Betriebliches Gesundheitsmanagement in der Bundeswehr 2015 bis in das Corona – Jahr 2020

M.Oebel

Im Jahr 2013 wurde der Entschluss zur Erprobung und ggf. Implementierung eines systematischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (GB BMVg) gefasst.

Erprobungs- und Implementierungsphase

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Im Jahr 2013 wurde der Entschluss zur Erprobung und ggf. Implementierung eines systematischen Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) in den Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung (GB BMVg) gefasst. Die Ziele des BGM leiteten sich unter anderem aus der Ottawa-Charta zur Gesundheitsförderung und der Luxemburger Deklaration zur Betrieblichen Gesundheitsförderung ab.

In diesem Sinne sollen die Vorgaben der Sozialgesetzgebung (insbesondere § 20 SGB V (Präventionsgesetz), § 1 und 14 SGB VII (Prävention arbeitsbedingter Gesundheitsgefahren), des Arbeitsschutzgesetzes und des Arbeitssicherheitsgesetzes ausgestaltet werden.

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Ausgehend von der Annahme, dass der wichtigste präventive Ansatz in der Gestaltung der Verhältnisse liegt und auf der Basis eines gesundheitsbewussten und -förderlichen Umfeldes das persönliche Gesundheitsbewusstsein und Verhalten am ehesten folgen werden, ist es das Ziel des BGM, sich aktiv an der Gestaltung der Handlungsgebiete Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS), Führung und Organisation (FuO) sowie Betriebliche Gesundheitsförderung (BGF) zu beteiligen.

Das BGM ist somit ein Managementsystem zur systematischen Weiterentwicklung der Organisation Bundeswehr. Es stellt eine prozessübergreifende Plattform zur Vernetzung und Weiterentwicklung der bereits bestehenden Systeme dar.

Es soll den Prozessverantwortlichen der verschiedenen Handlungsfelder als Instrument zur gesundheitsförderlichen Gestaltung von Arbeit und Organisation im Sinne der Verhältnis- und Verhaltensprävention dienen.

Eingebettet in ein gesundheitsförderliches und – soweit im Rahmen des Auftrages möglich und sinnvoll – sicher gestaltetes Umfeld, sollen die individuellen gesundheitlichen Fertigkeiten der Beschäftigten gefördert werden.

Während die Teilnahme an Maßnahmen des BGM laufbahn- und statusgruppenunabhängig den Beschäftigten freigestellt ist, ist die Durchführung eines systematischen BGM jeder Dienststelle als unbedingte Führungsaufgabe verpflichtend angewiesen.

Im Laufe der Implementierung des BGM wurden zur Unterstützung der Dienststellenleitung verschieden Instrumente geschaffen. Hierzu zählen unter anderem die Etablierung 

  • regional zuständiger dienststellenunabhängiger hauptamtlicher Koordinierender für das BGM (BGM-K),
  • eines dienststellenbezogenen Steuerungsgremiums, des Gremium Gesundheit. Dieses setzt sich unter anderem aus der Dienststellenleitung sowie der (Betriebs-)ärztlichen, psychologischen, sozialen und sportlichen Betreuung zusammen,
  • Schaffung personeller Ordnungsmittel für das Unterstützungspersonal in der Dienststelle (Beauftragte für das BGM – BeaBGM),
  • Interdisziplinär entwickeltes und evaluiertes Umfragetool zur IST-Zustandsanalyse (AIGScreenBw).

 

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So positiv wie Entwicklung des BGM verlaufen ist, so hat auch die Akzeptanz über die Jahre der Implementierung zugenommen. Auch wenn nun am Ende der Implementierung gesagt werden muss, dass in Bezug auf die Ausgestaltung des BGM als Managementsystem noch ein weiter Weg vor uns liegt, so ist doch ein wesentlicher erster Schritt getan worden nicht nur auf den Kulturellen Wandel zu reagieren, sondern ihn aktiv mitzuprägen.

In der Implementierungsphase hat sich der Schwerpunkt auf das Handlungsfeld der BGF verlagert. Dies ist langfristig vor dem Hintergrund der übergeordneten Zielsetzung nicht ausreichend.

In den Jahren 2016 bis 2019 wurden bundesweit ca. 4800 BGM-Maßnahmen durch qualifizierte interne oder externe Anbietende mit durchschnittlich 12 Teilnehmenden pro BGM-Maßnahme durchgeführt.

Hierbei zeigte sich eine starke Fokussierung auf die Themenfelder Bewegung und Ernährung, während Stress- und Suchtprävention (mit Ausnahme der Tabakentwöhnung) eher zögerlich angenommen werden. Die entsprechende Evaluation der Gründe war und ist Gegenstand der aktuellen Forschung im BGM. Auch sollen in diesen Bereichen zunehmend spezifische auf den Geschäftsbereich zugeschnittene Konzepte entwickelt werden.

Der AIGScreenBw wurde auch nach der Erprobung konsequent weiterentwickelt und hat zunehmend an Akzeptanz gewonnen. Lag die Teilnehmerzahl an der ersten und zweiten Befragungswelle noch bei lediglich bei 22,4 % bzw. 16,0 %, konnte sich diese Teilnahmequote im Rahmen der bundesweiten BGM-Implementierungsphase, von 2016 bis März 2020 deutlich steigern und stabilisieren. Bereits im Jahr 2018 konnte eine durchschnittliche Teilnahmequote von 33,8 % bei den Befragungen erreicht werden. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 112 Dienststellen erreicht.

Im Zuge der Implementierung des BGM nahm auch die Zahl der BGM-Koordinierenden (BGM-K) stetig zu. Konnten von den insgesamt 44 Dienstposten im Oktober 2018 nur gerade mal knapp über die Hälfte (52,2 %) bundesweit besetzt werden, so lag die Quote im Januar 2020 bereits bei 88,6 %.

Zum Ende der Implementierungsphase und zum Beginn des Regelbetriebs des BGM im GB BMVg ab Juni 2020, können so ca. 180.443 zivile und militärische Mitarbeiter erfolgreich erreicht werden.

Aber nicht nur die reinen Zahlen belegen die zunehmende Präsenz des BGM im Alltag der Beschäftigten und der Bundeswehr. Auch konkrete Veränderungen im Alltag wie zum Beispiel die Einführung der „Fitnesskost 2.0“ in der Truppenverpflegung oder die Veränderung der Raumausstattungssätze der Bundeswehr sprechen für sich.

BGM im Corona – Jahr 2020 - wo stehen wir und wie geht es weiter?

Fast pünktlich zum Ende der Implementierungsphase des BGM wurden die Maßnahmen zur Verzögerung des Fortschreitens der COVID-19 Pandemie eingeleitet. Diese bedeuten auch für das BGM der Bundeswehr eine spürbare Einschränkung.

Weder können aktuell Maßnahmen durchgeführt werden, noch sind die Beschäftigten in der gewohnten Stärke an ihren Arbeitsplätzen anzutreffen. Erschwerend kommen Hemmnisse in der Kommunikation hinzu. Diesen Herausforderungen zu begegnen und entsprechend Lehren für die Zukunft daraus zu ziehen, wird sicher eine der Kernaufgaben der nächsten Jahre sein.

Gleichzeitig zeigt die aktuelle Lage auch die Bedeutung eines gelebten BGM über alle Handlungsfelder hinweg. Alle drei Handlungsfelder sind in der jetzigen Situation wichtig und tragen zu einer erfolgreichen Bewältigung bei.

Aspekte des BGM in der jetzigen Lage sind unter anderem:

  1. persönliche Gesundheit als Grundlage den Risiken einer möglichen Infektion und deren Folgen besser entgegentreten zu können,
  2. ein Arbeitsumfeld in dem sich der Beschäftigte darauf verlassen kann, dass die Schutzausrüstung und die Schutzmaßnahmen geeignet sind die Risiken auf das technisch mögliche Mindestmaß zu reduzieren,
  3. eine Führung, die die Belastung im Blick behält und durch eine vorausschauende Planung und Führung das zur Verfügung stehende Personal effektiv und umsichtig einsetzt,
  4. aber auch Personal, das Führung anzunehmen weiß und wie man Handlungssicherheit erzeugt.


Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sowohl die Dienststellenleitungen als auch die Beschäftigten vor bisher unbekannten Herausforderung stehen. Die stark eingeschränkten Freizeitaktivitäten (Ausflüge, Reisen etc.) und soziale Kontakte (Treffen etc.) führen zu starken Veränderungen im Alltag. Viele bisher im Alltag noch kompensier- oder kaschierbare „Problemchen“ als auch Laster werden nun teilweise eklatant. Zum Beispiel steigt die Gefahr für Abhängigkeiten wie Internetsucht oder Handysucht durch reduzierte soziale Kontakte an. Aber auch das Risiko für einen steigenden Alkohol- oder Nikotinkonsum durch Einsamkeit als auch vermehrte Konflikte im häuslichen Umfeld wächst. Hinzu kommen häufig auch Frustration, Stress oder Langeweile aufgrund der stark veränderten Alltagsbedingungen und Lebensumstände.

All dies geht am BGM nicht ohne Eindruck vorbei. Veränderungen, denen in den teilweise sehr starren Strukturen der Bundeswehr bisher große Widerstände entgegenstanden, muss nun, um Arbeitsfähigkeit zu erhalten oder zu erzeugen, nachgegangen werden. Gleichzeitig sind die Handlungsmöglichkeiten eingeschränkt.

Es ist daher nur umso wichtiger, dass wir Strategien entwickeln, dass BGM auch „in der Krise“ präsent zu machen und Möglichkeiten zur Förderung aller Ziele des BGM anzubieten.

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BGM Training an der SanAkBw (Abb.: Julia Langer SanAkBw)
Ein wesentlicher, um nicht zu sagen essentieller Schritt hierzu ist, dass der Öffentlichkeitsauftritt des BGM an das jeweilige Informations- und Kommunikationsverhalten der Beschäftigten des GB BMVg angepasst wird. Hier sind nicht nur die Unterscheide im Informations- und Kommunikationsverhalten in der Zielgruppe (Altersstruktur 17 - 65 Jahre) zu berücksichtigen, sondern auch die seitens der Bundeswehr zur Verfügung stehenden Mittel und Vorgaben bezüglich deren Nutzung.

Die Bundeswehr ist ein sich stetig entwickelnder Organismus, von dem – besonders in Krisenzeiten – Effizienz und Effektivität erwartet wird.

Die Anpassung an neue Lagen erfordert, wie bereits erwähnt, hohe Flexibilität und die Identifizierung von Ressourcen. Auf dem Weg zur Weiterentwicklung der Bundeswehr ist daher ein systematisches Betriebliches Gesundheitsmanagement, dass die verantwortlichen für die Ressourcen vernetzt und eine Plattform zum gemeinsamen Austausch und der Erreichung des „Kunden“ anbietet, essentiell.

Die Bewertung der aus der Krise erwachsenden menschlichen als auch technischen Ressourcen und die Ableitung von Maßnahmen für die Zukunft bieten sicherlich zukünftig eines der wichtigsten Forschungsgebiete für das BGM der Bundeswehr.

Die Schaffung eines Netzwerkes zur Informationsgewinnung stellt hierzu nach unserer Überzeugung einen wichtigen Zwischenschritt dar.

Um dies anzustoßen, laden wir ein, mit uns in den Erfahrungsaustausch einzutreten. Wir stellen daher die Frage:

„Wie sieht Dein persönliches BGM in der Corona-Krise aus?“

Mittels selbstgedrehter Video-Clips / Podcasts möchten wir die persönlichen Erfahrungen und Eindrücke der Zielgruppe sammeln und, sofern von ihr gestattet, veröffentlichen. Die Kampagne soll nicht nur die Ideenvielfalt und Vielseitigkeit des Teams Bundeswehr darstellen und zur gegenseitiger wachsender Kreativität beitragen, sie soll den Erreichungsgrad und die Maßnahmenvielfalt steigern und die zukünftige Ausrichtung maßgeblich bestimmen.

Um hier möglichst viele Beschäftigte zu erreichen und die Hemmschwelle zur Teilnahme zu reduzieren ist geplant, dass das BGM mit guten Beispiel vorangeht und beginnt.

Begonnen beim hauptamtlichen Personal des BGM (BGM-K), Zentrales Steuerungselement des BGM (ZentrStrgElemBGM) und den BEA BGM soll die Frage nach dem „persönlichen BGM in der Krise“ beantwortet werden. Die Veröffentlichung ist zunächst im Intranet Bw geplant.

Im zweiten Schritt laden wir alle Beschäftigten der Bundeswehr dazu ein, sich mit Antworten auf folgende Fragen zu beschäftigen:

„Was verhindert die Krise?“ und „Was birgt die Krise an Möglichkeiten für das BGM?“

Im dritten und letzten Schritt findet eine Auswertung seitens des ZentrStrgElemBGM statt, aus der die Anregungen zu möglichen wissenschaftlichen Studien erwachsen soll.

Unser Ziel ist das systematische BGM als souveränes Führungsentwicklungsinstrument weiter zu etablieren, denn BGM ist mehr als BGF. Der Auftrag des BGM ist nicht ein zusätzliches Bewegungsangebot für die Beschäftigten anzubieten, sondern die Weiterentwicklung der Organisation Bundeswehr. 

 

1 Aus der Unterabteilung VI-3.3 (Unterabteilungsleiter OTA Priv.-Doz. Dr. K. Kehe) des Kdo SanDstBw (Inspekteur GoStA Dr. U. Baumgärtner)

Autor:
Oberfeldarzt Michael Oebel
Kdo SanDstBw Abteilung VI
michaeloebel@bundeswehr.org 

Datum: 17.09.2020

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2020

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