01.09.2015 •

„Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss“

E-Journal Ethik und Militär
Ausgabe 2015/1

WMM, 59. Jahrgang (Ausgabe 08/2015; S. 269)

Die dritte Ausgabe des E-Journal „Ethik und Militär“ in 2015 greift unter dem Titel „Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss“ ein profilgebendes Kernthema des Sanitätsdienstes auf.

E-Journal Ethik und Militär
Ausgabe 2015/1, jetzt online

E-Journal „Ethik und Militär“
Verlag: Zentrum für ethische Bildung in den Streitkräften (ZEBIS), Hamburg
ISSN-Nr.: 2199-4129
URL: www.ethikundmilitaer.de & www.ethicsandarmedforces.com

Die dritte Ausgabe des E-Journal „Ethik und Militär“ in 2015 greift unter dem Titel „Den Gegner retten? Militärärzte und Sanitäter unter Beschuss“ ein profilgebendes Kernthema des Sanitätsdienstes auf.

Dem Leser sei empfohlen, die Lektüre mit dem Beitrag des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke, zu beginnen. Die „Betriebssanitäter der Bundeswehr“ müssen in der fordernden Situation der Patientenpriorisierung dem guten Ruf des Sanitätsdienstes der Bundeswehr gerecht werden, der maßgeblich auf der Versorgung von Kameraden gründet. Damit ist ein Angehöriger des Sanitätsdienstes in seinem Entscheidungsrational nicht neutral. Eine Entscheidungslogik der „Kameraden zuerst“ steht im Widerspruch zu den Kriterien einer zivilen Patientensichtung. Dies greift die E-Journal-Ausgabe insgesamt vorbildlich auf.

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Unter der Bezeichnung der „Military Medical Ethics“ (MME) oder der Wehrmedizinethik werden vorrangig zwei Positionen diskutiert: (1) Behandlung ohne Ansicht des Verletzten oder (2) Bevorzugte Behandlung von Kameraden und anderen Personengruppen. Diese Frage der Begründung von Fürsorge gegenüber Kameraden zulasten anderer Patienten zieht sich wie ein roter Faden durch die Ausgabe des Journals. Dabei entwickelt Patschke die Abweichung von der Individualmedizin und neutralen Patientenbewertung unter anderem aus der Einsatzverpflichtung und der geänderten Bedeutung des humanitären Völkerrechts.

In historischer Betrachtung betont Oberfeldarzt Professor Dr. Ralf Vollmuth (Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam) die Notwendigkeit zur medizinethischen Schulung und Ausbildung der Angehörigen des Sanitätsdienstes, um für „gefährliche und unangenehme Tätigkeiten“ gerüstet zu sein.

Die „Bindung unter Kampfgefährten“ ist für Professor Dr. Michael Gross (Universität Haifa, Israel) eine militärische Notwendigkeit. Dieser kommunitaristische, auf Gruppen gerichtete, Ansatz ist Ausdruck einer Fürsorgeverpflichtung, die für Gross aber nicht absolut gesetzt werden darf.

Dr. Paul Bouvier (Internationales Komitee vom Roten Kreuz, Genf) fordert einen ethischen Imperativ, der medizinisches Personal unabhängig von Politik und Militär handeln lässt. Für ihn darf medizinische Hilfe kein Mittel für strategische, politische oder geheimdienstliche Ziele werden, wenn nicht Sanitätspersonal zum Werkzeug werden will. Als Bollwerk gegen diese Vereinnahmung betont er Menschlichkeit, Unparteilichkeit, Unantastbarkeit und funktionale Unabhängigkeit.

Ein Highlight stellt eine aktuelle kanadische Studie dar. Diese weist nach, dass militärmedizinische Fachkräfte von kontextund berufsspezifischen Ethikschulungen stark profitieren können, da sie in sehr unterschiedlichen Umgebungen und Konflikten arbeiten. Dabei können divergierende Einflüsse und Wahrnehmungen der verschiedenen Akteure auf die ethischen Prinzipien diskutiert werden.

Positiv bleibt festzuhalten, dass das E-Journal mit seinen ausgewiesenen nationalen und internationalen Autoren die Debatte inspiriert. Die Suche nach dem Profil des Sanitätsdienstes unter Einsatzbedingungen wurde 2009 durch Konferenzen an der Führungsakademie der Bundeswehr, Hamburg, unter Beteiligung von ausgewiesenen Medizinethikern begonnen.

Berufsethisch geschieht Entscheiden und Handeln im Sanitätsdienst der Bundeswehr zwischen den skizzierten Polen des waffenlosen Dienstes und der vollumfänglichen Fähigkeit zur Teilnahme an Kampfhandlungen.

Eine Behandlung „im Rahmen freier Kapazitäten“ kann bedeuten, diese Kapazitäten zur Verfügung stellen zu müssen. Ein Verlegen ins lokale Gesundheitssystem wird je nach Schweregrad eine palliative, terminale Sedierung fordern, wenn derartige Intensivkapazitäten außerhalb des Lazaretts nicht zur Verfügung stehen.

Als Zwischenergebnis kann festgehalten werden, dass die unter allen Bedingungen stattfindende Gleichbehandlung von Verletzten in der modernen Einsatzarmee inzwischen eher als romantisierende Vorstellung des Auftrags des Sanitätsdienstes wahrgenommen wird. Die gezielte Ungleichbehandlung aus Gründen der Solidarität, des Beistands ist und bleibt mit der Konzeption des Utilitarismus verbunden, bei dem aus Fürsorge nach dem Nutzen für den Patienten, eine Gruppe oder eine noch größere Bezugsgemeinschaft gefragt wird.

Sensibilität in ethischen Konfliktsituationen und Kenntnis der Begründungsansätze für Handeln muss Ausbildungsziel der Angehörigen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr bleiben, damit transparente, verantwortbare und angemessene Entscheidungen getroffen werden.

Verfasser:
Kapitänleutnant d. R. Dr. phil. Arnd T. May
Zentrum für Angewandte Ethik Recklinghausen
URL: www.ethikzentrum.de
E-Mail: may@ethikzentrum.de

Datum: 01.09.2015

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2015/8

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