Luftrettung und Lufttransport mit NH 90 - Stand der Entwicklung

Der Aufbau einer leistungsfähigen Rettungskette ist in den meisten Einsatzgebieten ohne Abstützung auf Hubschrauber kaum vorstellbar. In manchen Einsatzszenarien - dies gilt insbesondere für die luftmechanisierten Operationen bzw. luftgestützten Einsätze - ist die Sicherstellung einer sanitätsdienstlichen Versorgung ohne den Einsatz einer ausreichenden Anzahl gut ausgerüsteter und qualifiziert personell besetzter Transporthubschrauber schlichtweg nicht möglich. In den beiden skizzierten Einsatzszenarien wird zukünftig der neue Transporthubschrauber NH 90 wesentlicher Träger der Aufgaben Luftrettung und Lufttransport sein. Darüber hinaus wird er nach Ausphasung der Bell UH 1D die Aufgaben als leichter Transporthubschrauber in allen denkbaren Einsatzszenarien übernehmen. Für den Fliegerärztlichen Dienst des Heeres kommt es in der Phase der Einführung gerade auch deshalb darauf an, die Entwicklung der Fähigkeiten in diesem Aufgabenbereich zu begleiten, wo immer möglich voranzutreiben und zu unterstützen. Nachfolgender Artikel stellt den derzeitigen Stand dieses Prozesses dar.

In den kommenden Jahren werden in den leichten Transporthubschrauberregimentern der Heeresfliegertruppe die Waffensysteme Bell UH-1D allmählich durch den neu eingeführten NH 90 ersetzt werden. Die ersten Luftfahrzeuge dieses Typs befinden sich bereits seit Mitte 2007 an der Heeresfliegerwaffenschule in der Truppenerprobung bei der Heeresfliegerversuchsstaffel Im Gesamtzusammenhang mit der Einführung dieses neuen Luftfahrzeuges erfolgt zugleich die Entwicklung, Erprobung und Eignungsuntersuchung einer für diesen Hubschraubertyp geeigneten Ausstattung für die Luftrettung und den Lufttransport Verwundeter.

Die Durchführung von Luftrettung und Lufttransport Verwundeter, Verletzter und Kranker insbesondere im Rahmen von Auslandseinsätzen ist in den vergangenen 15 Jahren zunehmend zu einer Hauptaufgabe der Heeresfliegertruppe geworden. Dies hat schrittweise innerhalb der Truppengattung zu einer Perzeptionsänderung und einem Paradigmenwechsel in diesem Bereich geführt. Die Fähigkeit zur Durchführung von Verwundetenlufttransporten mit Hubschraubern ist seit der Einführung von Transporthubschraubern in der Heeresfliegertruppe seit jeher vorhanden gewesen, sie stellte eine von vielen Fähigkeiten im Aufgabenbereich des Lufttransportes dar und war zu keinem Zeitpunkt strukturbestimmend. So verfügte das Heer - im Gegensatz zur Luftwaffe - für das Waffensystem Bell UH-1D über keine zeitgemäßen Einbausätze für Rettungs- und Primärtransporteinsätze. Die erstmals im Rahmen des IFOR-Einsatzes verwendeten Einbausätze stammten aus den Beständen der SAR-Kommandos der Luftwaffe. Die in der Heeresfliegertruppe verfügbaren Rüstsätze für die Bell UH-1D erlaubten in den Rüstzuständen San 3 bzw. San 6 allenfalls die Durchführung von CASEVAC, im Vordergrund stand immer die Erhaltung der Mehrrollenfähigkeit der Trans-porthubschrauber.

Photo
Abb. 1: Leichter Transporthubschrauber NH 90

 

Mit Einführung des NH 90 (Abb. 1) geht zugleich eine Reduzierung der Gesamtstückzahl der leichten Transporthubschrauber des Heeres einher. Auch weiterhin wird aufgrund der relativ geringen Stückzahl der leichten Transporthubschrauber an einer Forderung der Mehrrollenfähigkeit festgehalten, eine aufbauorganisatorische Abbildung einer MEDEVAC-Kapazität ist in der zukünftigen Struktur der Heeresfliegertruppe weiterhin nicht vorgesehen. Im Bereich der Verwundetentransportausstattung für den NH 90 sind nach derzeitigem Stand zwei grundlegende Fähigkeiten vorzusehen:

  • Die CASEVAC-Fähigkeit, um mit einer geringen Anzahl verfügbarer Luftfahrzeuge in kurzer Zeit eine möglichst große Anzahl von Verwundeten über große Entfernungen transportieren zu können auch ohne qualifizierte medizinische Betreuung.
  • Die MEDEVAC-Fähigkeit sowohl als Fähigkeit zur qualifizierten Primärrettung und anschließendem Transport wie auch als Fähigkeit zur Sekundärverlegung mit intensivmedizinischer Betreuung.

CASEVAC

Bereits in der Projektierungsphase des NH 90 als leichter Transporthubschrauber Heer war die Forderung nach einer CASEVAC-Fähigkeit vorhanden. Im Rahmen der Grundausstattung ist hierzu vorgesehen, für jedes Luftfahrzeug eine Einrüstmöglichkeit von bis zu 4 sogenannten Stretcher-Installation-Kits zu schaffen, von denen jedes bis zu 3 Krankentragen aufnehmen kann (Abb. 2).

Photo
Abb. 2: Stretcher Installation Kit

Da die Zellenkonstruktion des NH 90 eine Aufnahme von Lasten an der Kabinenseite bzw. am Kabinendach nicht erlaubt, müssen diese Einheiten am Kabinenboden an den Aufnahmepunkten der Truppensitze befestigt werden. Bei Ausrüstung des Luftfahrzeuges NH 90 mit allen vorgesehenen Stretcher-Installation-Units wird kein Raum mehr vorhanden sein zur Mitnahme von medizinischen Geräten bzw. begleitendem Sanitätspersonal, so dass ein qualifizierter Transport in dieser Form nicht möglich sein wird. Über die Notwendigkeit einer derartigen Ausstattung wurden in den vergangenen Jahren erneut Diskussionen geführt, aus operativer Sicht wurde jedoch die Forderung nach dieser Fähigkeit weiterhin aufrecht erhalten. Die Einsatzwahrscheinlichkeit eines NH 90 in diesem Rüstzustand wird als derzeit eher gering erachtet, dennoch wird das Vorhalten dieser Fähigkeit einen entsprechenden Ausbildungsstand des eingesetzten Sanitätspersonals wie auch des bordtechnischen Personals erfordern, da das Einrüsten dieser Systeme wie auch das Beladen mit Verwundeten - insbesondere unter Zeitdruck - einen entsprechenden Ausbildungsstand und ein Mindestmaß an Übung voraussetzt.

MEDEVAC

Im Mittelpunkt der derzeitigen Erprobungen und Eignungsuntersuchungen steht die Entwicklung der MEDEVAC-Fähigkeiten des NH 90, in der zwei Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben zusammenfließen:

  • Die Entwicklung und Einführung des Anteils Einbausatz der Verwundetentransportausstattung
  • Die Entwicklung und Beschaffung des Anteils Sanitätsausstattung der Verwundetentransportausstattung NH 90.

Die Besonderheit liegt hierbei darin, dass der eine Teil des Vorhabens in der Materialverantwortung des Inspekteurs der Luftwaffe in der Bearbeitung durch das Waffensystemkommando Luftwaffe erfolgt, der zweite Anteil in Materialverantwortung des Inspekteurs des Sanitätsdienstes unter der Federführung des Sanitätsamtes. Für beide Vorhaben liegen die abschließenden funktionalen Forderungen schlussgezeichnet vor, die Realisierungsgenehmigung für den Anteil Einbausatz befindet sich derzeit im Entwurfsstadium in der ämterseitigen Mitprüfung.

Bestimmend für die Entwicklung und Erprobung dieser Ausstattung sind im Wesentlichen folgende Forderungen:

  • Eine schnelle Ein- und Ausrüstbarkeit im Luftfahrzeug ohne Verwendung von Sonderwerkzeugen, wobei die Einrüstzeit von 30 Minuten nicht überschritten werden darf.
  • Die Kompatibilität zur eingeführten NATO-Trage.
  • Die sichere Aufnahme und der sichere Betrieb der vorgesehenen EVG San unter Nutzung der Bordstromversorgung.
  • Eine Aufnahmefähigkeit für mindestens zwei Verwundete.
  • Ein möglichst geringes Gewicht.

Im Rahmen der bisherigen Arbeiten erfolgte durch die wehrtechnische Dienststelle 61 die Herstellung eines Demonstrators (Abb. 3); hier flossen die bislang gemachten Erfahrungen mit der Herstellung von Patiententransporteinheiten für andere Hubschraubertypen (MK 41, CH 53) ein, wobei insbesondere auf die Gewichtsminimierung besonderer Wert gelegt wurde.

Photo
Abb. 3: PTE Demonstrator

Im Sommer 2007 erfolgten erste Stellproben im Luftfahrzeug am Boden bei der Heeresfliegerversuchsstaffel, wobei eine grundsätzliche Eignung des Systems feststellbar war. Bei Nutzung derartiger Patiententransporteinheiten können zwei Patienten mit qualifizierter medizinischer Versorgung sowohl im Primär- wie auch im Sekundärtransport aufgenommen werden, durch die Verwendung der NATO-Trage ist eine Kompatibilität mit insbesondere bodengebundenen Rettungs- und Transportmitteln gegeben. Die Beladung kann beim LTH Heer vorzugsweise über die Rampe erfolgen, ist aber grundsätzlich auch durch die Seitentüren möglich (Abb. 4). Das Projekt findet sich derzeit in der Eignungsuntersuchung in der Federführung der Heeresfliegerversuchsstaffel, insbesondere die fliegerische Erprobung im taktischen Flug bei Tag und bei Nacht wird im Mittelpunkt der weiteren Eignungsuntersuchungen stehen. Zusätzlich wird eine Mischlösung aus MEDEVAC- und CASEVAC-Fähigkeiten zu untersuchen sein, um eine größtmögliche Flexibilität im Einsatz dieses Verwundetentransportmittels erreichen zu können.

Photo
Abb. 4: Beladung NH 90

 

Weiteres Vorgehen

Für die erste Hälfte des Jahres 2008 ist zunächst die fliegerische Eignungsuntersuchung der oben beschriebenen Systeme vorgesehen, zugleich wird im Rahmen der vorgesehenen Ausschreibungen das Beschaffungsvorhaben voranzubringen sein. Der Anteil Sanitätsausstattung des Entwicklungs- und Beschaffungsvorhaben ist durch das Sanitätsamtes definiert, die wesentlichen Geräte sind der Tabelle (Abb. 5) zu entnehmen.

Planungsbegriff
Beatmungsgerät volumengesteuert
Pulsoxymeter 2
Antischockhose
Infrarotohrthermometer
Patientenüberwachungsmonitor
Defibrillator semiautomatisch
Absauggerät San Rettungstransport
Injektionspumpe 3 Spritzen
Feldgerät künstliche Beatmung
Schaufeltrage (Marine: Patiententrage Bord)
Feldtrage
Vakuummatratze
SanAusst Notfallkoffer, Kinder
SanAusstg Intubation in Behälter
Sauerstoffvorrat San-Zwecke 5x2l
Sauerstoffvorrat San-Zwecke 2x5l
Blutgasanalysegerät
Notfallbeatmungsgerät mobil
SanAusstg Patentenwärmesystem
Wolldecke San
San-Ausstg Notfallrucksack Atmung-Herz-Kreislauf

Abb. 5: Sanitätsausstattung NH 90

Sollte für alle Teile des Vorhabens die Luftfahrtverträglichkeit und Eignung festgestellt werden, so wird in einem zweiten Schritt die Integration der bereits für die CH 53 eingeführten internen Kommunikationsausstattung für Sanitätspersonal vorzusehen sein. Zielsetzung des ganzen Vorhabens ist, mit Herstellung der Einsatzbereitschaft der ersten NH 90 in den Einsatzverbänden der Heeresfliegertruppe eine erste MEDEVAC-Fähigkeit ebenfalls verfügbar zu haben.
 

Datum: 30.06.2008

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2008/2

Verwandte Artikel

Die Luftlandesanitätskompanien im Kontext von nationalem Risiko- und Krisenmanagement

Die Luftlandesanitätskompanien im Kontext von nationalem Risiko- und Krisenmanagement

Sind alle Mittel der Diplomatie ausgeschöpft und können deutsche Staatsbürger oder andere Schutzbefohlene nicht mehr selbstständig aus Krisen- und Kriegsgebieten ausreisen, bleiben als letztes Mittel militärische Evakuierungsoperationen (MEO).

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2023

DEUTSCHE SANITÄTSOFFIZIERE AUF „BLACK HAWK“ HELIKOPTERN

DEUTSCHE SANITÄTSOFFIZIERE AUF „BLACK HAWK“ HELIKOPTERN

Seit September 2012 führt die Bundeswehr ein Pilotprojekt fort, bei dem deutsche Emergency Physicians (EP) auf U. S. ForwardAirMedEvac-Helikoptern eingesetzt werden. Dies dient zum einen dazu, die Patientenversorgung zu optimieren sowie zum...

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2013/2

Empty Image

Fliegerarzt im binationalen Umfeld

Seit dem 06.04.2005 fliegt der Kampfhubschrauber Tiger an der ersten deutsch-französischen Ausbildungsstätte für Kampfhubschrauberpiloten des Heeres in Frankreich. Der folgende Artikel soll die vielseitige Arbeit des deutschen Fliegerarztes an...

Meist gelesene Artikel