Teamfähigkeit - Ausbildung - BelastbarkeitTeamfähigkeit - Ausbildung - Belastbarkeit
Interview mit dem Admiralarzt der Marine, Admiralarzt Dr. Wolfgang von der Heide-Kattwinkel
Admiralarzt Dr. Wolfgang von der Heide-Kattwinkel ist seit Juli 2012 Admiralarzt der Marine im Marinekommando in Rostock.
Im Interview mit Heike Lange, der Verlegerin des Beta-Verlages, und mit Oberstarzt Dr. Kai Schmidt, Chefredakteur der WEHRMEDIZIN UND WEHRPHARMAZIE (WM), spricht Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel über seinen Zuständigkeitsbereich und gibt einen Ausblick in die Zukunft dieses besonderen Anteils im Sanitätsdienst der Bundeswehr, der sich nach seinen Worten vor allem durch Teamfähigkeit, breitgefächerte Ausbildung und hohe Belastbarkeit der Angehörigen auszeichnet.
WM: Sehr geehrter Herr Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel, seit dem Jahre 2012 gibt es das Marinekommando als die höhere Kommandobehörde der deutschen Seestreitkräfte einschließlich des Marinesanitätsdienstes. Was macht die Besonderheiten der Sanitätssoldaten in dunkelblauer Uniform aus?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Sanitätssoldaten auf See sind, wenn es hart auf hart kommt, oftmals für Stunden, manchmal für Tage auf sich allein gestellt.
Nur unter günstigen Rahmenbedingungen können sie auf schnelle Hilfe durch SAR (Search and Rescue)-Mittel oder medizinische Unterstützung aus einem maritimen Verband hoffen.
Diese Rahmenbedingungen erfordern eine ausgezeichnete Teamfähigkeit jedes Einzelnen, eine sehr breitgefächerte Ausbildung und hohe Belastbarkeit.
WM: Ihr truppendienstlicher Vorgesetzter ist der Inspekteur der Marine. Gleichzeitig ist der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Ihr Fachvorgesetzter. Wie leisten Sie es, beiden „Chefs“ gerecht zu werden? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit beider Kommandobehörden?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Nach Aufstellung des Marinekommandos in Rostock ist die Abteilung Marinesanitätsdienst auf Augenhöhe neben den Abteilungen Einsatz, Einsatzunterstützung, Personal Ausbildung und Organisation sowie Planung aufgestellt.
Das erleichtert die Zusammenarbeit ungemein, weil in der Regel Fragen unmittelbar und vor Ort mit allen wichtigen Ansprechpartnern gelöst werden können. Die Integration in die Truppe ist hier vorbildlich verwirklicht. Doch ohne den zentralen Sanitätsdienst könnten wir sehr viele sanitätsdienstliche Unterstützungsleistungen nicht umsetzen. Von den Facharztabstellungen für die einzuschiffenden Bordfacharztgruppen einschließlich der Zahnärzte über personelle Unterstützung durch Rettungsassistenten, über die Beratung durch unterschiedliche Konsiliargruppen bis hin zur Unterstützung durch die Öffentlich-Rechtliche Fachaufsicht gibt es unzählige Schnittmengen, die nur durch gute Zusammenarbeit abgedeckt werden kann. Hier blicken wir auf eine jahrelange, hervorragende Zusammenarbeit mit dem Zentralen Sanitätsdienst zurück.
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Die Ausbildungserfordernisse für Sanitätspersonal steigen kontinuierlich.
Vor drei Jahrzehnten war es noch Ziel, einen Schiffsarzt so auf seine Tätigkeiten vorzubereiten, dass er chirurgisch einen Mindestkatalog von Operationen vorweisen konnte. Dieser Ansatz war zum Scheitern verurteilt, weil für die Inübunghaltung natürlich keine Zeit zur Verfügung stand. Und wer möchte sich schon von einem Schiffsarzt operieren lassen, dessen Operationserfahrung schon mehrere Jahre zurückliegt?
Das Gleiche galt sinngemäß für den Sanitätsmeister als Assistent des Schiffsarztes. Er war für sein äußerst umfangreiches Tätigkeitsfeld zwar durch vielfältige Lehrgänge und Praktika vorbereitet, für die Inübunghaltung in den einzelnen Spezialgebieten bleib aber nie genügend Zeit.
Heute werden bei Einsätzen außerhalb der SAR-Reichweite regelmäßig Bordfacharztgruppen eingeschifft, die durch klinisch geschultes Assistenzpersonal unterstützt werden.
Dies ist ein Beispiel für den Quantensprung an medizinischer Versorgungsqualität, bei der wir im internationalen Umfeld keinerlei Vergleiche scheuen müssen.
Gleiches gilt natürlich für die Ausrüstung und die konzeptionellen Rahmenbedingungen.
All dies sind Bereiche, an denen kontinuierlich gearbeitet wird.
Sorge machen mir nur die manchmal sehr langen Zeitspannen zwischen der Planung und dem Tag, an dem das geplante Gerät dann auch zugeführt, integriert und eingesetzt werden kann. Hier sehe ich noch Optimierungspotential.
WM: Angehörige des Marinesanitätsdienstes nehmen an nahezu allen Einsätzen der Bundeswehr teil. Können Sie uns das weite Einsatzspektrum Ihrer Soldatinnen und Soldaten beschreiben?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Das Einsatzspektrum reicht von der Teilnahme an den ständigen NATO-Einsatzverbänden über UNIFIL im Mittelmeer, ATALANTA am Horn von Afrika bis hin zur Flüchtlingsrettung im Mittelmeer mit unterschiedlichen Einsatzspektren. Aber auch zu allen wesentlichen Einsätzen des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr stellen wir regelmäßig Kräfte ab.
WM: Herr Admiralarzt, Sie persönlich sind zwar auch im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr eingesetzt gewesen, doch wesentlich von und durch die Marine geprägt. Marine steht gleichzeitig für besonderes Selbstverständnis und außergewöhnliche Herausforderungen. Was kristallisiert sich für Sie heraus, was bewegt die Angehörigen im Marinesanitätsdienst? Von welchen Sorgen und Nöten wird Ihnen berichtet?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Lange Abwesenheiten von zu Hause können vor allem für junge Familien eine sehr große Belastung darstellen. Man muss sich vorstellen, dass das für einzelne Soldaten, z. B. an Bord einer Fregatte bedeuten kann, Jahr für Jahr ungefähr sechs Monate nicht zu Hause zu sein. Die Ministerin hat mit ihrem Attraktivitätsprogramm hier die richtigen Weichen gestellt. Aber es gilt nun einmal auch, wer zur Marine geht, muss die Seefahrt mögen.
Wie bereits angesprochen ist ein weiterer Punkt, der viele Soldaten bewegt, die lange Dauer des militärischen Beschaffungsprozesses.
Hier versuchen wir durch Transparenz und Information des unterstellten Bereichs Verständnis zu generieren.
WM: Wie bewerten Sie die Nachwuchssituation für den Marinesanitätsdienst? Wie wollen Sie den Wettbewerb um die besten Köpfe gegenüber anderen Arbeitgebern gewinnen?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Nach Aussetzung der Wehrpflicht haben wir zunächst deutliche Probleme in der Personalregeneration zur Kenntnis nehmen müssen.Inzwischen hat sich die Nachwuchssituation aufgrund starker Unterstützung der Karrierecenter und des Bundesamtes für das Personalmanagement der Bundeswehr wieder gebessert.
Gleichzeitig haben wir strukturell Stellen aufgewertet, zum Beispiel an Bord der Fregatten einen zweiten Sanitätsmeister implementiert.
Diese führt zum Einen zu einer Aufgabenteilung und damit Entlastung des Einzelnen. Zugleich schafft es bessere, differenzierte Ausbildungsmöglichkeiten und führt zusätzlich noch zu einer Aufwertung des Dienstpostens.
Bei den Sanitätsoffizieren ist die Situation befriedigend. Der Dienstposten des Schiffsarztes hat nach wie vor genügend Anziehungskraft, um die Personalregeneration sicherzustellen.
WM: Welche Bedeutung hat die multinationale Zusammenarbeit für den Sanitätsdienst der Marine und wie sehen Sie die Zukunft?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: In den Einsätzen, in den einsatzgleichen Verpflichtungen bei den NATO-Einsatzverbänden und auch bereits in der Ausbildung ist die Marine immer multinational ausgerichtet.
Dabei ist multinationale Zusammenarbeit schon immer ein Schlüsselelement in der Deutschen Marine bzw. Bundesmarine gewesen.
Dies wird sich mit Sicherheit fortsetzen und weiter verstärken.
WM: Die Marine beinhaltet nicht nur Sanitätsdienst auf seegehenden Einheiten, vielmehr verfügt sie weiter über ein Schifffahrtmedizinisches Institut, ein Seebataillon, Sondereinsatzkräfte sowie Marinefliegersanitätsbereiche. Was können Sie Aktuelles aus diesen Elementen berichten?
Admiralarzt Dr. von der Heide-Kattwinkel: Die Aufzählung der verschiedenen Elemente der Marine, die sanitätsdienstlich unterstützt werden, zeigt eindrucksvoll das gesamte Spektrum sanitätsdienstlicher Tätigkeit, von der Übungs- und Ausbildungsunterstützung bei unseren grünen Verbänden über die fliegerärzliche Arbeit im Marinefliegerkommando bis hin zu der sanitätsdienstlichen Versorgung auf Schiffen und Booten.
Das hierzu erforderliche Sanitätspersonal wird sämtlich am Schifffahrtmedizinischen Institut der Marine für seine Aufgaben vorbereitet. Insofern ist die Verlegung des Institutes von Kronshagen nach Hamburg in die Liegenschaft des Bundeswehrkrankenhauses sicherlich die größte aktuelle Veränderung innerhalb des Marinesanitätsdienstes.
Ich erhoffe mir von dieser Maßnahme deutliche Synergieeffekte, insbesondere für die Bereiche Begutachtung und Ausbildung sowie Telemedizin und natürlich auch im Bereich der Forschung.
Sind doch in Hamburg zwei Universitäten, das Bernhard- Noch-Institut und die See-BG beheimatet. Die Kolozierung am Bundeswehrkrankenhaus wird darüber hinaus vielfältige Möglichkeiten im Rahmen der praktischen Ausbildung, sowohl für Unteroffiziere als auch für Sanitätsoffiziere eröffnen.
Hinzu kommt, dass die enge Anbindung der Taucherdruckkammer an die Intensivstation des Krankenhauses erstmalig seit Schließung des Bundewehrkrankenhauses Kronshagen auch die unmittelbare intensivmedizinische Behandlung von Tauchunfällen ermöglicht.
WM: Herr Admiralarzt, wir bedanken uns für das interessante Gespräch und die Einblicke, die Sie unseren Leserinnen und Lesern gewährt haben. Der Marine und seinem Sanitätsdienst wünschen wir auch für die Zukunft viel Erfolg und Soldatenglück.
Datum: 02.12.2015
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/3