SEELISCHE BELASTUNGEN IM AUSLANDS EINSATZ

Interview mit Oberstarzt d.R. Prof. Dr. Dipl.-Psychologe Rolf Meermann nach seiner Afghanistan-Reise

Bundeswehr bei Kunduz angegriffen“. So oder ähnlich lauteten oftmals die Schlagzeilen in den Medien in den letzten Wochen. Immer häufiger geraten deutsche Soldatinnen und Soldaten im Norden Afghanistans in Hinterhalte und liefern sich zum Teil stundenlange Gefechte mit Dutzenden von Angreifern. Zurück bleiben oft Tote und Verwundete. Diese Extremsituationen belasten die Soldaten physisch und psychisch.

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Die Auswirkungen von psychisch belastenden Ereignissen, wie Unfällen, Terrorakten, Großschadensfällen und Kampfhandlungen, auf die beteiligten Personen sind seit Jahren innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Gegenstand intensiver Forschung. Die bei solchen Ereignissen erlebten physischen und psychischen Belastungen können nicht nur akute, sondern auch zeitlich verzögerte Reaktionen auslösen. Das Spektrum reicht in der Regel von spontan innerhalb von Stunden oder Tagen abklingenden akuten Belastungsreaktionen bis hin zu schweren psychoreaktiven Erkrankungen, wie Anpassungsstörungen oder post traumati - schen Belastungsstörungen (PTBS). Anfang Juni 2009 begleitete Oberstarzt d.R. Prof. Dr. Dipl.-Psychologe Rolf Meermann den Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Kurt-Bernhard Nakath, im Rahmen einer Dienstaufsichtsreise nach Afghanistan. Stationen der Reise waren Termez / Usbekistan und Mazar-e-Sharif und Kunduz in Afghanistan (Abb). Nach dieser Reise befragte ich den Facharzt und Sanitätsoffizier der Reserve auf dem Flug von Termez / Usbekistan nach Köln nach seinen noch frischen Eindrücken.

Ortmeyer: „Herr Oberstarzt, seit 12 Jahren beraten Sie den Inspekteur des Sanitätsdienstes in Fragen der Wehrpsychiatrie. Was hat Sie bei der Reise besonders interessiert?“

Prof. Meermann: „Ich interessiere mich vor allem für die Arbeitsbedingungen der Soldatinnen und Soldaten im Einsatzland, um mir einen persönlichen Eindruck von den Belastungsfaktoren zu machen, die ggf. dann in psychiatrische behandlungspflichtige Krankheiten münden könnten.“

Ortmeyer: „Welchen seelischen Belastungen sind die Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan ausgesetzt?“

Prof. Meermann: „Die veränderte Qualität dieses Auslandseinsatzes erzeugt zahlreiche seelische Belastungsfaktoren: die reale Bedrohungslage durch IED´s (improvisierte Sprengvorrichtungen) oder Hinterhalte, die im Vergleich zu meiner Reise nach Afghanistan vor zwei Jahren deutlich zugenommen haben, oder auch die Tatsache, dass unsere Soldaten zur Selbstverteidigung scharf schießen müssen. Das ist den Soldaten auch bewusst. Ich interessiere mich aber insbesondere auch für positive Rahmenbedingungen, d.h. was sind im Grunde die Empfehlungen für Prävention bzw. Prophylaxe, die aus dem Sanitätsdienst der Bundeswehr gegeben werden können, um den schwierigen Einsatz der Soldaten erstens erträglicher zu machen (Stichwort: Arbeitsmedizin) und zweitens das Auftreten von seelischen Störungen möglichst zu verhindern. Ein Belastungsfaktor besonderer Art ist sicher die Tatsache, inwieweit ich mein Tun vor mir selbst begründen und rechtfertigen kann. In der Stressforschung gibt es den Begriff des Kohärenzgefühls: Wenn ich von der Sinnhaftigkeit meines Auftrages überzeugt bin, wenn ich weiß, dass ich mich zwar besonders anstrenge und mein Leben riskiere, dies aber aus gutem Grunde tue und die Heimat hinter mir steht, die Presse und die Politik, meine Risikobereitschaft aktiv unterstützen, dann fällt es mir leichter, Stress auszuhalten und das Risiko, eine seelische Erkrankung oder eine Anpassungsstörung zu bekommen, ist minimiert.“

Ortmeyer: „Wie werden die Soldatinnen und Soldaten betreut?“

Prof. Meermann: „Grundsätzlich kann man sagen, dass die Soldaten, was mein Fachgebiet angeht, gut betreut sind. Es gibt eine Reihe von Unterstützungsangeboten wäh rend und auch nach dem Einsatz. In erster Linie die Kameradschaft, also der „peer support“, d. h. die Unterstützung durch Kameraden bei seelischen Krisen. Dann sicherlich die wichtige Rolle der Vorgesetzten. Darüber hinaus gibt es professionelle Beratungsangebote durch die Militärseelsorger, durch den Truppenpsychologen oder bei manifesten psychischen Erkrankungen durch den Facharzt für Psychiatrie.“

Ortmeyer: „Was haben Ihnen die Soldatinnen und Soldaten erzählt?“

Prof. Meermann: „Ich habe vor zwei Jahren und auch jetzt wieder mit Soldaten aller Dienstgradgruppen sprechen können und mir ihre seelischen Belastungen erzählen lassen. Auch hier fällt auf, dass bei einer nach wie vor insgesamt hohen Dienstauffassung bei den Soldaten zunehmend die Sinnfrage gestellt wird und sie eine nachvollziehbare Risikoabwägung für sich vornehmen. So hörte ich zum Beispiel: Wofür setze ich mein Leben ein, wenn ich in der Heimat nicht die entsprechende Anerkennung für mein Tun erhalte? Steht das Risiko, das ich durch meinen persönlichen Einsatz eingehe, in einem Verhältnis zu den Dingen, die ich in der Heimat aufs Spiel setze, wie zum Beispiel Partnerschaft und Familie? Diese grundsätzlich existenziellen Fragen haben sicherlich aufgrund der erhöhten Bedrohungslage eine neue Qualität in 2009 gewonnen, die in meinen Gesprächen mit Soldatinnen und Soldaten deutlich geworden ist.“

Ortmeyer: „Was ist der Unterschied zwischen einer seelischen Belastung und einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS)?“

Prof. Meermann: „Es ist sehr wichtig zu unterscheiden zwischen einer kurzfristigen Anpassungsreaktion auf extreme seelische Belastungen, die sich rasch zurückbildet, und manifesten behandlungspflichtigen seelischen Erkrankungen, wie der PTBS. Kurzfristige Belastungsreaktionen oder auch gut rückbildungsfähige Anpassungsstörungen sind viel häufiger als die PTBS, welche in der Laienpresse häufig überbewertet wird und auch vor allem zahlenmäßig nicht in dem Maße das repräsentative Krankheitsbild nach einem Auslandseinsatz darstellt. Die Assoziationskette „Auslandseinsatz-Trauma-posttraumatische Belastungsstö rung“ ist bei einer behandlungsbedürftigen Quote von seelischen Störungen um die 2 % bei Rückkehr in die Heimat zu kurz gesprungen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr hat durch umfangreiche Maßnahmen für eine fachgerechte Diagnostik und ggf. Behandlung aller Arten von seelischen Störungen, welche nach Auslandseinsätzen auftreten können, gesorgt. Zahlreiche Unterstützungsangebote sind aufgebaut und werden weiter vervollkommnet, z. B. Schulung und Weiterbildung von Truppenärzten im Sanitätsamt, Aufbau von psychosozialen Netzwerken, schriftliches Informationsmaterial etc.. Insgesamt läßt sich sagen, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr den wichtigen Bereich der Aufrechterhaltung der seelischen Gesundheit von Soldatinnen und Soldaten sehr ernst nimmt und auf hohem Niveau Beratungs-, Unterstützungs- und Behandlungsmöglichkeiten implementiert wurden.“

Ortmeyer: „Herr Oberstarzt, ich bedanke mich für das Gespräch.“

Zur Person: Prof. Dr. med. Dipl.-Psych. Rolf Meermann leitet seit 1987 die AHG Psychosomatische Klinik Bad Pyrmont. Er ist Facharzt für Nervenheilkunde, Facharzt für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Er hat sich spezialisiert auf Essstörungen, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS), Depression und Angst. Er ist Oberstarzt der Reserve und Mitglied im Wehrmedizinischen Beirat am Bundesministerium der Verteidigung. Er vertritt dort das Fachgebiet Psychiatrie. Seit über zwölf Jahren behandelt er unter anderem auch Soldaten, die aus den Bundeswehrkrankenhäusern über die Wehrpsychiater zur weiteren stationären fachtherapeutischen Behandlung zugewiesen werden. Prof. Meermann begleitete zum dritten Mal den Inspekteur des Sanitätsdienstes auf einer Auslandsinspektionsreise. Im Juni 1999, kurz nach dem Einmarsch des Deutschen KFOR-Kontingentes, war er in Prizren/Kosovo und bereits 2007 mit dem Inspekteur in Mazar-e-Sharif und in Kunduz/ Afghanistan.

Datum: 08.10.2009

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/3

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