06.02.2023 •

Aeromedical Evacuation – Beginn einer neuen Generation

A. Heinrich, S. Hautz

Aeromedical Evacuation Assets der Luftwaffe
Bundeswehr/Stephan Ink

Der Patientenlufttransport (Aeromedical Evacuation/AE) bildet einen wichtigen Stützpfeiler in der Rettungskette sowohl bei der Verlegung von PatientInnen im zivilen medizinischen Alltag wie auch im Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Gemäß dem Standardization Agreement (STANAG) 3204 der NATO wird zwischen drei Formen des qualifizierten Patientenlufttransportes unterschieden. Hierfür werden in allen Teilstreitkräften Systeme bereitgehalten, die speziell für diesen Auftrag entwickelt worden sind. Für die Luftrettung vom Ort der Verletzung (Forward AE) werden NH-90, H145 LUH SAR (beide im Heer), Mk41 Sea King (Marine) oder CH-53 (Luftwaffe) eingesetzt. Obwohl der CH-53 als mittlerer Transporthubschrauber aufgrund seiner Größe und seines Abfluggewichtes nur eingeschränkt hierfür geeignet ist, kann er interimsweise durch die modulare und skalierbare Ausstattung grundsätzlich eingesetzt werden. Das Potential wurde bereits im Afghanistan-Einsatz unter Beweis gestellt und wird bei MINUSMA (Mali) aktuell wieder genutzt. Der weiterführende Patientenlufttransport zwischen medizinischen Einrichtungen im Einsatzgebiet (Tactical AE) wird durch CH-53 oder A400M sichergestellt. Für Einsätze der Special Operation Forces ist zudem zukünftig die C-130J der Luftwaffe vorgesehen, verfügt jedoch noch nicht über einen entsprechenden Rüstsatz. Die Rückverlegung ins Heimatland (Strategic AE) wird durch die primären Assets A400M und A330 MRTT sichergestellt. Bei Bedarfsspitzen stehen künftig neben dem A321LR auch Luftfahrzeuge der „weißen Flotte“ der Flugbereitschaft des Bundesministeriums der Verteidigung (BMVg) zur Verfügung.

Aeromedical Evacuation Assets der Luftwaffe
Aeromedical Evacuation Assets der Luftwaffe
Quelle: Bundeswehr/Stephan Ink

Nach nunmehr bereits über zwei Dekaden des erfolgreichen AE-Routineeinsatzes befinden sich alle Systeme aktuell in der Weiterentwicklung. Die bereits erfolgte Ablösung der „Huey“ (Bell UH-1D) durch den H145 LUH SAR im Jahr 2021 läutete hierbei einen Wandel ein, der sich in den kommenden Jahren fortsetzen wird. So absolvierten die altbewährte C-160 Transall Ende 2021 und der A310 MRTT im Juni 2022 ihren letzten Flug und wurden außer Dienst gestellt. Die Fähigkeiten Tactical AE und Strategic AE werden zukünftig im Wesentlichen durch den multinational betriebenen A330 MRTT und deutsche A400M abgedeckt, sowie bedarfsorientiert durch andere Luftfahrzeugmuster ergänzt. Hierbei bieten zwei A321LR, welche mit der Hauptaufgabe AE beschafft wurden, ab voraussichtlich Mitte 2023 die Möglichkeit, eine dem NATO-Capability Code MED-MEA entsprechende Transportkapazität von jeweils vier Intensive Care Units (ICU) plus zwölf Intermediate Care Units bereitzustellen. Ein Zentralmonitoring wird hierin ebenfalls realisiert. Eine weitere Besonderheit wird der A350 sein, der mit seiner Langstreckenfähigkeit ab voraussichtlich 2024 zwei ICU mit einer Flugdauer von bis zu 20 Stunden vorhalten wird. In einem Erprobungsflug hat die Flugbereitschaft BMVg bereits unter Beweis gestellt, dass sie mit dem A350 Australien im Nonstopflug erreichen kann.

Jedes AE-Luftfahrzeug verfügt dabei über einen individuellen, dem Auftrag angepassten, medizinischen Rüstsatz, welcher jeweils aus einem Einbausatz (EBS) und der Sanitätsausstattung (SanAusstg) besteht. Der EBS umfasst die Patienten Transport Einheit (PTE), gegebenenfalls Tragengestelle (Litter Kit), das gesamte Befestigungs- und Anschlussmaterial sowie Lagerungs- und Abfallbehälter. Das medizinische Equipment, wie z. B. Medizingeräte, Sauerstoff, teilweise kühlpflichtige Medikamente und Verbrauchsmaterialien bilden die SanAusstg. Hier stellt insbesondere der intensivmedizinische Transport hohe Ansprüche an das Equipment, die Rahmenbedingungen und das Personal.

Die medizinischen Rüstsätze für all diese Luftfahrzeuge befinden sich momentan in der technischen Weiterentwicklung oder bereits in der luftrechtlichen Zulassung. Die besondere Herausforderung stellt hierbei die Vereinigung von medizinischen und luftrechtlichen Vorschriften, sowie zudem bei den multinationalen Rüstungsvorhaben, die unterschiedlichen Regelungs­räume dar. Mit der Einführung der PTE New Generation (PTE NG) im Rahmen der Multinational Multi Role Tanker Transport (MRTT) Flotte konnte in diesem Jahr ein wegweisender Meilenstein für die Zukunft der AE gesetzt werden. Neben der Ausstattung der neuen Luftfahrzeugmuster mit dem PTE NG ist speziell für Luftfahrzeuge mit Laderampe (A400M, C-130J) die Etablierung einer „Palettenlösung“ zur schnellen auftragsangepassten Umrüstung geplant. Hierbei ist vorgesehen, den AE-Rüstsatz auf Flugzeugpaletten vormontiert bereit zu halten und dadurch Einbauzeiten bei der Konversion der Luftfahrzeuge in ihre AE-Rolle zu minimieren. Ebenso konnte in diesem Jahr die Entwicklung und Zulassung eines Prototyps des neuen Rüstsatzes für CH-53 abgeschlossen werden. Der Austausch der alten Rüstsätze wird im nächsten Jahr beginnen.

Von den neun A330 MRTT werden zukünftig fünf auf der Main Operating Base in Eindhoven und vier Maschinen auf der Forward Operating Base plus (FOB+) am militärischen Flughafen Köln/Wahn betrieben. Dabei stellt Deutschland an der FOB+ in der Multinational MRTT Unit die Fähigkeit Strategic AE durch einen A330 MRTT mit einer Notice-to-move von 24 h (24/7) sicher. Die fliegende Besatzung (Cockpit, Kabine) wird multinational, die medizinische Besatzung national durch die Luftwaffe und den Sanitätsdienst der Bundeswehr gestellt werden. Besonders hervorzuheben ist in diesem Rahmen die Erweiterung des Instandhaltungsbetriebes der Luftwaffe um die Medizingerätewerkstatt Köln gemäß militärischem Luftrecht, die ein Novum in der Instandhaltung von Sanitätsmaterial darstellt. Auslöser ist die Tatsache, dass die PTE NG sowohl ein Medizinprodukt als auch eine Luftfahrzeugkomponente zugleich ist. Aufgrund der bereits vorbereiteten Einführung der PTE NG für den A400M sowie des geplanten AE-Rüstsatzes für den schweren Transporthubschrauber, ist die Einrichtung von Medizingerätewerkstätten ebenfalls an den Standorten des Lufttransportgeschwaders 62 und des Hubschraubergeschwaders 64 geplant.

In den bereits eingangs erwähnten mehr als zwei Dekaden AE wurden bislang über 1 500 PatientInnen durch Luftfahrzeuge der Luftwaffe erfolgreich verlegt. Während der Coronapandemie unterstütze das AE-System internationale und bundesweite Umverteilung von Corona-Intensivpatienten im Rahmen des Kleeblatt-Konzeptes. In ca. 30 Flügen wurden über 200 PatientInnen einer weiterhin adäquaten medizinischen Versorgung zugeführt und somit Kapazitäten für die Versorgung weiterer PatientInnen geschaffen. Zuletzt unterstützte die Bundeswehr im Rahmen des Ukrainekrieges durch den mehrmaligen Transport von Verletzten. Einmal mehr zeigte dies das ausgezeichnete Leistungspotential und die Zuverlässigkeit dieser nationalen Fähigkeit mit hohem internationalem Ansehen. 


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