08.08.2017 •

Medizinische Entomologie in den Tropen

Aus dem Fachbereich Tropenmedizin¹ (Leitende Ärztin: Oberfeldarzt Dr. D. Wiemer) des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg (Chefarzt: Generalarzt Dr. J. Hoitz), der Unterabteilung VI² (Leiter: Oberstarzt Dr. T. Harbaum) des Kommandos Sanitätsdienst der Bundeswehr und der Laborgruppe Medizinische Entomologie/Zoologie³ des Zentralen Instituts des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. Dr. D. Leyk)

A. Krüger¹, T. Morwinsky² und M. Faulde³

Aus wissenschaftlicher Sicht stellt die Entomologie, also die “Lehre von den Insekten”, seit jeher eine faszinierende Herausforderung dar. Die enorme Artenvielfalt – Insekten stellen mit etwa 1,5 Millionen bekannten und mehreren Millionen geschätzten Arten die größte Tiergruppe überhaupt – stellt ein schier grenzenloses Forschungsfeld dar.

Unter anderem gehören einige Insekten zu den größten Feinden des Menschen, da sie vor allem in den Tropen und Subtropen Überträger (sog. „Vektoren“) zahlreicher Erkrankungen sind; ein bekanntes Beispiel ist hier die Malariamücke! Und ebenjene blut­saugenden Parasitenüberträger haben gegen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts, also vor allem während des weltweiten Höhepunktes der europäischen Kolonialreiche – mit Schwerpunkt im tropischen Afrika – zum Entstehen einer eigenen fachlichen Unterdisziplin geführt, der Medizinischen Entomologie. Aus diesem Grunde waren deren Pioniere meist auch selbst im Kolonial- oder Militärdienst tätig. Diese Wurzeln verdeutlichen die historisch gewachsene Verknüpfung der Medizinischen Entomologie mit der Wehrmedizin, die im Rahmen der Gründung der Bundeswehr seit 1962 mit der Abteilung „Medizinische Entomologie/Zoologie“ am damaligen „Hygienisch-Medizinischen Institut“ in Koblenz Berücksichtigung fand.

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Abb. 1: A. Ektoparasit Myiasis-Made (Tumbufliege) aus der Haut eines Afrika-Rückkehrers. B. Wäschetrocknung im tropischen Afrika: Tumbufliegen legen dort bevorzugt ihre Eier ab! C. Giftiges Insekt: Hornisse. D. Giftiges Insekt: Blasenkäfer.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es allerdings ruhiger um die „Vektoren“, u. a. auch weil es gelang, die Malaria in Europa auszurotten und auch in den Tropen temporär durch den Einsatz der damals neuartigen Insektzide (u. a. DDT) zurückzudrängen. Und in der Bundeswehr? Einhergehend mit der Herstellung der Einheit Deutschlands in Verbindung mit der weltweiten Globalisierung wurde seit 1992 auch die „neue“ Bundeswehr mit Auslandseinsätzen, auch in die Tropen und Subtropen, konfrontiert. Seit dem Somalia-Einsatz „UNOSOM II“ im Jahr 1993 wurde die Medizinische Entomologie/Zoologie, nunmehr im Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Koblenz (ZInstSanBw KOB), in allen folgenden landgestützten Auslandseinsätzen der Bundeswehr eingesetzt [1,2]. Die praktische Einsatzunterstützung durch Vektormonitoring und -bekämpfung durch Gesundheitsaufseher wurde notwendig. Spezifische Lehrgänge werden seit 1996 durchgeführt und mit dem „Kompendium der Schädlingsbekämpfung“ des BMVg [3] stand militärisch-spezifisches Ausbildungsmaterial zur Verfügung. Die vorhandene Medizinische Entomologie/Zoologie wurde aufgrund der gestiegenen Bedeutung des Fachgebiets in 2002 mit einem Entomologen im Bereich Medical Intelligence am Kommando Sanitätsdienst der Bundeswehr und in 2006 mit einem tropenmedizinischen Entomologen im Fachbereich Tropenmedizin des Bundeswehrkrankenhauses Hamburg ergänzt. Unter anderem werden durch Zusammenarbeit von tropenmedizinischer Entomologie und Medical Intelligence (MEDINT) Empfehlungen zum optimalen Schutz der eingesetzten Soldaten vor tropischen Erkrankungen von der Bundeswehr selbst erarbeitet [4, 5, 6]. Im Vordergrund stehen vor allem militärisch relevante Erkrankungen wie Malaria, Denguefieber (durch Stech­mücken übertragen), Leishmaniasis (durch Sandmücken übertragen) sowie verschiedene durch Zecken übertragene Krankheiten.

Hauptteil

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Abb. 2: A. Aedes-Tigermücke, Vektor für Dengue- und Chikungunya-Viren. B. Anopheles-Mücke, Malaria-Vektor. C. Sandmücken (unten, im Vergleich zu normaler Stechmücke), Leishmaniasis-Vektor. D. Verschiedene Zecken-Spezies; rechts Hyalomma-Zecken, Vektoren für Krim-Kongo Hämorrhagisches Fieber-Virus.
In der Bundeswehr stützt sich die Medizinische Entomologie personell derzeit auf drei Dienstposten ab, verteilt auf Hamburg, Koblenz und München. Die medizinischen Entomologen der Bundeswehr beschäftigen sich mit allen Maßnahmen zur Feststellung, Überwachung, Prävention und Bekämpfung von Vektoren und Schädlingen. Als ein operativ wichtiges ­Instrument wird das sogenannte Vektor-Monitoring im Einsatz durchgeführt, das in Kombination mit regelmäßigen Risikoevaluierungen i. E. Praxisnähe und den aktuellen Datenstand zur Bedrohungslage potenzieller Krankheitsvektoren sicherstellt. Dabei wird das Monitoring i. d. R. kontinuierlich und standardisiert von Gesundheitsaufsehern i. E. durchgeführt, während die Risikoevaluierungen in etwa jährlichen Abständen durch interdisziplinäre Expertenteams des Zentralen Sanitätsdienstes, bestehend aus Hygieniker/Tropenmediziner, Entomologe und Veterinär durchgeführt werden [6]. Dabei besteht nicht zwangsläufig eine strikte Fokussierung auf die „Tropen“, denn viele der entsprechenden Vektoren bzw. der durch sie übertragenen Krankheiten haben ihre Verbreitungsgebiete auch in subtropischen und gemäßigten Zonen, z. B. im Mittelmeerraum oder Afghanistan. Andererseits beschränkt sich die Medizinische Entomologie nicht nur auf Insekten, sondern berücksichtigt auch andere medizinisch bedeutsame Gliedertiere (Arthropoden) wie Spinnentiere einschließlich der Zecken und Skorpione.

Wie die Abbildungen exemplarisch nahelegen, stellt der Einsatz in den Tropen für Entomologen ein reichhaltiges Arbeitsgebiet dar.

Beispiele für medizinisch relevante Arthropoden in den Tropen und Subtropen sind:

  1. Hygieneschädlinge bzw. Lästlinge, deren Massenauftreten oder Vorkommen in hygienisch sensiblen Bereichen wie Krankenhäusern Probleme hervorrufen: Termiten, Ameisen, Schaben, Fliegen
  2. Gliedertiere, die selbst die Verursacher einer Erkrankung sind:
    • Ektoparasiten (blutsaugende Insekten wie z. B. Bettwanzen; Hautparasiten wie z. B. Fliegenmaden oder Sandflöhe)
    • Giftige Insekten (z. B. Blasenkäfer, Bienen, Wespen und Raupen mit Gifthaaren) und Spinnentiere (z. B. Skorpione)
  3. Vektoren von Krankheitserregern: Stech­mücken (z. B. Malaria-Parasiten, diverse ­Viren), Sandmücken (Leishmania-Parasiten), Kriebelmücken (Fadenwürmer), Läuse (Fleckfieber-Bakterien), Flöhe (Pest-Bakterien), Tsetse-Fliegen (Schlafkrankheit-Parasiten), Zecken (Viren und diverse Bakterien), Milben (diverse Bakterien)

Zu den speziellen Aufgaben und Tätigkeiten des tropenmedizinisch tätigen Entomologen gehören:

1. Im Einsatz:

  • Identifizierung potenzieller Brutstätten und Habitate
  • Vor-Ort-Beratung der militärischen Führer i. E., sowie Weiterbildungen und Aufklärungsveranstaltungen für die Truppe i. E.
  • Grob-Analyse von Proben i. E.

2. Im Inland

  • Feinanalysen (z. B. morphologische und/oder molekulargenetische Typisierungen; Erregernachweis in Vektoren)
  • Beurteilung und Identifizierung von Plageerregern, Ektoparasiten und sonstigen Anfragen
  • Erarbeiten von einsatzspezifischen Empfehlungen zum Vektorenschutz
  • Weiter- und Neuentwicklungen von Maßnahmen zum Vektorenschutz
  • Mitarbeit an fachlichen Grundlagen im Fachgebiet in nationalen und internationalen Gremien
  • Aus- und Weiterbildung von Assistenz- und ärztlichem Personal für den Einsatz sowie der tropenmedizinischen Ausbildung von Ärzten.
  • Ausbildung von Fachpersonal für Vektorenbekämpfung.

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Abb. 3: Brutstätten-Beprobung in Gabun; Nachweis von Malaria-Mücken (links). Vektordruck-Messung mit Licht-Fallen; Nachweis von Sandmücken (rechts).
Die Medizinische Entomologie hat sich während Auslandseinsätzen durch Vektorsurveillance, -prävention, -protektion und -bekämpfung außerordentlich bewährt. Die Malariamücken-Surveillance im Marineeinsatz in Djibouti am Horn von Afrika, beispielsweise, führte seit 2010 zu einer besonders ausgeklügelten und auf das tatsächlich erforderliche Mindestmaß reduzierten saisonalen Chemoprophylaxe für das deutsche Kontingent. Gleichzeitig hat diese deutsche Surveillance geklärt, dass das plötzliche epidemische Wiederauftreten der tropischen Malaria in Djibouti-Stadt durch die Neueinschleppung des indischen Überträgers der Stadtmalaria, Anopheles stephensi, hervorgerufen wurde [7]. Die genaue Kenntnis des Übertragungsmechanismus erklärte nicht nur, warum es zu diesen unerwarteten Epidemien kam, sondern ermöglichte auch deutlich besser angepasste Präventions- und Bekämpfungsmaßnahmen.

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Abb. 4: Entwicklung der Erkrankungsfälle an zoonotischer Hautleishmaniase nach der Epidemie in Jahr 2005 sowie nach Implementierung der Gegenmaßnahmen ab April 2006. NL: niederländisches Kontingent; GE: deutsches Kontingent; US: amerikanisches Kontingent während der Lagererweiterung 2010; NL_ENG: NL-Pioniere im Sommer 2005.
Ein weiteres Beispiel bezieht sich auf die Hautleishmaniasis im Afghanistan-Einsatz. Nachdem im Jahr 2005 rund 200 Fälle dieser entstellenden Erkrankung im Raum Mazar-e Sharif auftraten – davon circa 180 Fälle allein im niederländischen Kontingent – wurden mit Unterstützung medizinisch-entomologischer Expertise kombinierte Präventionsmaßnahmen wie Schotterung des Bodens, Bau einer Außenmauer, kontinuierliche Sandmücken- und Nagetierbekämpfung sowie optimierte persönliche Stich­schutzmaßnahmen implementiert. Im Vergleich zu 2005 nahm durch diesen – in dieser Form erstmals angewendeten – Maßnahmenkatalog ab 2006 die Menge an Überträger-Sandmücken um das 166- bis 546-fache ab. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit reduzierte sich dabei um mindestens das 10 545-fache, wobei von 2006 bis 2010 im deutschen Kontingent maximal zwei, seit 2011 überhaupt keine Fälle mehr aufgetreten sind (Abb. 4). Prophylaxe vektor-übertragener Infektionserkrankungen in Feldlagern i. E. funktioniert also auch langfristig!

Fazit

Die innerhalb des Sanitätsdienstes realisierte enge Verzahnung von Medizinischer Entomologie, Medical Intelligence, und Tropenmedizin bietet optimale und seit Jahren bewährte Bedingungen, die vorhandenen Expertisen dieser Sachgebiete bestmöglich zu nutzen. Auf der Basis dieser Fachkompetenz erstellt und aktualisiert das KdoSanDstBw fachliche Empfehlungen zur Gesunderhaltung der Soldaten und zivilen Mitarbeiter i. E. in Form des Produktes ­„MEDINT akut“ einschließlich medizinisch-entomologischer Fakten und Hinweise zur Expositionsprophylaxe bzw. dem Schutz vor (infektiösen) Insektenstichen. Basierend auf den eigenen Erkenntnissen sind – z. T. abweichend von den meist grobmaschiger entworfenen offiziellen Empfehlungen der nationalen und internationalen Fachgremien und Gesundheitsorganisationen – Länder-, Regionen- und Jahreszeit-spezifische Anpassungen der Prophylaxe­empfeh­lungen möglich, in Einzelfällen z. B. die temporäre Aussetzung der Malaria-Chemoprophylaxe in manchen Einsatzgebieten. Derartige Maßnahmen stärken die Glaubwürdigkeit des gesamten Komplexes „Tropenmedizin/Medizinische Entomologie/MEDINT“, der nicht pauschal „auf Nummer sicher“ geht, sondern die Belastungen (z. B. aufgrund von Nebenwirkungen der Malaria-Chemoprophylaxe) des Personals i. E. unter Abwägung aller involvierten fachlichen Aspekte auf das individuell notwendige Maß begrenzt. Die Expertise der Medizinischen Entomologie und Tropenmedizin der Bundeswehr hat in speziellen Fällen sogar eine Vorreiterrolle bei der Modifikation der offiziellen nationalen Empfehlungen in den entsprechenden Gebieten eingenommen.

Literatur und Abbildungen beim Verfasser.

Anschrift für die Verfasser:
Oberregierungsrat PD Dr. Andreas Krüger
Bundeswehrkrankenhaus Hamburg
Fachbereich Tropenmedizin am
Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin
Bernhard-Nocht-Str. 74
20359 Hamburg
E-Mail: andreas6krueger@bundeswehr.org

 

Datum: 08.08.2017

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2017/2

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