INTERVIEW MIT DEM INSPEKTEUR DES SANITÄTSDIENSTES DER BUNDESWEHR
Am 01. Oktober 2011 hat Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke das Amt des Inspekteurs des Sanitätsdienstes der Bundeswehr übertragen bekommen.
Vor ihm liegt die große Herausforderung, den Sanitätsdienst der Bundeswehr in die neue Struktur zu führen. Nach genau 120 Tagen im Amt ist dies Anlass genug, eine erste Lagebeurteilung durchzuführen und über die Kernpunkte der vor ihm liegenden Amtszeit zu sprechen. Das Interview mit dem Inspekteur führten Heike Lange, Geschäftsführerin des BETA Verlages, und Oberstarzt Dr. Andreas Hölscher, Chef - redakteur der “Wehrmedizin und Wehrpharmazie”.
WM:
Herr Generalarzt, die Umstrukturierung des Sanitätsdienstes beschäftigt derzeit alle Führungsebenen. Wie sehen Sie die Zielsetzung der neuen Struktur, welchem Rational folgt sie? Wie ist der aktuelle Sachstand?
Heike Lange und Oberstarzt Dr. Andreas Hölscher im Interview mit dem Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr, Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke.
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Das ist natürlich ein weites Feld, das Sie aufgemacht haben. Da kann ich eigentlich nur auf den Bundesminister der Verteidigung verweisen, der mit seinen Ausführungen zur Neuausrichtung der Bundeswehr vom 18. Mai 2011 den Erhalt der Selbstständigkeit des Zentralen Sanitätsdienstes der Bundeswehr bestätigt hat. Eckpunkte sind erstens die Finanzierbarkeit, zweitens die Demographie und Festigkeit und drittens der vorgegebene „Level of Ambition“. Die Frage „Was müssen wir für die Zukunft leisten?“ gilt sowohl nach innen im Hinblick auf unsere Landesverteidigung als auch ganz besonders mit Blick auf den Auslandseinsatz. Das schließt die Zusammenarbeit mit unseren alliierten Partnern zwingend ein.
Diese Vorgaben waren verpflichtend und darauf folgte die Planung für den neuen Sanitätsdienst. Wenn der Minister in seinen Forderungen von 10 000 Soldaten in verschiedenen Einsätzen spricht, dann muss dies seine Entsprechung auch im Sanitätsdienst finden. Ausgehend vom Rational „vom Einsatz her denken“ bedeutet das, dass wir so gesehen in der Rückwärtsrechnung unsere Strukturen aufbauen. Wenn ich den Auftrag bekomme, 10 000 Soldaten im Einsatz sanitätsdienstlich zu versorgen, dann kann ich daraus ableiten, wie viel Sanitätspersonal ich brauche. Das Ergebnis ist mit einem Durchhaltefaktor zu versehen, der dem der übrigen Streitkräfte entspricht. Im Grunde ist dies das Rational für die Ableitung des Sanitätsdienstes.
Eine andere Aufgabe darf bei dieser Perspektive jedoch keinesfalls aus dem Blickfeld geraten. Die Einsatzversorgung ist ohne eine suffiziente Inlandsversorgung nicht möglich. Wir haben neben der Auslandsversorgung auch im Inland die Anforderung, unsere Soldaten sanitätsdienstlich bestmöglich zu versorgen. Dies kann und muss mitunter gerade im klinischen Bereich unter Rückgriff auf zivile Partner erfolgen. Die ambulante Versorgung findet in großen Teilen in unseren eigenen Sanitätseinrichtungen statt, die im Umkehrschluss aber auch ein wesentlicher Bestandteil in der Personalgestellung für die Einsätze sind.
Ich will nicht verhehlen, dass im Vorfeld dieser Strukturschritte immer wieder Kritik am Sanitätsdienst laut geworden ist. Ein Kritikpunkt beruhte auf der Annahme, wir hätten zu viele Ärzte in nicht approbationspflichtigen Tätigkeiten, die sogenannte „Wasserkopf- Diskussion“. Unser Ziel war es, die Führungsstruktur möglichst schlank auszuplanen und innerhalb dieser Führungsstrukturen einen strengen Maßstab für die Verwendung von Sanitätsoffizieren und Sanitätsstabsoffizieren aller Approbationen anzulegen.
WM:
Im Vorfeld der Umstrukturierung gab es die Projektgruppenarbeit, die ist nun weitestgehend abgeschlossen, jetzt sind wir bereits in der Feinausplanung. Inwieweit werden denn die Ergebnisse dieser Projektgruppen in die Umsetzung mit einfließen?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Meine Absicht war es, eine Projektorganisation zu schaffen, die einem erweiterten Expertenkreis die Möglichkeit gibt, die neue Struktur auf Machbarkeit sowie Stärken und Schwächen zu überprüfen. Man hatte zuvor die verschiedenen Möglichkeiten mit Bewertungspunkten versehen und letztendlich daraus eine Matrix gemacht. So ist die Struktur entstanden, die jetzt vorgeschlagen wurde.
Der enge Zeitrahmen der Entscheidungen und die parallel verlaufende Problemanalyse der Projektorganisation führten dazu, dass nicht alle Vorschläge verwirklicht werden konnten. Das ist, glaube ich, auch keine Überraschung. Es zeigte sich ebenfalls, dass viele innovative Gedanken bereits im Rahmen der ministeriellen Erarbeitung bedacht worden waren, aber aufgrund von anderen Bewertungen verworfen werden mussten. Der wichtigste Anteil von Vorschlägen der Projektorganisation ist aber der, der tatsächlich auch umgesetzt werden kann. Ich lasse mir die Feinausplanung regelmäßig vorlegen und beziehe die Projektgruppenleiter weiterhin in diese Arbeit mit ein. Ich möchte eben nicht, dass das nur einmal ein Input war, der gut aussieht und dann versandet. Die Verantwortung liegt bei mir, aber ich möchte die Projektgruppenleiter weiter mit einbeziehen.
Schwierig ist dabei besonders die Ausplanung der regionalen Sanitätseinrichtungen. Der Sanitätsdienst ist Dienstleister der Truppe, das heißt, wir können in vielen Fällen erst anfangen zu planen, wenn die Truppe sich bereits entschieden hat. Logischerweise laufen wir in unserem Planungszyklus der Truppe immer ein Stück weit hinterher. Ganz zum Schluss gibt es aber eine zwingende gemeinsame Schlusszeitlinie, und dort müssen wir dann wieder mit der Truppe zum gleichen Zeitpunkt ankommen. Das ist eine extreme Herausforderung für unsere Stäbe, die verständlicherweise im einen oder anderen Fall sicherlich auch noch einmal die Nachjustierung von bereits getroffenen Entscheidungen bedeutet.
WM:
Sehr wichtig erscheint es, Informationen bis hin zu Hintergrundinformationen weiterzugeben. Wie kann man die Kommunikation noch verbessern, wie kann man die Angehörigen des Sanitätsdienstes noch besser mitnehmen?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Information ist, so glaube ich, in der Tat ein wichtiger Faktor, und da hat ja auch dieses Interview einen Wert im Rahmen dieser Information. Ganz besonders wichtig ist mir hierbei die Rolle der Vorgesetzten, die natürlich im Dialog mit ihrem direkt anvertrauten Personal stehen müssen. Sie müssen deren Sorgen und Nöte aufnehmen und diese in die richtigen Kanäle bringen. Sie müssen beraten, sie müssen Perspektiven liefern können. Auch wenn dies im Einzelfall sicherlich oft sehr schwierig ist, ist es aber aus meiner Sicht unerlässlich. Wie sich die Struktur individuell für den Einzelnen auswirkt, das lässt sich erst langsam absehen. Aber es ist sicher so, dass es Standorte gibt, an denen wir unser Personal vor persönliche Härten stellen.
Ich konnte Anfang Februar Bestpreise für besonders verdiente Soldaten des Sanitätsdienstes vergeben. Einer der Preisträger war ein Hauptfeldwebel und SASPF-Fachmann, der sein militärisches Leben in Sigmaringen verbracht hat. Dieser große Standort wird, für die Region möglicherweise überraschend, inklusive des Versorgungs- und Instandsetzungszentrums Sanitätsmaterial aufgelöst. Da müssen wir auch unseren eigenen, uns unterstellten Soldaten im Auge haben und versuchen, ihn mit möglichst wenig familiären Nebenwirkungen, aber auch unter Wahrung aller dienstlichen Notwendigkeiten unterzubringen.
Information ist für mich nur der halbe Weg. Die andere Hälfte stellt die Mitwirkung dar. Die Motivation des Soldaten kann ich durch seine aktive Mitwirkung an der Veränderung verbessern. Besonders Umstrukturierung und Strukturentwicklung bieten immer wieder Ansätze dazu. Was ich möchte, ist eine Diskussion im Sanitätsdienst über den besten Weg. Ich glaube, wir sind uns alle einig, dass die hohe Dynamik des Strukturwandels es auch erforderlich macht, zu korrigieren, wenn man sieht, dass ein Weg nicht der richtige ist. Letztendlich mag diese Diskussion uns stärken und unserer Corporate Identity ein Gesicht geben. Die Fragen „Was sind wir, wo wollen wir hin, wie unterstützen wir unsere Streitkräfte?“ sind doch ganz wichtige Fragen, die die Struktur auf ganz lange Sicht weiter bestimmen. Die Streitkräfte werden in ihrem aktuellen Status nicht stehen bleiben. Wir sind Teil der Streitkräfte und müssen mithalten.
WM:
Herr Generalarzt, Sie haben da gerade ein Stichwort gegeben. Das Thema Corporate Identity war Thema eines Interviews, das Sie der WELT gegeben haben. Sie haben dort von unseren jungen Sanitätsoffizieren gesprochen. Diese Kameraden bilden die Basis unserer Versorgung, auch in den Auslandseinsätzen. Wir wissen aber auch um die Schwierigkeiten, diese jungen Sanitätsoffiziere, meistens ja ehemalige Sanitätsoffizieranwärter, so zu motivieren, dass sie unserem System erhalten bleiben. Müssen wir da vielleicht zu einer Neubewertung kommen? Was können wir tun, um die jungen SanOAs von Anfang an deutlich enger an unser System zu binden? Müssen wir vielleicht „back to the roots“, z. B. wieder zu einer 15-monatigen militärischen Ausbildung? Was können Sie tun, damit auch in Zukunft unser Nachwuchs, den wir brauchen, motiviert ist und an das System gebunden wird, um auch langfristig die Einsätze sicherzustellen?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Sie sprechen einen sehr, sehr wichtigen Punkt an. Die Frage, wie wir eine hohe Systembindung erreichen oder wie wir unsere Offiziersanwärter an die Streitkräfte heranführen, liegt mir persönlich sehr am Herzen. Ich meine damit primär nicht den klinischen Betrieb, sondern ich meine damit all das, was den Sanitätsoffizier von seiner Geisteshaltung für die Einsätze, für die Streitkräfte und für die Kameraden ausmacht. Das ist im Hochschulstudium alleine nicht zu leisten. Wenn ich aber sehe, wie unterschiedlich wir immer noch die Betreuung unserer Sanitätsoffiziersanwärter wahrnehmen, dann sehe ich erhebliche Spielräume. Wir müssen uns an denen orientieren, die gute Ergebnisse erzielen, wo es eine hohe Systembindung gibt, wo SanOAs mit Begeisterung dabei sind. Einer dieser Standorte ist beispielsweise Hannover. Da wird gute Arbeit gemacht; dort gibt es Diskussionen, Exkursionen und militärische Erlebnisse, die die Soldaten an den Sanitätsdienst und an die Streitkräfte binden. So etwas werden wir in der Zukunft verstärkt brauchen. Wir müssen uns daher genau ansehen, welche Formeln dort angewandt werden, den SanOAs das berufliche Selbstverständnis von Sanitätsoffizieren zu vermitteln. Das werde ich mir kommende Woche persönlich anschauen.
Der Frage nach dem Nutzen einer 15-monatigen militärischen Bindungsphase vor dem Studium ist aus der Perspektive der Bindungsfähigkeit und dem Zuwachs an allgemein- militärischem Handwerkszeug absolut berechtigt. Auf der anderen Seite verlieren wir damit einen kompletten Jahrgang Sanitätsoffiziere. Insofern möchte ich davon in Zeiten des allgemeinen Ärztemangels zunächst einmal absehen. Das Heer und die Luftwaffe sind ja auch gerade dabei, diese Vorbindungsphase aufzugeben, um kompensatorisch die Phase der Nutzung des OA als Offizier in der Truppe zu verlängern. Unser Ziel wird daher gleichsinnig zu den anderen TSK eher die Verstärkung der postuniversitären modularen Ausbildung nach dem Studium sein.
Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke beim 7. Deutsch-Chinesischen Wehrmedizinischen Symposium in Boao
Im September habe ich mir an der Offiziersschule des Heeres in Dresden einen Jahrgang dieser Ausbildung angesehen, weil ich unter Anderem in Gesprächen mit jungen und einsatzerfahrenen Sanitätsoffizieren sehr viel Positives von dort gehört hatte. Diese Kameraden hatten gesagt, „ich habe in Dresden ein Verständnis für taktische Grundsätze entwickeln können". Ich glaube, dass viele unserer jungen Sanitätsoffiziere noch gar nicht richtig verstehen, wofür zum Beispiel ein Lagediktat denn wirklich gut ist. Auch das muss man ihnen beibringen und erklären. Wenn ich höre, dass junge Sanitätsoffiziere sagen, im Afghanistan-Einsatz benötige ich das nicht, weil ich sowieso im beweglichen Arzttrupp hinten nur transportiert werde, trifft das in weiten Teilen die Wahrheit. Aber er kann natürlich genauso gut zu einer Gefechtssituation kommen, in der der Sanitätsoffizier plötzlich als Führer seines Trupps und höchstrangiger Offizier wissen muss, wo er sich befindet und wie die Feindlage aussieht. Er ist dann auf sein taktisches Grundverständnis angewiesen. Wenn man dieses Verständnis erst einmal vermittelt hat, kann man auch den jungen Offizier voll in diese Ausbildung einbinden.
WM:
Wie können wir dem jungen Sanitätsoffizier vermitteln, dass die Verwendung als Truppenarzt eine erstrebenswerte und erfüllende Tätigkeit ist?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Ich hoffe, dass wir zukünftig den Ruf des Truppenarztes verbessern können. Wir werden robuste Sanitätsversorgungszentren bilden, in denen der Personalmangel nicht der Alltag ist, sondern in denen eine solide Versorgung stattfinden kann. Dies wird einerseits zu zufriedenen Patienten führen, andererseits zu zufriedenen Ärzten, denen auch Zeit für Weiterbildungsveranstaltungen bleibt oder die sich die Zeit in der einsatzvorbereitenden Ausbildung nehmen können, um mit einer soliden Vorausbildung in den Einsatz gehen zu können. Dann wird auch das Klima an diesen Einrichtungen besser werden. Davon verspreche ich mir auch, dass man erkennt: Als Allgemeinmediziner der Hausarzt für die Truppe zu sein, das ist ein erstrebenswertes Berufsbild. Ich habe diese Zeit als extreme Bereicherung für mich selbst empfunden, als eine Verwendung von hohem Sozialprestige. Man bekommt durch die Bindung an die Truppe mehr soziale Beziehungen als in der Klinik, das ist jedenfalls meine Erfahrung. Insofern ist die Tätigkeit in einem Sanitätszentrum auch als Berufsziel etwas durchaus Erstrebenswertes.
WM:
Herr Generalarzt, ich möchte noch einmal auf den Punkt Motivation zurückkommen. Ganz viel von dem, was Sie gesagt haben, hat zu tun mit Motivation und Information. Sie haben gesagt, es kommt im Grunde auch eine ganz große Aufgabe auf die Vorgesetzten zu, ihren jeweiligen Bereich mitzunehmen, um eine gewisse Aufbruchsstimmung zu erzeugen. Wie schnell muss das gehen oder wie lange darf das dauern?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Ich bin der Meinung, im Moment eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Das liegt zum einen ganz einfach daran, dass die Streitkräfte sich im Augenblick strukturell verändern und dass es hier einen Mitnahmeeffekt gibt. Die Leitung formuliert ja auch viele Dinge im Hinblick auf den Leitspruch „Wir. Dienen. Deutschland.“ Das ist ein Gedanke, der eine innere Einstellung widerspiegeln soll und der, zuvorderst durch unseren Minister, auch vorgelebt wird. Im Kern ist es das, was unsere Soldaten oft auch persönlich anspricht. Das Dienen für diese Streitkräfte, für unser Land, ist ein großer Teil unseres Selbstverständnisses. Dieser Gedanke kommt in zivilen Gesundheitseinrichtungen und Kliniken in dieser Form nicht vor. Er findet aber vor allem auch im Auslandseinsatz und in der Identifikation der Soldaten mit ihrer Aufgabe seinen Niederschlag.
Wir ändern auch unseren Sanitätsdienst. Wir haben dabei das Ziel, die Mitarbeiter des Sanitätsdienstes mitzunehmen, viel mit ihnen zu reden, bei Veranstaltungen dabei zu sein. Wir müssen die Botschaft überbringen, dass jetzt alle an einem Strang ziehen. Wir müssen die Jüngeren mitnehmen, ob es die SanOAs sind oder die jungen Feldwebel. Wir müssen auch kritische Geister außerhalb des Sanitätsdienstes hören, die es ja immer wieder gab und gibt. Auch Kritik hat ihren Wert und Kritiker darf man nicht ausgrenzen. Man muss sie mit ins Boot holen und mit ihnen ein Diskussionsforum bilden. Irgendwann aber werden wir jenseits des Appellcharakters sein und die Frage beantworten müssen: Was hat sich denn jetzt wirklich geändert? Ich denke, die Strukturen müssen sich schnell ändern, um die Aufbruchstimmung zu mehren und auch zu nutzen. Da wiederum sehe ich eine Riesenchance für den Sanitätsdienst. Wir sind der Organisationsbereich, von dem ich glaube, dass er am schnellsten die neuen Strukturen einnehmen kann.
Das Kommando Sanitätsdienst wird noch in diesem Jahr nach Koblenz ziehen. Wir fangen am 1. April an und planen, zum 1. Oktober die Arbeit als Kommando Sanitätsdienst eigenverantwortlich übernehmen zu können. Das heißt nicht, dass alle Angehörigen dieses neuen Kommandos zu diesem Zeitpunkt in Koblenz angekommen sein müssen. Dies hilft gerade im Hinblick auf das aufzulösende Sanitätsamt. Es wird vielleicht den einen oder anderen geben, der dann körperlich noch in München arbeitet und bereits zum Kommando Sanitätsdienst in Koblenz gehört. Analog werden wir bei den Fähigkeitskommandos verfahren, die wir auch noch in diesem Jahr aufstellen werden. Ende des Jahres wollen wir sie so weit haben, dass sie zum Januar 2013 ihren neuen Auftrag übernehmen können.
Am Rande der Arbeitstagung in Damp
Logischerweise können wir ja nicht ein Sanitätsamt auflösen, ohne die Aufgaben an das neue Kommando Sanitätsdienst und an die neue Akademie zu übertragen. Das wird schneller als in anderen Bereichen sein, weil wir in der Auswahl unserer Stationierungsorte eben sehr stark auch auf altbekannte und für uns auch gute Infrastruktur vertrauen können. Und daraus will ich Kapital schlagen. Ich denke, die Schnelligkeit der Umsetzung für Reformschritte wird auch ein Teil der Motivation mitbringen. Wenn Jeder spürt, es bewegt sich was, es geht etwas voran.
Letztendlich geht es ja nicht nur darum, die Führungsorganisation zu verändern. Wir müssen bei denen, die wirklich die Dienstleistung für die Truppe bringen, die tagtäglich in der Klinik arbeiten, etwas ändern. Wir müssen, wenn die Kommandobehörden sich wirklich schnell umgebildet haben, sofort auch mit der Umgestaltung der kurativen Sanitätseinrichtungen anfangen. Wir machen uns ja parallel schon Gedanken, wie die Krankenhäuser der Zukunft aussehen können. Wie sind sie marktfähig? Was sind denn Bereiche von wehrmedizinischer Relevanz, die wir stärken müssen? Wo sind die Bereiche, die wir zukünftig nicht mehr so stark ausbringen werden? Und genauso: Wie werden die neuen Regimenter aussehen? Hier entscheidet sich schon die Material- und Personalausstattung über Zufriedenheit oder Unzufriedenheit. Ob ich Material zur Verfügung habe, ob die Personalausstattung in den Kompanien so ist, dass ich mit dieser Kompanie z. B. als Chef auch etwas anfangen kann oder ob nicht schon wieder nur die Hälfte auf dem Hof steht, da die andere Hälfte gerade im Einsatz, in der einsatzvorbereitenden Ausbildung, in der Teilzeit oder sonst irgendwo ist. Ich denke, da müssen wir auch robuste, frische Strukturen schaffen.
Generaloberstabsarzt Dr. Ingo Patschke vor dem Auditorium in Damp
WM:
Herr Generalarzt eine Frage, die nicht nur Leser anspricht, die Angehörige des Sanitätsdienstes sind. Ab 1. April ist der Inspekteur des Sanitätsdienstes nicht mehr Angehöriger des Bundesministeriums der Verteidigung. Wie wollen Sie es schaffen, dass Sie Ihre Ziele auch in Zukunft ganz oben in die Leitung tragen können? Dass für die Zukunft auch ausreichend Mittel finanzieller Art zur Verfügung gestellt werden und nicht von anderer Seite gesagt wird, was der Sanitätsdienst braucht oder welche Forderungen überzogen sind. Wird das nicht die Quadratur des Kreises sein? Haben Sie da schon Ideen, wie Sie sich auch in Zukunft als Inspekteur Gehör verschaffen können und müssen?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Ja, dazu habe ich in der Tat Ideen. Zunächst einmal möchte ich sagen: Es ist richtig, der Inspekteur wird zukünftig nicht mehr Bestandteil des Ministeriums sein. Wir werden erst einmal eine sechsmonatige Ausschleichphase haben, in der wir zwar als Stab des Inspekteurs noch am Dienstort des BMVg sein werden. Wir sind noch organisatorischer Bestandteil des Ministeriums, wir arbeiten aber nicht mehr ministeriell.
Ich möchte aber betonen, wenn wir eine neue Struktur mit Misstrauen anfangen, dann ist die Struktur von vornherein zum Scheitern verurteilt. Ich habe bisher in meinen Gesprächen überall den Willen zur Kooperation und zum guten Ergebnis festgestellt und vertraue darauf, dass auch zukünftig die zivilen und militärischen Abteilungen im Ministerium die Belange des Sanitätsdienstes im Auge behalten. Ich bin ja als direkt Untergebener des Generalinspekteurs nahe am ministeriellen Geschehen und werde, wenn ich hier Missstände oder gravierende Fehlentwicklungen feststelle, meine Funktion als Inspekteur nutzen, um auch darauf aufmerksam zu machen. Ein weiterer Aspekt ist: Wir sind ja im neuen Ministerium auch vertreten, und zwar nicht zu knapp.
Der Prozess der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr ist eingewoben in nahezu alle Prozesse des neuen Ministeriums. Ganz besonders natürlich im Bereich der Streitkräfteführung, wo wir einen Unterabteilungsleiter stellen. Aber es geht ja nicht nur darum, im Bereich der Streitkräfteführung präsent zu sein, es geht auch darum, in den Bereichen der Planung, des Haushaltes und der Ausrüstung auch dem Sanitätsdienst Gehör zu verschaffen. Auch dort haben wir überall Mitarbeiter aus dem Sanitätsdienst. Es kommt aber, und da haben Sie völlig Recht, in der Zukunft darauf an, in der Ausgewogenheit, gerade auch wenn es um Haushaltsmittel und Beschaffungsmaßnahmen geht, die Interessen des Sanitätsdienstes zu vertreten.
Wir sind ja, wenn es um Investitionen geht, ein vergleichsweise preiswerter Organisationsbereich. Wir stellen etwa 10 Prozent des Personals, wir stellen ca. 10 % für den Einsatz und im investiven Bereich haben wir etwa 2,5 % des Gesamtkuchens Invest. Obwohl Medizin teuer ist, sind wir eben doch nicht so teuer wie einige Rüstungsprojekte der Luftwaffe oder der Marine. Trotz allem müssen wir eben auch in der Zukunft deutlich machen, dass Sanitätsmaterial manchmal ganz anderen Innovationszyklen unterliegt. Der „Nichtmediziner“ kann sich mitunter schwerlich vorstellen, warum gerade ein bestimmtes medizinisches Gerät benötigt wird. Dieses Verständnis müssen wir schaffen oder erhalten. Aber ich kann nur sagen, ich habe in der derzeitigen Phase der Umgliederung überall nur die Bereitschaft erlebt, den Sanitätsdienst wirklich weiter zu unterstützen. Wir haben dank unserer guten Leistungen in den Auslandseinsätzen auch in der Politik ein enorm hohes Renommee. Das Risiko, die hohe Reputation und internationale Anerkennung des Sanitätsdienstes herunterzufahren oder gar die Gesundheit der Soldaten im Einsatz aufs Spiel zu setzen, wird niemand eingehen wollen. Insofern bin ich da eigentlich ganz zuversichtlich.
WM:
Die Rolle der Zeitschrift „Wehrmedizin und Wehrpharmazie“ sehen wir im Grunde ja auch als ein Sprachrohr des Sanitätsdienstes bis in die Politik hinein. Können wir bei der Information helfen?
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Generell ist es natürlich immer gut, wenn Politiker über die Situation im Sanitätsdienst informiert sind. Sie stellen für uns wichtige Weichen in den verschiedenen Ausschüssen. Medizin ist eben eine komplizierte Materie und ohne Fachinformation und Hintergrundwissen ist eine Entscheidung schwer zu treffen. Wenn meine Aufgabe die Beschaffung von ITINTERVIEW Systemen wäre, fehlte mir der Sachverstand. Ich könnte überhaupt nicht bewerten, ob das eine oder andere System wichtig oder nicht wichtig ist. Wenn ich allerdings Hintergrundinformationen erhalte und Beratung erfahre, habe ich dazu einen ganz anderen Zugang. Schon alleine dafür ist es ungemein wichtig, dass auch die Vertreter im Verteidigungsausschuss, aber genauso gut auf den zivilen Seiten unseres Ministeriums, unseren Sanitätsdienst möglichst gut kennen.
WM:
Herr Generalarzt, Sie haben ein großes Spektrum an Themen sehr ausführlich beantwortet. Zum Schluss möchten wir Ihnen gerne noch eine persönliche Frage stellen: „Was wünscht sich ein Inspekteur? Was wünscht er sich für den Sanitätsdienst und was wünscht er sich für sich selbst?“
Generaloberstabsarzt Dr. Patschke:
Was wünsche ich mir für den Sanitätsdienst? Für den Sanitätsdienst wünsche ich mir materiell geschützten Verwundetentransport zu Land und gesicherten Verwundetentransport zu Luft. Das sind aus meiner Sicht die wirklich großen Problembereiche. Ideell für den Sanitätsdienst wünsche ich mir, dass der Leitsatz der Bundeswehr „Wir. Dienen. Deutschland“ im Sanitätsdienst gelebt wird. Dann kommt das enorm wichtige Wir-Gefühl, das ich für die Zukunft brauche, darin vor. Der Sanitätsdienst kann und sollte stolz auf sich sein. Es kommt aber auch darin vor, dass jeder Angehörige des Sanitätsdienstes offen dafür ist zu dienen. Es geht mir zum Beispiel um die Bereitschaft zum Auslandseinsatz. Ich meine dies bei allen eventuellen persönlichen Vorbehalten für den Einsatzgrund oder auch der völlig verständlichen eigenen Angst vor dem Einsatz. Ich sehe hier wieder den Vorgesetzten in der Pflicht, diese Vorbehalte abzubauen. Ich meine nicht durch „Stramm stehen und Wegtreten“, sondern durch Erklärung, durch offene Diskussion, durch Erziehung, durch Ausbildung, durch Vorleben.
Für mich persönlich: Schwer zu sagen, wüsste ich im Moment nicht. Ich bin eigentlich im Augenblick ein glücklicher und zufriedener Mensch. Ich habe natürlich Wünsche nach einem Mehr für unseren Sanitätsdienst, nach mehr Geld, nach mehr Personal, das ist klar, aber insgesamt bin ich im Augenblick dankbar über die Art, wie ich im Sanitätsdienst auch als Inspekteur, als Vorgesetzter aufgenommen werde. Ich spüre sehr wohl, dass ich Unterstützung habe. Das trägt mich, das motiviert mich auch für die Zukunft. Ich habe auch bei der Leitung durchaus das Gefühl, Unterstützung zu haben, und das ist ganz, ganz wichtig. Es möge so bleiben.
WM:
Herr Generalarzt, für Ihre Amtszeit wünschen wir Ihnen Kraft, Ausdauer, Fortune und vor allem Gesundheit, damit dieser Status auch lange anhält. Und ganz herzlichen Dank für Ihre offenen und direkten Worte an unsere Leserinnen und Lese
Datum: 03.04.2012
Quelle: Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2012/1