Mythos Multitasking und eine Prise Selbstoptimierung
Stressprävention und Ressourcenförderung
K.-H. Renner, A. Krick, Lena Riedl und J. Felfe
Multitasking bedeutet in der Alltagspsychologie, dass wir zwei oder mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen. In der wissenschaftlichen Psychologie wird dagegen betont, dass es beim Multitasking eher darum geht, wie mehrere Aufgaben in begrenzter Zeit in mehr oder weniger schnellem Wechsel bearbeitet werden. Bei einem sehr schnellen Aufgabenwechsel entsteht dann der Anschein der Gleichzeitigkeit. Nur Aufgaben, die automatisch, das heißt ohne bewusste Kontrolle ablaufen, wie zum Beispiel Autofahren und Small Talk sind Beispiele für simultanes Multitasking. Der Wechsel zwischen diesen „Aufgaben“ vollzieht sich innerhalb von Sekundenbruchteilen. Komplexere Aufgaben wie beispielsweise diesen Kurzbeitrag schreiben und eine E-Mail lesen, können dagegen nur sequentiell abgearbeitet werden. Die Notwendigkeit der sequentiellen Bearbeitung wird durch Arbeitsunterbrechungen erschwert. Der damit verbundene Wechsel zwischen Aufgaben ist insbesondere dann mit sogenannten Wiederaufnahme-Kosten verbunden, wenn eine komplexe Aufgabe mehrere Stunden oder sogar Tage erfordert und längere Zeit wegen anderer Tätigkeiten unterbrochen wird. Wer schon einmal ein umfangreiches Konzeptpapier geschrieben hat, weiß: Längere Unterbrechungen führen dazu, dass insgesamt mehr Zeit erforderlich ist, weil man sich kognitiv und motivational immer wieder neu auf diese komplexe Aufgabe einstellen muss.
Nach einem 2010 erschienenen Bericht der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin von Baethge und Rigotti verringert Multitasking die Leistung und erhöht die Fehlerrate. Zudem kann Multitasking mit emotionalen Kosten, Kontrollverlust und chronischem Stress einhergehen, der dann zu den bekannten negativen Folgen für die Gesundheit führen kann. Für zeitintensivere Aufgaben ist es deshalb unerlässlich Monotask-Zeitslots zu reservieren und Unterbrechungen zu unterbinden. Gerade wenn Fehler zu gefährlichen Unfällen führen können, sollte man Multitasking reduzieren oder ganz unterlassen. Entlastend ist auch, wenn Multitasker selbst regulieren können, wann sie welche Aufgabe bearbeiten; autonome Arbeitsgestaltung wirkt dem Gefühl des Kontrollverlusts entgegen. Zudem sollten organisationsseitig Pausen, E-Mail-freie Zeiten und eine Arbeitskultur gefördert werden, die den Anteil von Multitasking verringert.
Multitasking zählt nach dem Stressreport der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin zu den häufigsten psychischen Arbeitsanforderungen und wird auch häufig als belastend erlebt. Die fast 18 000 Befragten der Stress-Studie nannten aber auch Ressourcen, die die Arbeit erleichtern und bereichernd machen, darunter insbesondere soziale Faktoren und auch die bereits genannte autonome Arbeitsgestaltung.
Ob und wie negativ Stressoren wie Multitasking wirken, hängt eben auch ganz entscheidend von der Verfügbarkeit solcher Ressourcen ab. Genau an diesem Punkt setzt ein Stärken- und Ressourcentraining an, dass wir im Rahmen der Einführung des Betrieblichen Gesundheitsmanagements im Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung entwickelt haben (weitere Informationen unter https://staerken-ressourcen-training.jimdofree.com).
Ziel ist es, das Ressourcen-Belastungs-Ungleichgewicht zugunsten der Ressourcen zu verschieben. Ressourcen können personale Merkmale und Kompetenzen sein, aber auch soziale, materielle und ideelle Faktoren. Unser Stärken- und Ressourcentraining setzt auf drei verschiedenen Ebenen an. In sechs etwa 90 Minuten umfassenden Sitzungen werden in wöchentlichem Abstand einfache Übungen zur Körperaktivierung und -entlastung, zum Umgang mit belastenden Gedanken und Emotionen und zur Ressourcenaktivierung durchgeführt. Jede Sitzung endet mit einer Achtsamkeitsübung. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an unseren Trainings erhalten Aufgaben und Übungen zur Vertiefung der Trainingsinhalte und wir evaluieren im laufenden Projekt die Trainingseffekte nicht nur durch Selbsteinschätzungsfragebögen, sondern prüfen auch die Auswirkungen auf physiologische und biologische Indikatoren. Nicht zuletzt schulen wir Multiplikatoren, die unser Training in den unterschiedlichen Standorten dann eigenständig durchführen können.
Ist dieses Training ein Beispiel für die zunehmende Tendenz zur Selbstoptimierung? Das Streben nach eigener physischer und psychischer Optimierung und Perfektionierung hat durch die Verfügbarkeit von Apps und mobilen Sensoren zugenommen. Bisherige Studien belegen sowohl positive als auch negative Effekte von digitalisierten Selbstoptimierungs-Projekten bei den Self-Trackern der Quantified-Self-Community. Die entscheidende Frage für die zukünftige Forschung lautet deswegen: Unter welchen Bedingungen treten positive und negative Effekte bei den Self-Trackern auf? Bis wir darüber Genaueres wissen, empfehlen wir anstelle einer „Prise Selbstoptimierung“ eine „Prise Achtsamkeit“. In einer Audio-Instruktion zu einer Achtsamkeitsübung heißt es: „Es gibt nichts zu erreichen und nichts zu tun!“. Das ist das radikale Gegenteil von Multitasking. Selbstverständlich taugt dieser Satz nicht zum dauerhaften Lebensmotto. Aber wir sollten uns immer wieder kurze Momente und manchmal auch einige Stunden oder Tage gönnen, in denen wir genau diese Haltung erproben und einnehmen, um unsere Ressourcen zu stärken: Nichts erreichen und Nichts tun müssen!
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2021
Für die Verfasser:
Univ.-Prof. Dr. K.-H. Renner
Universität der Bundeswehr München
Werner-Heisenberg-Weg 39, 85577 Neubiberg
E-Mail: Karl-Heinz.Renner@unibw.de