2018 – Ein ungewöhnliches FSME- und Zecken-Jahr

Aus dem Kompetenzbereich II – Viren und intrazelluläre Erreger (Leiter: Oberstveterinär Prof. Dr. Meyer) des Instituts für Mikrobiologie der Bundeswehr (Leiter: Oberstarzt Prof. Dr. Zöller)

Die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) ist die wichtigste durch Zecken übertragene Virusinfektion in Europa und Asien. Trotz des heißesten und trockensten Sommers seit Einführung der Wetteraufzeichnungen wurde im Jahr 2018 mit 585 Erkrankungsfällen in Deutschland die höchste Zahl menschlicher Erkrankungsfälle seit der Einführung des Infektionsschutzgesetzes (2001) registriert. Epidemiologische Analysen der beiden Jahre 2017 und 2018 zeigen, dass vorwiegend menschliche Aktivitäten die hohen Erkrankungszahlen bedingen und dass die Zahl der in der Umwelt vorkommenden Zecken nur von zweitrangiger Bedeutung ist. Die lange trockene und heiße Periode des Jahres 2018 förderte jedoch die Entwicklung von erwachsenen Zecken der Gattung Hyalomma, die ansonsten nur im Mittelmeer und in den Trockenregionen der Tropen und Subtropen vorkommen.

FSME im Jahr 2018

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Abb. 1: Jährlich gemeldete FSME-Erkrankungszahlen in den sieben am meisten betroffenen deutschen Bundesländern (nach SurvStat, Robert-Koch Institut, Berlin).
Der Erreger der Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) tritt in mindestens 5 Subtypen auf. In Mitteleuropa wird der Europäische Subtyp überwiegend von Ixodes ricinus, dem Gemeinen Holzbock, übertragen. Der in Finnland, Lettland und Estland nachgewiesene sibirische Subtyp des FSME-Virus sowie auch der in Estland und Lettland vorkommende fernöstliche FSME-Virus-­Subtyp zirkulieren vorwiegend in der in den genannten Ländern vorkommenden Taigazecke, Ixodes persulcatus. Zecken-­übertragene Erkrankungen spielen auch in der Wehrmedizin eine wichtige Rolle. Teilweise übertragen Zecken auch hochpathogene Erreger (z.B. den Fernöstlichen Subtyp des FSME-Virus), die in der Vergangenheit im Hinblick auf ihre Eignung als biologische Kampfstoffe be­forscht wurden.

Seit Einführung des Infektionsschutzgesetzes im Jahr 2001 ist die FSME eine bundesweit meldepflichtige Erkrankung. Dabei können die Zahlen zwischen den einzelnen Jahren eine Schwankungsbreite von bis zu 300 % aufweisen. Diese Schwankungen geben nach wie vor Rätsel auf, da sie nicht zyklisch verlaufen und die Gründe dafür bisher ungeklärt sind. Vielfach wird jedoch die Ansicht vertreten, dass die FSME-­Erkrankungszahlen eng an die Zahl der in der Umwelt vorhandenen Zecken und an die Zecken-­Durchseuchung mit dem FSME-­Virus gekoppelt seien, ohne dass es jedoch gute Daten für diese Annahme gibt.

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Abb. 2: Vergleich von Zeckenzahlen (Nymphen grün; Weibchen blau; Männchen rot) mit der Zahl der gemeldeten FSME-Fälle in Deutschland (rote Linie mit Dreiecken) für die Jahre 2009 bis 2018.
Umso spannender war daher eine auf einem jüngst veröffentlichten Vorhersage-­Modell basierende Zeckenprognose, die für das Jahr 2018 eine besonders hohe Zeckenaktivität verhieß. Das Modell war mit Zeckendaten aus den letzten zehn Jahren etabliert worden, die am Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr (IMBBw) monatlich erhoben worden waren. Die prognostische Genauigkeit der Modell-basierten Vorhersage für das Jahr 2018 war auch deswegen besonders relevant als 2018 als eines der wärmsten und trockensten Jahre in die Klimageschichte eingehen sollte. Wärme und Trockenheit gelten gemeinhin als Faktoren, die die Aktivität der Zecken verringern, da Ixodes ricinus nur bei einer relativen Luftfeuchtigkeit von <85 % aktiv ist. Daneben stand vor allem die Frage im Raum, welche Auswirkung die Hitze und Trockenheit auf die Zahl der menschlichen FSME-Fälle haben würden.

Die Daten des Jahres 2018 zeigen nun, dass die höchste Zahl an FSME-Fällen seit Einführung des Infektionsschutzgesetztes (2001) gemeldet wurde (Abb. 1). Im Jahr 2018 wurden insgesamt fünf Landkreise als neue Risiko-Landkreise durch das Robert-Koch-­Institut ausgewiesen, darunter erstmals ein Landkreis im Bundesland Niedersachsen (Landkreis Emsland). In diesen Landkreisen wurden jedoch insgesamt nur wenige Erkrankungsfälle registriert. Die weiteren Analysen ergaben, dass die Erkrankungsfälle weitgehend in den altbekannten Risikogebieten in Süddeutschland zu verzeichnen waren (ca. 90 % der Fälle in Bayern und Baden-Württemberg). Die Zunahme der Fälle im Jahr 2018 war also eindeutig nicht durch das Auftreten der FSME in neuen Risikogebieten Deutschlands bedingt.

Die Analyse der Zeckenzahlen zeigte, dass die höchste Zahl an Zecken und vor allem an Nymphenstadien seit Beginn der standardisierten systematischen Sammlung durch das IMB vor 10 Jahren gesammelt werden konnte. Damit wurde die Modell-­Vorhersage für das Jahr 2018 bestätigt.

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Abb. 3: Wöchentlich gemeldete FSME-Erkrankungen in Deutschland für die Jahre 2016, 2017 und 2018 im Vergleich zum Durchschnitt (Jahre 2001 - 2015).
Diese Ergebnisse bedürfen einer intensiven Analyse, da sie auf den ersten Blick nicht erklärt werden können. Trotz des heißen und trockenen Sommers, der theoretisch die Zecken in ihrer Aktivität hätte beeinträchtigen müssen, wurde genau das Gegenteil beobachtet. Insbesondere müssen die Ergebnisse mit den Zahlen der Vorjahre, insbesondere des Jahres 2017 verglichen werden, einem Jahr mit sehr hohen humanen FSME-Erkrankungszahlen, jedoch einer geringen Zeckenzahl.

Analysiert man die Zahl der wöchentlichen Meldungen der menschlichen FSME-Fälle im Jahr 2017, so ist zu erkennen, dass die hohen Erkrankungszahlen durch zwei Ereignisse bedingt waren: eine hohe Zahl gemeldeter Fälle in der 25. und 26. Kalenderwoche und eine hohe Zahl gemeldeter Fälle im Herbst (ab ca. der 35. Kalenderwoche) (Abb. 3). Die ursprüngliche Annahme, dass es sich um ein Ferien-bedingtes Phänomen handele, konnte eindeutig widerlegt werden. Die Spitze im Juni 2017 lässt sich durch eine Wetteranomalie erklären (längere kalte Periode im April und Anfang Mai, gefolgt von einer nach plötzlichem Temperaturumschwung sehr warmen Periode ab Mitte Mai), die dazu führte, dass sich ab Mitte Mai die Menschen verstärkt in der Natur aufhielten. Zur gleichen Zeit, Mitte bis Ende Mai, war die höchste Zeckenaktivität des Jahres zu verzeichnen, sodass trotz der insgesamt geringen Zeckenzahlen eine hohe Erkrankungsinzidenz auftrat. Die hohen Zahlen im Herbst waren durch eine intensive Pilzsaison insbesondere in Bayern geprägt, die ebenfalls zu sehr hohen Erkrankungszahlen im September und Oktober und bis in den Beginn des Dezembers hinein führte.

Im Jahr 2018 konnte ein ähnliches Phänomen beobachtet werden. Die Bevölkerung suchte hier über die gesamte heiße und trockene Periode verstärkt die Natur auf. Damit war die Exposition von Mai bis in den August hinein stark erhöht, was sich in etwa doppelt so hohen Meldezahlen für FSME-Erkrankungen über die gesamte warme Periode zeigte, als in den Vorjahren durchschnittlich registriert wurden.

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Abb. 4: Hyalomma marginatum (rechts) im Vergleich zum Gemeinen Holzbock, Ixodes ricinus (links) (© Dr. Lidia Chitimia-Dobler, IMB, München)
Diese Analysen zeigen erstmals, dass für das Auftreten von menschlichen FSME-Fällen nicht so sehr die Zahl der Zecken und deren Aktivität verantwortlich zeichnen, sondern dass als Haupteinflussfaktor für das Zustandekommen von menschlichen Erkrankungsfällen das menschliche Verhalten zu nennen ist. Dieses ist im Sommer vorwiegend durch das Wetter bestimmt. Sommer mit hohen Temperaturen und wenig Regen führen zu einem vermehrten Aufenthalt der Menschen in der Natur. Sommer mit viel Regen führen zu einem geringeren Aufenthalt in der Natur und damit zu weniger FSME-Erkrankungsfällen. Die Zeckenzahlen und die Durchseuchung der Zeckenpopulation mit dem FSME-Virus sind von geringerer Bedeutung. Daher sind Prognosen von Zeckenzahlen nicht unbedingt aussagekräftig im Hinblick auf die zu erwartenden FSME-Fallzahlen.  Der trockene und heiße Sommer 2018 hatte auch eine weitere Auswirkung auf die Zeckenpopulation in Deutschland. Erstmals wurden in größerem Maße Zecken aus dem Mittelmeerraum und aus Afrika in Deutschland beobachtet. Dabei handelte es sich um Zecken der Gattung Hyalomma. Insgesamt wurden rund 70 Funde dieser Zecken in Deutschland gemeldet, was allerdings nur die Spitze des Eisbergs gewesen sein dürfte.

Zecken der Gattung Hyalomma kommen ausschließlich in den trockenen und heißen Regionen der Paläarktik und Afrotropik vor. In den gemäßigten Klimaten können sie sich aufgrund der Feuchte und der zu niedrigen Temperaturen bisher nicht vermehren. Diese Zecken werden sicherlich seit vielen Jahrzehnten als Larven oder Nymphen durch Zugvögel aus den südlichen Regionen im Rahmen des Frühjahrs-Zugs in den Norden mitgebracht. Durch die bisher meistens sehr feuchten Sommer konnten sich diese beiden Zeckenstadien jedoch nicht weiterentwickeln und das adulte Stadium erreichen. Der trockene und heiße Sommer 2018 führte nun erstmals dazu, dass sich Hyalomma-Zecken in größerer Zahl weiterentwickelten und dann aufgrund ihres art­typischen Verhaltens saugend vor allem an großen Huftieren auf Weiden gefunden wurden.

Warum ist es so beunruhigend, dass sich Hyalomma-Zecken hier entwickeln und auch die Winter überstehen können? Es ist zu allererst wiederum ein deutlicher Hinweis (und zwar der erste wirklich konkrete für Mitteleuropa), dass der Wandel des Klimas auch deutliche Auswirkungen auf die Zeckenpopulation haben wird. Daneben sind Hyalomma-Zecken die wichtigsten Überträger des Krim-Kongo-Hämorrhagisches-Fieber-Virus. Dieses ist verantwortlich für eine Infektionskrankheit, die beim Menschen in bis 30 % zum Tode führen kann. Das Virus kann auch nosokomial übertragen werden. Das Risiko der Einschleppung dieser Virusinfektion ist aktuell als gering einzuschätzen. Ihr Auftreten kann eine Ausbreitung im Krankenhaus zur Folge haben. Daneben tragen bis zu 50 % der Hyalomma-Zecken einen Fleckfieber-Erreger, Rickettsia aeschlimannii. Es ist bisher unklar, was passieren wird, wenn sich dieser Erreger in deutschen Zeckenpopulationen etablieren kann. 

Zusammenfassung

Das Jahr 2018 war in vielerlei Beziehung ein besonderes. Die ungewöhnlichen Wetterbedingungen zeigten, dass viele etablierte Ansichten zu Zecken und Zecken-übertragenen Erkrankungen so nicht zutreffen und somit überdacht und auch durch Studien überprüft werden müssen. Die früheren Annahmen, dass Trockenheit und Hitze zur Abnahme bzw. zum Verschwinden der Zecken und damit von Zecken-übertragenen Infektionen führen, kann so nicht aufrechterhalten werden. Das Risiko von durch Zecken übertragenen Infektionen wird mehr durch menschliches Verhalten als durch die Zahl der Zecken und die durch sie übertragenen Erreger gesteuert. Der Klimawandel birgt Gefahren auch durch importierte Zecken. Diese Risiken müssen weiter beobachtet werden, auch wenn es im Ausnahmejahr 2018 bisher keine Hinweise auf eine Etablierung neuer Zeckenarten in Deutschland oder die autochthone Übertragung des Krim-Kongo-­Virus gibt. 

Anschrift des Verfassers:
Oberfeldarzt PD Dr. Gerhard Dobler
Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr
Neuherbergstrasse 11, 80937 München

Datum: 07.11.2019

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2019

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