser Patienten wird als SK 2, der andere als SK 3 eingestuft.
• Der SK 2 Patient (Patient 4, weiblich, ca. 65 Jahre) ist nicht intubiert. Es besteht der Verdacht auf ausgedehntes Rauchgasinhalationstrauma.

Entscheidung

Übergabe von Patient 4 an durch OrgL organisierten RTW und Transport, nicht arztbegleitet mit RTW zum Verbrennungszentrum der MHH.

Um 21:25 Uhr (+ 51 Minuten) beginnt die Sichtung der Patienten im GRTW durch den Sichtungs-NA. Im GRTW befinden sich acht Patienten, der Busfahrer wird außerhalb des GRTW psychologisch betreut. Zwischenzeitlich erhält der LNA durch das LFZ die Information, dass sich die Intensivbettenkapazität im Traumzentrum der MHH auf insgesamt 11 erhöht hat. Um 21:30 Uhr treffen 5 weitere LNA an der Unfallstelle ein. Um 21:35 Uhr erhält der LNA die Information, dass der Bus mit insgesamt 33 Personen (inkl. Busfahrer) besetzt war. Da die Anzahl der Verstorbenen nicht sicher einzuschätzen ist, wird entschieden die Unfallstelle durch verfügbare Personen der technischen Rettung erneut abzusuchen. Im GRTW sind zwei Patienten transportfähig:
• Patient 5 (männlich, Jahre), nicht intubiert, mit klinisch leichtem Inhalationstrauma sowie retrosternalen Schmerzen bei anamnestisch bekannten Rhythmusstörungen, SK 3.

• Patient 6 (weiblich, Jahre), nicht intubiert, mit klinisch leichtem Inhalationstrauma, SK 3.

Entscheidung

Beide Patienten werden mit einem RTW in Begleitung eines LNA zur MHH transportiert.

In der folgenden Zeit (21:45 – 21:59 Uhr) werden die verbliebenen Patienten auf RTW verteilt und in umliegende Krankenhäuser transportiert. Der letzte Patient verlässt um 21:59 Uhr die Einsatzstelle. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Patienten:

• Patient 7 (weiblich, Jahre), leichtes Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 8 (weiblich, Jahre), leichtes Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 9 (männlich, Jahre), leichtes Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 10 (männlich, Jahre), V.a. Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 11 (weiblich, Jahre), V.a. Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 12 (männlich, Jahre), V.a. Inhalationstrauma, SK 3
• Patient 13 (männlich, ca. 40 Jahre), unverletzt, zur psycholgischen Betreuung, SK 3

Um 22:07 Uhr (+ 93 Minuten) ist der medizinisch-rettungsdienstliche Einsatz beendet. Vor Ort verbleiben der LNA, 1 RTW zur sanitätsdienstlichen Absicherung, der GRTW + Führungsmitglieder der SEG zur Transportdokumentation. Das nicht benutzte Behandlungszelt wird durch die SEG abgebaut.

Personal

Das rettungsdienstliche Personal vor Ort umfasste neben dem LNA die Besatzungen von drei Notarzt-Einsatz-Fahrzeugen (NEF), 10 RTW und KTW, der OrgL sowie 5 Ärzte der LNA-Gruppe. Zusätzlichen waren Rettungsassistenten und Rettungssanitäter des Löschzugs Rettung, des GRTW und der Fachgruppe MANV der BF Hannover sowie 87 Einsatzkräfte von zwei SEG´s am Einsatz beteiligt. Ein zusätzlicher diensthabender LNA wurde direkt zur Stabs-Tätigkeit beordert, ein weiterer LNA wurde zu Erstversorgungsklinik (MHH) beordert.
Für die technische Rettung waren 134 Einsatzkräfte der BF und der freiwilligen Feuerwehr im Einsatz. Des Weiteren waren 74 Einsatzkräfte von Polizei und Verwaltung im Einsatz. Zur psycholgischen Unterstützung waren 13 Notfallseelsorger im Einsatz.

Transportmittel und Transport- Koordination

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Neben den o.g. Transportmitteln des Rettungsdienstes wurde durch das LFZ die Intensivtransportkapazität für den Fall überregionalen Transportbedarfs organisiert. Insgesamt wurden fünf Intensiv-Transport-Wagen (ITW) alarmiert sowie ein weiterer GRTW und ein NAW.
Die Transport-Koordination erfolgte durch den LNA und den OrgL, unterstützt durch einen Transport-Koordinator einer SEG. In Abhängigkeit von den verfügbaren Intensivbettenkapazitäten wurde neben dem Transport zum Schwerbrandverletzten-Zentrum der MHH auf eine Verteilung der Patienten auf regionale Trauma-Zentren und Schwerpunktkrankenhäsuer geachtet. Abb. 2 zeigt die räumliche Verteilung der 13 behandelten Patienten.

Diskussion und zusammenfassende Wertung des Einsatzes

Insgesamt muss von einem günstigen Ablauf des rettungsdienstlichen Einsatzes des Busunglücks vom 04.11.2008 ausgegangen werden. Dazu trugen verschiedene Aspekte bei.

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1. Die Verletzungsschwere der überlebenden Patienten ist insgesamt als gering einzustufen (Abb. 3). Von den 13 Verletzten wurde nur ein Patient der SK 1 und drei Patienten der SK 2 zugeteilt. Diese vier Patienten waren primär bzw. sekundär im Verlauf beatmungspflichtig. Die übrigen sieben Patienten waren leicht verletzt, entsprechend der SK 3. Die Mehrzahl der letztgenannten Patienten konnte innerhalb von 48 Stunden nach Krankenhaus-Aufnahme in die ambulante Behandlung entlassen werden. Patienten mit schwersten Verbrennungen (>20% Körperoberfläche) oder Patienten mit zusätzlichen Verletzungen mussten nicht behandelt werden.

2. Die Sichtung der Patienten gelang schwere- orientiert in richtiger Reihenfolge. Alle vier Patienten, die letztlich aufgrund eines ausgedehnten Inhalationstraumas künstlich beatmet werden mussten wurden als erstes von der Einsatzstelle in ein Verbrennungszentrum transportiert.

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3. Das Zeit-Management an der Einsatzstelle war schnell und effizient. Alle 13 Patienten konnten innerhalb von 51 Minuten nach Eintreffen des LNA bzw. 49 Minuten nach Sichtungsbeginn transportiert werden. Die vier Patienten der SK 1 und 2 verließen innerhalb von 5 Minuten nach Sichtungsbeginn die Einsatzstelle.

Dies war einerseits möglich aufgrund der ausreichenden Transport-Kapazitäten vor Ort und der lokal bedingten hohen Krankenhaus- Dichte. Zusätzlich lag als klarer Vorteil die Verfügbarkeit von ausreichenden Intensivbettenkapazitäten in einem überregionalen Trauma- Zentrum mit angegliedertem Schwer- Verbrandten-Zentrum vor. Eine „Überforderung“ von Klinik-Kapazitäten konnte somit verhindert werden.

4. Aufgrund der Nähe zur Landeshauptstadt mit mehreren Kliniken der Maimalversorgung konnte eine angemessene Verteilung der Patienten erreicht werden (Abb. 2).

]5. Als herausragender Vorteil an der Einsatzstelle muss die Verfügbarkeit eines GRTW angesehen werden (Abb. 4). Einerseits ist es damit möglich eine ausreichende Anzahl von Patienten vor äußeren Einflüssen zu schützen, andererseits besteht in diesem Fahrzeug die Möglichkeit der Versorgung von Patienten mit Platz für vier beatmete Patienten, fünf liegende und bis zu neun sitzende Patienten.

 

Datum: 01.01.2009

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/1

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