ABC auf See

Der Einsatz der AUGSBURG zur Absicherung der Vernichtung syrischer Chemiewaffen

Am 11.2.2014 brach die Fregatte AUGSBURG mit dem Einsatzausbildungsverband (EAV) 2014 Richtung Nordmeer auf, um Häfen in Norwegen, Dublin und Spanien und schließlich Westafrika anzulaufen. Der Einsatzausbildungsverband dient in erster Linie der Ausbildung von Truppenoffizieranwärtern der Marine.

Die Offizieranwärter lernen hier bei einer sechswöchigen Seefahrt die unterschiedlichen Bereiche und Abläufe an Bord eines Marineschiffes kennen.

Bei der Besatzungsmusterung am Auslauftag wurden wir das erste Mal von der Schiffsführung informiert, dass es Überlegungen gibt, sich mit der 

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Abb. 1: Ausbildung an Bord.
deutschen Marine am UN-Mandat zur Vernichtung syrischer Chemiewaffen zu beteiligen. Die Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen 2118 (2013) vom 27. September 2013 rief die Mitgliedstaaten zur Unterstützung und Absicherung der gemeinsamen Mission der Vereinten Nationen und der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OVCW) auf. Eventuell sollte die Fregatte AUGSBURG einen Auftrag zum Schutz des Schiffes CAPE RAY, auf dem die Hydrolyse der Chemiewaffen stattfinden soll, erhalten.

Mit dieser Information im Hinterkopf fuhren wir also los und konzentrierten uns zunächst auf die Ausbildung unserer Offizieranwärter und die Teilnahme an diversen Manövern mit unserem Verband.

Bereits im Februar 2014 platzierte die Tagesschau im Internet, dass die Fregatte AUGSBURG designiert sei, sich an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen zu beteiligen. Zu diesem Zeitpunkt gab es noch kein Bundestagsmandat. Dennoch mussten wir diese Meldung zur Kenntnis nehmen und uns innerhalb der Führungsebene Gedanken machen. Ganz, wie man es an der NATO-Schule oder im Taktikseminar am Taktikzentrum der Marine gelernt hatte: „Be prepared and make sure that you have various plans. And think about -what if…-“. Für mich persönlich war es sehr spannend, so einen Planungsprozess einmal von Anfang an zu erleben und an ihm teilhaben zu dürfen. Bei einem ganz neuen Auftrag und einer einmaligen Mission. Wir steckten also im Kreise des Commandteams (Kommandant, Erster Offizier, Hauptabschnittsleiter und Schiffsarzt) die Köpfe zusammen und trugen die Punkte zusammen, die bedacht werden müssen, sollten wir an so einer Mission teilnehmen. Zudem besprachen wir die Fakten: Die CAPE RAY sollte an Bord in einer Hydrolyseanlage etwa 850 Tonnen S-Lost (Senfgas) und Binärkomponenten für Sarin und 500 Tonnen Industriechemikalien hydrolysieren. Sie benötigt für diesen Prozess möglichst ruhige See. Die Mission sollte ab Beginn der Hydrolyse 45 - 90 Tage dauern. In dieser Zeit sollte die CAPE RAY in See stehen und keinen Hafen anlaufen. Mindestens ein weiteres Kriegsschiff war als Eskorte vorgesehen, sodass es ggf. für die AUGSBURG zu Stehzeiten in See von 21 Tagen kommen würde. Das Hydrolysat sollte dann in Deutschland und in Finnland, Großbritannien und den USA entsorgt werden.

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Abb. 2: ChE check mobile.
Operativ wurde die Bedrohungslage evaluiert und wir überlegten, wie lange wir durchhaltefähig sein würden. Diese Frage ist bei einer insgesamt angedachten Einsatzdauer von 90 Tagen nicht ganz trivial, zudem Stehzeiten in See von mehr als 14 Tagen Konsequenzen in puncto Kraftstoff und Frischproviant nach sich ziehen. Weiter wurde zusajmmengetragen, was vor einem solchen Einsatz noch erledigt werden müsste (Schlüsselpersonal einschiffen/auf dem Dienstposten verlängern, einen Medizingerätetechniker vom Einsatzgruppenversorger einschiffen, um unsere Medizingeräte weiter nutzen zu können, Material zur ABC-Abwehr wie zum Beispiel Filter oder Anzüge für die Spürtrupps beschaffen). Bald folgte auch die Herauslösung der AUGSBURG aus dem EAV, um uns für die Eskort-Mission bereit zu halten.

Für mich als Ärztin stand natürlich die bestmögliche medizinische Versorgung der Besatzung auch in einem Fall der Fälle im Vordergrund, was unter anderem auch Ausbildungsbedarf generierte. Entsprechend führten wir eine Reihe von Ausbildungen durch, sanitätsdienstliche, aber auch spezifische für die ABC-Spürtrupps und Schleusentrupps. Höhepunkt der Ausbildung waren schließlich für die ganze Besatzung „CAPE RAY Days“, an denen wir den Einsatz neben der CAPE RAY im Vorfeld simulierten und auch Szenarien eines Chemiewaffen-Unfalls einspielten.

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Abb. 3: S-Lost-Detektor.

Was hätten wir denn an medizinischer Versorgung bei einem Unfall auf der CAPE RAY ausrichten können? Was erwartete uns denn schlimmstenfalls? Die Vorstellung von einem Unfall auf der CAPE RAY gab mir bei genauerer Betrachtung durchaus ein mulmiges Gefühl. Auch wenn die Besatzung der AUGSBURG per se in einem solchen Fall auf Grund der Zitadelle (der Bereich im Schiff, der durch Überdruck das Eindringen von Gasen oder Stäuben verhindert) kaum etwas zu befürchten haben würde, so malt man sich ja doch das Worst-Case-Szenario aus und denkt auch über die Besatzung der CAPE RAY nach, die dann Hilfe brauchen würde. Im Vorfeld der Mission besuchte uns in Neapel der für den Verband zuständige Medical Officer der US-Navy, um sich ein Bild unserer Versorgungsmöglichkeiten zu machen. Im Vergleich zu den anderen Nationen sind wir Deutschen sanitätsdienstlich sehr gut aufgestellt. Hier konnten wir vor allem mit unserem eingeschifften Zahnarzt punkten. Leider konnte eine Besichtigung der CAPE RAY und ihrer medizinischen Versorgungsmöglichkeiten durch uns nicht mehr realisiert werden. Auf Kreta besprachen wir uns auch mit den Hubschrauberpiloten des HSM-Detachments der US Navy, mit denen wir später in See einige Flying- und Medical-Exercises durchführten. Sie wären bei entsprechender Reichweite unsere ersten Ansprechpartner für MedEvacs gewesen.

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Abb. 4: Wirkungsweise Sarin (rot) auf Acetylcholinesterase (gelb) und Acetylcholin (blau).
Im Zuge der Vorbereitungen fiel mir eine „take-­home-message“ aus dem Truppenarzt-Einweisungs-Lehrgang an der Sanitätsakademie ein: „Da gibt es ein Institut für Toxikologie, das bei derartigen Bedrohungen immer bereit ist, Hilfe in kürzester Zeit anzubieten, und ggf. auch innerhalb von 24h vor Ort zu verlegen, um zu unterstützen“. In dieser Situation konnte ich leider auf Grund von noch nicht geklärten Zuständigkeiten (wir hatten ja noch kein Mandat oder Auftrag, uns auf ein solches vorzubereiten) noch keine Verbindung nach München aufnehmen. Allerdings kam es umgekehrt sehr schnell zur Kontaktaufnahme des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (InstPharmToxBw) als das Mandat stand. Oberstarzt Professor Dr. med. Worek kam sogar mit einer Mitarbeiterin des Instituts und spezifischem Medizingerät sowie Wischtesten für den Nachweis von Schwefellost („Senfgas“) auf der Haut und anderen Oberflächen im Gepäck nach Tarent, um eigens das Team vom Schiffslazarett vor Ort einzuweisen und offene Fragen zu klären. Wir bekamen eine Einweisung in ein ChE check mobile und in die S-Lost-Detektoren. Beide Systeme wurden im Auftrag der Bundeswehr von der Firma Securetec-Detektionssysteme entwickelt und hergestellt. Das ChE check mobile dient dazu, mit einer kleinen Kapillarblutprobe die Acetylcholinesterase-Aktivität im Blut zu bestimmen. Sarin (und die anderen Nervenkampfstoffe und auch die Binärkomponenten des Sarins) blockieren die Acetylcholinesterase in allen Synapsen des Parasympathikus und in den acetylcholinvermittelten Synapsen des Sympathikus. Hierdurch steigt der Acetylcholinspiegel im synaptischen Spalt und es kommt zu einer Dauererregung der betroffenen Nervensysteme und damit zur Funktionslosigkeit der betroffenen Nerven.

Die Normwerte der Acetylcholinesterase-Aktivität differieren allerdings von Mensch zu Mensch, weswegen es sinnvoll ist, einen Basiswert zu erheben, also einen Wert zu einem Zeitpunkt, an dem sicher keine Nervenkampfstoffvergiftung vorliegt. Der Test selbst ist leicht durchzuführen und dauert insgesamt etwa vier Minuten. Die Wischteste auf S-Lost funktionieren wie eine Mischung aus einem Drogenschnelltest und einem Schwangerschaftstest. Auch sie funktionieren einfach (vgl. Abbildungen). Sie können zum Beispiel nach einer möglichen, aber unsicheren Kontaminierung mit S-Lost eingesetzt werden oder auch nach Dekontamination einer Person. Weiter hielt Herr Oberstarzt Prof. Worek vertiefende Unterrichte über die möglicherweise bestehenden Bedrohungen durch die Chemiewaffen und den Umgang mit ihnen. Hier war über die ersten Maßnahmen der Selbst- und Kameradenhilfe hinaus für uns wichtig, dass eine angefangene Atropingabe laufend fortgeführt werden muss und zum Schutz vor Konvulsionen Benzodiazepine zu geben sind, um das Gehirn vor Schäden zu schützen. Auch wurde die Anwendung von Kalziumgluconat angesprochen, was vielleicht nicht zum Standardwissen eines Sanitäters gehört. Kalziumgluconat soll bei Verätzungen der Augen oder bei Inhalationsvergiftungen der Lunge angewandt werden, die durch DF (Methylphosphonodifluorid: eine Binärkomponente von Sarin) oder ihren spontanen Hydrolyseprodukten (Flusssäure und MF) ausgelöst wurden, bei einer systemischen Vergiftung durch die vorgenannten Stoffe, sind auch Infusionen mit Kalziumgluconat angeraten.

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Abb. 5: CAPE RAY und AUGSBURG.

Die tatsächliche Bedrohung durfte auf Grund der Tatsache, dass die CAPE RAY kein Sarin, sondern lediglich Binärkomponenten hiervon transportierte und hydrolysierte, als eher gering eingeschätzt werden, da ganz viel Dekontaminationsarbeit hier schon durch bloße Verdünnung mit Wasser geleistet werden kann, sodass eine Kontamination weitaus geringere Auswirkungen gehabt hätte als es bei Sarin der Fall gewesen wäre. Dennoch machte dieser Fakt unsere Arbeit in mancher Hinsicht auch schwerer. Zum einen kann man DF mit den an Bord befindlichen Geräten nicht sicher spüren. Zum anderen ergab sich noch kurz vor Beginn der eigentlichen Eskortmission durch die Forschungsarbeit des Instituts für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr (München, SanAkBw) eine wichtige Erkenntnis. Die ATOX II ComboPens (Atropin plus Obidoxim), die standardmäßig zur persönlichen ABC-Schutzausstattung unserer Soldaten gehören, sollten bei DF nicht eingesetzt werden. DF und das in wässrigen Medien entstehende MF sind in der Regel zwar schwache Hemmstoffe der Acetylcholinesterase (AChE) und eine systemische Wirkung i.S. einer Organophosphatvergiftung ist erst nach inhalativer, oraler oder perkutaner Aufnahme hoher Dosen zu erwarten, doch aus den Untersuchungen des Instituts hatte sich ergeben, dass bei einer Hemmung der AChE durch DF/MF ein Enzymkomplex entsteht, der durch Obidoxim nicht wieder gelöst werden kann (anders bei Sarin: hier bewirkt das Obidoxim eine Reaktivierung der Acetylcholinesterase). Es lagen sogar Ergebnisse vor, die dafür sprachen, dass eine Direktreaktion zwischen MF und Obidoxim stattfindet und ein Produkt gebildet wird, das die toxische Wirkung von DF/MF verstärkt. (Worek et al. (2014) Toxicology Letters 231: 92-98). Nur wenige Tage vor unserer Eskort-Mission mussten wir die ComboPens also wieder einziehen. Ein Gerät zum Spüren von Fluorwasserstoffverbindungen (in DF, MF und Flusssäure) traf erst drei Monate nach unserer Rückkehr in Wilhelmshaven ein. Während des Einsatzes musste hierzu herkömmliches pH-Papier genutzt werden.

Insgesamt bestand eine sehr gute und zuverlässige Zusammenarbeit mit dem Institut für Pharmakologie und Toxikologie der Bundeswehr. Ich habe mich von dieser Stelle stets gut beraten und unterstützt gefühlt. Für unseren Einsatz wurde extra eine 24h-Bereitschaft eingerichtet, die wir glücklicherweise nicht in Anspruch nehmen mussten. Empfehlungen aus dem Bereich der ABC-Abwehr Bundeswehr wie zum Beispiel, dass wir bei sehr warmen Temperaturen an Oberdeck immer den Overgarment hätten tragen und die ABC-Schutztasche mitführen sollen, hätten zu erheblichen Problemen etwa mit dem Waschen der Overgarments und auch mit der Lagerung geführt, da bei den Temperaturen im Mittelmeer im Sommer, so ein Schutzanzug schnell nassgeschwitzt und somit unbrauchbar ist. Ich habe es als problematisch empfunden, dass man letzten Endes die Schiffsführung mit der Bewertung der Bedrohungslage und der Umsetzung der Schutzmaßnahmen dann doch relativ allein gelassen hatte. Ich bin froh, dass diesbezüglich der Rat der Experten vom InstPharmToxBw angenommen und der schiffsärztlichen Empfehlung zugestimmt wurde (Overgarment nur, wenn man näher an der CAPE RAY stehen sollte und bei entsprechender Windrichtung). Schließlich konnte die Mission erfolgreich beendet werden (die Fregatte Schleswig-Holstein und die Fregatte Hamburg führten den Auftrag zu Ende) und Syrien gilt seitdem als chemiewaffenfrei. Endlich.

Datum: 11.11.2015

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2015/3

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