Vom Helden zum Profi - Veränderung der Einstellung zu psychischen Erkrankungen bei Einsatzsoldaten durch das präventive Computerprogramm CHARLY

From Hero to Pro
Change in attitude towards mental illness in deployed soldiers using the preventive computer program CHARLY

Aus dem Psychotraumazentrum der Bundeswehr¹ (Leiter: Oberstarzt Priv.-Doz. Dr. P. Zimmermann) des Bundeswehrkrankenhauses Berlin (Chefarzt: Flottenarzt Dr. K. Reuter) sowie dem Streitkräfteamt der Bundeswehr, Bonn² (Amtschef: Generalmajor W. Weisenburger)

Ulrich Wesemann¹, Jens T. Kowalski², Peter L. Zimmermann¹, Heinrich Rau¹, Patric Muschner¹, Sebastian Lorenz¹, Kai Köhler¹ und Gerd-Dieter Willmund¹

WMM, 60. Jahrgang (Ausgabe 1/2016: S. 2-7)

Originalarbeit

Zusammenfassung

Hintergrund: Einsatzbedingte psychische Störungen – vor allem Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) – stellen auch für die Bundeswehr ein Problem dar. Vor diesem Hintergrund wurde mit dem System CHARLY eine präventive interaktive Trainingsplattform zur Steigerung der Resi-lienz entwickelt. Mit dieser Studie sollte evaluiert werden, ob CHARLY der bisherigen Einsatzvorbereitung in Bezug auf Wissenserwerb und Einstellungsänderung zu psychischen Erkrankungen überlegen ist.

Methoden: Die Evaluation erfolgte bei einer Gruppe von 35 Soldaten, die jeweils vor und sechs Monate nach einem Einsatz in Afghanistan untersucht wurden. Die Probanden wurden im Rahmen der Einsatzvorbereitung nach dem Zufalls-prinzip der „CHARLY-Gruppe“ oder der „bisherigen“ Einsatzvorbereitungsgruppe“ zugeordnet. Mit einem Wissenstest zu PTBS und einem Einstellungstest zu psychischen Störungen wurde untersucht, ob sich sechs Monate nach Einsatz-ende Unterschiede zwischen den Gruppen finden.

Photo
Abb. 1: Bildschirmdarstellung “Wie funktioniert CHARLY?“

Ergebnisse: Bei der Einstellung zu psychischen Störungen zeigte sich ein signifikanter Gruppenunterschied zugunsten der „CHARLY-Gruppe“ (Z = -2,13; p = .017). Im Zuwachs an Wissen über psychische Erkrankungen gab es keine signifikanten Gruppenunterschiede, allerdings profitierte die Gesamtgruppe von der Psychoedukation (Z = -1,67; p = .047), vergleicht man das Wissen vor der einsatzvorbereitenden Ausbildung und dem 6 Monate nach Einsatzende.

Schlussfolgerungen: Die positive und stabile Veränderung in den Einstellungen kann auf CHARLY zurückgeführt werden. Da eine Einstellungsänderung die wesentliche Voraussetzung für eine Verhaltensänderung darstellt, könnte dadurch bei aufkommenden Problemen die Latenzzeit bis zum Aufsuchen professioneller Hilfe verkürzt werden. Vor dem Hintergrund der Ökonomie von CHARLY ist eine weiterführende Nutzung auch im Einsatz denkbar.

Schlagworte: Prävention, Einstellung, psychische Störung, Auslandseinsatz, Prädiktoren

Summary

Background: German Armed Forces personnel show a relevant number of combat and deployment related psychiatric disorders, first among them posttraumatic stress disorders (PTSD). To address this, CHARLY was developed as an interactive preventive platform aiming at improving resilience. The goal of this study was to show CHARLY’s supremacy in both retentive learning and attitude change as compared to traditional pre-deployment training.

Methods: To evaluate this we examined N = 35 combat soldiers deployed to Afghanistan, before and six months after deployment. Soldiers were randomly assigned to either the “CHARLY” group or the “traditional” training group. Using a knowledge quiz on PTSD and an attitude assessment on mental illness we tested for group-differences, six months after deployment.

Results: Attitude toward psychiatric disorders showed significantly better values for the CHARLY group (Z = -2.13; p = .017) while knowledge showed no significant group difference. However, the total group benefited significantly from psycho-education by improving knowledge outcomes (Z = -1.67; p = .047).

Conclusions: The detected positive and stable attitude change was shown to be effected by CHARLY. As attitude change is the central prerequisite for behavior modification it could reduce the lag-period in the seeking of professional care. As the method is highly economical this finding supports the wide-spread use of CHARLY even within the military deployment context.

Keywords: Prevention, attitude change, mental disorder, military deployment, predictors

Einführung

Soldaten haben ein hohes Risiko, im militärischen Auslandseinsatz spezifische Traumatisierungen zu erleben und an einer Traumafolgestörung zu erkranken [1, 2]. Personen, die ein traumatisierendes Ereignis erleben, können neben einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) häufig auch Erkrankungen wie Depression, generalisierte Angststörung und Agoraphobie entwickeln [1, 3]. Die Krankheitslast psychischer Störungen liegt bei deutschen Einsatzsoldaten bei über 20 % [4]. Sowohl peritraumatische Faktoren wie Art und Schwere eines Ereignisses und die psychische Verfassung als auch posttraumatische Faktoren wie akute psychische Symptome, Kognitionen, Coping und soziale Unterstützung sind zur Vorhersage von Traumafolgestörungen geeignet [5].

Angesichts der hohen Zahlen und der erheblichen sozio-ökonomischen Bedeutung psychischer Erkrankungen in militärischen Systemen bekommt eine effektive Primär- und Sekundärprävention eine besondere Bedeutung. Im Gegensatz zu Therapiestudien [6 - 10] sind die Untersuchungen zur Prävention allerdings bislang im zivilen und auch militärischen Bereich sowohl quantitativ als auch qualitativ wenig überzeugend. Ein systematisches Review von Studien hinsichtlich präventiver Maßnahmen bei potenziell kritischen Ereignissen zeigt mangelnde Evidenz für deren Wirksamkeit und liefert damit keine fundierte Grundlage für eine Empfehlung von Präventionsbausteinen [11]. Eine Studie (2008) zur sekundärpräventiven Wirkung eines Stressmanagement-Programms mit 40 Polizisten aus Sarajevo, die zur einen Hälfte das Programm absolvierten und zur anderen nicht, zeigte, dass sich Angst und somatische Reaktionen auf Stress im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant verringerten [12]. In einer weiteren Studie zur primärpräventiven Wirkung wurden Psychoedukation und ein Stressbewältigungstraining mit Polizeikräften im Kontext einer gezielten virtuellen Stressexposition vermittelt und erprobt. zwölf Monate nach dem Training wurden die Teilnehmer einer simulierten Stress-situa-tion ausgesetzt, die dem polizeilichen Berufsbild entsprach. Die trainierten Teilnehmer reagierten im Vergleich zu nicht trainierten professioneller und mit weniger negativer Stimmung und Stress [13].

Eine Studie von Ilniki et al. (2012) ergab, dass es mit Hilfe von computerbasierter Methodik und Biofeedback zu einer kurzfristigen Reduktion der Anspannung traumatisierter Personen kommt [14]. Interventionsmaßnahmen wie Stabilisierungstechniken, imaginative Distanzierungstechniken, Containment, -Sicherer Ort/Innere Helfer, die unmittelbar nach einem traumatischen Ereignis durchgeführt werden, führen zu einer verminderten PTBS-Rate [15].

Die Bundeswehr sieht obligatorisch psychologische Einsatzvorbereitungen für alle Soldaten vor, die in einen Einsatz gehen. Diese Einsatzvorbereitungen werden meist als psychoedukative Unterrichte mit allerdings begrenztem Zeitumfang (in der Regel ein bis drei Zeitstunden) durchgeführt. Da die Soldaten regelmäßig den Bedarf an weiterführenden Techniken und Interventionen zurückmeldeten, wurde unter Federührung des Psychologischen Dienstes der Bundeswehr eine deutlich umfangreichere und strukturierte, computerbasierte interaktive Trainingsplattform CHARLY (Chaos Driven Situations Management Retrieval System) entwickelt.

Photo
Abb. 2: Anwender beim Training; am linken Zeigefinger ist der Pulssensor (Bio-Feedback) angelegt
Ziel einer psychologischen Einsatzvorbereitung ist es, Veränderungen im Wissen und in den Einstellungen gerade in Hinblick auf die besonderen Herausforderungen des Auslandseinsatzes und möglicher Belastungen zu erreichen. Dabei sollen eigene Ressourcen besser genutzt werden, die Resilienz somit gestärkt werden. Mögliche Symptome sollen vom Betroffenen früh erkannt werden, so dass dieser adäquate Gegenmaßnahmen einleiten kann. Dabei ist durchaus interessant, inwieweit eine computergestützte Anwendung wie CHARLY hier Effekte erreichen kann.

Da bislang keinerlei vergleichbare Daten zu einem derartigen Ansatz existieren, wurde eine Evaluation von CHARLY notwendig. Dabei standen mehrere Fragestellungen im Vordergrund. Zum einen sollte überprüft werden, inwieweit mit einem inhaltlichen Algorithmus, auf dem CHARLY basiert, Veränderungen in Wissen und Einstellungen von primär psychisch gesunden Probanden überhaupt erreichbar sind. Zum zweiten sollte herausgearbeitet werden, ob derartige Veränderungen dann auch zu einem positiven Effekt für die seelische Gesundheit führen (letzteres wurde in einem weiteren, hier nicht beschriebenen Studienteil untersucht).

Ziel dieser Studie war es, den Wissenserwerb und die Einstellungsänderung zu psychischen Störungen vor dem Einsatz und sechs Monate nach Einsatzende zu untersuchen. Es sollte geprüft werden, ob CHARLY in diesen Bereichen einer konven-tionellen Prävention in Unterrichtsform überlegen ist.

Methoden

Das System CHARLY
CHARLY ist eine präventive, interaktive Trainingsplattform zur Steigerung der Resilienz, der mentalen Einsatzvorbereitung und der psychosozialen Unterstützung. Sein Ziel ist der Ausbau der eigenen Bewältigungsstrategien in belastenden Einsatzsitua-tionen, um das Risiko zu minimieren, an einer einsatzbedingten psychischen Störung zu erkranken.

CHARLY wird in Gruppen von 10 - 30 Teilnehmern über einen Zeitraum von anderthalb Tagen angewandt, die gemeinsam an miteinander vernetzten Computeranlagen (Notebooks) trainieren, womit auch ein Vergleich erzielter Ergebnisse ermöglicht wird. CHARLY setzt sich aus drei Modulen mit insgesamt zwölf Einheiten zusammen. Modul 1 besteht aus den Trainings-einheiten „Selbsterfahrung“, bei der der Teilnehmer mit Hilfe von Biofeedback eigene Stressreaktionen erfahren kann und „Psycho-edukation“, bei der dem Teilnehmer Informationen über Stress und Trauma vermittelt werden. Das zweite Modul setzt sich aus den Trainingseinheiten „Resilienz als Schutzhaltung“ und „Selbstwahrnehmung“ zusammen. Dabei geht es um die Vermittlung einer zweckmäßigen Einstellung zu Einsatz-situationen und um den Zusammenhang zwischen Gedanken und Gefühlen. Nach dem Motto „Vom Helden zum Profi“ soll der Soldat eine professionelle Sichtweise auf psychische Verwundungen erhalten. Im letzten Modul wird in der Trainingseinheit „Selbstberuhigung“ auf Techniken wie Gedankenstopp, Imagination und Muskelrelaxation eingegangen. Bei „Soziale Unterstützung“ geht es um Sensibilisierung durch simulierte Dialoge, die das Erkennen einer möglichen akuten Belastungsreaktion zur Folge hat.

Für die Teilnehmer an der interaktiven Trainingsplattform wird im Rahmen von „Blended-Learning“ individuelles freies Training gewährleistet. „Blended Learning“ ist eine Form integrierten Lernens und zielt darauf, didaktisch sinnvoll traditionelle Unterrichtsveranstaltungen mit modernen, alternativen Formen des Lernens, wie „E-Learning“, zu verbinden. Es werden dabei verschiedene Lernmethoden, Medien sowie lerntheoretische Ausrichtungen miteinander kombiniert, um Vorteile der einzelnen Methoden zu stärken und mögliche Nachteile auszugleichen.

Moderierte Gruppengespräche finden vor, zwischen und nach dem Training statt. Diese Gespräche werden durch einen spe-ziell geschulten Truppenpsychologen geleitet.

CHARLY ist auf der Grundlage des „serious gaming“ konzipiert und schafft damit eine Umgebung, mit der die meisten (jüngeren) Menschen von Video-Spielen im Grundsatz vertraut sind. Aufgrund einer pseudonymisierten Punktevergabe ist es möglich, interindividuelle und intraindividuelle Vergleiche vorzunehmen. Dadurch wird die Motivation in den Abschnitten gesteigert, bei denen eine geringe Punktzahl erzielt wurde. Schwerpunkte können von den jeweiligen Teilnehmern mittels innerer Differenzierung selbst gesetzt werden.

Die Kontrollgruppe wurde in der gleichen Zeitspanne durch -einen Psychologen trainiert und erhielt Informationen zur Entstehung, Prävention, Symptomatik und zum Umgang mit einsatzbedingten Posttraumatischen Belastungsstörungen.

Teilnehmer
Die Studie umfasste ursprünglich N = 67 Soldatinnen und Soldaten des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr, die im Rahmen der International Security Assistance Force (ISAF) vier Monate in Afghanistan entweder in einer Klinikkompanie, einem Rettungszentrum oder in der sanitätsdienstlichen Begleitung von im Lande operierenden Einsatzkäften eingesetzt wurden. In einer randomisierten Stichprobe wurden jeweils eine Experimental- (CHARLY) und eine Vergleichsgruppe (VG) gebildet. Die Randomisierung wurde mittels Losverfahren durchgeführt. Aus der jeweiligen Stichprobe wurden Teilnehmer ausgeschlossen, die an einer akuten psychischen Erkrankung gemäß ICD-10 erkrankt waren. Die Drop-out Rate lag mit n = 32 bei 47,8 % relativ hoch, ist jedoch aufgrund der militärischen Gegebenheiten bei längeren Untersuchungszeiträumen durchaus normal [16].

Die Untersuchung erfolgte vor der psychologischen Einsatzvorbereitung und sechs Monate nach dem Einsatz. Die Fragebögen wurden den Studienteilnehmern von psychologisch geschultem Fachpersonal vorgelegt, sechs Monate nach Einsatzende bekamen die Soldaten die gleichen Fragebögen postalisch zugeschickt. Der vier-monatige ISAF-Auslandseinsatz begann im Juni 2012.

Die Quote sechs Monate nach Einsatzende lag damit bei 52,23 % (n = 35 Probanden, 19 davon waren in der CHARLY-Gruppe, 16 in der Kontrollgruppe). Das Durchschnittsalter der untersuchten Soldatinnen (n = 15) und Soldaten (n = 20) lag bei 29,77  Jahren (SD = 5,451; Range = 22 - 42). 20 Probanden (57,1 %) gaben an, in einer Partnerschaft zu leben, 15 Teilnehmer (42,9 %) hatten keine Partner. Die Verteilung der Dienstgrade umfasste 3 (8,6 %) Mannschaftssoldaten, 28 (80 %) Unteroffiziere und 4 (11,4 %) Offiziere. 26 (74,3 %) Teilnehmer der Studie waren Zeitsoldaten und 9 (25,7 %) Berufssoldaten. Bezüglich des Schulabschlusses hatten 3 (8,6 %) Probanden -einen Volks-/Hauptschulabschluss, 23 (65,7 %) Mittlere Reife, 1 (2,9 %) Fachabitur und 8 (22,8 %) Abitur. Die Soldaten waren durchschnittlich 2,03 (Md = 1,0; Range = 1 - 7) mal im Einsatz. Der Mittelwert der Auslandstage im Einsatz lag bei 273,23 (Md = 191,0; Range = 89 - 886).

Testverfahren

Einstellung zu psychischer Verwundung und Einsatzbelastung
Zur Messung der subjektiven Einstellung hinsichtlich psychischer Verwundungen und Einsatzbelastung, wurde von der Firma ESG Elektroniksystem- und Logistik-GmbH (2009) ein Fragebogen für die Bundeswehr entwickelt. Das Messinstrument enthält Aussagen bezüglich Einsatzstress, traumatischer Belastung und PTBS (Beispielitems: „Ich fühle mich sehr belastbar. Deshalb macht mir Einsatzstress nichts aus.“, „Psychische Belastungen im Einsatz sind normal. Darauf muss ich vorbereitet sein und entsprechend trainieren.“) Der Fragebogen besteht aus 16 Items mit einer 5-stufigen Antwortskala von -2 = „trifft vollständig zu“ bis +2 „trifft überhaupt nicht zu“ (Cronbach’s Alpha[1]=0.62). Einige Items im Fragebogen sind invertiert. Je negativer die Ausprägung der Skala (arithmetisches Mittel der Einzelitems) ist, desto realistischer, vorurteilsfreier und gesundheitsförderlicher ist die Einstellung des Probanden zu psychischen Symptomen und Störungen.

Wissen über Einsatzstress und PTBS
Ein ebenfalls von der Firma ESG (2009) entwickelter Test sollte den Wissensstand der Soldaten über Themen wie Posttraumatische Belastungsstörung, Stress und traumatische Belastung erfassen. Dieser Fragebogen wurde als Multiple-Choice-Test mit 15 Items (Beispielitems: „Eine Posttraumatische Belastungsstörung kann entstehen durch…“, „Folgende Erscheinungen sind typische Stressreaktionen…“) konzipiert, um die Auswertungsobjektivität zu erhöhen. Für jede richtig angekreuzte und richtig nicht angekreuzte Antwort gab es einen Punkt. Die Probanden konnten maximal 65 Punkte erreichen.

Statistische Auswertung
Aufgrund der geringen Stichprobengröße kamen nichtparametrische Tests zum Einsatz. Zur Prüfung, ob sich EG und VG positiv verändern, wurde jeweils ein einseitiger Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test für verbundene Stichproben gerechnet. Mittels Wilcoxon-Rangsummen-Test für unverbundene Stichproben wurde geprüft, ob sich EG und VG sechs Monate nach dem Einsatzende voneinander unterscheiden.

Alle Berechnungen wurden mit dem Statistikprogramm IBM® SPSS® Statistics Version 21 durchgeführt. Es wurden darüber hinaus Daten zur möglichen Verbesserung der psychischen Gesundheit erhoben, die gesondert publiziert werden sollen.

Ergebnisse

Beim Wissen über Einsatzstress und PTBS ergab sich ein signifikanter Zuwachs für die Gesamtgruppe (Z = -1,67; p = .047), Unterschiede zwischen EG und VG lagen nicht vor.

Bei der Einstellung zu psychischer Verwundung und Einsatzbelastung gab es nach dem Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test für verbundene Stichproben in der EG eine signifikante (Z = -1,88; p = .031) Entstigmatisierung über den Untersuchungszeitraum, während sich für die Kontrollgruppe (Z = -0,69; p = .244) keine positive Einstellungsänderung ergab.

Mittels Wilcoxon-Rangsummen-Test für unverbundene Stichproben zeigte sich sechs Monate nach Einsatzende, dass die CHARLY-Gruppe signifikant (Z = 2,125; p = .017) weniger dogmatische Einstellungen hatte als die Vergleichsgruppe. Tabelle 1 zeigt die Ergebnisse der Wilcoxon-Vorzeichen--Rang-Tests für verbundene Stichproben über die beiden Messzeitpunkte.

Diskussion

In dieser Studie wurde der Einfluss der Computer-basierten, „Blended Learning“-Platform CHARLY auf Wissenserwerb und Einstellung zu psychischen Erkrankungen im militärischen Einsatzkontext untersucht. Der Effekt auf die psychische -Symptomatik wurde anderweitig publiziert; dabei ergaben sich Hinweise auf eine verbesserte psychische Situation von -CHARLY-trainierten Soldaten im Vergleich zu einer Kontrollgruppe [17].

Im Wissenstest gab es für die Gesamtgruppe trotz des ursprünglich hohen Ausgangsniveaus (> 85 % richtige Antworten) einen signifikanten Lernzuwachs zwischen beiden Messzeitpunkten. Sechs Monate nach Einsatzende lag jedoch kein signifikanter Unterschied zwischen CHARLY- und der Vergleichsgruppe vor. Der nicht signifikante Unterschied wird auf die geringe Fallzahl und das hohe Ausgangsniveau zurückgeführt. Dazu kommt, dass bei der Kontrollgruppe Psychoedukation einen hohen Stellenwert hatte und daher dem Effekt von CHARLY durchaus vergleichbar sein könnte. Die Trainingselemente von CHARLY, die bei der VG keine wesentliche Rolle spielten, tragen demgegenüber nur mittelbar zum Wissenserwerb bei.

Photo
Tab. 1: Wilcoxon-Vorzeichen-Rang-Test für verbundene Stichproben zur Testung auf Unterschiede vor dem Einsatz und sechs Monate danach
Hinsichtlich der Einstellungsänderung ergaben sich in der CHARLY-Gruppe signifikante Unterschiede zwischen den Messzeitpunkten. Die Einstellungen der Probanden zu psychischen Symptomen und Störungen sechs Monate nach dem Einsatz waren vorurteilsfreier, gesundheitsförderlicher und realistischer. Der Unterschied zwischen den Gruppen zugunsten von CHARLY lässt darauf schließen, dass CHARLY einen nachhaltigeren Einfluss auf die Einstellungen hat als die klassische Einsatzvorbereitung.

Die Verbesserung der Einstellungen in der Katamnese zugunsten der CHARLY-Gruppe kann auf die Vermittlung zweckmäßiger Einstellungen für die Einsatzsituationen zurückgeführt werden. CHARLY steigert die Resilienz, die Selbstwahrnehmung und die Einordnung von Gedanken und Gefühlen – auch in Zusammenhang mit Krankheits- und Stresssymptomen. CHARLY führt dadurch offenbar im Vorfeld des Einsatzes zu einer anhaltenden Einstellungsänderung, die sich auch nach dem Einsatz noch fortsetzt.

Dieser Befund stellt ein positives Gegenbild zu einer neueren Metaanalyse dar, die zu der zusammenfassenden Bewertung kam, dass Selbststigmatisierungen angesichts psychischer Erkrankung durch bisherige Interventionen nicht nachweisbar reduziert werden können [18].

Diese Untersuchung stellt somit die erste Studie ihrer Art dar, die in einem randomisierten, kontrollierten Design im militärischen Kontext positive Effekte einer strukturierten Primärprävention auf die Einstellung zu psychischen Veränderungen im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen nachweisen kann. Vorherige Untersuchungen konnten entweder keine signifikanten Vorteile von Prävention finden [11] oder hatten keine Baseline-Erhebungen vor dem Einsatz durchgeführt [13]. Angesichts der hier noch kleinen Fallzahlen sollte allerdings eine Replikation mit größeren Stichproben und auch bei weiteren Truppengattungen erfolgen.

Die Auseinandersetzung mit der eigenen Gesundheit, bevorstehenden Belastungen und der Bewältigungskompetenzen vor dem Einsatz, ist bei Soldaten von besonderer Bedeutung [19]. Die Wichtigkeit einer professionellen Einstellung zu psychischen Risiken im Beruf dürfte einen zentralen Einfluss auf die Latenzzeit bis zur Inanspruchnahme professioneller Hilfe seitens des Betroffenen haben. Jedoch scheint gerade in diesem Bereich der Forschungsbedarf noch sehr hoch zu sein [20]. Soldaten mit förderlichen Einstellungen suchen aber früher eine Fachkraft auf und reduzieren dementsprechend das Risiko einer Chronifizierung [21].

Die mobile Anwendung von CHARLY während des Einsatzes durch den Truppenpsychologen des jeweiligen Einsatzkontingentes könnte eine Möglichkeit bieten, das Wissen zur Thematik aufzufrischen. In diesem Zusammenhang könnte die Einstellungen noch weiter gestärkt werden und damit zu einer Steigerung der Resilienz führen. Aufgrund des geringen materiellen Aufwandes von CHARLY (Laptop), und der unkomplizierten Anwendung kann der Einsatz und das damit verbundene Üben mit der integrativen Trainingsplattform im Dienstplan berücksichtigt werden.

Limitation
Die Aussagekraft ist aufgrund der kleinen Stichprobengröße nach dem Drop-out begrenzt. Die Studie sollte daher als Pilotstudie betrachtet werden. Weitere Studien dazu sind geplant.

Fazit

CHARLY ist eine effektive und ökonomische Methode für die Einsatzvorbereitung von Soldaten. Das Computerprogramm konnte in einer randomisiert kontrollierten Studie den präventiven Effekt sowie die vorurteilsfreiere Einstellung der Soldaten zu psychischen Symptomen nachweisen. Eine weiterführende Nutzung scheint daher sinnvoll zu sein.

Kernaussagen / Fazit

  • CHARLY konnte seine Überlegenheit in der Einstellungsänderung zu psychischen Störungen unter Beweis stellen.
  • Sechs Monate nach Einsatzende hatten die Soldaten der CHARLY-Gruppe signifikant weniger Vorurteile und gesundheitsförderlichere Einstellungen zu psychischen Symptomen als die Vergleichsgruppe.
  • Die Chance einer früheren Inanspruchnahme von professioneller Hilfe wird erhöht, womit Chronifizierungen vorgebeugt werden kann.
  • Soldaten verfügen über ein fundiertes PTBS-spezifisches Wissen, welches sowohl durch CHARLY als auch durch die herkömmliche Einsatzvorbereitung weiter ausgebaut wird.
  • Die mobile Anwendung von CHARLY auch im Einsatz bietet Chancen, den positiven Effekt zu erhalten und weiter zu vertiefen.

Literatur

  1. Kaikkonen NM & Laukkala T: International military operations and mental health - A review. Nord J Psychiatr 2015; 12: 1-6.
  2. Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C, et al.: Traumatic experiences and posttraumatic stress disorder in soldiers following deployment abroad: how big is the hidden problem? Deutsches Ärzteblatt International 2012; 109 (35-36): 559-568.
  3. Trautmann S, Schönfeld S, Höfler M, et al.: Posttraumatic stress disorder after deployment of German soldiers: does the risk in-crease with deployment duration? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz 2013; 56 (7): 930-940.
  4. Wittchen HU, Schönfeld S, Kirschbaum C, et al.: Rates of Mental Disorders Among German Soldiers Deployed to Afghanistan: Increased Risk of PTSD or of Mental Disorders In General? J Depress Anxiety 2013; 2:133.
  5. Becker-Nehring K, Witschen I & Bengel J: Schutz- und Risikofaktoren für Traumafolgestörungen. Zeitschr Klin Psychol Psychother 2012; 41 (3): 148-165.
  6. Rothbaum BO & Hodges LF: The use of virtual reality exposure in the treatment of anxiety disorders. Behavior Modification 1999; 23 (4): 507-525.
  7. Krijn M, Emmelkamp PM, Biemond R, et al.: Treatment of acrophobia in virtual reality: The role of immersion and presence. Behaviour Res Ther 2004; 42 (2): 229-239.
  8. Krijn M, Emmelkamp PMG, Olafsson RP, Biemond R: Virtual reality exposure therapy of anxiety disorders: a review. Clinical Psychology Review 2004b; 24 (3): 259-281.
  9. Baus O, Bouchard S: Moving from virtual reality exposure-based therapy to augmented reality exposure-based therapy: a review. Front Hum Neurosci 2014; 8: 112.
  10. Pelissolo A, Zaoui M, Aguayo G, et al.: Virtual reality exposure therapy versus cognitive behavior therapy for panic disorder with agoraphobia: A randomized comparison study. Journal of Cyber-Therapy & Rehabilitation 2012; 5 (1): 34-43.
  11. Skeffington PM, Rees CS, Kane R: The primary prevention of PTSD: a systematic review. J Trauma Dissociation. 2013; 14 (4):404-422.
  12. Sijaric-Voloder S, Capin D: Application of cognitive behavior therapeutic techniques for prevention of psychological disorders in police officers. Health Med 2008; 2 (4): 288.
  13. Arnetz BB, Nevedal DC, Lumley MA, Backman L, Lublin A: Trauma resilience training for police: Psychophysiological and performance effects. J Police Crim Psych 2009; 24: 1-9.
  14. Ilnicki S, Wiederhold BK, Maciolek J, et al.: Effectiveness evaluation for short-term group pre-deployment VR computer-assisted stress inoculation training provided to Polish ISAF soldiers. Stud Health Technol Inform 2012; 181: 113-117.
  15. Miller L: Psychological interventions for terroristic trauma: prevention, crisis management, and clinical treatment strategies. Intl J Emerg Ment Health 2011; 13 (2): 95-120.
  16. Wesemann U, Kowalski JT, Jacobsen T, et al.: Evaluation of a technology-based adaptive learning and prevention program for stress response - a randomized controlled trial. Mil Med 2015 (in print).
  17. Wesemann U, Schura R, Kowalski JT, et al.: Context of deployment and tobacco dependence among soldiers; Gesundheitswes 2015; 77 (Epub ahead of print).
  18. Griffiths KM, Carron-Arthur B, Parsons A, Reid R: Effectiveness of programs for reducing the stigma associated with mental disorders. A meta-analysis of randomized controlled trials. World Psychiatr 2014; 13 (2): 161-175.
  19. Brenner LA, Betthauser LM, Bahraini N et al.: Soldiers returning from deployment: A qualitative study regarding exposure, coping, and reintegration. Rehabil Psychol 2015; 60 (3): 277-285.
  20. Hom MA, Stanley IH, Joiner TE: Evaluating factors and interventions that influence help-seeking and mental health service utilization among suicidal individuals: A review of the literature. Clin Psychol Rev 2015; 40: 28-39.
  21. Garcia HA, Finley EP, Ketchum N, Jakupcak M, Dassori A, Reyes SC: A survey of perceived barriers and attitudes toward mental -health care among OEF/OIF veterans at VA outpatient mental -health clinics. Mil Med 2014; 179 (3): 273-278.

Interessenkonflikte: Wesemann und Kowalski sind Bundesbeamte, Zimmermann, Rau, Lorenz und Willmund sind aktive Sanitätsoffiziere. Köhler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Psychotraumazentrum des Bundeswehrkrankenhauses Berlin.

Bildquelle:

Abb. 1: Firma ESG
Abb. 2: Frank Eggen, Berlin

Originalarbeit

Manuskriptdaten:

Eingereicht: 07.10.2015
Revidierte Fassung angenommen: 17.12.2015

Zitierweise:

Wesemann U, Kowalski J, Zimmermann P, Rau H, Muschner P, -Lorenz S, Köhler K, Willmund D: Vom Helden zum Profi – Veränderung der Einstellung zu psychischen Erkrankungen bei Einsatzsoldaten durch das präventive Computerprogramm CHARLY. Wehrmedizinische -Monatsschrift 2016; 60(1): 2-7.

Eine Englische Version des Textes finden Sie hier.
An English version of this article you will find here.


[1] Cronach´s Alpha ist eine nach Lee Cronbach benannte dimensionslose Maßzahl zwischen 0 und 1, mit der die interne Konsistenz eines psychometrischen Testinstruments geschätzt wird. Für selbstadministrierte Tests ist ein Alpha von 0,62 noch akzeptabel.

 

Datum: 20.01.2016

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2016/1

Verwandte Artikel

Vorstellung eines digitalen Schlafcoaching-Programms zur Gesundheitsprävention in der Bundeswehr

Vorstellung eines digitalen Schlafcoaching-Programms zur Gesundheitsprävention in der Bundeswehr

Der Psychologische Dienst der Bundeswehr (PsychDstBw) bietet mit dem online-Schlafcoaching-Programm trainSLEEP einen Baustein für das Training der Psychischen Fitness für Bundeswehr-Angehörige an.

Wehrmedizinische Monatsschrift 01-02/2023

Empty Image

Werteveränderungen und moralische Verletzungen bei im Einsatz psychisch erkrankten Soldaten der Bundeswehr

Zusammenfassung Soldaten der Bundeswehr erleben im Einsatz neben traumawertigen Belastungen auch Situationen mit Auswirkungen auf Wertorientierungen, bis hin zu moralischen Verletzungen.

Grenzerfahrungen des Selbst und psychische Erkrankungen von Soldatinnen und Soldaten in Auslandsverwendungen

Grenzerfahrungen des Selbst und psychische Erkrankungen von Soldatinnen und Soldaten in Auslandsverwendungen

Jede Auslandsverwendung von Soldatinnen und Soldaten erweitert deren Tätigkeitsspektrum, ist jedoch auch mit Risiken und Wagnis verbunden. Aufgrund der langjährigen truppenärztlichen Versorgung des o. a. Personenkreises soll in diesem Artikel...

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/3

Meist gelesene Artikel

Photo

Snus in der Bundeswehr

Das rauchfreie Tabakprodukt Snus erfreut sich beim Militär aufgrund seiner einfachen Handhabung großer Beliebtheit. Trotz des Verkaufsverbots in Deutschland importieren Konsumenten Snus über…