WEHRMEDIZINISCHE FORSCHUNG UND ENTWICKLUNG IN DER BUNDESWEHR

Der vorliegende Artikel befasst sich mit der Wehrmedizinischen Forschung und Entwicklung in der Bundeswehr unter besonderer Berücksichtigung der vom Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) durchzuführenden Entwicklungsvorhaben gemäß Weisung Fü San I 1-71-01-00 vom 27.02.2008 „Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung in der Bundeswehr“, wobei die Wehrpharmazie mit eingeschlossen ist.

1. Aufgabe der Wehr - medizinischen Forschung und Entwicklung

Der Dienst in den Streitkräften bringt physische und psychische Belastungen sowie damit verbundene gesundheitliche Risiken mit sich, die im zivilen Bereich oft nicht in vergleichbarer Form oder Intensität auftreten. Erkenntnisse und Erfahrungen der wissenschaftlichen Medizin und verwandter Disziplinen müssen daher den Anforderungen und Besonderheiten des militärischen Dienstes und der sanitätsdienstlichen Versorgung angepasst werden. Die Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung ist ein anwendungsbezogener, fortdauernder Prozess zum Schließen von Fähigkeitslücken in der gesundheitlichen Prävention und sanitätsdienstlichen Versorgung der Soldaten der Bundeswehr. Sie dient ausschließlich humanitären Zielsetzungen und grenzt alle Vorhaben aus, die der Erprobung und Optimierung von Waffensystemen dienen.

2. Grundsätze der Wehr - medizinischen Forschung und Entwicklung

Als Teil der Ressortforschung der Bundesregierung hat die Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung die Vorgaben des Konzeptes einer modernen Ressortforschung der Bundesregierung zu beachten. Dazu zählt auch die zentrale Erfassung aller extern durchzuführenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung hat den Empfehlungen der Kommission der Deutschen Forschungsgemeinschaft „Selbstkontrolle in der Wissenschaft“ und den jeweils aktuellen und zutreffenden Normen und Bestimmungen der Qualitätssicherung sowie ethischen Grundsätzen zu folgen. Für die Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung gelten die entsprechenden gesetzlichen Regelungen wie die Genehmigung von Tierversuchen entsprechend dem Tierschutzgesetz, Meldungs- und Genehmigungsverfahren entsprechend dem Gentechnikgesetz und die rechtlichen Bestimmungen zur Beratungspflicht durch eine Ethikkommission bei klinischen Forschungsvorhaben. Kooperation im Bereich der Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung trägt zu einem effizienten Austausch von Ideen und Erfahrungen bei. Offenheit und Transparenz ist ein weiterer Grundsatz des wehrmedizinischen Forschungs- und Entwicklungsprogramms. Sowohl zivile Vertragnehmer der Bundeswehr als auch Forscher in bundeswehreigenen Einrichtungen publizieren die Ergebnisse in wissenschaftlichen Zeitschriften. Abschlußberichte von Forschungsvorhaben, die wesentliche Erkenntnisse von wehrmedizinischer Bedeutung erbracht haben, werden in der amtlichen Publikationsreihe „Forschungsberichte aus der Wehrmedizin“ veröffentlicht. Zudem findet in der Regel alle zwei Jahre das Wehrmedizinisch-Wissenschaftliche Symposium statt, auf dem die wehrmedizinischen Forschungs- und Entwicklungsprojekte vorgestellt werden. Vorhaben aus dem Bereich des Medizinischen ABCSchutzes werden in gesonderten Tagungen des jeweiligen Fachgebietes präsentiert. Weiterhin sind alle laufenden Forschungs- und Entwicklungsvorhaben der Homepage des Sanitätsdienstes der Bundeswehr als Internetpräsentation zu entnehmen.

3. Sanitätsdienstliche Einrichtungen mit Forschungsund Entwicklungsaufgaben

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Sanitätsdienstliche Einrichtungen mit Forschungs- und Entwicklungsaufgaben dienen der Unterstützung des BMVg bei der Wahrnehmung seiner Aufgaben. Im Bereich des BMVg betreibt der Sanitätsdienst zu diesem Zweck folgende Einrichtungen (Abb. 1):

  • Institut für Radiobiologie der Bundeswehr
  • Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
  • Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr
  • Institut für Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr
  • Laborabteilung IV (wehrmedizinische Ergonomie und Leistungsphysiologie) des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr
  • Sportmedizinisches Institut der Bundeswehr
  • Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe
  • Schifffahrtmedizinisches Institut der Marine

Diese Einrichtungen haben in ihrer STAN den Auftrag zur Durchführung von wehrmedizinischer Forschung und sollen jederzeit auf aktuellem Stand von Wissenschaft und Technik basierte fachspezifische und bedarfsorientierte Beratungsleistungen für militärische und politische Entscheidungsträger erbringen sowie Fähigkeitslücken im Bereich der Gesundheitsförderung, Prävention, Diagnostik und Therapie von Gesundheitsstörungen bei Soldaten und Soldatinnen sowie der Betriebsund Umweltmedizin und der Ergonomie schließen können.

4. Möglichkeiten der Wehrmedizinischen Forschung und Entwicklung

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Folgende Möglichkeiten der Wehrmedizinischen Forschung und Entwicklung stehen zur Verfügung (Abb. 2):

  •  STAN-Forschung

Sie wird in Bundeswehreinrichtungen durchgeführt, in deren STAN der Auftrag zur angewandten Forschung im Fachgebiet enthalten ist.

  • Sonderforschung

Geeignete Einrichtungen der Bundeswehr haben die Möglichkeit, priorisierte Themenbereiche der wehrmedizinischen Forschung auf Antrag zu bearbeiten.

  • Vertragsforschung

Wehrmedizinisch relevante Fähigkeitslücken werden aufgrund wirtschaftlicher Gesichtspunkte durch Beauftragung geeigneter ziviler Einrichtungen geschlossen. Dabei kann es zu einer Verbundforschung zwischen der Bundeswehr und den zivilen Einrichtungen kommen. – Entwicklungsvorhaben
Entwicklungsvorhaben bauen auf For - schungs ergebnissen auf und bezwecken die Einführung eines neuen Verfahrens oder neuer Materialien, Gerätschaften, Medizinprodukte und Arzneimittel oder die Umsetzung von zivilen Entwicklungen im medizintechnischen oder pharmazeutischen Bereich für den Sanitätsdienst der Bundeswehr. Das Management der Entwicklungsvorhaben obliegt dem Team U3.2 im Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB).

  • Drittmittelforschung

Sie liegt vor, wenn in Sanitätseinrichtungen der Bundeswehr drittmittelfinanzierte Forschungsvorhaben durchgeführt werden.

5. Forschungskonferenz des Sanitätsdienstes

Anträge für wehrmedizinische Forschungsund Entwicklungsvorhaben werden auf der jährlich stattfindenden Forschungskonferenz des Sanitätsdienstes (FoKo San) vorgestellt, beraten und priorisiert. Bei Entwicklungsvorhaben ist durch das Fachteam um BWB im Vorfeld eine Bewertung der Projektvorschläge unter technisch-wirtschaftlichen Aspekten durchzuführen. Ständige stimmberechtigte Teilnehmer der FoKo San sind:

  • BMVg Fü San I
  • BMVg Fü San I 1, I 2, I 3, I 4, I 5 und II 1
  • SanABw IV, V, IX und X
  • Generalarzt der Luftwaffe und Admiralarzt der Marine.

BMVg Fü San II 6 und BWB U3.2 sind nicht stimmberechtigte Mitglieder.

6. Vergabe von wehrmedizinischen Entwicklungsvorhaben

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Die Vergabe von Entwicklungsvorhaben erfolgt nach den einschlägigen Bestimmungen für Auftragsvergaben, insbesondere der Verdingungsordnung für Leistungen – Teil A (VOL/A), durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in enger Zusammenarbeit mit den fachlich zuständigen Stellen des Sanitätsdienstes. Bei Entwicklungsvorhaben, bei denen die zu erbringende Leistung nach Art und Umfang vor der Vergabe nicht eindeutig und erschöpfend beschrieben werden kann, ist nach VOL eine freihändige Vergabe zulässig, wobei zur Erkundung eines geeigneten Bewerberkreises die zu bearbeitende Fragestellung im Rahmen eines öffentlichen Teilnahmewettbewerbs bekanntgegeben werden kann. Die als geeignete Auftragnehmer identifizierten Teilnehmer werden dann zur Angebotsabgabe aufgefordert. Als Grundlage dient die Aufgabenbeschreibung (Zielsetzung, Arbeitsprogramm und Zeitplan) mit Bewertungsmatrix. Eine freihändige Vergabe ohne öffentliches Teilnahmeverfahren kann nur erfolgen, wenn aufgrund besonderer Bedingungen nur ein Auftragnehmer in Frage kommt. Der ausgewählte Vertragnehmer ist zur Abgabe eines Angebotes aufzufordern. Angebote, die nach Aufforderung im Rahmen eines öffentlichen Teilnahmewettbewerbs oder als Ergebnis einer Ausschreibung eingehen, werden geprüft und hinsichtlich ihrer Eignung in eine Rangfolge gebracht. Nach abschließender Billigung durch BMVg Fü San erhält das wirtschaftlichste Angebot den Zuschlag. Der Großteil der vom BWB bearbeiteten Entwicklungsvorhaben liegt auf dem Gebiet des Medizinischen ABC-Schutzes (Abb. 3).

7. Management der wehrmedizinischen Entwicklungsvorhaben

Alle Entwicklungsvorhaben sind einer regelmäßigen fachlichen Qualitätskontrolle zu unterziehen. Dies schließt auch die Erstellung von Berichten und deren Auswertung ein. Die finanzielle und vertragsrechtliche Kontrolle wird bei Entwicklungsvorhaben durch das BWB sichergestellt. Für jedes Entwicklungsvorhaben ist durch SanABw ein verantwortlicher Projektoffizier zu bestellen, der das Projekt wissenschaftlich begleitet und über die im Sanitätsdienst fachlich zuständige Stelle dem BWB unaufgefordert und unverzüglich über auftretende Besonderheiten oder Schwierigkeiten bei der Abarbeitung des Arbeitsprogramms berichtet. Bei der Begleitung und Überwachung der Entwicklungsvorhaben arbeitet das BWB eng mit den fachlich zuständigen Stellen des Sanitätsdienstes zusammen.

8. Berichterstattung bei wehrmedizinischen Entwicklungsvorhaben

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Dem BWB sind vom Entwicklungsnehmer zu festgelegten Zeitpunkten Zwischenberichte vorzulegen, die den Stand und den Fortgang des Entwicklungsvorhabens aufzeigen und somit der Qualitätskontrolle dienen. Der Abschlussbericht und das Entwicklungsergebnis haben spätestens drei Monate nach Beendigung des Vorhabens vorzuliegen (Abb. 4). Die fachliche Auswertung der Berichte erfolgt in Form von Auswertungsbeiträgen durch die dafür zuständige Stelle des Sanitätsdienstes. Auf der Grundlage dieser Auswertungsbeiträge erstellt das BWB eine Bewertung zum Sachstand des Entwicklungsvorhabens unter technisch-wirtschaftlichen Aspekten. Die Stellungnahmen zu den Berichten sollen erkennen lassen, ob der Projektfortschritt den Anforderungen und dem Arbeitsprogramm entspricht und müssen, falls notwendig, Maßnahmen zur Projektanpassung/Nach - steu erung enthalten. Bei fachlich begründeter Notwendigkeit können Entwicklungsvorhaben verlängert, inhaltlich geändert oder auch vorzeitig beendet werden.

9. Wehrmedizinische Entwicklungsvorhaben

Beispiele für aktuelle wehrmedizinische Entwicklungsvorhaben sind: – Optimierung spezialdiagnostischer, hochdurchsatzfähiger Methoden zur Abschätzung des genotoxischen Schadens durch kanzerogene Chemikalien und Strahlen. Hochtoxische Chemikalien wie alkylierende Hautkampfstoffe und ionisierende Strahlen können DNA-Schäden und damit Krebs verursachen. Ein Biomonitoring des Effekts (innere Dosis) ist bisher nur mit zeit- und arbeitsintensiven Methoden möglich. Ziel des Entwicklungsvorhabens ist es, das biologische Monitoring der inneren Belastung durch Kanzerogene durch eine robuste und hochdurchsatzfähige Methode sicherzustellen. Dies soll bei einem Massenanfall von A- und C-Verletzten eine rasche Identifizierung von Risikopatienten gewährleisten und die Therapieplanung unterstützen.

  • Entwicklung von humanisierten mono- und bispezifischen rekombinanten Antikörpern zur Prophylaxe und Therapie von Orthopockenvirus- Infektionen.

Das Pockenvirus gehört zu den gefährlichsten potentiellen B-Kampfstoffen. Bedingt durch die Einstellung der Pockenschutzimpfung ist die Verfügbarkeit von Vaccinia Immunglobulin (VIG) weltweit eingeschränkt. Ziel des Projektes ist die Herstellung prophylaktisch und therapeutisch wirkender rekombinanter Antikörper gegen das Pockenvirus für den sicheren Einsatz beim Menschen.

  • Entwicklung monoklonaler Antikörper zum Nachweis von Coxiella burnetii mit immunologischen Testverfahren.

Coxiella burnetii ist ein potentieller biologischer Kampfstoff, dessen Nachweis mittels klassischer mikrobiologischer Verfahren nur selten gelingt. Ziel des Entwicklungsvorhabens ist die Etablierung einer Früh- und Schnelldiagnostik für den direkten Antigennachweis, der alle Erregervarianten von Coxiella burnetii sicher erfasst.

  • Entwicklung von Nanopartikeln zum Transport von Oximen als Antidote gegen Organophosphatvergiftungen über die Blut- Hirn-Schranke.

Oxime sind Bestandteil der Therapie der Nervenkampfstoffvergiftung. Aufgrund ihrer molekularen Struktur sind sie nicht in der Lage, die Blut-Hirn-Schranke zu überwinden und die Acetylcholinesterase im Gehirn zu reaktivieren. Ziel des Vorhabens ist die Entwicklung von Trägerpartikeln für den Transport von Oximen in das Gehirn nach intramuskulärer Injektion.

  • Entwicklung eines milden Hautdekontaminationsmittels gegen Nervenkampfstoffe und S-Lost, das auch zur Dekontamination sensitiver Oberflächen geeignet ist.

Hochtoxische chemische Kampfstoffe können über die Haut aufgenommen werden. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines schonenden Hautdekontaminationsmittels gegen Nerven- und Hautkampfstoffe, das auch bei verwundeten Soldaten eingesetzt werden kann.

  • Entwicklung eines immunologischen Schnell tests zur Detektion von Lost-Kontaminationen.

Soldaten können bei Einsätzen mit dem Hautkampfstoff Schwefellost kontaminiert werden. Ziel des Vorhabens ist es, ein kommerziell verfügbares Nachweissystem für Drogen auf der Haut mit einem Antikörper gegen Schwefellost-DNA-Addukte zu kombinieren. Das Testsystem soll einfach zu bedienen sein und auch unter schwierigen Umweltbedingungen funktionieren.

  • Entwicklung eines Schnelltestsystems als In-vitro-Diagnostikum zur schnellen Vor- Ort-Erkennung einer Exposition mit Cholinesterase- Hemmstoffen (Organophosphate wie Nervenkampfstoffe oder Pestizide) aus humanem Vollblut.

Die Diagnostik einer Exposition mit Organophosphaten (Nervenkampfstoffe oder Pestizide) beruht derzeit ausschließlich auf der Beurteilung klinischer Symptome. Ein Schnelltestsystem zur patientennahen Diagnostik ist für die Einleitung einer adäquaten Therapie von entscheidender Bedeutung. Ziel des Projektes ist die Entwicklung eines feldverwendungsfähigen, zertifizierten Schnelltestsystems zur Diagnostik einer Organophosphatexposition aus humanem Vollblut. Die Wehrmedizinische Forschung und Entwicklung der Bundeswehr dient primär dem Gesundheitsschutz der ihr anvertrauten Soldaten, hat daneben aber auch einen nicht zu unterschätzenden Kollateralnutzen für den zivilen Bereich und leistet damit im Ganzen betrachtet einen wichtigen Beitrag zur weltweiten Sicherheit und Stabilität und damit zum Frieden.

Datum: 10.10.2009

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/3

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