17.10.2011 •

SCHUTZ VOR NADELSTICHVERLETZUNGEN

SICHERHEITSINJEKTIONSSYSTEME IM SANITÄTSDIENST DER BUNDESWEHR

Unter Nadelstichverletzungen versteht man allgemein Stiche oder Schnitte durch benutzte medizinische Arbeitsgeräte, die mit Blut oder anderen Körperflüssigkeiten von Patienten verunreinigt sein können. Bei der parenteralen Gabe von Arzneimitteln besteht für das medizinische Personal das Risiko von Nadelstichverletzungen nach erfolgter Injektion. Nadelstichverletzungen zählen zu den häufigsten Arbeitsunfällen der Mitarbeiter im Gesundheitswesen und stellen für den Betroffenen eine ernstzunehmende Gefahr dar.

Jede dieser Verletzungen birgt das Risiko einer Infektion mit beispielsweise HBV, HCV oder HIV. 

Vor diesem Hintergrund sind verschiedene Regularien in Kraft gesetzt worden, um das Infektionsrisiko zu minimieren. Für den Bereich der EU hat der Rat der Europäischen Union am 08.03.2010 eine neue Richtlinie zur Vermeidung von Nadelstichverletzungen im Gesundheitssektor beschlossen. Die Richtlinie enthält Vorschriften, damit der Anwender besser vor Verletzungen durch scharfe oder spitze medizinische Instrumente geschützt wird. Der Ansatz der Richtlinie ist integrativ und sieht Risikobewertung und -prävention, Schulung, Informations-vermittlung, Sensibilisierung und Überwachung sowie Verfahren für Reaktion und Schutzmaßnahmen vor. Für Deutschland ändert sich dadurch allerdings wenig, da schon entsprechende Vorschriften für einen ausreichenden Schutz im Sinne der neuen Direktive bestehen.

Bereits mit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches im Jahre 1900 wurde der deutsche Arbeitgeber im Arbeitsvertrag verpflichtet, alle Maßnahmen zu ergreifen, dass Personen, die unter seiner Anweisung arbeiten, so weit gegen alle Gefahren bei der Arbeit geschützt sind, als es die Art der Tätigkeit erlaubt.

Im Zuge der Harmonisierung des Europäischen Arbeitsschutzrechts wurde in Deutschland im Jahre 1996 der Artikel 118a des EWG-Vertrages durch das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) in deutsches Recht umgesetzt. Grundsätzlich neu im ArbSchG ist, dass an Stelle bis ins Detail gehender Regulierung nun vom Arbeitgeber/ Dienstherrn eine Beurteilung der mit der Arbeit verbundenen Gefährdung verlangt wird. In dieser Gefährdungs-beurteilung muss der Arbeitgeber/ Dienstherr juristisch nachvollziehbar die Erfüllung seiner Sorgfaltspflichten bezogen auf Arbeitsmittel oder Gefahrstoffe nachweisen.

Für die Bundeswehr wurden die Grundsatzweisung für den Arbeits- und Gesundheitsschutz der Bundeswehr sowie die zentrale Dienstvorschrift „Arbeitsschutz und Unfallverhütung“ (ZDv 44/2) verfasst.

Das ArbSchG wird mittlerweile durch eine Vielzahl von Rechtsverordnungen untersetzt. Für die Betrachtung der Problematik der blutübertragbaren Erreger spielt die Biostoffverordnung (BioStoffV) eine entscheidende Rolle. Sie ist eine konkretisierende Verordnung und regelt berufsbedingte Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen, wozu auch Mikroorganismen/ Krankheitserreger gehören. Sie enthält Regelungen zum Schutz der Beschäftigten bei diesen Tätigkeiten. Die Bio- StoffV teilt biologische Arbeitsstoffe in vier Risikogruppen ein. Diese führen in der Regel zu Schutzstufen mit bestimmten Maßnahmen, die grundsätzlich einzuhalten sind.

Die BioStoffV sieht ergänzende Technische Regeln zur weiteren Konkretisierung von Arbeitsschutzmaßnahmen vor, sogenannte Technische Regeln für Biologische Arbeitsstoffe (TRBA), die vom Ausschuss für Biologische Arbeitsstoffe (ABAS), ein das Bundesministerium für Arbeit und Soziales beratendes Arbeitsschutzgremium, erstellt werden. Die TRBA geben den Stand der sicherheitstechnischen, arbeitsmedizinischen, hygienischen sowie arbeitswissenschaftlichen Anforderungen bei Tätigkeiten mit biologischen Arbeitsstoffen wider. Es handelt sich somit um ein technisches Regelwerk, das dem jeweiligen Stand von Wissenschaft, Technik und Medizin entspricht. Für Beschäftigte im Gesundheitsdienst besonders wichtig ist die TRBA 250 (Biologische Arbeitsstoffe im Gesundheitswesen und in der Wohlfahrtspflege).

Sie sieht vor, dass zum Schutz Beschäftigter vor Nadelstich-verletzungen Instrumente mit eingebauten Sicher-heitsvorkehrungen zur Vermeidung von Stich- und Schnittver-letzungen verwendet werden. Diese sicheren Arbeitsgeräte verfügen über Mechanismen, die eine Stichverletzung weitgehend ausschließen. Gemäß BMVg FüSan I2 vom Mai 2008 darf, in Anlehnung an die TRBA 250, vom Grundsatz der Anwendung sicherer Instrumente nur in den Fällen abgewichen werden, wenn der Infektionsstatus des Patienten bekannt ist. Dies bedeutet, dass in allen Einrichtungen des Sanitätsdienstes der Bundeswehr immer dann, wenn der Infektionsstatus des Patienten nicht bekannt ist, nur noch Sicherheitsinjektionssysteme verwendet werden dürfen.

Der Entwurf zur DIN EN ISO 23908-1 Schutz vor Stich- und Schnittverletzung- Anforderung und Prüfverfahren - Teil 1: Schutzeinrichtungen für einmalig verwendete Nadeln zur Injektion, Katheter, Kathetereinführungen und Nadeln zur Blutentnahme (ISO/DIS 23908-1:2009) befasst sich mit Schutz vor Injektionsnadeln sowohl durch aktive als auch passive Aktivierung der Sicherheitsvorrichtung nach dem bestimmungsgemäßen Gebrauch, um das Risiko der Krankheitsübertragung zu verringern. Wichtige Forderungen aus der DIN EN ISO 23908-1 sind:

  • Einmal im sicheren Zustand, muß die Sicherheitsvorrichtung des Produktes bis zur sicheren Beseitigung der Nadel unter den erwarteten Anwendungsbedingungen Schutz vor unbeabsichtigter Stich- und Schnittverletzung bieten.
  •  Es muss für den Anwender klar erkennbar sein, wann sich das Produkt im sicheren Zustand befindet.
  • Die Aktivierung der Stich- und Schnittschutzvorrichtung muss ermöglichen, dass sich die Hand des Anwenders hinter der freigelegten, verschmutzten Nadel befindet.

Die Auswahl der sicheren Arbeitsgeräte hat anwendungsbezogen zu erfolgen, auch unter dem Gesichtspunkt der Handhabbarkeit und Akzeptanz durch die Beschäftigten. Arbeitsabläufe sind hinsichtlich der Verwendung sicherer Systeme anzupassen. Sichere Arbeitsgeräte zur Verhütung von Stich- und Schnittverletzungen dürfen Patienten nicht gefährden. Die Wirksamkeit der getroffenen Maßnahmen ist zu überprüfen.

Darüber hinaus müssen die sicheren Arbeitsgeräte über folgende Eigenschaften verfügen:

  • Der Sicherheitsmechanismus ist Bestandteil des Systems und kompatibel mit anderem Zubehör.
  • Seine Aktivierung muss mit einer Hand erfolgen können.
  • Seine Aktivierung muss sofort nach Gebrauch möglich sein.
  • Der Sicherheitsmechanismus schließt einen erneuten Gebrauch aus.
  • Das Sicherheitsprodukt erfordert keine Änderung der Anwendungstechnik.
  • Der Sicherheitsmechanismus muß durch ein deutliches Signal (fühlbar oder hörbar) gekennzeichnet sein.

Dem Einsatz sicherer Arbeitsgeräte stehen auch Verfahren gleich, bei welchen das sichere Zurückstecken der Kanüle in die Schutzhülle mit einer Hand erfolgen kann. Weiterhin ist sicherzustellen, dass der Nutzer in der Lage ist, sichere Arbeitsgeräte richtig anzuwenden. Dies ist nur durch kontinuierliche Schulungsmaßnahmen der Anwender zu gewährleisten. Zusätzliche Forderungen an Sicherheitsinjektionssysteme beim Einsatz im Sanitätsdienst der Bundeswehr sind:

  • Produktschulung durch den Anbieter.
  • Latexfreiheit.
  • Größenschlüssel mit Farbcodierung nach ISO.
  • Entsorgung in Rigling Box (6530-12-362- 3755 und 3756) möglich.
  • Erfüllung aller Eigenschaften nach DIN 13097-4 Medizinische Kanülen Teil 4: Anschliffarten, Anforderungen und Prüfung.
  • Anschluss an Luer und Luer-Lock möglich.

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Abb. 1: Sicherheits-Einmalkanüle SurGuard2
Da es bei den verschiedenen Herstellern Unterschiede in der Sicherheitstechnik gibt, welche bei ständigem Produktwechsel dazu führen könnten, dass das Risiko einer Nadelstichverletzung steigt, ist die Festlegung auf einen Hersteller und damit eine Vereinheitlichung der Sicherheitsinjektionssysteme beim Einsatz im Sanitätsdienst der Bundeswehr anzustreben.

Auf der 28. Sitzung der ZAMKBw wurde die Herstellerbindung auf das Produkt SurGuard2 der Firma Terumo Europe N. V. beschlossen (Abb. 1).

Es werden folgende Sicherheits-Einmalkanülen der Fa. Terumo dem Sanitätsdienst der Bundeswehr zentrallogistisch zur Verfügung gestellt:

Kanüle, Sicherheit 20G (6515-12-371-7060)
Kanüle, Sicherheit 22G (6515-12-371-7077)
Kanüle, Sicherheit 23G (6515-12-371-7081) '


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Abb. 2: Sicherung der SurGuard2 Kanüle
Bei den SurGuard2 Sicherheitsinjektionssystemen wird nach Injektion die Schutzkappe mit einem Finger seitlich über die Injektionsnadel geschoben, bis sie hörbar einrastet (Abb. 2):

  • Die Aktivierung des Nadelschutzes erfolgt ohne Umgreifen mit Zeigefinger oder Daumen
  • Der Überwurfschutz ist fest an der Kanüle montiert.
  • Widerhaken fixieren den Nadelschutz irreversibel.
  • Hörbares Einrasten des Nadelschutzes und Sichtfenster für die sichere Platzierung der Kanüle dienen zur Kontrolle.
  • Die große Auflagefläche des Nadelschutzes bietet höchste Griffigkeit und sichere Applikation.
  • Der Nadelschutz liegt während der Punktion weit außerhalb des Punktionsbereiches.

Zur Erhöhung der Anwendungssicherheit der zentral eingeführten SurGuard2 Sicherheitsinjektionssysteme werden seitens der Firma Terumo Europe N. V. kontinuierlich Schulungsmaßnahmen angeboten.

Dem Nutzer innerhalb des Sanitätsdiensts der Bundeswehr steht es allerdings frei, auch Sicherheitsinjektionssysteme anderer Anbieter dezentral zu beschaffen und anzuwenden, um ein höchstmögliches Maß an individueller Sicherheit zu gewährleisten. Daher unterliegen die durch die ZAMKBw beschlossenen Maßnahmen auch einer ständigen Beobachtung und Überprüfung zur weiteren Optimierung der Sicherheit bei Injektionssystemen im Sanitätsdienst der Bundeswehr.

Datum: 17.10.2011

Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2011/2

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