20.03.2023 •

Pilotprojekt „Psychosomatische Versorgung in der Truppenarztsprechstunde“ – ein Erfahrungsbericht

M.-T. Heinz

Kraft des Unbewussten
Manuela Schilling

Einleitung

In der truppenärztlichen Sprechstunde herrscht analog zu den Verhältnissen im Zivilen ein hoher psychosomatischer Behandlungsbedarf. Lange Wartezeiten auf Therapieplätze, begleitende Statusvergaben „Kzh“ sowie Chronifizierungstendenzen psychischer Erkrankungen führen zu erhöhten Anforderungen an Frustrationstoleranz von betroffenen SoldatInnen und deren psychosozialem Umfeld und beeinflussen nicht zuletzt die Leistungsfähigkeit der Truppenstärke.
Die fachärztliche Diagnostik und Therapie von psychischen Erkrankungen in der
Bundeswehr erfolgt derzeit ausschließlich über die Wehrpsychiatrien. Zur Erfüllung des flächendeckenden psychotherapeutischen Behandlungsauftrages wird dazu ergänzend mit entsprechendem Kostenfaktor an zivile PsychotherapeutInnen überwiesen. Dabei werden die wehrdiensteigentümlichen Besonderheiten des Dienstalltages und der Lebensrealität von psychisch erkrankten SoldatInnen nicht immer ausreichend berücksichtigt.
Zur Deckung des psychotherapeutischen Behandlungsbedarfs wird hier ein erster Erfahrungsbericht aus der psychosomatischen Erstversorgung im Rahmen der truppenärztlichen Sprechstunde zur Verfügung gestellt. Es wird eine Aussicht vermittelt, warum die strukturelle Integration der psychotherapeutischen Versorgung in der truppenärztlichen Sprechstunde bedeutungsvoll erscheint.

Art und Weise der Versorgung

Epidemiologische Daten zeigen, dass 20–25 % aller BundeswehrsoldatInnen an psychischen Erkrankungen leiden. Die Behandlungsquote von 10–20 % zeigt dabei, dass der Verbesserung der Versorgungsstruktur und Aufklärungsarbeit der Truppe eine besondere Rolle zukommt. Schlüsselfunktion nehmen dabei in Diagnostik, Therapie und Prävention die regionalen Sanitätseinrichtungen als Träger des ambulanten wehrmedizinischen Versorgungssystems ein. Diese Erfahrungen decken sich mit den Datenerhebungen aus dem zivilen Bereich. Dabei liegt die Zwölfmonatsprävalenz für eine psychische Störung bei 33 %.

Um diesem Versorgungsbedarf gerecht zu werden, wurde im Rahmen einer sechsmonatigen Wehrübung im Sanitätsversorgungszentrum (SanVersZ) Koblenz ein entsprechendes psychosomatisches Therapieangebot mit tiefenpsychologischem Behandlungsschwerpunkt eingerichtet.

Dabei konnten erste Erfahrungen im Umgang mit psychosomatischen PatientInnen in der truppenärztlichen Sprechstunde gesammelt werden.

Im Vordergrund stand die akute Versorgung psychischer und psychosomatisch bedingter Symptome von SoldatInnen aus dem gesamten Spektrum der psychosomatischen Medizin, wozu insbesondere Belastungsstörungen und Traumafolgestörungen, affektive Störungen, chronische Schmerzstörungen, somatoforme Störungen, Angststörungen, Essstörungen und Psychosomatosen gehören. Der Behandlungszeitraum von sechs Monaten entsprach dabei dem Umfang einer ambulanten Kurzzeittherapie mit 12–24 Behandlungseinheiten á 50 Min. Zusätzlich wurde eine tiefenpsychologische Gruppentherapie einmal pro Woche über 90 Min. angeboten.

Ziel der Behandlung waren u. a.: Durchführung akuter Kriseninterventionen (á 4–5 Behandlungseinheiten), Entlastung und Koordination im Umgang von Suizidalität; indikationsspezifische Fokal- und Kurzzeittherapien sowie die Überbrückung von Wartezeiten bis eine Langzeittherapie über zivile TherapeutInnen gewährleistet werden konnte. Zudem Einleitung der Stabilisierungsphase im Hinblick auf die Überführung in eine langfristige Traumatherapie, Paar- und Familientherapeutische Gespräche und Angehörigenarbeit sowie die Durchführung diagnostischer Erstgespräche, um eine bedarfsgerechte adaptive Indikationsstellung zu gewährleisten. Dabei wurden allgemeine und supportive Maßnahmen sowie störungsspezifische Interventionen mit psychodynamischen Behandlungsschwerpunkt eingesetzt.

Die Schnittstellenarbeit zwischen tragenden Organen des psychosozialen Netzwerks (Sozialdienst, Wehrpsychiatrie, Militärseelsorge) insbesondere aber auch der ambulanten zivilen Versorgungseinrichtungen gestaltete sich hier ebenso als zentral. So konnte ein bestehendes Netzwerk ausgebaut und der Dialog zu zivilen Versorgungsträgern im standortnahen Umfeld gefördert, Vorurteile und Berührungsängste der zivilen KollegInnen gegenüber dem militärischen Umfeld relativiert werden. Es zeigte sich hier nicht zuletzt die zentrale Rolle der engagierten MitarbeiterInnen aus dem Bereich der Heilfürsorge im SanVersZ Koblenz, welche die Hindernisse der Versorgungsstruktur gezielt abbauen und – u. a. durch Beratung ziviler TherapeutInnen in Abrechnungsfragen, Monitoring freier Behandlungsplätze sowie Zusammenführen von Informationen stationärer indikationsgerechter Leistungsträger – in erheblichem Maß zur Optimierung der Prozessqualität psychotherapeutischer Versorgung beitragen.

In der Zusammenschau ist davon auszugehen, dass sich das Versorgungsangebot einer psychotherapeutischen Sprechstunde am Standort unmittelbar positiv auf die Dienst- und Verwendungsfähigkeit von SoldatInnen auswirkt und damit einen erheblichen Beitrag zur Einsatzfähigkeit der Bundeswehr liefert. So konnten die Hälfte der PatientInnen (n=30) im relativ kurzen Beobachtungszeitraum einer Sechsmonatskohorte wieder in den Dienstbetrieb integriert werden. Bei anderen KameradInnen, wo dies noch nicht erreicht wurde, war es möglich, strukturelle krankheitsaufrechterhaltende Faktoren zu identifiziert und perspektivisch mittelfristige Lösungswege auch im truppendienstlichen Dialog aufzuzeigen.

 

Diskussion

Zu diskutieren gilt, inwieweit die Identität als Sanitätsoffizier dabei auch unter psychodynamischen Gesichtspunkten betrachtet werden muss. Ein tragfähiger Beziehungsaufbau im Sinne einer „helping alliance“ ist hier wesentlich. Der therapeutisch tätige Sanitätsoffizier nimmt damit auch eine repräsentative Funktion im Rahmen des Fürsorgeauftrags des Dienstherrn ein und sichert den Beziehungserhalt zum Arbeitgeber Bundeswehr. Haltung und Werteverständnis aus dem Leitbild des Zentralen Sanitätsdienstes sowie dem Konzept der Inneren Führung, entspricht dem Menschenbild und Therapieverständnis der psychosomatischen Arzt-Patienten-Beziehung und kann als Wirkfaktor genutzt werden.
Der allgemeine Dienstalltag setzt strukturelle Anforderungen an das Funktionsniveau sowie die körperliche und seelische Belastungsfähigkeit von SoldatInnen voraus (z. B. Leben in der militärischer Gemeinschaft, soziales Miteinander, Fähigkeit zu Adaptionsprozessen an wechselnde geographische, soziale und körperliche Anforderungen, Integration in wechselnde Beziehungsstrukturen). Bei der therapeutischen Arbeit mit SoldatInnen handelt es sich daher um ein vorselektiertes Patientenklientel, welches sich im Hinblick auf Funktionsniveau, Motivation, Compliance und Ressourcenreichtum in besonderem Maße für eine gesprächspsychotherapeutische Arbeit eignet. Der Chronifizierungsneigung von psychischen Erkrankungen, steht dabei grundsätzlich ein guter prognostischer Verlauf bei zeit- und fachgerechter Behandlung entgegen.

Schluss

In der truppenärztlichen Sprechstunde herrscht analog zu den Verhältnissen im Zivilen ein hoher psychosomatischer Behandlungsbedarf. Dabei sind die besonderen Anforderungen und Bedingungen des Dienstes, die durch äußere Vorgaben entstehen, im besonderen Maß zu berücksichtigen. Die Selektion der Patientengruppe (Alter, Strukturniveau, Funktionsfähigkeit durch Anforderungen an die allgemeine Dienst- und Verwendungsfähigkeit, vorselektive Auswahlverfahren, Musterung, etc.) die uns durch die Anforderungen des Dienstbetriebes in der truppenärztlichen Sprechstunde begegnet, entspricht der Zielgruppe für eine Gesprächspsychotherapie.
Spezielle Ressourcen von SoldatInnen können dabei therapeutisch genutzt werden und erfordern eine entsprechende Vorbildung des therapeutischen Behandlungspersonals. Bei grundsätzlich guter Prognose psychosomatischer Erkrankungen ergibt sich hier ein flächendeckender Behandlungsbedarf insbesondere auch im ambulanten Bereich. Die gezielte Integration von PsychotherapeutInnen in das psychosoziale Netzwerk der Standorte könnte vielversprechende Perspektiven bieten. Derzeit erfolgt die Psychotherapie gerade im ambulanten Bereich häufig durch zivile psychologische und ärztliche PsychotherapeutInnen. Eine enge Zusammenarbeit, im Sinne von Kommunikation, indikationsgerechter adaptiver Zuweisung und wehrmedizinische Kooperation hat sich dabei als besonders patientenfreundlich erwiesen. Dabei können die spezifischen Stärken der Struktur- und Prozessqualität des militärischen Versorgungssystems der Bundeswehr (beispielsweise Zugänglichkeit der psychopharmakologischen Behandlung durch Apotheke vor Ort, Funktionsdiagnostik, Besonderheiten der unentgeltlichen truppenärztlichen Versorgung) gezielt für eine optimale Versorgung von PatientInnen genutzt werden. In der Zusammenschau ist davon auszugehen, dass sich das Versorgungsangebot einer psychotherapeutischen Sprechstunde am Standort unmittelbar positiv auf die Dienst- und Verwendungsfähigkeit von SoldatInnen auswirkt. Erste Erfahrungen konnten dabei im Rahmen einer Sechsmonatskohorte am SanVersZ Koblenz gewonnen werden.
 Für eine zukünftige flächendeckendere Infrastruktur wären Konzeptualisierungen auch mit Rücksicht auf Anforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität psychotherapeutischer Versorgung in der Truppenarztsprechstunde denkbar zielführend. 

Im Rahmen von strukturellen Therapiekonzepten und Präventionsprogrammen sind psychodynamische Betrachtungen im Hinblick auf Korrelation von Konflikt- und Strukturmerkmalen, Bindungs- und Beziehungsaspekten sowie Krankheitsverarbeitung, Krankheitseinsicht und Abwehr bei Soldatinnen und Soldaten interessant und richtungsweisend.




 

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