PSYCHOLOGISCHE BETREUUNG: WENN DIE SEELE IN GEFAHR IST

Auslandseinsätze stellen die Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien häufig vor außergewöhnliche seelische Belastungen. Um den Dienst im Einsatz zu bewältigen und auch danach unbelastet zu sein, bietet die Bundeswehr eine umfassende psychologische Betreuung an – vor, während und nach den Auslandseinsätzen.

Auslandseinsätze, wie beispielsweise in Afghanistan, konfrontieren die Bundeswehrsoldaten häufig mit Herausforderungen, die mit militärischen Mitteln nicht zu meistern sind. Sie erleben Armut und Elend in der Bevölkerung, sie müssen mit einer ständigen Bedrohungs- und Gefährdungslage umgehen können, und sie können selbst Opfer von Anschlägen werden oder müssen erleben, wie es ihre Kameraden werden. Das alles sind Stresssituationen, die Körper und Seele gleichermaßen angreifen. Als Folge solcher Erlebnisse können die Betroffenen so genannte posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) entwickeln.

Netzwerk der Hilfe

Um die Soldaten auf diese Anforderungen im Einsatz vorzubereiten und sie gegen Gefahren für die Seele zu wappnen, hat die Bundeswehr eine umfassende Strategie entwickelt. Sie gewährt eine intensive psychologische Betreuung durch geschultes Personal. Ziel ist es, jedem Soldaten vertrauenswürdige und kompetente Ansprechpartner für offene Gespräche zur Seite zu stellen. Fachkräfte von Sanitätsdienst, Psychologischem Dienst, Sozialdienst und der Militärseelsorge haben sich zu einem psycho-sozialen Netzwerk zusammengeschlossen und bieten betroffenen Soldaten und deren Familien Hilfe und Beratung. Ergänzt werden diese Angebote durch die Stellen der Familienbetreuung und der Hilfswerke der Bundeswehr.

Psychische Belastungen sind keine Schwäche
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Betreuung und Hilfe setzen aber voraus, dass es keine Hemmschwellen gibt, die Soldaten möglicherweise hindern, sich mit psychischen Belastungen an Ärzte und Psychologen zu wenden. Stigmatisierung oder dienstliche Nachteile muss niemand befürchten, das betont auch der Generalinspekteur der Bundeswehr, General Wolfgang Schneiderhan: „Psychische Erkrankungen unserer Soldatinnen und Soldaten haben den gleichen Stellenwert wie körperliche Erkrankungen oder Verletzungen. Wir nehmen das ernst, und wir machen keinen Unterschied.“ Oberstarzt Dr. Karl-Heinz Biesold vom Bundeswehr-Krankenhaus in Hamburg erklärt: „Posttraumatische Belastungsstörungen sind keine persönliche Schwäche. Sie sind kein menschlicher Makel und sie sind nicht auf Soldaten beschränkt.“ Grundsätzlich kann jeder nach schweren Schockerlebnissen Symptome psychischer Belastungen entwickeln.

Phasen der Einsatzbetreuung

Das Betreuungskonzept der Bundeswehr folgt einem „Drei-Phasen-Drei-Ebenen-Modell“: Die Phasen beschreiben die Zeiträume vor, während und nach dem Einsatz; die Ebenen beziehen sich auf die Intensität der Betreuung. Diese wiederum richtet sich nach der Schwere der psychischen Belastung und reicht vom Gespräch mit Kameraden und Vorgesetzen über die Fachexpertise des Truppenpsychologen bis hin zu einer möglichen Therapie im Rahmen der klinischen Psychologie. Die Themen Stress und Stressbewältigung sind wesentlicher Teil der psychologischen Betreuung und damit Aufgabe der Truppenpsychologen der Bundeswehr. Sie sind in jeder Phase beteiligt und auch darüber hinaus. Schon bei den Auswahlverfahren der Bewerber beurteilen sie, ob die jungen Kandidaten neben den körperlichen und geistigen auch die psychischen Voraussetzungen für den Dienst in den Streitkräften mitbringen. Mit Blick auf die Auslandseinsätze sind Belastbarkeit und soziale Kompetenz gefragt.

Vor dem Einsatz

Vor jedem Auslandseinsatz steht die Kontingentausbildung zu Hause. Neben militärischer Übung und theoretischer Wissensvermittlung ist das psychologische Training fester Bestandteil der Einsatzvorbereitung. Es bereitet die Soldatinnen und Soldaten auf verschiedene Gefahr- und Gewaltsituationen vor; beispielsweise auf Geiselnahmen. Geübt wird unter möglichst realistischen Bedingungen. So etwa im Ausbildungszentrum der Vereinten Nationen in Hammelburg. Hier wird die Gefangennahme durch Kidnapper äußerst wirklichkeitsnah nachgestellt. Auch Verhaltensstrategien nach extremen Belastungssituationen werden noch in der Heimat geübt. Es geht um den Umgang mit Fällen von Anschlägen und Unfällen mit Toten und Verletzten. „Bewältigungsstrategien“ nennen die Truppenpsychologen das, und es funktioniert vor allem über das Gespräch.

Während des Einsatzes

Die psychologische Betreuung ist auch während des Einsatzes gewährleistet. Die Psychologen der Bundeswehr gehen in Uniform als Wehrübende mit der Truppe in den Einsatz. Zusammen mit dem Personal des Sanitätsdienstes und der Militärseelsorge sind sie dort Ansprechpartner für die Soldaten aller Dienstgrade. Sie helfen bei der Bewältigung von Belastungs- und Krisensituationen und stehen auch den Kontingentführern in psychologischen Fragen als Berater zur Seite. Für die Soldaten ist es allerdings manchmal nicht einfach, sich eigene Ängste und Belastungen einzugestehen und sich damit an einen Psychologen oder Seelsorger zu wenden. Truppenärzte und auch so genannte Peers bilden da eine wichtige Brücke. Besonders die Peers, als speziell geschulte Kameraden, haben häufig den „besseren Draht“ zu den Soldaten. Sie sind Ansprechpartner und im Notfall Lotsen im Netzwerk der Hilfe.

Nach dem Einsatz

Trotz intensiver Vorbereitung und Betreuung sind Eindrücke und Erlebnisse im Einsatz für die Soldaten oft schwer zu verarbeiten. Nicht selten zeigen sich posttraumatische Belastungsstörungen erst Wochen, Monate oder sogar Jahre nach dem Erlebten. Um dem vorzubeugen, durchlaufen alle Soldatinnen und Soldaten Einsatz-Nachbereitungsseminare. Deren Ziel ist es, posttraumatische Belastungsstörungen zu erkennen und möglichst frühzeitig zu behandeln. Die Seminare finden bewusst außerhalb der dienstlichen Standorte statt; beispielsweise in Erholungseinrichtungen des Bundeswehr-Sozialwerks. Die räumliche Distanz und zivile Umgebung sorgen für Entspannung und fördern die bewusste Auseinandersetzung mit den Einsatzerlebnissen. Die Gruppen- und Einzelgespräche werden von geschulten zivilen Moderatoren geleitet. Die Gespräche sollen helfen, psychische Spätfolgen aufzuspüren und zu verhindern. Bei Bedarf wird der Soldat im Anschluss an das Seminar zu weiteren Gesprächen an Ärzte oder Psychologen überwiesen. Bei stark ausgeprägten Belastungen kann der Betroffene auch zur Behandlung an einen Psychiater überwiesen werden.

Datum: 10.01.2009

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2009/1

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