Kranio-spinale Notfalleingriffe bei NATO-Kräften während des ISAF- und RS-Einsatzes im Einsatzlazarett Mazar-e Sharif von Juli 2007 bis Juni 2021
Sonja Keller, Uwe Max Mauer, Chris Schulz
Zusammenfassung
Hintergrund: Bereits bei ersten Auswertungen der neurochirurgischen OP-Einsatzzahlen im Einsatzlazarett (ELAZ) Mazar-e Sharif (MeS) zeigte sich im Gegensatz zu anderen NATO-Einrichtungen nur eine geringe Inanspruchnahme dieser Fachexpertise. Nach dem Ende des Einsatzes der International Security Assistance Force (ISAF) und der im August 2021 ebenfalls abgeschlossenen Resolute Support (RS)-Mission soll auf der Grundlage einer Auswertung aller neurochirurgischen OP-Einsatzzahlen die Notwendigkeit des Vorhaltens neurochirurgischer Vor-Ort-Expertise im 24/7-Modus für ähnlich geartete zukünftige Einsätze bewertet und alternative Konzepte im Sinne einer auch bei anderen Nationen praktizierten Damage-Control-Neurochirurgie diskutiert werden.
Methode: Ausgewertet wurden die operativen Fallzahlen zwischen Juli 2007 und Dezember 2014 (ISAF) sowie von Januar 2015 bis Juni 2021 (RS), untergliedert nach dringlichen Soforteingriffen, Eingriffen mit aufgeschobener Dringlichkeit und elektiven OP-Indikationen. Zudem wurde die Verteilung nach der Patientenherkunft (ISAF, ANSF, zivil) ausgewertet. Auch die Verteilung der zu Grunde liegenden Erkrankungs- und Verletzungsursachen für die akuten Kopf- und Wirbelsäuleneingriffe wurde untersucht.
Ergebnisse: Von Juli 2007 bis Dezember 2014 wurden – im engeren Sinne dem Auftrag entsprechend – 30 ISAF-Soldaten kranial und spinal operiert (9,7 % der Gesamtzahl der Eingriffe bzw. 0,33 Fälle/Monat). In 11 Fällen war dabei bei ISAF-Soldaten eine kraniale oder spinale Notfall-OP-Indikation gestellt worden (3,2 % der Gesamtzahl der Eingriffe bzw. 0,12 Eingriffe/Monat). Während der RS-Mission von Januar 2015 bis Juli 2021 wurden im ELAZ MeS keine vital indizierten neurotraumatologischen Notfalleingriffe bei NATO-Soldaten aus dem Einsatzgebiet des Train Advise Assist Command (TAAC) Nord erforderlich.
In beiden Einsatzzeiträumen (ISAF Juli 2007 bis RS Juni 2021) zusammen ergibt sich über eine Einsatzdauer von 14 Jahren somit eine operative Frequentierung mit Notfalleingriffen bei eigenen oder verbündeten NATO-Streitkräften von etwa 0,8 Eingriffen/Jahr, also etwa 1 Notfalleingriff alle 15 Monate.
Diskussion und Fazit: Die Rückführung des Role-2e-ELAZ auf die Ebene Role-2 mit Ende des ISAF-Einsatzes kann mit den realen Bedarfszahlen in MeS für die zu versorgenden Teile von RS gut unterlegt werden. Speziell für das Fachgebiet Neurochirurgie ergab sich auch für die RS-Mission kein faktisch begründbares Erfordernis eines fachärztlichen Anwesenheitsdienstes für die Versorgung von NATO-Soldaten im ELAZ MeS (insbesondere nicht für Bw-Angehörige) im Bereich TAAC Nord. Sanitätseinrichtungen in Ost- und Südafghanistan hatten hingegen hohe bis sehr hohe neurochirurgische Frequentierungen zu verzeichnen. Telemedizinische Unterstützung, verfügbare Verlegungs- und Repatriierungs-Optionen sowie die neurotraumatologischen Kompetenzen der anwesenden Einsatzchirurgen (mit vorheriger Teilnahme am Neurotrauma-Kurs) sind für die Auftragserfüllung auf dem in MeS vorgefundenen Niveau offensichtlich ausreichend und sollten als Basis zukünftiger Einsatzkonzepte weiter ausgebaut werden.
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Wehrmedizinische Monatsschrift 4/2022
Flottillenarzt Priv.-Doz. Dr. Chris Schulz
Bundeswehrkrankenhaus Ulm
Klinik XII – Neurochirurgie
Oberer Eselsberg 40, 89081 Ulm
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