27.01.2020 •

Der Einsatz Humanitäre Hilfe Südostasien (HumHiSOA) im Jahre 2005

Aus dem Direktorat Ausbildung und Lehre (Direktorin: Oberstarzt Dr. M. Harf) der Sanitätsakademie der Bundeswehr (Kommandeurin: Generalstabsarzt Dr. G. Krüger)

In der indonesischen Provinz Aceh hatte am zweiten Weihnachtstag 2004 ein Tsunami infolge eines Seebebens zu Hunderttausenden Toten und zu verheerenden Schäden an der Infrastruktur geführt.

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Feldlazarett Banda. (Abb.: Dr. Hartmann)
In beispielloser weltweiter Solidarität halfen viele Nationen und Nichtregierungsorganisationen, auch Deutschland schickte sehr kurzfristig in einem Joint-Ansatz ein Luftlande-Rettungszentrum (RZ) und den Einsatzgruppenversorger „Berlin“ (BER) mit dem aktivierten Marineeinsatzrettungszentrum (MERZ) nach Südostasien. Die deutschen Sanitätskräfte wurden vor Ort unter einem Nationalen Befehlshaber i.E. zusammengefasst. Mit Oberstarzt Dr. Christoph Wachter war dies zum ersten Mal in der Geschichte der Einsätze ein Sanitätsoffizier aus dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Ein humanitärer Einsatz stellt immer einen sehr speziellen Einzelfall dar, mit vorab kaum zu kalkulierenden Herausforderungen, so auch bei der humanitären Hilfe der Bundeswehr in Aceh. Das Angehörigen des Landkontingents, großenteils bestehend aus Soldatinnen und Soldaten des Kommando Schnelle Einsatzkräfte Sanitätsdienst aus Varel und Leer, trafen von Anbeginn an auf sehr schwierige äußere Bedingungen im teilzerstörten Krankenhaus (General Hospital). Zunächst mussten die flutbedingten Schäden durch den Schlamm beseitigt werden. Außerdem galt es, die Wasser- und Stromversorgung wiederherzustellen. Die Wiederaufnahme des klinischen Betriebs im General Hospital war eine der Hauptaufgaben der deutschen Unterstützungskräfte. Das Kontingent organisierte sich zunächst selbst, erschwerend kam zu Beginn eine angespannte logistische Versorgung auf den überlasteten Flughäfen der Region hinzu. Nach den umfangreichen Reinigungsarbeiten konnte der zeltgestützte Anteil des Rettungszentrums auf dem Gelände des General Hospitals aufgebaut werden. Im Laufe der Zeit wurden die ursprünglichen medizinischen Einrichtungen in den Pavillons des Krankenhauses saniert und im Anschluss im Verbund mit dem MERZ der BER ein abgestimmter klinischer Betrieb eingerichtet.

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Flutbedingte Zerstörungen im General Hospital. (Abb.: Dr. Hartmann)
Die BER befand sich zum Zeitpunkt der Flutkatastrophe im Einsatz Operation „Enduring Freedom“ (OEF) in der Arabischen See. Es erging die Weisung, das Schiff in Richtung des Katastrophengebietes Nordwest-Sumatra zu verlegen, um dort gemeinsam mit dem RZ eine gemeinsame sanitätsdienstliche Versorgungseinrichtung unter einheitlichem Kommando zu betreiben. Neben diesem sanitätsdienstlichen Auftragsschwerpunkt kamen auch die flexiblen, zusätzlichen Einsatzoptionen der BER zur humanitären Hilfeleistung entlang der Westküste Sumatras zur Geltung. So wurde z. B. durch Public Health Offizier des Kontingents, den damaligen Oberfeldarzt Dr. Thomas Harbaum, in Zusammenarbeit mit den UN ein Mückennetz-Hilfsprojekt für verschiedene Orte in Sumatra durchgeführt, unter Nutzung der Helikopter der BER.

Besonderheiten an Bord

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Bw 10-Tonner auf australischem Landungsschiff erhält Hilfsgüter. (Abb.: Dr. Hartmann)
BER erschien am Tag 18 nach dem Unglück vor Banda Aceh, am Morgen des 13. Januar 2005. Das MERZ war zu diesem Zeitpunkt in jeder Hinsicht einsatzfähig und opera­tional. In Hinsicht auf Mobilität und ­Flexibilität stellte sich BER mit MERZ und ­MEDEVAC Komponente (Helikopter), die auch für regelmäßige logistische Vorhaben genutzt wurde, für einen solchen humanitären Einsatz an Küsten als in höchstem Maße geeignet heraus.

Der eigentliche Patientenzu- und abstrom zum/vom EGV erfolgte zu großen Teilen mittels der Helikopter. Der Transport von Schwerkranken, beatmungspflichtigen Intensivpatienten, Frauen, Kindern und alten Menschen war damit auch über längere Distanzen problemlos möglich. Auch die Barkasse wurde genutzt, es galt hier jedoch den nicht gefahrlosen Gebrauch der Lotsenleiter in Rechnung zu ziehen. In einem solchen Fall wurde bei Problempatienten das Speedboot zu Wasser gelassen mit folgendem Umsteigen der Patienten und Anbordnahme über das wieder aufgenommene Speedboot. In dem aus drei Anteilen (Schiffslazarett, Bettenstation, Containersystem) bestehenden MERZ entwickelte sich die Bettenstation zum zentralen Punkt der pflegerischen und kommunikativen Maßnahmen. Dort wurde während des Einsatzes HumHi SOA erstmalig eine Patientenbehandlung durchgeführt, die in Umfang, Schwere und Zusammensetzung der Erkrankungen die Funktionalität der Einrichtung eindrucksvoll unter Beweis stellte. Unter den intensivpflichtigen Patienten waren auch mehrere Kleinkinder. Zeitweise befanden sich bis auf zwei freigehaltene Intensivbetten alle 30 Unterbringungsmöglichkeiten der Station in Belegung, d. h. es hielten sich dort 16 Patienten, 13 Angehörige und die Dolmetscherin auf, eine fließend ­englisch – indonesisch sprechende ehemalige Patientin und Krankenschwester. Deren Arbeit gestaltete sich hervorragend, sie war ständig präsent, begleitete die Visiten und wurde Patienten und Pflegepersonal schnell unentbehrlich. Vor Einsatzbeginn war davon ausgegangen worden, indonesische Angehörige nicht mit an Bord zu nehmen. Dies ließ sich nicht verwirklichen, denn in Indonesien ist die Begleitung und teilweise krankenpflegerische Betreuung von Patienten durch Angehörige in zivilen Krankenhäusern die Regel. Zudem galt es für das MERZ, Angst und Misstrauen von Patienten vor einer Behandlung in einer seegestützten medizinischen Einrichtung gerade in Anbetracht des noch präsenten Tsunami-Geschehens abzubauen. Somit wurden fast alle Patienten von ihren Angehörigen begleitet, die in den Kojen bzw. in leeren Krankenbetten der Bettenstation Unterkunft fanden. Sie beteiligten sich rege an verschiedenen pflegerischen Aufgaben, vor allem bei der Verteilung des Essens, waren jedoch durch ihre Mobilität und Neugierigkeit ein permanenter Unruhefaktor, der vor allem in hygienischer Sicht bedacht werden musste. Zweimal täglich wurde allen gehfähigen Insassen/Angehörigen der Bettenstation unter Aufsicht von Pflegern die Möglichkeit zu einem längeren Aufenthalt an Oberdeck bei frischer Luft ermöglicht. Der Umgang mit Kranken und Angehörigen war völlig problemlos, da es sich bei den Indonesiern um sehr angenehme, zurückhaltende und freundliche Personen handelte. Sie zeigten dabei eine Haltung, die von tiefer Dankbarkeit gegenüber dem DEU Sanitätspersonal und der geleisteten Behandlung geprägt war.

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Intensivpflichtiges Kind in der Bettenstation des MERZ. (Abb.: Dr. Hartmann)
Erstmals sind im MERZ auch Patienten gestorben: 2 Kranke mit Aspirationspneumonien, ein Patient mit Mesenterialarterieninfarkt und ein Patient mit Herzinsuffizienz nach einem ausgedehnten Hinterwandinfarkt. Alle Sterbenden wurden bis zuletzt unter größtmöglicher Wahrung der Intimsphäre von ihren Angehörigen betreut und begleitet. Hinsichtlich des Krankheitsspek­trums an Bord dominierten in den ersten 6 Wochen des Einsatzes nicht die ursprünglich erwarteten notfallchirurgischen, sondern Krankheitsbilder aus dem internistisch-infektiologisch-tropenmedizinischen Formenkreis. Diese entwickelten sich zum Teil zur Intensivpflicht. Bei fast allen Behandlungen wurde der Einsatz hochpotenter Antibiotika notwendig. Die aufgenommenen Patienten litten an schweren Tsunami-bedingten Erkrankungen, die zuvor in Deutschland relativ unbekannt gewesen sind. Beispielsweise wurden Patienten mit Aspirationspneumonien aufgrund Besiedlung mit multiresistenten gramnegativen Stäbchen nach Aspiration von kontaminiertem Meerwasser behandelt. Auch ein Patient mit floridem Tetanus kam zur Intensivbehandlung. Bei diesem wurde zusätzlich eine MRSA-Besiedlung im oberen Respirationstrakt und mittels weiterführender Spezialdiagnostik eines Fußwundenabstriches an dem Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr in München unter Biosicherheitsstufe 3- Bedingungen angewendeten Nachweismethoden ein eindeutig positives Ergebnis auf Burkholderia pseudomallei festgestellt. Er hatte somit auch an der Melioidose gelitten, ein Krankheitsbild, das bei den o.a. Pneumonie-Patienten differentialdiagnostisch stets im Raume stand und zu nachhaltigen Überlegungen im Ärztekreis geführt hatte. Auch die schwierige hygienische Situation in der Bettenstation, Resultat vieler Problemkeime, war Gegenstand eines permanenten multifaktoriellen Vorgehens zwischen Hygieniker, Tropenmediziner und Labormediziner. Erwähnenswert ist eine Patientin mit Dengue-Hämorrhagischem Fieber, dem ersten Auftreten dieser Krankheit in der Provinz Banda Aceh. Dem Fall folgten umfangreiche Meldungen und Umgebungsuntersuchungen auch an Land. Die im MERZ vorgehaltene Laborkonzeption erwies sich für diesen Einsatz als außerordentlich leistungsfähig und umfasste das gesamte Leistungsspektrum eines mikrobiologischen, klinisch-chemischen Labors einschließlich richtlinienkonformer Transfusionsmedizin. Chirurgisch dominierten in beiden operativ tätigen Einrichtungen vor allem gegen Ende des Einsatzes letztlich Elektiveingriffe.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass es im Laufe des Einsatzes auf fachlichem Gebiet zu einer äußerst fruchtbaren Zusammenarbeit beider klinischer Einrichtungen im Sinne eines integrativen und kohärenten Vorgehens gekommen ist. Die besonderen jeweiligen Fähigkeiten des RZ und des MERZ ergänzten sich und konnten synergetisch umgesetzt werden. Das MERZ als flexible und vom ersten bis zum letzten Tag einsatzbereite Einrichtung mit höchstem klinischen Standard im operativen, intensivmedizinischen, labormedizinischen und hygienischen Bereich bedeutet für ein Landkontingent in Reichweite der Küste eine äußerst wertvolle Ergänzung der eigenen Handlungsoptionen.  

 

Flottenarzt Dr. Volker Hartmann
Sanitätsakademie der Bundeswehr
Neuherbergstr. 11
D-80937 München
E-Mail: VolkerHartmann@Bundeswehr.org 

Datum: 27.01.2020

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2019

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