03.01.2022 •

„Investitionen in den Sanitätsdienst sind ­immer auch ­Investitionen in den Bevölkerungs- und ­Katastrophenschutz“

A. Müllerschön, Heike Lange

Beta Verlag GmbH

Interview mit Generalarzt Dr. Most, Beauftragter ZMZ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr

WM: Sehr geehrter Herr Generalarzt, Sie bekleiden das Amt des Beauftragten ZMZ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Könnten Sie uns die damit verbundenen Aufgaben erläutern? Fallen alle Bereiche der Zivil-Militärischen Zusammenarbeit (ZMZ) in Ihren Verantwortungsbereich oder gibt es Ausnahmen?

Generalarzt Dr. Most: Die ZMZ im Gesundheitswesen ist natürlich deutlich breiter als der Bereich, mit dem sich die Bundeswehr und unser Fähigkeitskommando in Weißenfels unter diesem Stichwort befasst. Vielfältige Vernetzung des Sanitätsdienstes mit dem Gesundheitswesen gibt es in der Forschung, den Krankenhäusern und Klinikverbünden. ZMZ in unserer engeren Definition bedeutet vor allem ZMZ im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz. Mit der 2013 erfolgten Umstrukturierung zu den Fähigkeitskommandos im Sanitätsdienst der Bundeswehr wurden die ­Aufgaben der ZMZ im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz dem Kommando Sanitätsdienstliche Einsatzunterstützung (Kdo SanEinsUstg) – und hier speziell meiner Rolle als stellvertretenden Kommandeur – zugewiesen. 

WM: Sie sind seit vielen Jahren im Bereich der ZMZ tätig, erinnern Sie sich noch an die Anfänge? Wie kam es eigentlich zur Etablierung eines Beauftragten des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für die ZMZ? 

Generalarzt Dr. Most: Ja, ich erinnere mich vor allem an zwei Begebenheiten in diesem Jahrtausend: die große Elbe- und Oderflut 2002 und die großen, gesamtgesellschaftlichen Anstrengungen zur FIFA WM 2006. Beide Ereignisse haben eins gemeinsam, wir stellten damals fest, dass der Vielzahl von Unterstützungsforderungen – zum einen bei einem realen Katastrophenereignis wie der Fluthilfe, zum anderen aber bei der Vorbereitung auf ein gesamtstaatliches Großereignis – keine lagegerechten Beratungen vorausgingen. Uns fehlten ganz deutlich Beratungselemente auf der Bezirks- und Kreisebene. Mit der Neuetablierung der sogenannten Kreis- und Verbindungskommandos 2007 und dem starken sanitätsdienstlichen Footprint in diesem System konnte diese Lücke geschlossen werden. 

Bereits vor 2013 wurden im Sanitätsdienst innerhalb der ehemaligen Sanitätskommandos der Bereich ZMZ regional bearbeitet. Mit der Aufstellung der Fähigkeitskommandos erfolgte die Schaffung eines zentralen Steuerungselementes in unserer Kommandobehörde. 

WM: Wie beurteilen Sie die Bedeutung und Akzeptanz der ZMZ-Arbeit innerhalb des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Hat sich da etwas im Laufe der Jahre geändert? 

Generalarzt Dr. Most: Ja, ganz deutlich. Im gesundheitlichen Katastrophen- und Bevölkerungsschutz war der Sanitätsdienst schon immer gut aufgestellt. Aber die 18 Monate Coronapandemie haben den Blickwinkel auf diese Aspekte gewaltig verändert. Als wir mit den Unterstützungsleistungen begannen, war häufig die Fragestellung, wie der Sanitätsdienst dem deutschen Gesundheitssystem überhaupt helfen kann. Nachdem zunächst im Wesentlichen intern unsere Bundeswehrkrankenhäuser unterstützt wurden, stieg die Anzahl der Anträge um den Jahreswechsel 2020/21 enorm an. Besonders die in den stark betroffenen Krankenhäusern und den Pflegeheimen Sachsens eingesetzten Pflegekräfte, Notfall- und Rettungssanitäter bewirkten ein Umdenken im zivilen Bereich. Man erkannte, dass der Sanitätsdienst der Bundeswehr mit effizienten Kräften an der Seite des zivilen Gesundheitswesens steht und so an entscheidenden Stellen ganze Bereiche am Laufen gehalten werden können. 

WM: Die Bewältigung der von Ihnen bereits angesprochenen Coronapandemie ist eine nationale Aufgabe. Welche Schnittmenge gibt es mit den ZMZ-Bereichen der anderen Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche, wie gestaltet sich die Zusammenarbeit bei derartigen großen und anhaltenden Einsatzszenarien? 

Generalarzt Dr. Most: Unser Lagezentrum in Weißenfels ist seit Beginn der Pandemie eng mit dem Lagezentrum des Kommandos Territoriale Aufgaben der Bundeswehr (Kdo TerrAufgBw) vernetzt, hier arbeiten zwei Schwesterkommandos zusammen. Zusätzlich sind wir, und das ist elementar wichtig, auf allen Ebenen der ZMZ – von den Kreisverbindungskommandos (KVK), wo Reservisten aus verschiedenen Bereichen zusammen hervorragende Arbeit leisteten, über die Landeskommandos bis hin zum Kdo TerrAufgBw – miteinander vernetzt. So konnte bereits im Entstehungsprozess der Amtshilfeanträge frühzeitig eruiert werden, welche Fähigkeiten der Sanitätsdienst in den Hotspots zum Einsatz bringen kann, was letztlich zu einem sehr zielgerichteten Einsatz unserer Kräfte führte. 

Generalarzt Dr. Bruno Most im Gespräch mit Soldat*innen vom Sanitätsregiment...
Generalarzt Dr. Bruno Most im Gespräch mit Soldat*innen vom Sanitätsregiment 3 aus Dornstadt in einer Klinik in Meiningen
Quelle: Bundeswehr/P. Englowski

WM: Welche Fähigkeiten des Sanitätsdienstes standen oder stehen bei den Amtshilfeersuchen besonders im Fokus? 

Generalarzt Dr. Most: Zunächst ist anzumerken, dass der Sanitätsdienst personell und materiell ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber allen anderen Bereichen der Bundeswehr hat, da alle Ressourcen sowohl dem Kernauftrag, nämlich der Landes- und Bündnisverteidigung unseres Landes, aber genauso subsidiär dem Katastrophen- und Bevölkerungsschutz dienen. Eindrucksvoll zeigte sich dies im Ahrtal, wo letztendlich unsere geländegängigen Verwundetentransportfahrzeuge zum Tragen kamen. Bei der Coronapandemie war vor allem der hervorragende Ausbildungsstand unseres Personals, quasi die „Ressource Mensch“, entscheidend.

WM: Sie haben jetzt schon mehrfach die Reservisten in den KVK angesprochen, die ja in der ZMZ augenscheinlich eine ganz entscheidende Rolle spielen. Was sind die Anforderungen an das dort tätige Personal und wie wird die notwendige sanitätsdienstliche Fachkompetenz sichergestellt? 

Generalarzt Dr. Most: Entscheidend ist, dass die Reservisten in ihrer Heimat gut vernetzt sind und dieses Netzwerk auch über ihren beruflichen Hintergrund hinaus mitbringen, unabhängig ob es sich um Mediziner oder medizinisches Assistenzpersonal handelt. Nur so ist eine adäquate Beratung der Kreis- und Bezirksverwaltungen aber auch der Hilfsorganisationen möglich. Für uns steht auch immer die Verbindung von fachlicher Kompetenz und militärischen Anforderungen im Vordergrund. Dazu veranstalten wir regelmäßig Aus- und Fortbildungsveranstaltungen, bei denen Reservisten geschult und in spezifischen Szenarien auf den möglichen Ernstfall vorbereitet werden.

Leider gibt es in einigen KVK immer noch offene Stellen. Ich bin dem stellvertretenden Inspekteur als Beauftragten in Reservistenangelegenheiten des Sanitätsdienstes ausgesprochen dankbar, der vor einiger Zeit nochmals feststellte, dass die Besetzung der KVK die oberste Priorität aller Reservistenstellen des Sanitätsdienstes hat. Nur so kann in der Fläche vermittelt werden, mit welchen Fähigkeiten der Sanitätsdienst den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz unterstützen kann.

WM: Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit zivilen Hilfsorganisationen? 

Generalarzt Dr. Most: Die Zusammenarbeit mit den zivilen Hilfsorganisationen ist für uns ein wichtiger Schlüssel auf allen Ebenen, da sie der gewachsene Partner im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz für den Sanitätsdienst der Bundeswehr sind. In den vergangenen Jahren gab es hier viele positive Entwicklungen. Besonders mit der Johanniter-Unfall-Hilfe und dem Malteser Hilfsdienst hat sich in den letzten Monaten weiteres Koopera­tionspotenzial gezeigt. So werden wir beispielsweise am 02.12.2021 zusammen mit dem Kdo TerrAufgBw ein trilaterales Kooperationsprotokoll mit dem Malteser Hilfsdienst schließen. Und ich schaue der Vernetzung mit den Hilfsorganisationen in den kommenden Jahren positiv entgegen. 

WM: Gibt es Punkte, bei denen die Bedeutung der ZMZ in der Coronapandemie besonders deutlich wurde?

Generalarzt Dr. Most: Ja, wir sprechen hier bereits von den ersten „lessons identified“, die wir aus der Coronapandemie ziehen. Neben strukturellen Aspekten der ZMZ betreffen diese vor allem das Personal. Bereits nach kurzer Zeit hatten wir alle verfügbaren Fachpflegekräfte in den Einsatz gebracht. Um weiterhin Krankenhäuser und Pflegeheimen personell zu unterstützen, griff der Sanitätsdienst frühzeitig auf präklinisches Personal (Notfall- und Einsatzsanitäter) zurück. Sahen manche Krankenhäuser dies am Anfang eher skeptisch, zeigte sich schnell, wie sinnvoll und notwendig die Arbeit dieser Soldaten in für sie eher fremden Bereichen war. Hier gibt es zukünftig die Möglichkeit, ausgehend von der Multifunktionalität des präklinischen Personals die Resilienz des Gesundheitswesens mit dem Einsatz von Notfall- und Einsatzsanitäter zu erhöhen. 

WM: In den vergangenen Monaten waren viele Soldat*innen in Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern im Einsatz. Welche Belastungssituation haben sich dabei für die eingesetzten Kräfte entwickelt? Was waren die größten Herausforderungen? 

Generalarzt Dr. Most: Viele unserer Soldat*innen waren, militärisch gesprochen, in der vordersten Linie dieses Gefechts eingesetzt. Bei den zahlreichen Besuchen konnte ich feststellen, dass die tägliche Konfrontation mit schwersten Erkrankungen und Tod an zivilem Personal und unseren Soldat*innen gleichermaßen nagte. Gleichzeitig war es beeindruckend, mit welchem Selbstverständnis unsere Soldat*innen sich dieser Herausforderung stellten – ich habe während meiner bisherigen Dienstzeit nichts Vergleichbares erlebt. Der Slogan „Wir.Dienen.Deutschland“ war in den vergangenen 18 Monaten für die Soldat*innen und das zivile Umfeld so greifbar wie noch nie. 

WM: Mitten in der Pandemie traf das Ahrtal eine Hochwasserwelle. Wie konnte der Bereich ZMZ des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in diesem Hochwassereinsatz unterstützen, welche Fähigkeiten waren dabei besonders gefragt? 

Generalarzt Dr. Most: Die eigentliche Katastrophennacht war für den Sanitätsdienst besonders eindrucksvoll. Wir haben frühzeitig von dem Ausmaß des Unglücks erfahren und dann im Rahmen der Soforthilfe bei Gefahr von Leib und Leben geländegängige Krankentransportwagen in Marsch gesetzt, die noch während des Scheitelpunkts der Flutwelle eintrafen und viele Menschen aus dieser Gefahrensituation retteten. Dabei haben die Soldat*innen ihr eigenes Risiko hinten angestellt und unglaubliche Tapferkeit bewiesen. In den Tagen danach kamen die Mechanismen der normalen Amtshilfe zum Tragen. Hier spielte der Sanitätsdienst auch eine entscheidende Rolle, sowohl in der Unterstützung der zivilen Sanitätsdienste als auch in der sanitätsdienstlichen Versorgung der eingesetzten Truppen, die im Ahrtal aufräumten und Brücken bauten. Der Sanitätsdienst war auch hier aufgrund seiner Bandbreite an Personal und Material besonders geeignet, zu helfen und seinen Wert als subsidiären Partner des medizinischen Bevölkerungsschutzes zu beweisen. 

WM: Wie bewerten Sie aktuell die strukturelle und organisatorische Aufstellung der ZMZ im Sanitätsdienst? Gibt es Verbesserungspotenzial? 

Generalarzt Dr. Most: Ungeachtet der derzeitigen breiten Diskussion um die Zukunft der Bundeswehr bin ich davon überzeugt, dass die sanitätsdienstliche ZMZ beim Kdo Kdo SanEinsUstg in Weißenfels gut verortet ist. Die truppendienstliche Unterstellung der Verbindungselemente in den KVK unter die Sanitätsregimente und das Kommando SES, die sich daraus ergebende Vernetzung unseres Kommandos mit dem Kdo TerrAufgBw und dem gesamten territorialen System ist zielführend und hat sich bewährt. Für die Zukunft sehe ich also strukturell keinen Verbesserungsbedarf, sondern eher im Bereich der Arbeitsbeziehungen untereinander. 

Unser Bereich ZMZ hat in den letzten 18 Monaten sehr eng mit dem Kommando Regionale Sanitätsdienstliche Unterstützung (Kdo RegSanUstg) aus Dietz zusammengearbeitet und ich möchte auch hier meinen Dank sowohl dem Stab in Dietz als auch den Regionalen Sanitätseinrichtungen aussprechen, die gerade im Bereich der Impfzentren Großartiges geleistet haben. Wir haben hier festgestellt, dass die Vernetzung der uns unterstellten Reserveelemente mit den Sanitätsunterstützungszentren (SanUstgZ) noch ausbaufähig ist und unsere Absicht ist es, hier eine Leistungsvereinbarung mit dem Kdo RegSanUstg zu erstellen, die diese Vernetzung zwischen den SanUstgZn und unseren Verbindungselementen ZMZ noch handlungssicherer macht. 

WM: Kommen wir zum Abschluss noch auf den Bereich Material. Wie ist da aus Ihrer Sicht die Situation, wie beurteilen Sie die materielle Ausstattung des Bereiches ZMZ des Sanitätsdienstes? Wie sind die für mögliche Einsatzszenarien vorgesehene Verbände materiell ausgestattet und aufgestellt? 

Generalarzt Dr. Most: Man kann festhalten, dass es bei dieser subsidiären Aufgabe keinerlei Unterschiede zu der materiellen Ausstattung des Sanitätsdienstes für seine Kernaufgabe gibt. Wie ich bereits zum Alleinstellungsmerkmal des Sanitätsdienstes aus meiner Sicht ausgeführt habe, sind wir der einzige Organisationsbereich, bei dem jeder einzelne personelle und materielle Aspekt sowohl den Kernauftrag als auch die subsidiäre Unterstützung betrifft. Einfach ausgedrückt: Jeder Euro, jede Anstrengung, die im Augenblick in die Vollausstattung des Sanitätsdienstes der Bundeswehr für seine Aufgaben im Bereich der Landes- und Bündnisverteidigung investiert wird, kommt subsidiär auch dem medizinischen Bevölkerungs- und Katastrophenschutz der Bundesrepublik Deutschland zugute. Das heißt, sieht man diese Fragestellung gesamtstaatlich, sind Investitionen in den Sanitätsdienst immer auch Investitionen in den Bevölkerungs- und Katastrophenschutz und damit in Sicherheit und Zukunft unseres Landes. 

WM: Herr Generalarzt, wir bedanken uns für dieses Gespräch.


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