Frauen sind heute in die Streitkräfte fast aller Länder fest integriert. Diese Entwicklung ist seit dem Einsatz von Soldatinnen in den Massenarmeen des Zweiten Weltkrieges irreversibel. Wenn auch schwer zu verifizieren, sollen in den russischen Streitkräften gegenwärtig über 300 000 Frauen dienen, davon ca. 40 000 als Wehrdienstleistende. In der ukrainischen Armee dienen unter dem gleichen Vorbehalt wohl 50 000 Frauen, wobei es sich um ca. 38 000 als Wehrdienstleistende handelt, von denen rund 5 000 an der Front kämpfen.
Deutsche Soldatinnen aller Dienstgrade dienen an der Waffe, im Sanitätsdienst, im Heer, in der Luftwaffe, der Marine, in der Streitkräftebasis, in den Cyber-Kräften und allen Führungsebenen. Aktuell meldete die Bundeswehr 24 181 Frauen in ihren Reihen. Damit stellt sich auch klar die Frage nach einer suffizienten Struktur für die frauenspezifische medizinische Versorgung von Soldatinnen an der jeweiligen Front, dem Hinterland und von Zivilistinnen, die von Kriegshandlungen betroffen sind. Dies muss nun aber seit dem 24.2.2022 für die Bundeswehr auch in Friedenszeiten gelten.
Militärgynäkologie – frauenspezifische Schwerpunkte der Wehrmedizin
Während die Militärgynäkologie z. B. in Russland traditionell als essentieller Teil der Militärmedizin im modernen Krieg angesehen wird, ist diese in Deutschland bis heute unterentwickelt, obwohl sie grundsätzlich die Optimierung der medizinischen Versorgung von Soldatinnen im Mandatseinsatz, einem Krieg, aber auch in Friedenszeiten zum Ziel haben muss, also im Kern die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und Einsatzfähigkeit der weiblichen Militärangehörigen.
Zu den Aufgaben der Militärgynäkologie gehören primär die Prävention, Diagnostik und Behandlung von gynäkologischen Erkrankungen und insbesondere von gynäkologisch-geburtshilflichen Notfällen, dem Management von Kriegsverletzungen, der Schwangerschaftsbetreuung und Geburtshilfe unter Notfall- und Kriegsbedingungen, der suffizienten Empfängnisverhütung sowie die Versorgung von sexuell übertragbaren Infektionen. Hinzu gehören auch die Prävention, Diagnostik und Therapie von frauenspezifischen Kriegsstressfolgen. Perspektivisch wird die Militärgynäkologie eine wichtige Rolle bei der medizinischen Versorgung von Soldatinnen, aber auch von weiblichen Zivilisten aller Altersgruppen, die von Konflikten betroffen sind, spielen: In den aktuellen Kriegen (Afghanistan, Syrien, Ukraine, Sudan) fallen bei kritischer Betrachtung die hohen Zahlen flüchtender Frauen mit ihren Kindern auf.
In Friedens- und Krisensituationen und besonders aber im Krieg gibt es eine Reihe wichtiger frauenspezifischer Aufgaben, die von MilitärgynäkologInnen übernommen werden sollten, um durch eine kompetente medizinische Versorgung die Gesundheit und das Leistungsvermögen der potentiellen Patientinnen aus den militärischen und zivilen Bereichen zu erhalten bzw. wieder herzustellen. Dazu zählen:
1. Akute gynäkologisch-geburtshilfliche Notfälle inklusive der Prävention, Diagnostik und Therapie von Blutungsstörungen und gutartiger gynäkologischer Krankheitsbilder
2. Versorgung von Verletzungen im Genitalbereich: Kriegsverletzungen können auch den Genitalbereich betreffen. MilitärgynäkologInnen können derartige Verletzungen besonders gut diagnostizieren und behandeln sowie gegebenenfalls operative Eingriffe durchführen.
3. Allgemeine Hygiene und Versorgung von sexuell übertragbaren Infektionen (STIs): In Kriegsgebieten wird es aller Erfahrung nach zu einem Anstieg von STIs kommen, was auf unsichere sexuelle Beziehungen, sexuelle Gewalt und einem Mangel an Verhütungsmitteln zurückzuführen ist. MilitärgynäkologInnen können STIs diagnostizieren sowie behandeln und müssen Präventionsmaßnahmen wie Kondome und Aufklärungskampagnen organisieren.
4. Schwangerschaftsbetreuung und Geburtshilfe: In Kriegsgebieten wird es für die Bevölkerung (sehr) schwierig, den Zugang zu einer suffizienten geburtshilflichen Versorgung zu erhalten. MilitärgynäkologInnen werden zusammen mit (noch) vorhandenen zivilen Kräften die Schwangerschaftsbetreuung und Geburtshilfe übernehmen müssen.
5. Kriegsstress und spezifische psychosomatische Stressfolgen sowie Beratung und Unterstützung bei traumatischen Erfahrungen: Kriegsereignisse (Konfrontation mit Tod oder schwersten Verletzungen – auch von Kindern, sexuelle Gewalt oder Verlust von Angehörigen) werden bei Frauen traumatische Erfahrungen verursachen, denen MilitärgynäkologInnen neben den vorhandenen PsychiaterInnen Beratung und Unterstützung anbieten können, um bei der Bewältigung solcher Erfahrungen zu helfen.
Insgesamt trägt die Militärgynäkologie im modernen Krieg und in Krisensituationen dazu bei, dass Frauen effizient medizinisch umfassend betreut und versorgt werden können.
Eine zivil-militärische Vernetzung ist heute das Gebot der Zeit
In der aktuell angespannten geopolitischen Situation hat die Bundeswehr im Rahmen von UN-Mandaten sowie besonders hinsichtlich der Landes- und Bündnisverteidigung verantwortungsvolle Aufgaben. Frauen spielen dabei in der Bundeswehr als Sanitätsoffiziere und Sanitäterinnen auf allen Dienstebenen (N=8 231) eine wichtige Rolle. In der gesamten Infrastruktur des Heeres (N= 4 749), der Luftwaffe (N=2 591), der Marine (N=1 720), in den Streitkräftebasen (N=2 575), den IT- und Cyber-Einheiten (N=1 439) sowie im Verteidigungsministerium und den anderen Führungsstrukturen (N=2 876) sind Soldatinnen vertreten. Auch an der Waffe nimmt die Zahl der Soldatinnen in allen Dienstgradgruppen ständig zu. In der Bundeswehr dienen Stand 28.2.2023 insgesamt 24 181 Frauen als Offiziere (N=6 692), Unteroffiziere mit oder ohne Portepee (8 173 bzw. 3 519) oder Mannschaften (5 797). Insgesamt sind 4 728 von ihnen als Berufssoldatinnen, 17 564 als Zeitsoldatinnen und 1 889 als freiwillig Wehrdienstleistende eingestellt. Hinzukommen 31 322 Frauen aus der Gruppe der 81 157 Zivilbeschäftigten der Bundeswehr, was beachtlichen 39 % entspricht. Deshalb gilt es zunehmend frauenspezifische Aspekte in den Streitkräften zu berücksichtigen und diese in die moderne, deutsche Wehrmedizin zu integrieren.
Von den fünf renommierten Bundeswehrkrankenhäusern (BwKrhs) in Berlin, Hamburg, Ulm, und Westerstede sowie dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz verfügt allerdings nur das BwKrhs Westerstede über eine Frauenabteilung (Klinik XX Gynäkologie) in den Räumlichkeiten des Ammerland-Klinikums. Bis auf diese Ausnahme wird durch die Bundeswehr die gynäkologisch-geburtshilfliche Versorgung der wehrdienstleistenden Frauen auf den Gebieten der primären Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge in zivile Einrichtungen ausgelagert. Dieser Umstand wird sich im Krisenfall als problematisch erweisen, wobei dies auch für das weibliche Zivilpersonal der Bundeswehr gelten wird. Wir müssen davon ausgehen, dass wie im Zweiten Weltkrieg das strategic bombing der Alliierten im Kampf gegen die NS-Diktatur heute strategic cyberattacks die kritische Infrastruktur des jeweiligen Gegners ins Visier nehmen, bevor, während oder nachdem es zu Kampfhandlungen kommt. Dazu zählen sehr wahrscheinlich primäre, repetitive Cyber-Angriffe auf die Energie- und Wasserversorgung, die Verkehrsknotenpunkte, den Finanzmarkt und natürlich primär oder sekundär auch auf Gesundheitseinrichtungen.
In der aktuellen geopolitischen Situation scheint es in Deutschland sinnvoll, die Versorgung der Soldatinnen und der weiblichen Zivilangestellten der Bundeswehr zu überdenken und folgende Schritte einzuleiten oder zu intensivieren: 1) kontinuierliche Ausbildung der Soldatinnen aller Dienstgrade in der Vertiefung des Grundwissens über den eigenen Körper; 2) kontinuierliche Ausbildung für Medizinstudenten: Grundkurs Katastrophen- und Militärmedizin, wie gelegentlich bereits vorhanden; 3) kontinuierliche Ausbildung der Gesundheitsfachberufe in den Grundlagen der Notfallmedizin; 4) wehrmedizinische Grundausbildung für Zivilärzte: Grundwissen über Struktur und Organisation des Sanitätsdienstes; 5) regelmäßige Zusatzqualifizierung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr im Fach Gynäkologie und Geburtshilfe (Hospitationen, Seminare, Rotating); 6) zeitnahe Etablierung von Lehraufträgen an den wehrmedizinischen Ausbildungseinrichtungen der Bundeswehr sowie die Bereitstellung von frauenspezifischen Forschungskapazitäten inklusive der Versorgungsforschung; 7) die Gewährleistung einer gynäkologisch-geburtshilflichen Betreuung der Soldatinnen „vor Ort“ in den BwKrhs und in der Fläche.
Im Krisen- oder Kriegsfall wird es in den Kampf- und Nichtkampfgebieten nicht mehr immer möglich sein, eine ausreichende gynäkologisch-geburtshilfliche Betreuung allein aus dem zivilen Sektor heraus zu gewährleisten, da Ärzte, auch Gynäkologen, einberufen und Truppenkontingente mit Soldatinnen oft an andere Standorte verlegt werden müssen. Cyberattacken bzw. direkte Kampfhandlungen werden immer wieder große Teile der zivilen Gesundheitseinrichtungen als Teil der kritischen Infrastruktur aus dem medizinischen Versorgungsnetz nehmen. Zudem bleibt festzuhalten, dass heute in Deutschland über 70 % Frauen als Ärztinnen im Fachgebiet Gynäkologie und Geburtshilfe tätig sind. Bei ihnen wie auch bei den meisten männlichen Frauenärzten und Geburtshelfern fehlen jedoch substanzielle Kenntnisse der Katastrophen- und Militärmedizin. Erste Handlungsempfehlungen, wie sie in den USA vom American College of Obstetricians and Gynecologists vorliegen, gibt es in Deutschland bisher nicht. Diese sollten in enger fachlicher Kooperation zwischen der Bundeswehr und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie anderen Fachgesellschaften (speziell für Notfallmedizin, Chirurgie und Wehrmedizin) zeitnah und zeitgerecht erarbeitet werden.
Fazit
Frauen dienen heute aktiv de facto in alle Funktionsbereichen und Dienstebenen der Bundeswehr. Ihre Zahl stieg in den letzten Jahren auf 24 181 (2023). Dennoch ist die Frauenheilkunde und Geburtshilfe im Kanon der deutschen Wehrmedizin unterrepräsentiert. Die aktuellen geopolitischen Entwicklungen zeigen, dass die Schaffung einer leistungsfähigen Militärgynäkologie für die effiziente Versorgung und kompetente Betreuung von Soldatinnen und weiblichen Zivilisten eine essenzielle und nachhaltige Aufgabe ist.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2023
Prof. Dr. Dr. A. D. Ebert
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