VISION UND EINSATZWIRKLICHKEIT
Als Abteilungsleiter des Sanitätsamtes der Bundeswehr und Beauftragter des InspSan für die Weiterentwicklung im Sanitätsdienst orientiert sich die tägliche Arbeit an den Erfordernissen des Einsatzes.
Von Juli bis November 2011 durfte ich als Kommandeur den Sanitätseinsatzverband (SanEinsVbd) 26. Deutsches Einsatzkontingent ISAF führen. In dieser Funktion konnte ich erleben und prüfen, wie weit die „Visionen“ der Weiterentwicklung und die Einsatzrealität von - einander divergieren bzw. kongruent miteinander sind. Mit dem folgenden Bericht sollen hierzu exemplarisch aktuelle Erkenntnisse dargestellt werden.
Rahmenbedingungen
Der Verantwortungsbereich des Regional Command North (RC N) ist von strategischer Bedeutung für ISAF und für ganz Afghanistan. Insbesondere der Grenzübergang Hairaton im Norden ist von besonderer Wichtigkeit für den afghanischen Handel. Die Bedeutung dieses Übergangs wird noch zunehmen, wenn die einzige Bahnlinie Afghanistans in Betrieb genommen wird, die in der Nähe des Camp Marmal bei Mazar-e-Sharif (MeS) endet. ISAF plant dann künftig, bis zu 75 % des Nachschubes über diese Verbindung (sog. Nordroute) abzuwickeln.
18 Nationen stellen Truppen für das RC N. Kein anderes Regionalkommando in Afghanistan wird von so vielen Truppenstellern gebildet. Deshalb ist das RC N in seiner Ausrichtung und Arbeit von dieser Multinationalität geprägt. Von den insgesamt 13.000 ISAF Angehörigen des RC N stellt Deutschland rund 5.000 Soldatinnen und Soldaten und ist damit der drittgrößte Truppensteller in Afghanistan.
Auf Grund der Erfolge der ISAF-Truppen im Verbund mit den afghanischen Sicherheitskräften (ANSF) haben die Aufständischen in den letzten Monaten ihre Taktik geändert. Bei ihren Angriffen meiden sie jetzt direkte Gefechte. Durch die Ermordung von Vertretern staatlicher Organe soll die Handlungsfähigkeit der zivilen und militärischen Verwaltung geschwächt werden. IEDs - häufig in Verbindung mit mehr oder minder komplexen Hinterhalten - stellen nach wie vor die größte Bedrohung dar. Der Einsatz von IED mit mehr als 10 kg Sprengstoffgewicht hat zugenommen. Zusätzlich ist wieder ein vermehrter Einsatz von Selbstmordattentätern festzustellen. Den Versuchen der Aufständischen, die AFG Sicherheitskräfte zu infiltrieren, wird dadurch begegnet, dass ISAF die Orts- und Sicherheitskräfte biometrisch erfasst.
Sanitätseinsatzverband 26. DEU Einsatzkontigent ISAF
Kernauftrag des Sanitätseinsatzverbandes ist die sanitätsdienstliche Versorgung und Unterstützung der Angehörigen des DEU EinsKtgt ISAF, Alliierter, EU-Polizeikräfte sowie schwerverletzte Verwundete (nur Kat A1) der ANSF. Angehörige von UN, NGO und zivile Patientinnen und Patienten werden entsprechend den gültigen Memoranda of Understanding bzw. im Rahmen freier Kapazitäten behandelt. Die Risikogruppe, Population at Risk, umfasste zur Zeit des 26. Ktgt im RC North rund 41.300 Soldaten und Soldatinnen (13.000 ISAF- und 28.300 ANSF-Kräfte). Zudem werden die sanitätsdienstlichen Fähigkeiten der ANSF im Rahmen des sog. Partnering gefördert bzw. aktiv unterstützt.
119 Dienststellen aus 89 Standorten stellten die 288 Soldatinnen und Soldaten des San - EinsVbd, die truppen- und fachdienstlich geführt wurden. Die beiden Sanitätskompanien PRT Kunduz (KDZ) und Fayzabad (FAY) sowie die Truppenarztgruppe Kabul mit insgesamt weiteren 106 Soldaten und Soldatinnen werden durch den Kommandeur (Kdr) San - EinsVbd fachdienstlich geführt. Sanitätseinrichtungen befinden sich an insgesamt 8 Standorten.
Die räumliche Dislozierung der sanitätsdienstlichen Elemente und Einrichtungen erschwerten persönliche Kontakte sowie die Herstellung des Zusammengehörigkeitsgefühls. Mittels häufiger Dienstaufsichtbesuche des Kommandeurs und seines Stellvertreters, auch bei entlegenen Einheiten mit oft tagelangen Anreisen, wurde versucht, persönlichen Kontakt vor Ort herzustellen bzw. das Zusammengehörigkeitsgefühl zu vertiefen. Zu dem wurde über regelmäßige Videokonferenzen zwischen allen Stanorten versucht, dieses Defizit auszugleichen und den Informationsfluss sicherzustellen.
Das „ISAF Medical Concept“ hatte gemäß der SOP 312 IJC2 das Ziel, die MedEvac-Zeiten nach Eingang des „MEDEVAC 9-Line REQUEST“ bei der PECC3 des RC N auf max. 60 min zu begrenzen. Hierzu gab es ein entsprechendes Netzwerk von Role 2/3 Einrichtungen und MedEvac-Hubschraubern im RC North. Die Einsatzradien der FwdAirMed - Evac4-Hubschrauber ermöglichen grundsätzlich die Einhaltung des 60 Minutenzeitfensters. Im Bereich FAY wurde die Abdeckung durch Hubschrauber aus Kunduz, aber auch durch die US MedEvac C-130 Herkules aus Bagram gewährleistet. So wurden mehrmals Verwundete aus FAY direkt nach Bagram ausgeflogen.
BAT kamen deshalb, bei entsprechendem Flugwetter, nur außerhalb des sog. Einstundenradius der US „Black Hawk“ oder bei sog. Operationen mit erhöhtem Risiko zum Einsatz. Dabei sind die US „Black Hawks“ bzgl. Ausrüstung, Ausbildungshöhe des Sanitätspersonals und einer für den Verwundetentransport eingeplanten Flugdauer von max. 20-30 min für FwdAirMedEvac optimiert. Dem gegenüber wurden für TacAir -Med Evac5 die entsprechend besser ausgestatteten Luftfahrzeuge, wie die DEU CH-53, die SWE Superpuma oder für längere Flugstrecken die DEU C-160 eingesetzt (2).
Abbildung 1/Präklinische Versorgung
Basierend auf bisherigen Erfahrungen aus dem Einsatz wurde durch BMVg Fü San die Implementierung eines „Pilotprojektes zum Einsatz eines DEU SanOffzArzt RettMed auf einem US-Black Hawk in KDZ“ angewiesen. Die hierzu erforderliche SOP wurde innerhalb von nur 3 Wochen abgestimmt und erstellt. Bei der Erarbeitung der SOP mussten diverse Vorbehalte der US-Amerikaner überwunden werden. U.a. hatte man die Sorge, dass die Alarmierungs- und Reaktionszeiten der Black Hawk durch die zusätzlichen Crew-Mitglieder negativ beeinflusst werden könnten.
Um dies zu verhindern, versahen die beiden abgestellten SanStOffz Arzt RettMed ihren Bereitschaftsdienst im Schichtbetrieb gemeinsam mit den US-Medics in unmittelbarer Nähe zu den Hubschraubern. Mit dieser örtlichen Aufgabenbindung standen beide SanStOffz Arzt jedoch für keine anderen Aufgaben, z.B. im Rettungszentrum KUNDUZ, zur Verfügung. Im Rahmen der Arbeiten zur SOP stellte sich heraus, dass der amerikanische Sanitätsdienst sowohl das Thema direkter Anflug einer Sanitätseinrichtung der Ebene 3 („bypassing Role 2“) und damit verbunden längere Flugzeiten als auch die Höherqualifizierung des Sanitätspersonals in den Black Hawk im Hinblick auf eine Optimierung der Verwundetenversorgung diskutiert.
Dazu werden auch die Behandlungsergebnisse der Briten im Süden Afghanistans mit dem sogenannten Medical Emergency Response Team (MERT) analysiert. Während des Fluges führen Sanitätsoffiziere des MERT im Hubschrauber vom Typ „CH-47“ oder „Sea King“ notfallmedizinische Behandlungen durch.
Erst nach einer intensiven knapp dreiwöchigen Vorausbildung durch die Black Hawk Einheiten erhielten die DEU SanStOffz-Ärzte die entsprechende Freigabe zum Mitflug im scharfen Einsatz. Die Dauer der ersten Phase des Pilotprojektes war bis 20.12.2011 begrenzt. Mit etwa 20 Trainingsflügen und fünf Einsatzflügen ist die Datenlage für eine valide Einsatzauswertung noch nicht ausreichend. Es wird deshalb derzeit geprüft, das Pilotvorhaben zu verlängern. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse aus dem Projekt zeigen die Bedeutung eines schnellen Be- und Entladens von Verwundeten – insbesondere in der Hot Landing Zone – auf. Diese Erfahrung muss zwingend bei der Konzipierung der sanitätsdienstlichen Materialausstattung für den NH-90 FwdAirMedEvac Berücksichtigung finden.
Die Entwicklung der operativen Tätigkeit der NATO Kräfte in den letzten Monaten hat gezeigt, dass es nicht möglich ist, jede Truppenbewegung in der Fläche mit BAT abzudecken. Deshalb ist FwdAirMedEvac zwingend erforderlich. Dennoch ist die Fähigkeit BAT nicht zu vernachlässigen, da Hubschrauber nicht immer fliegen können. Ein weiterer Aspekt ist, dass die Bundeswehr über dieses Verwundetentransportmittel auch in Zukunft nur sehr begrenzt verfügen wird. Bei entsprechender Verfügbarkeit von MedEvac-Hubschraubern kann der BAT-Einsatz jedoch insgesamt flexibler und flächendeckend gerade in Wechselwirkung mit Rettungstrupps gestaltet werden.
Unisoni überzeugten alle eingesetzten Sanitätskräfte durch hervorragende fachliche aber auch soldatische Fähigkeiten. Die Sanitätskräfte waren sehr gut in die zu versorgende Truppe integriert. Gerade die Einsatzaufträge der beweglichen Sanitätseinheiten setzen voraus, dass die eingesetzten (San-)Offz, Unteroffiziere und Mannschaften physisch und psychisch uneingeschränkt einsetzbar sind.
Ständig wechselnde Lagen und Aufträge erfordern zwingend einen entsprechend hohen Ausbildungsstand des Sanitätspersonals, der auch eine Verlagerung der Kräfte innerhalb und zwischen den Kompanien, bei Ausfall oder Schwerpunktänderung, möglich macht. Diese Verlagerung war durch Ausfall von Personal mehrfach notwendig. Da der EAGLE IV BAT (Abbildung 3) über einen höheren ballistischen Schutz und Minenschutz als bisher genutzte Fahrzeuge verfügt, wurde er bereits nach relativ kurzer Erprobung - eineinhalb Jahre nach der Vertragsunterzeichnung durch das BWB - in den Einsatz verlegt. Er ist seit März 2011 bei ISAF im Einsatz. Konzeptionell gehört der EAGLE IV BAT zur Gruppe der leichten geschützten Sanitätsfahrzeuge.
Er ist somit nicht der Nachfolger des DURO III BAT/ YAK BAT. Auf Grund der Beschränkungen bei Größe sowie Gewicht und als Folge der fahrzeugtypischen Eigenheiten ist das Raumangebot beschränkt. In dem Fahrzeug befinden sich Überwachungsgeräte und Sanitätsausstattung, die Beatmung, Medikamentenapplikation und Defibrillation zulässt. Auf Grund des beschränkten Platzangebotes kann während des Transportes der Verwundete grundsätzlich nur überwacht werden. Deshalb ist der Verwundete vor Transportbeginn ausreichend zu stabilisieren.
Das Fahrzeug ist für die Nutzung von Tragen, die dem STANAG 2040 und somit einer maximalen Materialstärke der Tragenfüße von 7 mm entsprechen, vorgesehen. Nur mit den “richtigen” Tragen ist ein reibungsloses Verriegeln gewährleistet. Aus Sicherheitsgründen darf für den Fall einer Ansprengung zwischen Verriegelungsbolzen und Tragenfuß kein größerer Spielraum vorhanden sein. Im Bereich von FAB und HES mit engen Straßen wird das Fahrzeug sehr positiv angenommen. Motorleistung, Geländegängigkeit und die leistungsfähige Klimaanlage erleichtern der Besatzung die Erfüllung des Auftrages. Unter Beachtung obiger Prämissen ist der EAGLE IV BAT als leichtes geschütztes Sanitätsfahrzeug für seinen vorgesehenen Verwendungszweck geeignet.
Bei der Entwicklung dieses Fahrzeugtyps ging man streitkräftegemeinsam jedoch von einer Durchhaltefähigkeit von 24 Stunden aus. Die Einsatzrealität zeigt, dass die Fahrzeuge teilweise deutlich über 24 Stunden (“Long Term Patrol”) unterwegs sind. Derzeit ist es auf Grund des zulässigen Gesamtgewichtes des Fahrzeuges von 9.500 kg nicht möglich, weiteren Transportraum auf dem Fahrzeugdach zu schaffen. Unabhängig davon gibt es seitens der Besatzungen noch weitere Hinweise auf Verbesserungen, die für die Folgebeschaffungen geprüft werden. Ein Großteil dieser Vorschläge, sofern Sie die Struktur des Fahrzeuges nicht verändern, wurden bereits bei der Beschaffung des 2. Loses EAGLE IV BAT berücksichtigt. Nach hiesiger Kenntnis befindet sich zurzeit kein vergleichbares Sanitätsfahrzeug mit den beschriebenen Fähigkeiten bei den alliierten Sanitätsdiensten in Nutzung.
Teil der sanitätsdienstlichen Versorgung im Einsatz ist die sanitätsdienstliche bzw. ärztliche Dokumentation, insbesondere im Rahmen der präklinischen Versorgung. An die sanitätsdienstliche Dokumentation werden unter Einsatzbedingungen hohe Anforderungen gestellt, um medizinische, rechtliche und operativ- taktische Vorgaben zu erfüllen. Besonders wichtig ist die Dokumentation im Hinblick auf erforderliche Weiterbehandlungsmaßnahmen bzw. für die Begutachtung einer „Wehrdienstbeschädigung (WDB)“. Deshalb wird eine durchgängig transparente und weitgehend standardisierte Dokumentation, vom Zeitpunkt der Verwundung über Transport und Versorgung im Einsatz bis hin zum Abschluss der Rehabilitation in Deutschland, benötigt.
Aufbauend auf den Erfahrungen mit dem Dokumentationsbogen „Sanitätsdienstliche Sachverhaltsfeststellung nach Gefechtshandlungen“ hat der SanEinsVbd DEU EinsKtgt ISAF in enger Abstimmung mit der Zelle ORUstgEins des Stabes RC N eine Kurzstudie zum Thema „Einheitliche sanitätsdienstliche Dokumentation im Rahmen der präklinischen Versorgung im Einsatz“ initiiert. Ziel war es, so schnell wie möglich ein geeignetes und standardisiertes Protokoll für den Bereich Forward MedEvac zu generieren. Unter Berücksichtigung von speziellen einsatzspezifischen Nutzerforderungen wie: „Schreiben mit Handschuhen“, „Ausfüllen unter Stress und Zeitdruck im Gefecht“, „Ausfüllbar mit Rotlicht in der Dunkelheit/ Dämmerung“ usw. wurde ein Prototyp eines entsprechenden Einsatzdokumentationsbogens entwickelt.
Nach nur 10 Wochen – unter Nutzung der Fähigkeiten der SanBasis Inland - war ein Dokumentationsbogen „Forward MedEvac“ entwickelt, der eine Synthese aus fachlichen, ergonomischen und operationellen Erfordernissen darstellt. Aktuell wird intensiv daran gearbeitet, DEU mobile Sanitätskräfte mit einer geeigneten digitalen Stifttechnologie auszustatten. Damit wird in Hinblick auf die medizinische Dokumentation im Einsatz ein immenser Fortschritt erzielt. Es ist dann möglich, zeitgleich zur Papierversion eine digitale Version zu Speicherung und Auswertung in Datenbanken/Einsatzregistern zu erstellen. In einem weiteren Schritt können dann die Arbeitsergebnisse der Projektgruppe „Qualitätsmanagement in der Rettungskette“ und die Arbeiten zum „Einsatzregister der Bundeswehr“ synergistisch zusammen geführt werden. Hierzu wird auch eng mit dem NATO Center of Excellence for Military Medicine und dem US Joint Theatre Trauma System (JTTS) zusammengearbeitet.
Klinische Versorgung
Durch die verstärkte Einbindung der afghanischen Sicherheitskräfte in die Operationen des RC North, im Sinne des „Afghan Ownership“, wurden Schwerverletzte der afghanischen Sicherheitskräfte in den ISAF Sanitätseinrichtungen des RC North versogt. Eine weitere große Patientengruppe waren zivile Opfer von Anschlägen der Aufständischen. Wichtig hierbei war es, dass nach einer ersten Diagnostik und akuten Versorgung der afghanischen Patientinnen und Patienten frühzeitig die Planungen für eine Verlegung zur Weiterbehandlung in afghanischen Sanitätseinrichtungen begonnen wurden. Nur so ist gewährleistet, dass das Einsatzlazarett nicht überbelegt ist und weiterhin seine Aufnahmebereitschaft erhält.
Hierzu arbeitet die PECC des RC N mit einer Ansprechstelle beim ANA-Bezirksmilitärkrankenhaus zusammen. Um eine bessere Kontinuität zu erhalten, wurde eine SOP für die Arbeitsabläufe mit den afghanischen und amerikanischen Kameraden im ANA-Bezirksmilitärkrankenhaus entwickelt. So konnte zuverlässig gewährleistet werden, dass Verletzte mit der Einstufung Kategorie B bzw. C direkt zum ANA-Bezirksmilitärkrankenhaus weitergeleitet wurden. Diese Ansprechstelle hat sich auch bei Verlegungen ins DEU Einsatzlazarett sowie bei Rückverlegung von afghanischen Patienten und Patientinnen vom DEU Einsatzlazarett bewährt.
Amerikanische Studien6 zeigen, dass die Übertragung multiresistenter Erreger lokaler Patienten auf Patienten der ISAF in Sanitätseinrichtungen im Einsatz ein Risiko darstellt. Deshalb wurde - wie auch in anderen Kontingenten praktiziert7 - konsequent auf eine räumliche Trennung von afghanischen und ISAF-Patienten/ Patientinnen geachtet. Aus den oben aufgeführten Gründen und um die Möglichkeit zur Isolierung von infektiösen Patienten stets sicherstellen zu können, wurde angepasst an den Umfang des Fachpersonals, die Pflegekapazität des Einsatzlazarettes folgendermaßen modifiziert:
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Durch einen SanStOffz Arzt und Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, der für einen längeren Zeitraum zusätzlich als Unterstützung im 26. Kontingent vor Ort war, wurde ein Hygiene-Manual erstellt. Dieses Manual „Hygienemanagement SanEinsVbd ISAF“ ist für alle deutschen Sanitätseinrichtungen der 5 Intensivbetten ISAF-Kräfte 2 Intensivbetten Afghanisch 12 Betten Pflege ISAF Kräfte 4 Betten Pflege Afghanisch 2 Isolierbetten ISAF Kräfte Behandlungsebene 2/3 im RC-North gültig. Neben Empfehlungen für Hygienemaßnahmen und Infektionsprävention enthält es Vorschläge beim Umgang mit speziellen infektiösen Erkrankungsfällen. Dieses Manual wird zukünftig den „Hygienebeauftragten der jeweiligen Sanitätseinrichtungen“ ihre Arbeit wesentlich erleichtern.
Das Manual ist im Intranetportal des ZSanDstBw unter dem Register „Fachinformationssysteme“ aufgelistet und wird ab dem 1. Quartal 2012 web-basiert im Einsatzland abrufbar sein. Ein Großteil der Verletzungen, die im Einsatzlazarett versorgt werden mussten, waren sogenannte thermo-mechanische Kombinationsverletzungen („blast injuries“). Diese komplex schwerverletzten Verwundeten benötigen interdisziplinäre Diagnostik und Therapie. Die Autoren Franke und Kollig stellen hierzu fest: „Für die Versorgung sind das komplette Spektrum der Orthopädie-, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie in der gesamten Versorgungstiefe, eine interdisziplinäre Kopfgruppe (Neurochirurgie, Mund- und Kiefer- Chirurgie, Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde) und eine breit aufgestellte Abdominal-, Gefäßund Thoraxchirurgie erforderlich“8. Zusätzlich sind Kenntnisse zur Verbrennungsmedizin und die anderen klinischen Fachgebiete notwendig. Diese fachliche Forderung konnte grundsätzlich durch das Einsatzlazarett in MeS während des gesamten Kontingentzeitraums sichergestellt werden. Die Erfahrungen alliierter Sanitätsdienste und die zuvor geschilderten Anforderungen an die Versorgungskapazitäten zeigen, dass „klinische Erfahrungen in der Versorgung einsatzbedingter Verletzungen nur im Einsatz selbst oder aber durch einsatzerfahrene“7 Fachärzte in hochfrequentierten Traumazentren im Heimatland vermittelt werden können.
Deshalb ist die eingeschlagene Ausrichtung der Bundeswehrkrankenhäuser auf die Einsatzerfordernisse als Traumazentren folgerichtig und zwingend notwendig. Durch diesen Ausbildungsauftrag der Bundeswehrkrankenhäuser darf aber nicht die Regelversorgung unserer Soldaten/Soldatinnen aus den Augen verloren werden. Eine der wesentlichen Todesursachen nach Verwundung ist die unkontrollierte Blutung. Die Versorgung mit Blutkomponenten und Plasmaderivaten in ausreichender Menge ist ein zentraler Auftrag der sanitätsdienstlichen Logistik. Der Bedarf an Thrombozytenkonzentraten konnte bislang im Einsatz nur durch die sogenannte Warmblutspende gedeckt werden.
Durch BMVg Fü San wurde im Frühjahr 2011 entschieden, auf transfusionsfähige Thrombozyten-Kryopräparate der niederländischen Streitkräfte zurückzugreifen. Nach Beendigung des Engagements der niederländischen Streitkräfte im Süden Afghanistans konnte dann diese Möglichkeit realisiert werden. Für die Implementierung der Thrombozyten- Substitutionstherapie mussten infrastrukturelle Maßnahmen durch den DEU Sanitätseinsatzverband im Einsatzlazarett eingeleitet und durchgeführt werden. Am 30. Oktober 2011 konnte im Rahmen einer praktischen Übung die Einsatzfähigkeit der Bereitstellung von Thrombozyten-Konzentraten im DEU Einsatzkontingent ISAF festgestellt werden9. Aktuell wird geprüft, diese Fähigkeit auch im Rettungszentrum in KDZ einzurichten. Um zukünftig unabhängig vom niederländischen Sanitätsdienst tief gefrorene Thrombozytenkonzentrate bereit stellen zu können, hat das Sanitätsamt der Bundeswehr am 25. Februar 2011 mit dem Blutspendedienst des Bayerischen Roten Kreuzes einen Vertrag zur Entwicklung und Zulassung kryokonservierter Thrombozytenkonzentrate geschlossen.
Mit Realisierung einer stabilen telemedizinischen Anbindung mit hoher Bandbreite sowohl zwischen Sanitätseinrichtungen in Afghanistan als auch mit Deutschland konnte eine weitere Fähigkeitslücke geschlossen werden. Neben dem Bundeswehrzentralkrankenhaus Koblenz ist auch das Bundeswehrkrankenhaus Ulm in den telemedizinischen Verbund mit dem DEU Einsatzlazarett in MeS integriert. Zusätzlich kann die gesetzlich vorgeschriebene Archivierung von im Einsatz angefertigten Röntgenaufnahmen durch den leistungsfähigen Datentransfer zum Bundeswehrzentralkrankenhaus in Koblenz erfüllt werden. Der Telemedizinische Arbeitsplatz in der Röntgenabteilung wurde auch dazu genutzt, um mit dem Bundeswehrkrankenhaus Ulm, im Sinne des Qualitätsmanagements, per Videokonferenz eine Fallbesprechung über einen schwer verwundeten Soldaten, der nach DEU repatriiert werden musste, durchzuführen.
Auf Grund von Angriffen auf die Zivilbevölkerung wurde das Feldlazarett mit schwer verletzten Kindern und auch Säuglingen konfrontiert. Da teilweise die zivilen Krankenhäuser die Behandlung verweigerten, konnte man sich der Behandlung aus einer moralischen Verantwortung und auch in Hinblick einer negativen Beeinflussung des Rufes der Bundesrepublik Deutschland nicht entziehen. Konzeptionell ist festgelegt, dass die Behandlung von Kindern im Einsatz im Rahmen freier Kapazitäten unter Einsatz der verfügbaren fachlichen Kräfte und Fähigkeiten nach dem Subsidiaritätsprinzip erfolgt. Die Einsatzrealität und humanitäres Denken erfordern jedoch, hier zukünftig einen telemedizinischen Arbeitsplatz mit einer Pädiatrischen Schwerpunktklinik in Deutschland aufzubauen.
Zusätzlich ist die nach dem Tsunami-Einsatz durch einen Reservisten und Facharzt für Pädiatrie im SanABw erarbeitete Ausstattungsliste eines Basispakets Sanitätsmaterial für pädiatrische Notfälle für den Einsatz umzusetzen. Gerade im Bereich der intensivmedizinischen Versorgung von Kindern sind entsprechende Tuben, Sonden und Zugänge vorzuhalten. Während unsers Einsatzes konnte durch die unbürokratische Hilfe der Apotheke des BwZKrhs Koblenz kurzfristig der San - EinsVbd mit den entsprechenden Materialien unterstützt werden, um einen Säugling, der durch einen Splitter im Kopf-Bereich schwer verletzt war, durch das Einsatzlazarett versorgen zu können.
Vorbeugender Gesundheitsschutz
Als Folge des Truppenaufwuchses der Deutschen Kräfte und aus operativ-taktischen Gründen werden in Afghanistan neben dem Feldlager Camp Marmal, als sogenannte Main Operating Base in MeS, die Provincial Reconstruction Teams und Feldlager in FAY und KDZ betrieben. Zusätzlich gibt es einen Observation Point (OP-North) mit rund 600 stationierten Soldaten, das Provincial Adversory Team in Taloquan mit rund 50 Soldaten, die Forward Operating Base Hazrat-e-Sultan (HES) mit rund 70 Soldaten und das Police Head Quarter Chahar Dareh mit ständig rund 150 Soldaten. An diesen Standorten und dem dem Strategischen Lufttransportstützpunkt Termez werden durch verschiedne Verantwortliche Küchen betrieben. Zusätzlich befinden sich an diesen acht Standorten Trinkwasserbrunnen bzw. Trinkwasseraufbereitungsanlagen. Diese Einrichtungen müssen durch das interdisziplinäre Team der Zelle „Vorbeugender Gesundheitsschutz und Öffentlich- Rechtliche Aufgaben“ regelmäßig überwacht und kontrolliert werden.
Wie wichtig diese Arbeit ist, zeigt das folgende Ereignis vom 12.10.2011. Beginnend mit der Mittagszeit erkrankten insgesamt 202 Soldaten/Soldatinnen und zivile Kräfte im Camp Marmal, Mazar-e-Sharif, an den Symptomen einer akuten Gastroenteritis. Als Leitsymptome traten bei insgesamt 73 % der Betroffenen Übelkeit und/oder Erbrechen sowie bei 24 % der Patienten/Patientinnen Durchfall auf. Darüber hinaus gaben 22 % der befragten Erkrankten Bauchkrämpfe und 14 % Kreislaufbeschwerden als weitere Symptome an.
Wegen des kontinuierlich ansteigenden Patientenaufkommens in den ersten Stunden konnten zu Beginn des Ausbruches keine so detaillierten epidemiologischen Daten erhoben werden. Ziel aller Beteiligten war es daher, einerseits die Einsatzbereitschaft des DEU EinsKtgt und der ISAF-Truppen sowie andererseits des Einsatzlazarettes zu erhalten. Besonders wichtig war es, trotz der großen Zahl an betroffenen Soldaten, bei diesen keine gesundheitlichen Schäden entstehen zu lassen. Alle Maßnahmen in der Akutphase waren mit den fachlich zuständigen Stellen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr abgestimmt worden, wobei diese Reach Back Fähigkeiten für alle Beteiligten die Arbeit vor Ort erleichtert haben.
In einer konzertierten Aktion aller Beteiligten, mit Unterstützung der anderen multinationalen Sanitätseinrichtungen in MeS, ist es gelungen, die Gruppenerkrankung so schnell wie möglich zu beherrschen. Im vorliegenden Fall lag aufgrund des Krankheitsbildes und der Epidemiologie der Verdacht nahe, dass es sich um eine Lebensmittelintoxikation handelt. Die Ergebnisse der vor Ort durchgeführten Laboruntersuchungen sowie der beschreibenden epidemiologischen Untersuchungen ergaben, dass es sich bei dem Erkrankungsgeschehen laut Definition der EFSA (European Food Safety Authority) um einen „lebensmittelbedingten Krankheitsausbruch mit unbestätigtem Vehikel“ handelt.
Als Lesson Learned ist festzustellen, dass die Sachverständigen der Zelle „Vorbeugender Gesundheitsschutz und Öffentlich-Rechtliche Aufgaben“ eng verzahnt mit dem Truppenarzt und der Zelle Medizinische Dokumentation zusammenarbeiten müssen. Dabei ist es wichtig, sofort aussagekräftige epidemiologische Fragebögen in ausreichender Zahl vor Ort verfügbar zu haben, um möglichst schnell die verdächtigen Rationsbestandteile identifizieren zu können. Auch zeigte sich, dass es hilfreich ist, ähnlich wie für einen MASCAL (Mass Casualty) mit traumatologischem Schwerpunkt, einen entsprechenden Notfallplan bereit zu haben und diesen regelmäßig zu beüben. Dazu muss mindestens eine behelfsmäßige Infrastruktur mit abgeteilten Toiletten verfügbar sein, um die Erkrankten im Bedarfsfall isolieren zu können.
In diesem Kontingent waren zusätzlich umfangreiche Beratungen in Hinblick auf Renovierungsmaßnahmen und Verbesserung des Hygienestandards erforderlich, da eine Küche im Einsatzland infrastrukturell erhebliche Mängel aufwies und der zuständige Caterer seinen Eigenkontrollmaßnahmen nicht in dem erfordrlichen Masse nachgekommen war. Die Verpflegung mehrerer tausend Verpflegungsteilnehmer rund um die Uhr stellt eine erhebliche Herausforderung dar. Fundierte Erfahrungen im Bereich Lebensmittelhygiene sowie in Lebensmittellogistik und Einsatzerfahrung sind zukünftig bei der Bewertung potentieller Vertragsnehmer durch die zuständigen Stellenstärker zu berücksichtigen.
Partnering
Zum Sanitätseinsatzverband gehörte ein Mentoren-Team, das von der Sanitätsakademie gestellt wurde und das im Camp Spann, in unmittelbarer Nachbarschaft zum afghanischen Camp Shaheen, stationiert war. Ein Auftrag des Mentoren-Team war das „Mentoring“ des Instruktorenpersonals der afghanischen Medical Branch School im Sinne des „Train the Trainers“. Die Ausbildungseinrichtung bildet afghanisches Sanitätspersonal im Lehrgang „Combat Medic Trauma Assistent (CMTA)“ aus. Die Ausbildungsinhalte orientierten sich an den Curricula des amerikanischen Sanitätsdienstes und sind auf die afghanischen Bedürfnisse und Realitäten angepasst. Dieses sehr effiziente 2- Mann-Team, ergänzt durch zwei Übersetzer, engagierte sich zusätzlich beim Aufbau des Sanitätsbereiches (Medical Support Section) der Zentralen Ausbildungseinrichtung (Regional Military Training Center) der afghanischen Streitkräfte in Camp Shaheen. Schwerpunkt dieser Mentorentätigkeit sind u.a. verbesserte medizinische Dokumentation, Organisation der Truppenarztsprechstunde und präventivmedizinische Tätigkeiten (Küchenbegehung, Inspektionen der Unterkünfte und Sanitärbereiche).
Zusammenfassung
Zusammenfassend gilt es festzustellen, dass der San - EinsVbd 26. DEU EinsKtgt ISAF erfolgreich seine Aufträge bewältigen konnte. Dies war unter anderem deshalb möglich, weil im Bereich von FwdAirMedEvac die amerikanischen Streitkräfte mit ihren Black Hawks wesentliche Fähigkeiten bereitgestellt haben. Die Zusammenarbeit mit den alliierten Sanitätsdiensten in den Sanitätseinrichtungen war von einer überaus großen Kameradschaft geprägt. Der Einsatz Schulter an Schulter - oder in afghanisch shohna ba shohna - zum Wohl der uns anvertrauten Verwundeten/Erkrankten war für alle Beteiligten ein besonderes Schlüsselerlebnis. Dabei stand die Sorge um das körperliche und seelische Wohl der Patienten/ Patientinnen stets gleichberechtigt im Mittelpunkt. Alle Angehörigen des San - EinsVbd waren engagiert, kreativ und stets zum richtigen Zeitpunkt einsatzbereit.
Dabei bewiesen die Soldatinnen und Soldaten des SanEinsVbd ihren Willen zur Kameradschaft sowie Integration. Sie alle haben mit soldatischer und fachlicher Professionalität und Leistungsfähigkeit, auf die Sekunde genau und durchhaltefähig, die sanitätsdienstliche Unterstützung der Truppe sichergestellt. Die Arbeit aller war stets von der Verbindung von Menschlichkeit und hochqualifizierter Medizin entsprechend dem Wahlspruch des San - EinsVbd - Humanitas Suprema Lex - geprägt. Aus persönlicher Sicht kann ich feststellen, dass der Einsatz als Kommandeur SanEinsVbd eine prägende und positive Erfahrung war. Zusätzlich kann ich bewerten, dass viele Ideen und Projekte aus der Weiterentwicklung in den letzen Jahren angestoßen bzw. realisiert wurden. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr verfügt außerdem über hoch motiviertes und einsatzerfahrenes Personal mit innovativen Ideen und Visionen. Dieses Potential gilt es zu nutzen. Denn „der Fortschritt ist eine Verwirklichung von Utopien“10.
- MEDEVAC “ 9-Liner” Request: A - Urgent; to be at hospital facility (R2 or R3) within 60 min of first notification (P1)
- Standing Operating Procedure 312 des ISAF Joint Command
- PECC: Patient Evacuation Coordination Cell
- Forward Aeromedical Evacuation – vorgeschobener qualifizierter Verwundetenlufttransport
- Tactical Aeromedical Evacuation - entlastender luftgestützter qualifizierter (Sekundär) VwuLuftTrsp
- Literatur beim Verfasser
- Wehrmedizin und Wehrpharmazie 4/2010: F. Barteldt, Multinationale Zusammenarbeit, steigende Patientenzahlen und multiresistente Keime, S. 7-9
- Wehrmedizin und Wehrpharmazie 3/2011: Franke/ Kollig, Zukunftsperspektiven für die Unfall- und Wiederherstellungschirurgie am BwZkrhs, S. 39-45.
- Wehrmedizin und Wehrpharmazie 1/2012, Müller et al.: Versorgung mit Thrombozyten-Konzentraten im Deutschen Einsatzkontingent ISAF
- Oscar Wilde
Datum: 07.05.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/1