Können Klopftechniken bei phobischen Symptomen helfen? – Ein Fallbericht
Aus dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr (Leitender Arzt: Oberstarzt Priv.-Doz.Dr. P. Zimmermann) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter)
Can Kulens
WMM, 60. Jahrgang (Ausgabe 1/2016; S. 29-33)
Hintergrund: Unter Begriffen wie „Klopftechniken“, „Energetische Psychotherapie“, „Bifokale multisensorische Aktivierung“ sind in den letzten Jahren Behandlungstech-niken auf dem „Psychotherapie-Markt“ aufgetaucht, deren Wirkung und/oder Sinnhaftigkeit kontrovers diskutiert werden. An einem Fallbeispiel soll die erfolgreiche Anwendung einer solchen Interventionstechnik demonstriert werden.
Fallbericht: Bei einer 27-jährigen Patientin, die nach einem traumatischen Erlebnis (Terroristen schießen im Foyer eines Hotels) mit phobischen Verhaltensweisen (wie Angst vor dem Alleinsein) reagierte, wurde eine bifokal-multisensorische Interventionstechnik (PEP: Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie) eingesetzt. Damit sollten die phobischen Verhaltensweisen reduziert, der Selbstwert zu erhöht und unbewusste Blockaden aufgespürt und aufgelöst werden. Der Effekt der Intervention trat fast sofort nach Anwendung ein und steigerte die Akzeptanz der Patientin, gegen ihre phobischen Gedanken, Gefühle und Verhaltensweisen vorzugehen. Sie beschrieb den Effekt als angenehm und motivierend. Ihr Selbstwertgefühl stieg unmittelbar und hielt an.
Schlussfolgerungen: Der Fall zeigt, dass der Einsatz von Klopftechniken das Stressempfinden und die Emotions-regulation schnell und nachhaltig verbessern kann. Es sollte untersucht werden, ob der Einsatz von Klopftechniken eine effektive therapeutische Alternative darstellt, um bei Angst-störungen Selbstakzeptanz und -achtsamkeit bei Personen zu verbessern und zu erhöhen.
Schlüsselwörter: Klopftherapie, PTBS, Angst, PEP, energetische Psychotherapie
Keywords: tapping therapy, PTSD, anxiety, PEP therapy, energetic psychotherapy
Einleitung
Im Verlauf der letzten Jahre ist eine neue Behandlungsform auf dem Psychotherapiemarkt angekommen, welche als Klopftechniken, Energetische Psychotherapie, Bifokale multisensorische Aktivierung [1] oder auch als Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie [2] bekannt geworden ist. Diese Behandlungsformen werden in der psychotherapeutischen Fachwelt kontrovers diskutiert. CORSINI [3] äußert sich darüber in einer Anthologie über innovative Psychotherapieverfahren wie folgt: „... ist entweder einer der größten Fortschritte der Psychotherapie, oder es ist ein Schwindel.“ Dennoch erhöhte sich die Anzahl der Anwender im Verlauf der letzten zehn Jahre um ein Vielfaches [4].
Die oben genannten Verfahren postulieren eine gute Basis in der Interaktion zwischen Arzt und Patient und eine schnelle Reduktion der Übererregung des Nervensystems bei Angstsymptomen. Der vorliegende Fallbericht soll dieses am Beispiel einer Angstpatientin verdeutlichen.
Fallbeschreibung (Teil 1)
Vorgeschichte und Symptome
Bei der 27-jährigen Patientin bestand die Symptomatik einer klassischen Angstthematik vor dem Alleinsein und dem Verlassenwerden. Sie hatte ihr Leben konsequent und selbstbewusst innerhalb eines sicheren und geordneten Lebenskonzepts aufgebaut. Unmittelbar nachdem sie Zeuge eines Gewaltverbrechens (Terroristen überfielen das Foyer in einem Hotel) wurde, entwickelte sie starke Ängste. Sie habe erstmalig vor etwa drei Monaten an der Supermarktkasse ein Kribbeln in den Händen und ein Gefühl, „neben sich zu stehen“, verspürt. In den letzten zwei Monaten sei es dann vermehrt zu – von ihr so bezeichneten – „Anfällen“ gekommen, bei denen sie nach Auftreten der oben genannten Symptome ein eingeschränktes Sichtfeld und zum Teil starke Übelkeit wahrgenommen habe. Sie habe dabei Angst, ohnmächtig zu werden oder zu erbrechen. Die „Anfälle“ würden in Situationen auftreten, in denen sie zum Beispiel alleine zum Supermarkt gehe, Auto oder Zug fahre. Wenn sie das Haus verlassen müsse, bekäme sie auch Durchfall. Begleitet seien diese Situationen durch Kognitionen, alleine zu sein, und von Ängsten davor, dass keiner ihr helfen würde, sie sich blamieren könne und sie hilflos sei. Es ließen sich starke Ängste vor dem Alleinsein und / oder Verlassenwerden explorieren.
Der körperliche Zusammenbruch (zum Beispiel Zittern, Atemnot, Übelkeit, Durchfälle, Kraftlosigkeit, tagelang nur im Bett liegen können) erschütterte ihr Selbstbild völlig. Neben Ängsten vor der Zukunft („Wie soll es mit mir weitergehen?“) waren auch Scham und Trauer weitere Themen.
Die Patientin wurde in der Behandlungssektion des Psychotraumazentrums (PTZ) des Bundeswehrkrankenhauses (BwKrhs) Berlin stationär schulübergreifend sowie ambulant durch eine Verhaltenstherapie behandelt. Die Intervention mit Anwendung bifokaler multisensorischer Techniken (Klopftechniken nach PEP) erfolgte während ihres stationären Aufenthaltes. Sie war informiert, dass es sich dabei um ein nicht-evidenzbasiertes Verfahren handelte und war mit der Anwendung und auch der Publikation der Ergebnisse einverstanden.
Die Patientin wies eine Reflektions- und Introspektionsfähigkeit auf, bei leichter Abwehrtendenz und deutlicher emotionaler Distanz. Sie war kontrolliert, angepasst und um einen guten Ein-druck bemüht.
Eruierte Belastungsfaktoren
Die Patientin erlebte wenig validierende, kaum supportive Lern- und Bindungserfahrungen und eine emotionale Vernachlässigung durch die Mutter. In den ersten Lebensjahren wurde sie von ihren Großeltern mütterlicherseits liebevoll aufgezogen. Ihren leiblichen Vater hat sie nie kennengelernt. („Er wollte das nicht. Es ist aber ok.“) Ihr zweiter Stiefvater habe sie öfters ausgelacht und ihr mitgeteilt, dass aus ihr sowieso nichts werden würde, höchstens „Kassiererin bei Aldi“. Weiterhin habe er ihr als Strafe Geld abgenommen, wenn zum Beispiel kein Toilettenpapier mehr da war. Ihre Mutter konnte und wollte die Tochter nicht vor diesem Mann schützen. („Sie ist zu schwach!“) Weiterhin habe ein ehemaliger Lehrer ihr nachgestellt und sie zum Französischunterricht animiert. Ein sexueller Übergriff wurde verneint.
Mit 17 Jahren sei sie ausgezogen und habe sich durch mehrere Nebenjobs finanziert. Nach dem Abitur versuchte sie nebenbei noch, an einer Fernuniversität zu studieren. Die so verbrachten vier Jahre nahm sie als Versagen wahr.
Belastungsfaktoren waren, dass ihr jetziger Freund sie vor einem Jahr mit seiner Ex-Freundin betrogen habe und dass sie ihm dies nicht richtig verzeihen könne. Die Vertrauensbasis war erst einmal zerstört, aber er habe sie sehr bei ihren Problemen unterstützt.
Die geäußerten Beschwerden mit einer sehr leistungsorientierten Persönlichkeitsakzentuierung (zum Beispiel „keine Schwäche zeigen“) ergaben eine Agoraphobie mit Panikstörung und einer deutlich psychosomatischen Ausgestaltung (Magen- Darm-System).
Methodenbeschreibung
Der amerikanische Psychologe ROGER CALLAHAN und der australische Psychiater und Jung’sche Psychoanalytiker JOHN DIAMOND [5] begannen Ende der 1970er Jahre, Elemente der klinischen Psychologie, der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) und der Kinesiologie zusammenzufügen. Anstelle des Einsatzes von Nadeln werden die entsprechenden Punkte beklopft. Der Ingenieur und Coach GARY CRAIG entwickelte die Emotional Freedom Techniques [6, 7], weil er die unterschiedlichen Behandlungsabfolgen von CALLAHAN als nicht plausibel erachtete. In seinem Verfahren werden einfach alle aus der Akupunktur bekannten Meridiane durchgeklopft (Grundrezept). Seine Annahme ist, dass die betroffenen Meridiane und Akupunkturpunkte so auf jeden Fall stimuliert werden.In unserem Fall wurde die Prozess- und Embodimentfokussierte Psychologie [2] angewendet. Der deutsche Psychiater -MICHAEL BOHNE veränderte an vielen Stellen die Herangehensweise. Im Folgenden werden die wichtigsten Interven-tions-abschnitte dieses Verfahrens kurz erklärt:
Emotional-körperliche Ebene
Dysfunktionale Emotionen sind neurologisch dem limbischen System zuzuordnen. Durch Selbstbeklopfen von Körperpunkten werden belastende Emotionen und Körpersensationen reduziert beziehungsweise aufgelöst (Abbildung 1). BOHNE spricht nicht mehr von Meridianen, sondern von Körper- oder Klopfpunkten. Weiterhin wird der Klient angehalten, während des Klopfens die wirkungsvollsten Körperpunkte wahrzunehmen. Durch diesen hypnotherapeutischen Eingriff entsteht bei ihm ein Suchprozess, er wird besonders hilfreiche Punkte selber wahrnehmen. Die Wirksamkeit des eigenen Handelns wird unmittelbar erlebt und somit beginnt die Selbstwirksamkeitserfahrung beim Klienten.
Ebene der Kognitionen und Beziehungen („Big Five“)
Dysfunktionale Kognitionen und Beziehungsmuster sind dem präfrontalen Kortex zuzuordnen. Durch das Reiben / Kreiseln des Selbstakzeptanzpunktes / „Wunden Punktes“ (Abbildung 1: WP) bei gleichzeitiger Anwendung einer Selbstakzeptanzformulierung (Beispiel: „Auch, wenn ich ... (das was mich stört, ängstig usw.) ... , liebe und akzeptiere ich mich, so wie ich bin“) können negative / überzogene Kognitionen entschärft werden. Bei (hartnäckigen) dysfunktionalen Einstellungen und Glaubenssätzen wird es viel schwieriger, emotional-körperliche Belastungen aufzulösen. Deshalb entwickelte BOHNE ein Clustersystem, um diese zu lösen. Er nennt das die „Big--Five-Lösungsblockaden“ (modifiziert nach BOHNE, [9]):
- Selbstvorwürfe: „Sie machen sich einen Selbstvorwurf.“
- Vorwürfe anderen gegenüber: „Sie machen (immer noch) einem anderen Menschen einen Vorwurf.“
- Verharren in Erwartungshaltung anderen gegenüber: „Sie verharren noch in einer Erwartungshaltung (einem anderen Menschen gegenüber), von der Sie sich noch nicht gelöst haben.“
- Regression in ein jüngeres Alter: „Sie schrumpfen innerlich, fühlen sich also kleiner, hilfloser, abhängiger, als Sie in Wirklichkeit sind.“
- Dysfunktionale, meist unbewusste und einschränkende Loya-lität zu anderen Menschen: „Sie haben eine unbewusste Loya-lität gegenüber (Ihnen nahestehenden) Menschen, die (auch) nicht erfolgreich, gesund oder glücklich sein konnten, wollten oder durften.“
Nach der Eruierung einer und/oder mehrerer Blockaden erfolgt gleich die Intervention mittels der „Selbstakzeptanzübung“, gefolgt von der „Selbstverzeihübung“ beziehungsweise der „Verantwortung-beim-Anderen-belassen-Übung“[1].
Ressourcen
Oftmals tauchen im Verlauf einer Intervention Ressourcen – wie persönliche Stärken – und Erleichterungen in Form von positiven Erinnerungen auf. Diese werden dann unmittelbar mit allen Sinnen visualisiert und körperlich-emotional aktiviert, verankert und gefestigt. Zusätzlich werden noch Aktivierungspunkte beklopft.
Ökologie-Check
Der Ökologie-Check ist ein Instrument, um einerseits eine Kongruenz zwischen einem anvisierten Lösungserleben und -inneren Instanzen herauszufinden. Andererseits ist es eine -diagnostische Hilfe, um zu eruieren, ob eine erwünschte Erlebens- und Verhaltensveränderung des Patienten zu Konflikten mit der sozialen Umgebung führen kann oder wird. Hierfür wird der Kognitions-Kongruenz-Test (KKT) eingesetzt. Formulierte Testsätze werden von den Patienten ausgesprochen, sie achten dann auf somatische Marker in Form von Körperreak-tionen, Ideen und inneren Bildern. Wird der Testsatz als negativ empfunden (Beispiel: Unwohlsein, Angst), wird die Arbeit auf der kognitiven Ebene (Einsatz der oben beschriebenen „Big Five“) und / oder auf der emotional-körperlichen Belastungsebene (Beispiel: Klopfen), weiter durchgeführt.
Wirkhypothesen: Energetisches Paradigma versus neue Ansätze
Die Grundannahme dieses „energetischen Paradigmas“ ist, dass es feinstoffliche (subtile) Formen von Energie gibt, die psychische und körperliche Prozesse beeinflussen. Durch das Klopfen von Akupunkturpunkten können diese gelöst oder abgeschwächt werden und zu positiven emotionalen, kognitiven und behavioralen Ergebnissen führen.
Für Anwender, die sich nicht mit dem energetischen Paradigma anfreunden können, bestehen noch zusätzliche Hypothesen. Eine geht davon aus, dass die „Neuroplastizität“ (neurobiologische Grundlage für Lernen und Verlernen) im Gehirn einen wichtigen Einfluss hat. Lernvorgänge – auch solche wie in der Psychotherapie – können effektiver verändert werden, wenn mehr Sinneskanäle zusätzlich zu den verbalen Interventionen hinzugezogen und aktiviert werden (Klopfen, Aufzählen, Singen, Summen, Riechen, usw.). Bisher ist jedoch noch nicht eindeutig erklärt worden, welche neurohumoralen und welche neuromodulatorischen Zustände die neuronale Plastizität verändern.
Nach ANDRADE [1] ist die Konzentration von Mechanorezeptoren bei den Akupunkturpunkten der TCM höher als an anderen Körperstellen. Durch eine Stimulierung an der Körperoberfläche werden die Signale der Mechanorezeptoren über verschiedene Wege zum somatosensorischen Kortex und dann zum präfrontalen Kortex weitergeleitet. Diese gelangen dann zur Amygdala, dem Hippocampus und den anderen Hirnstrukturen, die bei emotionalen Problemen beteiligt sind und interferieren dann mit den dort ablaufenden Prozessen. Seine Hypothesen entsprechen sehr dem psychologischen Konzept der reziproken Hemmung [10].
Anwendung von PEP-Modulen bei Angstsymptomen
Die Anwendung der Module von BOHNE erfordert eine gute Therapeuten-Patienten-Beziehung durch Zuwendung und Aufnahmeaktivierung, Einfühlungsvermögen und dem Respekt vor dem Menschen. Die Analyse des Problems durch gezielte Fragen ist eine hilfreiche Diagnoseform für das weitere Vorgehen (Fragen nach körperlichen, kognitiven und emotionalen Empfindungen, sowie Verhaltensweisen, Wünschen, Hoffnungen und Befürchtungen).
Nach Erhalt der wichtigsten Informationen erfolgt die Intervention, die beispielhaft wie folgt aussehen könnte:
Die Praktikabilität der einzelnen Module eignet sich für einen schnellen Einsatz und bietet eine prozessbegleitende Orientierung. Sie erhöht die Selbstwirksamkeit des Betroffenen und fördert eine gute und stabile Arzt-Patient-Beziehung.
Fallbeschreibung (Teil 2)
Behandlungsverlauf
Die Intervention erfolgte in vier aufeinanderfolgend durchgeführten Sitzungen, ergänzt durch ein Telefonat nach vier Wochen Interventionsdauer. Insgesamt wurden sieben Therapiestunden in Anspruch genommen.
In der ersten Sitzung ging es um die Erfassung der zu erar-beitenden Problemthemen, der körperlichen und kognitiven -Symptome und biographischer Informationen. Die Patientin war leicht angespannt; sie erzählte offen über ihr derzeitiges Problem. „Ich habe Angst vor dem Alleinsein und vor dem Verlassenwerden. Immer wenn mein Freund nach einem Wochenende wieder zu seiner Arbeitsstelle zurückfahren muss, bekomme ich Angst. Ich kann dann mehrere Tage nicht mehr aus meinem Bett kommen und muss mich öfters übergeben. Ich schäme mich auch dafür sehr und habe dann zusätzliche Angst, wenn mein Freund dies wüsste, dass er mich dann verlassen könnte“. Der Patientin fiel es recht schwer, über ihr emotionales -Empfinden zu sprechen. Ihr Zugang zu ihren Gefühlen war -blockiert.
In der zweiten Sitzung wurde das Klopfen nach PEP begonnen. Die Intervention erfolgte nach dem in Tabelle 1 dargestellten Ablaufplan. Der Fokus richtete sich auf alle Wahrnehmungs-kanäle. Die Abschiedssituation vom Freund und das Gefühl des Alleinseins wurden nachempfunden. Sie schätzte ihre Belastung mit einem Grad der Belastung (SUD) 6 ein. Danach wurden die Überkreuzsitz[2]- und die Fingerberührübung[3] angewendet. Das sollte dazu führen, dass beide Hirnhälften besser miteinander kommunizierten. Die darauffolgende Selbstakzeptanzübung zeigte auf, wie die Differenzierungsfähigkeit der Problematik der Patientin fluid wurde. Der Patientin wurde die vielschichtige Vernetzung der Probleminhalte mit dem Ausgangspunkt – dem Alleinsein – bewusst. Das wurde in den Satzaufbau eingearbeitet: „Auch wenn ich immer das Gefühl behalten werde, alleine zu sein, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“, oder „Auch wenn man mich nicht lieben kann und verlassen muss, liebe und akzeptiere ich mich so, wie ich bin.“. Durch das Öffnen der eigenen inneren Blockaden konnte dann das Klopfen der Akupunkturpunkte erfolgen. Während des Klopfens wurden immer mehr Inhalte der Vergangenheit, der Trauer, der Wut und der Verzweiflung aufgedeckt. Die Patientin weinte sehr, es wurde ihr übel; sie konnte jedoch durch das Klopfen und den Blickkontakt zum Therapeuten am Ende eine neue Erfahrung machen. „Ich fühle mich zwar jetzt angespannt, jedoch klarer in meinem Kopf. Das Gefühl der Angst ist greifbarer geworden.“ Im Verlauf des Klopfdurchgangs war ihr SUD auf 8 - 9 gestiegen. Hier mussten zwei der „Big-Five-Lösungsblockaden“ angewendet werden. Die erste Technik bezog sich auf ihre Vorwürfe anderen gegenüber, vor allem gegenüber -ihrem zweiten Stiefvater, der sie emotional erniedrigt hatte, und ihrer Mutter, die nicht die Funktion einer Mutter übernommen habe und ihrer Tochter niemals Schutz angeboten hatte. Sie hatte von ihr verlangt, mit zwölf Jahren schon erwachsen zu sein.
Die zweite Übung zielte darauf ab, die Selbstakzeptanz bei Selbstvorwürfen zu aktivieren. Sie fokussierte auf ihre große Scham und Wut auf sich selbst, dass sie nicht mehr so richtig funktionierte. Gegen Ende der Sitzung wurde von ihr ein SUD von 2 angegeben. Ihr wurde immer bewusster, dass die bestehende Beziehung einige Themen hatte, die sie bearbeiten musste. Diese wurden in der dritten Sitzung sehr intensiv thematisiert.
Themen der Scham und der Wut auf sich, auf ihre Eltern, ihren Stiefvater, ihren Freund und ihren Großeltern wurden in der dritten Sitzung ebenfalls bearbeitet. Die Trauer konnte sie annehmen, und sie entwickelte größere Sensibilität und Fürsorge zu sich selbst. In dieser Sitzung wurde zum Schluss der Interventionen die Strategie zur Steigerung des Wohlgefühls etabliert. Hierfür stand die positive Affirmation/der selbstwertstärkende Glaubenssatz: „Ab jetzt erlaube ich mir, immer besser auf mich aufzupassen, und das ist auch gut so.“ Beim Aufsagen dieser Sätze wurden einige Akupunkturpunkte beklopft, was sie mehrmals am Tag wiederholte.
Die vierte Sitzung diente dazu, weitere Themen für die fortzuführende ambulante Psychotherapie herauszuarbeiten. Darüber hinaus wurden mit der Patientin noch andere Ressourcen/Affirmationen ausprobiert: „Ich habe die Kraft und die Intelligenz, meinen Weg weiterzugehen.“, „Ich habe überlebt und bin jetzt auf dem Weg zu mir.“, „Meine Intuition ist in Ordnung.“, „Ich darf mich wertschätzen und gern haben.“. Das Telefonat nach vier Wochen Interventionsdauer ergab, dass die Patientin subjektiv stabiler wurde, sich selbst wohlwollender und konstruktiver annehmen konnte und kein phobisches Vermeidungsverhalten mehr hatte. Nach Feststellung der sie ambulant betreuenden Verhaltenstherapeutin habe sie „erstaunliche“ positive Veränderungen umgesetzt. Die Annahme ihrer Schwächen und ihrer Selbst ermöglichten ihr, die weiteren notwendigen Schritte zu gehen.
Schlussfolgerung
In der vorliegenden Kasuistik ergaben sich Hinweise, dass die sogenannten Klopftechniken eine mögliche Methode im Umgang mit Angstsymptomen auch von Soldatinnen und Soldaten sein können. Einschränkend muss dabei erwähnt werden, dass die Behandlung der Patientin mittels PEP Teil des multimodalen Gesamtbehandlungsplanes im PTZ war. Es war damit sicher nicht das alleinige wirksame Element.
Durch das einfache Klopfen von bestimmten Stellen am Körper sowie durch den Einsatz von Selbstakzeptanzübungen bei dysfunktionalen Kognitionen und Beziehungsmustern wurde subjektives seelisches Leiden reduziert beziehungsweise aufgelöst. Es zeigten sich Hinweise, dass durch die Anwendung der Module von PEP [2], einer Erweiterung der klassischen energetischen Psychologie, die Selbstwirksamkeit der Patientin erheblich gefördert wurde. Es wurden Ressourcen verankert, um sie leichter abzurufen. Die Anwendung der PEP-Module verringerte die Blockaden und die Widerstände, die die erwünschte Lösung bisher behindert hatten.
Die Erfahrungen aus diesem Fall und zahlreiche positive Hinweise in der Literatur sollten Veranlassung geben, die durch Klopftechniken induzierten Veränderungsprozesse sowie deren Effektivität mit wissenschaftlichen Methoden genauer zu erfassen, zu analysieren hinsichtlich ihrer Evidenz zu bewerten.
Kernsätze
- Prozess- und Embodiment-fokussierte Psychologie (PEP) konnte bei der Behandlung einer Patientin mit Angstsymptomen erfolgreich eingesetzt werden.
- Das Verfahren scheint zumindest als Ergänzung eines multimodalen Therapiekonzeptes wirksam zu sein.
- Die Anwendung kann schnell erlernt und durch den Patienten selbst erfolgen.
- Seine Eignung zum Einsatz bei Soldatinnen und Soldaten sollte mit wissenschaftlichen Methoden untersucht werden.
Literatur
- Andrade J. (2012). Die Lösung liegt in der Hand des Patienten. In Maarten Aalberse & Servatia Geßner- van Kersbergen (Hrsg.), Die Lösung liegt in deiner Hand! (S. 55-282). Tübingen: dgvt-Verlag.
- Bohne M (2010). Klopfen mit PEP – Prozessorientierte Energetische Psychologie in Therapie und Coaching. Heidelberg: Carl--Auer.
- Corsini R (2001). Preface to Chap. 66: Thought Field Therapy. In R. Corsini (Ed.), Handbook of innovative therapy (p.689). New York: Wiley.
- Wilhelm-Gößling C (2012). Wirkhypothesen Energetischer Psychotherapie. In C.T. Eschenröder & C. Wilhelm-Gößling (Hrsg.), Energetische Psychotherapie – integrativ: Hintergründe, Praxis Wirkhypothesen (3., überab. u. erw. Aufl.) (S. 75-107). Tübingen: dgvt-Verlag.
- Callahan, R. & Callahan J (2001). Den Spuk beenden – Klopfakupressur bei postraumatischem Stress. Kirchzarten bei Freiburg: VAK.
- Craig G, Fowlie A (1995a). Emotional freedom techniquies. Sea Ranch, CA (Selbstverlag).
- Craig G, Fowlie A (1995b). Emotional freedom techniquies The manual. Sea Ranch, CA (Selbstverlag). Verfügbar unter: http://www.emofree.com/dwnloadeftmanual.asp (Zugriff am 23.10. 2015).
- Eschenröder CF. Wehrsig. (2012). Parallelen zwischen EP, VT und EMDR. In C.T. Eschenröder C. In: Wilhelm-Gößling (Hrsg.), Energetische Psychotherapie – integrativ: Hintergründe, Praxis Wirkhypothesen (3., überab. u. erw. Aufl.) (S. 123-154). Tübingen: dgvt-Verlag.
- Bohne M (2008). Einführung in die Praxis der Energetischen Psychologie. Heidelberg: Carl-Auer.
- Wolpe J (1972). Praxis der Verhaltenstherapie. Bern: Huber.
[1]
Bei den beschriebenen Übungen handelt es sich um Verfahren aus der Verhaltenstherapie. Durch Wiederholungen sollen die Fertigkeiten „Selbstakzeptanz“, „Selbstverzeihen“ und „Verantwortung auch abtreten“, erlernt werden. Hintergrund ist gerade beim Konzept des Embodiments eine kognitive Verknüpfung von Haltungen und Einstellungen mit auch körperlich-leiblichen Vorgängen.
[2]
Durch eine „verdrehte“ Positionierung von Armen oder Beinen soll auch die Fähigkeit der Koordination gefördert worden, da die Lage der Extremitäten (oder auch der Finger) verändert worden ist. Nach dem PEP-Konzept wird dadurch die Kommunikation beider Gehirnhälften angeregt. Rationale und emotionale Aspekte sollen damit besser miteinander verknüpft werden.
[3]
Die Fingerberührübung ist eine Zentrierungsübung, dabei liegen die Ellenbogen seitlich am Körper an, die Zunge berührt den oberen Gaumen und löst sich erst beim Ausatmen, die Finger beider Hände berühren sich an den Fingerkuppen.
Datum: 22.01.2016
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2016/1