Die frühe Entwicklung der Mikrobiologie und Infektiologie in Frankreich und Deutschland
Louis Pasteur, Robert Koch und ihr Einfluss auf die Militärmedizin
A. Müllerschön1
Einleitung
Infektionskrankheiten und deren Folgen zählen seit Jahrtausenden zu den Begleitern der Menschheit. Besondere Bedeutungen hatten epidemische Krankheiten wie Typhus, Ruhr, Cholera und Fleckfieber für das Militär. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts forderten sie mehr Todesopfer unter den Soldaten als Verwundungen durch die verschiedensten Waffenarten. Entlang der Marschstraßen der Armeen sowie im Umfeld von großen Truppenansammlungen breiteten sich regelmäßig Infektionswellen aus, so dass sich für diese Krankheiten die Bezeichnung „Kriegsseuchen“ durchsetzte.
Die im 18. Jahrhundert verstärkt einsetzende Industrialisierung bewirkte unter anderem eine spürbare Entwicklung der Wissenschaften, allen Voran der Physik, der Chemie und der Biologie. Die Einflüsse beflügelten die Medizin durch Übernahme physikalischer und chemischer Untersuchungsmethoden. Dabei gewonnenen Erkenntnisse revolutionierten zum Teil die althergebrachten Krankheitstheorien und resultierten in neuen Wissenschaftsgebieten, beispielsweise der modernen Bakteriologie und der Hygiene.
Als wohl bedeutendste Vertreter der noch jungen Disziplinen Mikrobiologie und Infektiologie gelten in Frankreich Louis Pasteur und in Deutschland Robert Koch.
Anlässlich des 200. Geburtstags Pasteurs soll die frühe Entwicklung der beiden medizinischen Gebiete sowie die Lebenswege dieser Wissenschaftler schlaglichtartig nähergebracht und abschließend ihre Einflüsse auf die Militärmedizin analysiert werden.
Frühbakteriologische Ära
Ausgehend von der theurgische Medizin, wonach Krankheiten und Gesundheit von Göttern beeinflusst werden, begann ab dem 4. Jahrhundert v. Chr. ein stetiger Wandel hin zur sogenannten „hippokratischen Medizin“, benannt nach ihrem Begründer Hippokrates von Kos. Sein Prinzip der „Humoralpathologie“ ging von einem Missverhältnis (Dyskrasie) zwischen den vier Körpersäften (Blut, gelbe und schwarze Galle sowie Schleim) aus, deren Gleichgewicht (Eukrasie oder Synkrasie) entweder durch die Konstitution der Patienten selbst oder mittels medizinischer Behandlungen wiederhergestellt werden musste.
Eingebettet in die Säftelehre des Hippokrates galten zunächst Miasmata als Ursachen von Seuchen. Nach der Miasmentheorie gingen Infektionen auf schlechte Ausdünstungen des Bodens, des Wassers oder krankmachende Bestandteile der Luft zurück.
Die antike Humoralpathologie prägte bis ins 16. Jahrhundert und teils darüber hinaus das Handeln der Ärzte. Gleichwohl begann im Zeitalter der Renaissance die vorsichtige kritische Auseinandersetzung mit althergebrachten Lehren, zugleich entwickelte sich immer mehr neues Wissen und Erkenntnisse durch neue wissenschaftliche Methoden und Betrachtungsweisen. Neben Andreas Vesalius, dem Begründer der modernen Anatomie, und vielen anderen Zeitgenossen muss an dieser Stelle Girolamo Fracastoro für die Bakteriologie und Epidemiologie genannt werden. Fracastoro veröffentlichte mehrere Schriften, die sich mit Symptomen und Ursachen von Infektionskrankheiten beschäftigten. Im Jahre 1546 beschrieb er verschiedene Übertragungsmöglichkeiten von Krankheiten. Ansteckungen können, so der Autor, durch direkten Kontakt, abströmende Teilchen in Kleidung oder Bettwäsche und durch die Luft erfolgen. Auslöser der Infektion war aus seiner Sicht das „contagium“, kleine lebende Körperchen, die ausschließlich eine ganz spezifische Erkrankung hervorrufen würden. Aufgrund der weiterhin verbreiteten Humoralpathologie fand Fracastoros auch als Kontagienlehre bekannt gewordene Theorie nur wenig Beachtung. Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zur modernen Mikrobiologie war die Entdeckung der Bakterien durch Anthony van Leeuwenhoek, der mit selbstkonstruierten Mikroskopen diese erstmals sichtbar machte und anschließend nach ihrer Morphologie unterschied. Im 19. Jahrhundert griff der Anatom und Pathologe Jakob Henle die These Fracastoros erneut auf. In seiner 1840 verfassten Schrift „Von den Miasmen und Kontagien und von den miasmatisch-kontagiösen Krankheiten“ ging er im Grundsatz von einem „contagium animatum“ als Krankheitsauslöser aus. Gleichwohl setzte sich Henles These nicht durch, da der Disput zwischen den Anhängern der Miasmentheorie und der Kontagienlehre unvermindert weiterging.
Vor allem den Versuchen und wissenschaftlichen Erkenntnissen von Louis Pasteur und Robert Koch ist es zu verdanken, dass sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts schließlich die Kontagienlehre durchsetzte und damit der Weg für die moderne Mikrobiologie frei war.
Louis Pasteur
Louis Pasteur wurde am 27.12.1822 im französischen Dôle geboren. Nach Abschluss seines Chemiestudiums und der sich anschließenden Lehramtsprüfung für physikalische Wissenschaften in Paris promovierte Pasteur mit einer kristallographischen Arbeit auf dem Gebiet der Chemie und Physik. Zwischen 1848 und 1874 übernahm er verschiedene Professuren an französischen Universitäten und war wissenschaftlicher Studiendirektor der École normale supérieure Paris.
Bereits 1856 rückte die alkoholische Gärung in das Zentrum seiner Forschungen. Pasteur entdeckte die Bedeutung der Hefepilze für den Gärprozess und die gleichzeitig dabei von milchsäureproduzierenden „Stäbchen“ ausgehenden Gefahren. Eine weitere wichtige Erkenntnis war die Tatsache, dass jeder Art von Gärung eine eigene Bakterienart zugrunde liegt. Dabei unterschied er erstmalig in „Aerobier“ und „Anaerobier“.
In den Folgejahren entwickelte er seine Keimtheorie, wonach nicht die Luft selbst Auslöser von Krankheiten war, sondern die Gefahr von darin befindlichem, mit Mikroben verseuchtem Staub ausgeht. Durch verschiedene Experimente konnte Pasteur seine Theorie beweisen und stellte sie 1864 in einem Vortrag an der Sorbonne der Öffentlichkeit vor. Im gleichen Jahr gelang ihm die Entwicklung eines Verfahrens zur Konservierung von Lebensmitteln. Durch kurzzeitiges Erhitzen leicht verderblicher Flüssigkeiten auf eine Temperatur zwischen 72 und 100 Grad Celsius waren diese über einen längeren Zeitraum haltbar. Das nach seinem Erfinder benannte Pasteurisieren wird noch heute angewandt.
Ab 1865 beschäftigte sich Pasteur mit den zum Teil durch Protozoen verursachten epidemischen Erkrankungen der Seidenraupen in Südfrankreich und somit erstmalig mit einer tierischen Infektionskrankheit.
Mit gerade einmal 46 Jahre erlitt Louis Pasteur 1868 einen Schlaganfall, von dessen Folgen er sich Zeit seines Lebens nie mehr ganz erholen sollte.
Nach Abschluss seiner Arbeiten zu den Seidenraupenkrankheiten begann er mit Untersuchungen zum Milzbrand und dem Erreger der Hühnercholera. Ab 1877 begann die Entwicklung einer Milzbrandschutzimpfung, die im Mai 1881 mit den ersten Immunisierungen von Schafen erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Zusätzlich entwickelte Pasteur einen Impfstoff gegen Tollwut, der 1885 erstmalig bei einem Menschen zur Anwendung kam.
Wenige Jahre vor seinem Tod übernahm er die Leitung des 1888 eröffnete und später zu seinen Ehren als „Institut Pasteur“ bezeichnete Institut für Infektionskrankheiten.
Louis Pasteur starb am 28.09.1895 bei Paris.
Robert Koch
Robert Koch wurde am 11.12.1843 in Clausthal im Harz geboren. Seine akademische Ausbildung beendete er 1866 mit dem Staatsexamen und der Promotion. Anschließend war Robert Koch in verschiedenen Städten (unter anderem Hamburg, Langenhagen bei Hannover und Niemegk vor den Toren Potsdams) als Assistenzarzt und praktischer Arzt tätig.
Als Freiwilliger nahm er am Deutsch-Französischen 1870/71 teil und machte erste Erfahrungen bei der Versorgung von Typhus- und Ruhrkranken in einem Lazarett. Nach Kriegsende kehrte Koch zunächst in seine Heimatstadt zurück, bevor er sich 1872 als Kreisphysikus im posischen Wollstein niederließ.
Ein Jahr später begann sich Koch mit der Ätiologie des Milzbrandes zu beschäftigen, 1876 gelang ihm der Nachweis des Erregers Bacillus anthracis. Danach rückten die Infektionskrankheiten – auch bedingt durch seine Erfahrungen als Militärarzt – in das Zentrum seiner Forschungen. Mit Hilfe von Tierversuchen stellte Robert Koch fest, dass jede Krankheitsform durch eine spezifische Bakterienart verursacht wird.
Im Jahre 1880 berief man Koch an das Kaiserliche Gesundheitsamt nach Berlin, an dem er bis 1885 tätig war. Bevor er sich verstärkt der Tuberkulose widmete, sorgte er mit der Einführung von Gelatinenährboden für eine verbesserte Möglichkeit der Bakterienanzüchtung und beschäftigte sich mit Fragen der Desinfektion und der Sterilisation. Im März 1882 konnte Robert Koch schließlich das Mycobacterium tuberculosis als Erreger der Tuberkulose nachweisen.
Von 1883 bis 1884 nahm Koch an einer Expedition nach Ägypten und Indien zur Erforschung der Cholera asiatica teil, deren Mitglieder dabei die Choleravibrionen als Verursacher der Krankheit entdecken konnten.
Im Mai 1885 berief ihn die Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität auf den Lehrstuhl für Hygiene und damit zum Vorstand des Hygienischen Instituts.
In den folgenden Jahren forschte er an einem Heilmittel gegen Tuberkulose, das er unter dem Namen Tuberkulin 1890 der Weltöffentlichkeit präsentierte.
Nach anfänglich positiven Ergebnissen konnte das Medikament den Erwartungen nicht entsprechen. Ganz im Gegenteil: Bei vielen Patienten verschlechterte sich nach Tuberkulingabe der Gesundheitszustand deutlich. Auch wenn es die Lungentuberkulose nicht heilen konnte, wird Tuberkulin noch heute zur Diagnose der Infektionskrankheit eingesetzt.
1891 übertrug man Robert Koch die Leitung des Königlich Preußischen Instituts für Infektionskrankheiten, die er bis zu seiner Pensionierung 1904 innehatte. Für die Erforschung der Tuberkulose erhielt Koch 1905 den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.
Koch starb am 27.05.1910 in Baden-Baden.
Einflüsse auf Medizin und Militärmedizin
Louis Pasteur und Robert Koch waren mit ihren Arbeiten Wegbereiter der modernen Bakteriologie und Infektiologie sowie der medizinischen Mikrobiologie. So unterschied Pasteur als erster, wie bereits dargestellt, Bakterien dahingehend, ob sie Sauerstoff benötigen oder nicht und etablierte somit die Begriffe „Aerobier“ und „Anaerobier“.
Mit seiner umfangreichen Arbeit zum Milzbrand, der Darstellung und Isolierung sowie Übertragung des Erregers konnte Robert Koch nachweisen, dass bestimmte Krankheit durch spezifische Mikroorganismen ausgelöst werden. Auf die Erkenntnisse von Koch aufbauend, konnte Pasteur die Wirksamkeit einer Schutzimpfung gegen Milzbrand mittels eines Feldversuches an Schafen belegen.
Trotz oder gerade aufgrund der gemeinsamen Forschungsinteressen führten beide Wissenschaftler in den 1880er Jahren einen hitzigen Disput. Er entzündete sich an Pasteurs Milzbrandimpfstoff, den dieser 1881 vorgestellt hatte. In einer Replik verriss Koch die Ergebnisse seines französischen Kollegen und unterstellte ihm später sogar eine bewusste Täuschung und Fälschung.
Einer persönlichen Auseinandersetzung im Rahmen eines Hygienekongresses 1882 folgten mehrere Stellungnahmen und Erwiderungen von beiden Seiten – zu einer Einigung oder abschließenden Aussprache kam es nicht.
Gleichwohl waren beide Forscher nicht allein tätig, sondern hatten Mitarbeiter um sich versammelt, von denen sie bei ihren Arbeiten unterstützt wurden. Neben Charles Chamberland war Émile Roux, der eine besondere Rolle bei der Entwicklung des Milzbrandimpfstoffes spielte, einer der wichtigsten Assistenten Louis Pasteurs.
Während aber weder Pasteur noch seine beiden wichtigsten Mitstreiter Verbindungen zum Militär hatten, stellt sich die Situation bei Robert Koch gänzlich anders dar. Nicht nur dass er freiwillig während des Deutsch-Französischen Krieges in einem Lazarett verwundete Soldaten versorgte: seine engsten Mitarbeiter – beispielsweise Friedrich Loeffler, Georg Gaffky und Emil von Behring – waren Militärärzte.
Daraus leitet sich die Frage ab, ob und wie die französische und deutsche Militärmedizin durch die beiden herausragenden Protagonisten der Bakteriologie beeinflusst wurden.
Wie bereits erwähnt, hatte Pasteur keinerlei Verbindungen zum französischen Militärsanitätswesen. Aufgrund seiner infolge eines Schlaganfalls vorhandenen Lähmung musste er nicht aktiv am Deutsch-Französischen Krieg teilnehmen. Gleichwohl scheint Pasteur von der Art und Weise des Verlaufs der Kämpfe tief getroffen und in seinem Nationalstolz nachhaltig verletzt worden zu sein. Im Januar 1871 schickte er die ihm von der Universität Bonn 1868 verliehene Ehrendoktorwürde mit harschen Worten zurück und begann sich am Vorabend des Kriegsendes mit dem Bierbrauen zu beschäftigen. Sein Ziel war „ein französisches Bier, das besser sein soll als das deutsche, ,das Bier der nationalen Vergeltung‘“. Natürlich waren die von Pasteur (mit-)entwickelten Impfstoffe gegen den Milzbrand und die Tollwut wichtige Meilensteine und hatten gesamtgesellschaftliche Bedeutung. Die Militärmedizin seines Landes wurde allerdings somit nur mittelbar durch die Bereitstellung von Vaccinationen gegen tödliche Infektionskrankheiten, die auch den Soldaten zugutekamen, beeinflusst.
Die Arbeiten Pasteurs und seine Forschungsergebnisse fanden zunächst keinen Eingang in strukturelle Anpassungen, der Ausstattung mit Sanitätsmaterial oder die Aus- beziehungsweise Weiterbildung von Militärärzten.
Der deutsche Gegenspieler Robert Koch war Zeit seines Lebens geprägt von den während des Deutsch-Französischen Krieges in einem Lazarett gemachten Erfahrungen mit Infektionskrankheiten. Eine der Lehren, welche die Führung der preußischen Medizinalabteilung aus den Erkenntnissen des Deutsch-Französischen Krieges zog, war die Einbindung von fachlich hoch anerkannten Hochschullehrern, die sich überwiegend aus der Berliner Universität rekrutierten, in die Aus- und Weiterbildung von Militärärzten. Somit war es Koch, der zu diesem Personenkreis gehörte, bereits frühzeitig möglich, das damals noch relativ junge Gebiet der Hygiene entsprechend prominent im Ausbildungsgang der angehenden Militärmediziner zu positionieren und seine Erfahrungen weiterzugeben. Bereits während seiner Zeit als Leiter des Kaiserlichen Gesundheitsamtes – und auch noch während seiner Tätigkeit an der Berliner Universität – kommandierte das Kriegsministerium insgesamt fast 50 Ärzte zu Koch, damit diese von seinen Erfahrungen profitieren und bei ihm hospitieren konnten.
Ebenfalls wirkte Koch im 1901 gegründeten wissenschaftlichen Senat der „Kaiser-Wilhelms-Akademie für das militärärztliche Bildungswesen“ mit und war in der Lage, das Militärsanitätswesen in Ausbildungsfragen zu beraten und Empfehlungen zur Einführung von Sanitätsgerät, in diesem Fall beispielsweise tragbaren bakteriologisch-hygienischen Feldlaboren oder ähnliches, zu geben.
Immer wieder übernahm Robert Koch wissenschaftliche Aufträge der Medizinalabteilung des Preußischen Kriegsministeriums. Von derartigen Einsätzen profitierten beide Seiten: Das Militär erhielt Information zur möglichen Prävention von Krankheitsausbrüchen und Koch konnte zusätzliche Daten für seine eigenen Forschungsprojekte erheben.
Bereitwillig nahm Robert Koch dabei auch an Vorbereitungsmaßnahmen für einen zukünftigen Krieg gegen Frankreich teil. Im geplanten elsässischen Aufmarschgebiet kam es regelmäßig zu endemisch ausbrechenden Typhuserkrankungen, was die Gesundheit der deutschen Soldaten massiv gefährdete. Um das Risiko deutlich zu minimieren, wurden Entseuchungsmaßnahmen beschlossen, an deren fachlichen Leitung Koch ab 1902 maßgeblich beteiligt war.
Wie das Wissen und die Erfahrung von Koch nachhaltig genutzt wurde, zeigt sich in der Friedenssanitätsordnung aus dem Jahre 1891 sowie der am 27.01.1907
erlassenen „Kriegs-Sanitätsordnung (K. S. O.)“. Neben strukturellen und fachlichen Anpassungen wurden mit der K. S. O. erstmals Vorgaben zur Verhinderung von Infektionskrankheiten, dem sogenannten „Gesundheitsdienst im Kriege“, gemacht.
Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/22
Oberfeldarzt Dr. Dr. A. Müllerschön
Sanitätsversorgungszentrum Neubiberg
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