„…für die Herausforderungen der ­Zukunft gut aufgestellt.“

Interview mit Generalarzt Prof. Dr. med. Dr. med. habil. Rafael Schick, Generalarzt der Luftwaffe

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Generalarzt Prof. Dr. Schick im Gespräch mit Frau Heike Lange, Verlegerin (Quelle: Beta Verlag)
WM: Sehr geehrter Herr Generalarzt Prof. Dr. Schick, in diesen Tagen blicken wir auf ein stolzes Jubiläum: 60 Jahre Flugmedizin in der Bundeswehr. Beim Blick zurück, wo zeigen sich für Sie fachliche und organisatorische Kontinuitäten und auf welchen Gebieten können wir über die Zeit die augenfälligsten Änderungen und Weiterentwicklungen beobachten?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Als das Flugmedizinische Institut der Luftwaffe 1959 in Fürstenfeldbruck aufgestellt wurde, wurde der Begriff „Flugmedizin“ gewählt, weil er – im Gegensatz zum früheren Begriff „Luftfahrtmedizin“ auch die biologischen Phänome des Fliegens umfasst, die in Höhen erfolgen, „in denen es im physiologischen Sinn keine Luft mehr gibt“ (zitiert nach Hubertus Grunhofer, 1977). Mit der Neuausrichtung der Bundeswehr im Jahr 2013 wurden die bis dahin separaten Dienststellen Generalarzt der Luftwaffe und Flugmedizinisches Institut der Luftwaffe in dem Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe (ZentrLuRMedLw) zusammengeführt, um die militärische flugmedizinische Kompetenz künftig an dem Standort Köln-Wahn zu bündeln, mit dem langfristigen Ziel, gemeinsam mit zivilen Kooperationspartnern ein europäisches Exzellenzzentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin zu errichten. Dabei wurde bewusst der neue (und alte) Name Luft- und Raumfahrtmedizin gewählt, um die fachliche Präzisierung herbeizuführen und sich dabei auch nomenklatorisch der modernen Begrifflichkeit anzugleichen, die bereits bei der zugehörigen Fachgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Luft- und Raumfahrtmedizin, und beim zivilen Kooperationspartner DLR (Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt) genutzt wird. Diese Anpassung stellt gleichzeitig die augenfälligste Änderung dar, die die militärische Flugmedizin in den 60 Jahren ihres Bestehens erlebt hat. Ansonsten ist die fachliche Repräsentation der militärischen Flugmedizin von einer großen Kontinuität geprägt. Bereits mit dem Aufstellungsbefehl vom 21. Februar 1959 wurden dem damaligen FlMedInstLw die folgenden vier Aufgabe zugewiesen:

  • Durchführung aller ärztlichen Untersuchungen auf Wehrfliegertauglichkeit nach den hierzu erlassenen Bestimmungen.
  • Durchführung der flugphysiologischen Ausbildung.
  • Durchführung wissenschaftlicher und praktischer Arbeiten auf dem Gebiet der Flugmedizin.
  • Auswertung der in- und ausländischen Literatur auf dem Gebiet der theoretischen und angewandten Flugmedizin.

Anfang der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts wurde mit Aufnahme der Flugpsychologie zunächst eine weitere Säule etabliert und mit Beginn der weltweiten Einsätze der Bundeswehr wurde dann die Fähigkeit zum luftgestützten qualifizierten Patiententransport in die Bundeswehr eingeführt, die von uns in enger Zusammenarbeit mit dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr ständig weiterentwickelt wird. In der nachfolgenden Übersichtsarbeit „60 Jahre militärische Flugmedizin in Deutschland“ wird Ihre Frage von Oberstarzt PD Dr. Weber umfassend beleuchtet, so dass ich an dieser Stelle vor einer tiefergehenden Betrachtung absehe und Ihnen die Lektüre des Artikels ­wärmstens empfehlen möchte.

WM: Mit der Fähigkeitsentwicklung in der 3. Dimension hat sich auch die Luft- und Raumfahrtmedizin ganz neuen Herausforderungen zu stellen. Gelingt es hier, z. B. auf dem Gebiet der ­Entwicklung von Automatisierungsprozessen oder Mensch-Maschine-­Schnittstellen, in ausreichendem Maße flug­medi­zi­nische Aspekte einzubringen, um Systemleistungen zu optimieren und die Gefahren für den Menschen zu minimieren?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Im Rahmen der Automatisierung erhöhen sich insbesondere die kognitiven Herausforderungen durch zusätzliche Aufgaben des Lfz-Führers im Bereich Systemmanagement. Die flugmedizinischen Belastungen bleiben im Wesentlichen die gleichen und müssen weiterhin sehr genau beobachtet werden. Hier gilt es, entsprechend im Sinne der Prävention und Human Performance zu handeln. Die Einbringung der flugmedizinischen Aspekte erfolgte in der Vergangenheit nicht in einem ausreichenden Maße. Das liegt einfach daran, dass flugmedizinische Aspekte erst sehr spät in den Rüstungsprozess aufgenommen werden. Wir haben dies erkannt und steuern auf ­verschiedenen Ebenen entgegen. Z. B. haben wir in unserem wehrmedizinischen Forschungskorridor einen eigenen Unterpunkt eingerichtet, der genau diese Fragestellung betrifft. In meinen Fachgruppen I 3 und II 2 gibt es konkrete Forschungsprojekte zu diesem Thema.

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Das Jubiläum der Flugmedizin wird intensiv publizistisch begleitet, auch vom Beta Verlag (Quelle: Beta Verlag)
WM: Wir gehen in dieser Ausgabe der Zeitschrift auch ausführlich auf Struktur, Aufgaben und Herausforderungen des Sanitätsdienstes der Luftwaffe ein. Wie bewerten Sie den Stellenwert Ihres Verantwortungsbereiches im Zusammenspiel mit dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr und den anderen originären Sanitätsdiensten der Teilstreitkräfte?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Der Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr hat GenArztLw mit der Wahrnehmung der Verantwortung für die Luft- und Raumfahrtmedizin sowie den Fliegerärztlichen Dienst der Bundeswehr (LuRMed/FlgÄrztlDstBw) und für die LuRMed-­Anteile auf dem Gebiet der „Höhenmedizin“ beauftragt. Darüber hinaus nimmt GenArztLw die Tätigkeit des Generalarztes bzw. der Generalärztin Flugmedizin der Bundeswehr (GenArztFlMedBw) im Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufABw) wahr. Die mit diesem Alleinstellungsmerkmal verknüpften Aufgaben und Verantwortlichkeiten erfüllt der Sanitätsdienst der Luftwaffe gemeinsam im Wirkverbund mit dem Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr, dem Hauptträger und -leistungserbringer der Gesundheitsversorgung der Bundeswehr, sowie den Truppensanitätsdiensten der TSK Heer und Marine unter anderem durch die Bereitstellung der dafür notwendigen personellen und materiellen Ressourcen.

Im ZentrLuRMedLw werden alle wesentlichen Aufgaben der Luft- und Raumfahrtmedizin gebündelt. Die Kompetenzfelder erstrecken sich von der Forschung und Wissenschaft über die Begutachtung und Ausbildung bis hin zur fachdienstlichen Führung der Fliegerärzte aller TSK und OrgBereiche.

Eine wesentliche Aufgabe des ZentrLuRMedLw ist die Eignungsfeststellung für den fliegerischen Dienst sowie den Flugführungsdienst der Bw, wie auch die kontinuierliche militärische und zivile flugmedizinische Begutachtung entsprechend der aktuell gültigen rechtlichen Vorgaben für das erlaubnispflichtige Luft­fahrtpersonal der Bundeswehr. Diese erfolgt am flugpsychologischen und flugmedizinischen Begutachtungszentrum des ZentrLuRMedLw. Fachliche Vorgaben zur Umsetzung der Begutachtungsergebnisse, Heilfürsorgeentscheidungen sowie die Einsatzplanung der Fliegerärzte für die diversen Einsätze und einsatzgleichen Verpflichtungen werden durch GenArztLw sowie die Leitenden Fliegerärzte der TSK / OrgBer getroffen und überwacht. Der Sanitätsdienst der Luftwaffe stellt die sanitätsdienstliche Unterstützung des fliegenden Personals der Luftwaffe sicher. Dies beinhaltet insbesondere die truppenärztliche Begutachtung und Behandlung. Hier wird in vielfältiger Weise mit dem Fachpersonal des Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr (ZSanDstBw) zusammengearbeitet und so die beiderseitige Effizienz und Qualität gesteigert. Ein weiteres gemeinsames Tätigkeitsfeld ist der luftgestützte qualifizierte Patiententransport (Aeromedical Evacuation). Auch dies ist eine Kernkompetenz des Luftwaffensanitätsdienstes, die im Wirkverbund mit qualifizierten Kräften des ZSanDstBw zum Einsatz gebracht wird. ­Entsprechend erfolgt auch die Ausbildung im Bereich der Flug­medizin und Flugphysiologie OrgBereichs-übergreifend am ZentrLuRMedLw und stellt so einen einheitlichen Ausbildungsstand aller in diesem Aufgabengebiet eingesetzten Kräfte sicher. Als einzige Ressortforschungseinrichtung der Luftwaffe hat das ZentrLuRMedLw mit seinen wissenschaftlich-fachlichen Fähigkeiten im Bereich der wehrmedizinischen Forschung „Luft- und Raumfahrtmedizin/ Fliegerärztlicher Dienst der Bundeswehr“ (LuRMed/FlgÄrztlDstBw) für den GB BMVg Expertise und Urteilsfähigkeit zu gewährleisten. Aufgrund der stetig steigenden Inter- und Transdisziplinarität ist die luft- und raumfahrtmedizinische Forschung jedoch zunehmend auf die eingespielten Prozesse und die gewinnbringenden Kontakte zum Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr und den anderen Truppensanitätsdiensten der Teilstreitkräfte angewiesen.

WM: Inwieweit ist der Sanitätsdienst der Luftwaffe von den großen Herausforderungen des Szenarios „Landesverteidigung / Bündnisverteidigung“ betroffen? Gibt es Bereiche, in denen auf der Zeitachse nachgesteuert werden muss?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Selbstverständlich ist auch der Sanitätsdienst der Luftwaffe von den großen Herausforderungen der Landes- und Bündnisverteidigung betroffen. Zum einen gilt es unsere fliegenden Besatzungen weiterhin – auch auf einer möglichen Deployed Operating Base (DOB) im Ausland – aber auch hier im Inland hoch-qualitativ zu versorgen, zum anderen aber auch möglichen Partnern auf unseren Flugplätzen den erforderlichen Host Nation Support (HNS) zur Verfügung zu stellen. Für diesen Zweck haben wir das Konzept „Fliegerarzt im Einsatz“ geschaffen. Es sieht vor, hochmobil aber auch umfassend den Aufgaben und Erfordernissen in solchen Szenarien gerecht zu werden. Darüber hinaus spielt die enge Abstimmung mit unseren Kameradinnen und Kameraden vom ZSanDstBw eine zentrale Rolle. Dies betrifft insbesondere die gemeinsame Vorsorge für den Patientenlufttransport bei einer sehr hohen Anzahl von Verletzten und Verwundeten. Hier arbeiten wir gemeinsam, um mit A400M, CH-53 oder dem STH (Schwerer Transport Hubschrauber) als Nachfolgemodel sowie auch international verfügbarem Patientenlufttransport die bestmögliche Versorgungsqualität und -quantität für die Soldatinnen und Soldaten zu erreichen. Diese Aufgabe ist ein fortwährender Prozess, in den wir schon seit Jahren intensiv eingebunden sind. Dieser Prozess ist aber von vielen Variablen abhängig. Hier möchte ich nur die technische Entwicklung des erforder­lichen Materials und auch die Frage der notwendigen luftfahrtrechtlichen Zulassung nennen.

WM: Stichwort Multinationalität. Die Luft- und Raumfahrtmedizin hat seit jeher einen bedeutenden internationalen Fokus. Wie muss man sich heute die internationale Vernetzung Ihres Fachgebietes vorstellen und in welchen Bereichen wird in der Zukunft noch enger, v. a. zwischen den Partnernationen, zusammengearbeitet?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Die internationale Kooperation bleibt in höchstem Maße bedeutungsvoll. Das ZentrLuRMedLw muss kontinuierlich an der Modernisierung der Fähigkeiten arbeiten und muss Antworten finden zu den aktuellen, flugmedizinischen Herausforderungen, denen sich die Menschen im Fliegerischen Dienst und den Flugführungsdiensten der Bundeswehr im Rahmen ihrer spezialisierten Tätigkeit stellen. Eine vorausschauende flugmedizinische Prävention, eine bestmögliche Auswahl im Rahmen der Eignungsfeststellung und eine optimale Unterstützung dieses Personals gelingt besonders gut, wenn man die Erkenntnisse der Partnernationen berücksichtigt und dabei kontinuierlich und wachsam im Austausch bleibt. Die Vernetzung ergibt sich aus den dienstlichen Erfordernissen unterschiedlichen Ursprungs. Zum einen gibt es Vorgaben aus dem Bereich des BMVg über bilaterale Jahresprogramme zur militärpolitischen Zusammenarbeit, in der laufend entsprechende Schwerpunkte gesetzt werden. Weiterhin ist natürlich die Arbeit im Bereich der NATO ein Taktgeber. Dies ergibt sich durch Dienstposten für Fliegerärzte in dortigen Einrichtungen, wie dem Allied Air Command in Ramstein oder nationaler Repräsentanz in Gremien. So stellt Deutschland derzeit in der Aeromedical Working Group der NATO Standardisation Organisation auch den Chairman. In der NATO Science and Technology Organisation war ich selber bis vor Kurzem gewählter Chairman des Human Factors and Medicine Panels, in den dortigen Arbeitsgruppen sind Fliegerärzte und Fliegerpsychologen regelmäßig tätig. Durch die Beteiligung der Luftwaffe in der Allianz der European Air Group ergeben sich weitere flugmedizinische Arbeitsschwerpunkte, dort im Aviation Medicine Coordination Board. Darüber hinaus gibt es gewachsene Kontakte zu vielen Ländern innerhalb und außerhalb der genannten Bündnisse, z. B. durch deren Nutzung unserer flugmedizinischen Einrichtungen wie der Humanzentrifuge. Am Beispiel der European Air Group zeigt sich eine Tendenz zur europäischen Schwerpunktbildung, ohne aber insbesondere die transatlantische Partnerschaft zu vernachlässigen. Neben Lehrgängen für Flugmedizin in englischer Sprache – mit Teilnehmern aus aller Welt, von Litauen bis Brasilien – führen wir auch Lehrgänge für AirMedEvac-Personal für internationale Teilnehmende durch. Durch multinationale Verbände und Einheiten ist es unerlässlich, gemeinsame Ausbildungsschritte zu etablieren, um Multinationalität nicht nur nebeneinander, sondern wirklich operationell integriert durchführen zu können. Als Beispiele für diese Verbände darf ich die MMF (Multinational Multirole Tanker Transport Fleet) in Eindhoven oder die deutsch-französische C-130 J Staffel in Evreux in Frankreich nennen. Multinationalität spielt aber jetzt schon in unseren Einsätzen in Afghanistan, Mali oder Jordanien eine große Rolle – und wird sich weiter verstärken. Die Zeiten des „Jeder kann Alles für sich Alleine“ sind vorbei. Eingeschränkte personelle und materielle Ressourcen zwingen uns zu einer verstärkten Kooperation mit unseren Verbündeten und Partnern. Dieser Weg ist richtig und zukunftsweisend – aber auch nicht ganz neu. Ich darf hier deshalb nicht ohne Stolz unsere flugphysiologische Ausbildung für mehr als 25 Nationen in unserm Flugphysiologischen Trainingszentrum in Königsbrück erwähnen, in dem Piloten und Flugzeugbesatzungen schon seit mehr als zwei Jahrzehnten ausgebildet werden. Die Flugmedizin ist und bleibt ein Motor für internationale Zusammenarbeit und unser Zentrum ist hier ein integraler und weltweit anerkannter Bestandteil.

WM: Werden angehende Fliegerärztinnen und Fliegerärzte weiterhin an entsprechenden Ausbildungseinrichtungen von Bündnispartnern ausgebildet? Was ist in solchen Fällen der besondere Mehrwert?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Alle Fliegerärztinnen und Fliegerärzte in der Bundeswehr müssen seit 2016 durch das Luftfahrtamt der Bundeswehr (LufABw) lizenzierte „Flugmedizinische Sachverständige der Bundeswehr“ sein. Diese Lizenz ist alle drei Jahre zu erneuern. Hieraus ergibt sich eine klare Priorität in der Ausbildung. Eine fliegerärztliche „Grundausbildung“ kann also nur dort erfolgen, wo eine Anerkennung durch das LufABw erzielt werden kann. Dies ist derzeit nur in unserem eigenen Internationalen Trainingszentrum der Fall. Vielmehr ist es so, dass wir diese Fliegerarztlehrgänge auch für internationale Lehrgangsteilnehmer in englischer Sprache anbieten, da sie auch vom Bundesluftfahrtamt als Lehrgänge zum Aeromedical Examiner (AME) der Klassen 1 und 2 anerkannt sind und somit im Raum der EASA (European Aviation Safety Agency) Gültigkeit haben. Selbstverständlich gibt es auch flugmedizinische Lehrgänge im Ausland. In den vergangenen 14 Jahren wurden deutsche Fliegerärzte TSK-übergreifend insbesondere zum Lehrgang „Advanced Aviation Medicine Course“ der European Air Group (EAG) entsendet. Dies ist ein 6-wöchiger Lehrgang für Fliegerärzte mit Berufserfahrung in Europa, der jeweils eine Woche an den flugmedizinischen Einrichtungen der EAG Partnernationen England, Niederlande, Frankreich, Spanien, Italien und Deutschland durchgeführt wird. Neben den EAG-Ländern können auch andere Nationen Teilnehmende entsenden, wie bereits durch die USA, Kanada, Schweden oder Finnland praktiziert. Der besondere Mehrwert ist der praktizierte Blick über den nationalen Tellerrand hinaus, hier besonders durch den Besuch der Einrichtungen in den anderen Ländern. Die teilnehmenden Ärzte vernetzen sich untereinander und lernen die Ansprechpartner in den nationalen Zentren persönlich kennen. Für militärische Einsätze, die in der praktischen Umsetzung heute immer mehr in multinationaler Kooperation erfolgen, ist dies ein nützlicher, ja sogar oftmals erforderlicher Ansatz zur erfolgreichen Operationsdurchführung.

WM: Wo liegen die Grenzen multinationalen Zusammenwirkens in der Luft- und Raumfahrtmedizin? Ich denke z. B. an den Bereich der Aeromedical Evacuation. Welche Möglichkeiten gibt es hier, auch personell und institutionell noch enger zusammenzuarbeiten?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Es ist nicht nur politische Absicht, sondern auch operationelle Notwendigkeit international immer enger zusammen zu arbeiten. Bi- oder multinationale Verbände wie das EATC (European Air Transport Command) und die MMF (Multinational Multirole Tanker Transport Fleet) in Eindhoven in den Niederlanden aber auch die zukünftige deutsch-französische C130-J Staffel in Evreux, Frankreich sind dafür beste Beispiele. Der fliegerärztliche Dienst ist meiner Bewertung nach dafür bestens gerüstet. Fliegen ist fast immer grenzüberschreitend. Schon seit Jahrzehnten betreuen unsere Fliegerärzte unsere Verbände im Ausland. Sie sind international sehr erfahren, auch durch unsere Auslandseinsätze. Aber auch hier wird HNS eine immer wichtigere Rolle spielen. Internationale Zusammenarbeit kann aber auch immer Aufgabe eigener Positionen bedeuten, um gemeinsam erfolgreich arbeiten zu können – aber viele Wege führen nach Rom, sprich zu Erfolg und damit einer hochwertigen medizinischen Versorgung. Überkommen werden dabei müssen aber sowohl sprachliche als auch rechtliche und medizinrechtliche Barrieren. Dies ist nicht immer ganz einfach und manchmal auch nicht möglich. Wir müssen uns anstrengen, die größtmögliche Schnittmenge zu erreichen, um die Internationalisierung voranzutreiben. Aber wofür wären STANAG‘s der NATO gut, würden wir sie nicht zur Anwendung bringen. Internationale Zusammenarbeit erfordert gegenseitiges Vertrauen und das haben wir in vielen Jahren mit unseren Partnern aufgebaut und wir stützen uns gerne darauf ab.

WM: Im Zentralen Sanitätsdienst der Bundeswehr wird verstärkt zivil-militärisch zusammengearbeitet. Gibt es solche Kooperationen auch in der Luft- und Raumfahrtmedizin und wie sind sie derzeit strukturiert?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Lassen Sie mich diese Frage im Rückgriff auf unsere Leistungsschwerpunkte in unserem Zentrum beantworten. Durch das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe sind zu erbringen: Eignungsfeststellung des Fliegenden Personals, Begutachtung des Fliegenden Personals, Fliegerärztliche Versorgung, Aeromedical Evacuation, Flugpsychologie, Ausbildung und Training, Wissenschaft, Forschung und Erprobung, Flugunfalluntersuchung sowie Kooperationen. Das Zentrum für Luft und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe ist seit Jahrzehnten eine Ressortforschungseinrichtung mit dem Auftrag zum Betreiben einer formalen, wissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Vorgaben Rechnung tragenden Forschung. Sie dient der Beantwortung von Fragen militärischer und politischer Entscheidungsträger sowie aus Wirtschaft und Gesellschaft. Sie hat problemorientiert und praxisnah zu sein und ist alleine schon durch diesen Praxisbezug grundsätzlich transdisziplinär durchzuführen. Dabei ist die Wirkungskette im Blick zu halten, dass die Frage aus der Praxis die wissenschaftsbasierte Beforschung und Beantwortung motivieren und am Ende konkrete Wirkungen im Fliegerischen Dienst greifen. Es ist evident, dass derart breitgefächerte Leistungen im Bereich der Sicherheit nicht alleine erbracht werden können, weder innerhalb des Sanitätsdienstes, noch der Luftwaffe oder der Bundeswehr oder der Bundesrepublik Deutschland. Daher sind wir in unserer Arbeit am Zentrum grundsätzlich international zivil-militärisch aufgestellt.

WM: Eine abschließende Frage: Wie sehen Sie die Flugmedizin der Bundeswehr auch in Anbetracht der Entwicklung autonomer, semi-autonomer oder ferngelenkter Flugsysteme an ihrem 75. Jahrestag aufgestellt?

Generalarzt Prof. Dr. Schick: Für den Bereich der unbemannten Systeme ist die Flugmedizin in seinen verschiedenen Tätigkeitsfeldern sehr gut aufgestellt. Dies betrifft vor allem auch die interdisziplinäre Verknüpfung mit den Fachrichtungen der Ingenieurs- und Naturwissenschaften als auch der Psychologie, um das komplexe Thema der Steuerung einer fliegenden Plattform ohne eigene, an Bord befindliche Besatzung, aus allen Blickrichtungen anzugehen. Zunächst haben wir Systeme, die von einem Bediener am Boden gesteuert werden und verschiedene Größe und Reichweite aufweisen. So wurde im Bereich der kleineren, transportablen Systeme im Mai dieses Jahres eine Erprobung in Manching durchgeführt, die auf die Erfassung und Optimierung ergonomischer Parameter der Mensch-Maschine-­Schnittstelle von Mikro-­Aufklärungsdrohnen für den Ortsbereich abzielt. Für die ­größeren, zukünftigen Systeme ist das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe an der Entwicklung der Eurodrohne EU MALE RPAS durch einen Vertreter in der Expert Working Group 7 Human Factors vertreten. In dieser Gruppe werden psychologische Aspekte der Gestaltung der Bodenkontrollstation mit denen der Technik und den Anforderungen der Operateure in einem ergonomischen Lagebild zusammengebracht und direkt mit ­Vertretern der Industrie verhandelt, um für unsere Soldaten ein bestmögliches, medizinisch, technisch und psychologisch abgestimmtes Gesamtkonzept einzubringen. Eine laufende Arbeits­platzanalyse in den Einsatzgebieten Mali und Afghanistan soll aus den Erkenntnissen mit dem bisherigen System HERON 1 Schlussfolgerungen für die Gestaltung des Nachfolgesystems Eurodrohne bringen, das den Anforderungen der Operateure in den Einsätzen gerecht wird. Um geeignetes Personal für die Bedienung dieser unbemannten Systeme auswählen zu können, entwickelt die flugpsychologische Begutachtung ihre simulationsgestützte ­Eignungsfeststellung weiter, um die von den Operateuren verlangten Fähigkeiten im Auswahlprozess diagnostizieren und der Luftwaffe die geeignetsten Bewerber für die Ausbildung zur Verfügung stellen zu können. Ebenso unterstützt die Flugpsychologie eine Studie des DLR, Abteilung Luft- und Raumfahrtpsychologie, bei der Anforderungsprofile für die Operateure aller, in Nutzung befindlicher, bemannten und unbemannten fliegenden Systeme erhoben werden. Hieraus lassen sich nicht nur Implikationen für die Auswahl und das Training von Operateuren ableiten, es werden auch empirisch fundierte Aussagen über den Zusammenhang zwischen zunehmender Automatisierung im Cockpit und den resultierenden Anforderungen an Operateure getroffen werden können. Im Bereich der unbemannten Systeme wird ein Wirkverbund von durch eine menschliche Besatzung geflogenen Waffenplattform und eines unbemannten Systems zum Einsatz kommen. Dieses Future Combat Air System (FCAS) wird taktische Kampfflugzeuge und unbemannte Flugsysteme zusammenfassen und im gesamten Fähigkeits- und Intensitätsspektrum der Dimension Luft als Wirkverbund zum Einsatz bringen und von einem noch zu entwickelnden System in der Funktion als Command Fighter Advanced (CFX) koordiniert und gesteuert werden. Diesen Herausforderungen begegnet das Zentrum für Luft- und Raumfahrtmedizin der Luftwaffe mit seiner interdisziplinär aufgestellten ergonomischen Expertise am Standort Manching, in räumlicher Nähe zur Wehrtechnischen Dienststelle für Luftfahrzeuge und Luftfahrtgerät der Bundeswehr, wo die fliegerischen Erprobungen für alle Luftfahrzeuge der Bundeswehr stattfinden. Sie sehen also, dass sich die Flugmedizin in allen Bereichen der unbemannten Systeme einbringt und aufgrund der langjährigen praktischen Erfahrung und eines interdisziplinären Ansatzes auch für die Herausforderungen der Zukunft gut aufgestellt ist.

WM: Herr Generalarzt, wir bedanken uns für das inhalts- und aufschlussreiche Gespräch. 

Flottenarzt Dr. Hartmann
Chefredakteur WM

Datum: 02.07.2019

Quelle:

Wehrmedizin und Wehrpharmazie 2/2019

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