Als im Jahr 2001 die Weiterentwicklung der orthopädischen Abteilung des damaligen Sportmedizinischen Instituts der Bundeswehr von der primären Versorgung der Sportschule der Bundeswehr hin zu einer überregionalen, auf konservative Orthopädie spezialisierten Sprechstunde begann, war bereits zu erkennen, welche Bedeutung dieses Vorgehen einmal für die Ausrichtung des gesamten Zentrums haben würde. Mit dem zuvor durch die Weiterbildungsordnung vollzogenen Zusammenschluss von Orthopädie und Unfallchirurgie in der Facharztausbildung war klar, dass bedingt durch die Faszination und die Sichtbarkeit des Operierens das Interesse an konservativen Therapien bei den weiterzubildenden ÄrztInnen abnehmen würde. Der hierdurch entstehenden Fähigkeitslücke unter Nutzung vorhandenen Wissens und Infrastruktur in einem interdisziplinären präventivmedizinischen und rehabilitativen Ansatz zu begegnen, fügte sich in die Entwicklung einer Sportmedizin für die Bundeswehr in idealer Weise ein. Ausgangspunkt hierfür war der Aufbau der physiotherapeutischen Abteilung in Verbindung mit Betreuungsprogrammen für die Spezialkräfte der Bundeswehr. Anfangs nur zögerlich wahrgenommen, überstieg die Anzahl der Terminanforderungen in der konservativ ausgerichteten ambulanten sportorthopädischen Sprechstunde bald die Kapazitäten der Abteilung bei weitem. Dies zwang zu einer weiteren Spezialisierung.
Von der Physiotherapie zur Rehabilitation
Heute leistet die Abteilung B ihren Beitrag im interdisziplinären Setting des Zentrums für alle Abteilungen sowohl im Rahmen der Untersuchungen und Beratungen, der Lehrtätigkeit und wissenschaftlicher Projekte. In den letzten Jahren ist eine wichtige konzeptionell orientierte, am Praxisalltag ausgerichtete fachspezifische Beratungsfunktion für die vorgesetzten Kommandobehörden.
Motor dieser Entwicklung war die strukturierte und im Qualitätsmanagement der Dienststelle beschriebene engste Zusammenarbeit zwischen Fachärzten und dem kleinen, aber schlagkräftigen Team der Physiotherapie, bestehend aus drei Physiotherapeuten und einem Masseur und Bademeister. Dies zu ermöglichen war die Zielrichtung der baulichen Umsetzung der energetischen Anpassung und Modernisierung des Zentrums im Jahr 2012. Die Schaffung, barrierefreier Zugänge, die Umrüstung eines ehemaligen Trainingsbeckens zu einem Therapiebecken, vor allem aber Entstehung eines orthopädischen Stockwerks mit barrierefreien Unterkünften, Physiotherapie und Arztzimmern waren die Grundlage einer engen Kommunikation, kurzen Wegen und der Entwicklung der Kompetenz, am militärischen Bedarf ausgerichtete komplexe physiotherapeutische Behandlungsmaßnahmen sowie Hilfsmittelversorgungen durchzuführen. Der vorerst letzte Schritt zur Spezialisierung der Abteilung war die Erkenntnis des Sanitätsdienstes, dass die jahrelang geübte Praxis, SoldatInnen mit schwersten Beeinträchtigungen am Bewegungsapparat rehabilitativ alleinig im zivilen Gesundheitssystem zu versorgen, zu einem Wissens- und Praxisdefizit im eigenen Bereich geführt hat, dass zu mangelnder Steuerung, Rehaabbrüchen und damit unnötig langen Krankschreibungen und Fehlversorgungen mit Hilfsmitteln führen kann. Seitdem das Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr (ZSportMedBw) den Auftrag erhalten hat, als Kompetenzzentrum somatische Rehabilitation in besonders komplexen Fällen Rehabilitationsmaßnahmen einschließlich der Hilfsmittelversorgungen durchzuführen und diese qualitativ hochwertig sicherzustellen und zu übernehmen, liegt der Schwerpunkt der Abteilung in der fachspezifischen Zuarbeit für die multiprofessionell ausgerichteten, interdisziplinären Maßnahmen der medizinisch dienstlich orientierten Rehabilitation am ZSportMedBw, verantwortet und gesteuert durch die Abteilung D, Interdisziplinäre Rehabilitation der Dienststelle.
Es macht den guten Chirurgen aus wenn er weiß, wann eine Operation nicht nötig oder gar schädlich ist. Ein nicht unerheblicher Anteil des Erfolges unfallchirurgischer Operationen besteht zudem in der strukturierten Nachbehandlung, die phasenweise verläuft. Doch hierfür braucht es Spezialisten, die mit ihrem Wissen über operative Verfahren den Operationserfolg in der Nachbehandlung sichern. Der Einsatz von Heil- und Hilfsmitteln orientiert sich hierbei nicht nur an ausgefallenen Funktionen, sondern der Teilhabe der Betroffenen. Da der Sanitätsdienst über keine eigene orthopädietechnische Kompetenz verfügt, arbeitet das ZSportMedBw mit Spezialisten aus der Region. Ob Orthetik, Prothetik oder Rollstuhlversorgung: Indikationsstellung, Planung, Begleitung des Herstellungsprozesses, Anpassung, Eingewöhnung, Training und Abnahme des Hilfsmittels erfolgen stets im Team aus Facharzt, Physiotherapeuten und Technikern, streng ausgerichtet am Teilhabegewinn. Es gilt: Das Hilfsmittel formt nicht den Menschen, sondern der Mensch das Hilfsmittel. Fortbildungen des eigenen Personals im Bereich des Passteiltrainings sowie der Orthopädietechnik bilden hierfür die unverzichtbare Grundlage. Unser orthopädisches Team ist fester Bestandteil der Rehabilitationsmaßnahmen am ZSportMedBw und nutzt technische Diagnostik, rehabilitative Assessments und Geräte, komplexe Methoden, vor allem aber erfahrungs- und wissensbasierte menschliche Kommunikation und Emotion. Unsere Physiotherapeuten nehmen an den wöchentlich stattfindenden interdisziplinären Teamsitzungen teil und leisten durch Ihre physiotherapeutisch orientierten Informationen, aber auch ihren Wahrnehmungen in der zwischenmenschlichen Kommunikation einen wertvollen Beitrag für den Krankheitsbewältigungsprozess.
Orthopädie: Mehr als nur Mechanik
Die Notwendigkeit einer konservativ orthopädischen, rehabilitativ ausgerichteten Eigenkompetenz in Verbindung mit einer wissensbasierten Kooperation mit dem zivilen Bereich gewinnt vor dem Hintergrund der Wiederausrichtung auf die Landes- und Bündnisverteidigung, hierfür entwickelten Szenarien und Modelle sowie damit verbundenen (theoretischen) Verwundetenzahlen an Bedeutung. Eine sportmedizinisch ausgerichtete konservative Orthopädie in der Bundeswehr stellt aufgrund ihres interdisziplinären, präventivmedizinischen und rehabilitativen Ansatzes den „missing link“ zwischen den hochspezialisierten Kliniken des zivilen Bereichs und einer am militärischen Bedarf ausgerichteten Wiederherstellung der dienstlichen Teilhabe dar. Die Faszination, die vom orthopädisch-konservativen Fachgebiet ausgeht, bleibt unserem ärztlichen Nachwuchs naturgemäß meist verborgen. Wer hat schon die Gelegenheit zu erleben, wie stark der Bewegungsapparat mit Stoffwechsel und Nährstoffversorgung, chronischen Stressoren, sozialem Miteinander und psychischen Belastungen interagiert. Wir bewerten im ZSportMedBw die Einbettung der orthopädischen Abteilung in den interdisziplinären Gesamtansatz der Sportmedizin nicht nur als erhebliche fachliche Weiterentwicklung, sondern alltägliche team-building-Maßnahme. Als konservativ tätiger Orthopäde, als Physiotherapeut oder Röntgenassistentin in einem multiprofessionellen Team mit AllgemeinmedizinerInnen, Diätassistentin und Sozialdienstmitarbeiter ergebnisorientiert mitzuwirken, fordert von allen Beteiligten viel. Aber wir haben verstanden, dass die erlittene Verletzung oder die durchgeführte Operation, in den Fällen, die am Zentrum behandelt werden, oftmals nur der Beginn eines sehr langen, vielfach lebensbestimmenden Weges ist.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2023
Für die Verfasser:
Oberstarzt Dr. A. Lison
Zentrum für Sportmedizin der Bundeswehr
Georg-Leber-Kaserne
Dr.-Rau-Allee 32
48231 Warendorf
E-Mail: AndreasLison@bundeswehr.org