Forschung und Fähigkeitsentwicklung im ­Sanitätsdienst der Bundeswehr

D. Mayer, B. Mattiesen

Wehrmedizinische Forschung und Fähigkeitsentwicklung im Sanitätsdienst der Bundeswehr sind ein nicht zu trennendes Paar: Zunächst soll im Allgemeinen eine Grundtatsache erforscht werden, dann ist der Weg frei, daraus eine erste Anwendung zu kreieren. Wenn es soweit ist, dass damit ein Prozessablauf gestaltet werden kann, setzt die Fähigkeitsentwicklung ein, die sich dann auf die Integration in sanitätsdienstliche und militärische Bedürfnisse stützt.

Fähigkeitsentwicklung findet im Gegensatz zu Forschung weniger im Labor statt, sondern stützt sich auf Planungen im größeren Stil und letztendlich die Zusammenführung von Einzelfähigkeiten. Produkte sind Handbücher oder Vorschriften und selbstverständlich auch die praktische Anwendung im Rahmen von – idealerweise – internationalen Übungen.

Als Beispiel und Ausgangspunkt der Überlegungen wird, nicht zuletzt aufgrund der aktuellen Ereignisse, auf das „Thesenpapier I: Wie kämpfen Landstreitkräfte (LaSK) künftig?“ zurückgegriffen.

Eine besondere Herausforderung für LaSK stellt der künftig immer häufiger werdende Einsatz in ausgedehnten und zunehmend urbanen Räumen bei gleichzeitig geringer werdendem Kräfteansatz („isolierte Lagen“) dar. Eine sehr hohe taktische, aber auch operative Mobilität ist daher Voraussetzung, um Wirkung erzeugen zu können. Es ist bereits jetzt absehbar, dass es zukünftigen LaSK an „Masse“ mangeln wird („lack of mass“). Luftstreitkräfte können die permanente Operationsfreiheit für LaSK nicht immer durch Herstellen der Luftüberlegenheit in allen Konfliktphasen garantieren bzw. können diese gar nicht erringen. Ein besonderer Fokus muss bei einer Bedrohungsanalyse auf indirektem Feuer liegen, da hier die massivste Bedrohung für LaSK liegen wird. Während westlich geprägte Streitkräfte sich bei indirektem Feuer immer mehr hin zu einer punktgenauen Bekämpfung von Einzelzielen entwickelt haben, sind anders geprägte Streitkräfte einen entgegengesetzten Weg gegangen. Dieser Trend hat sich aktuell im Krieg in der Ukraine und während anderer Konflikte bestätigt.

Aus den dargestellten Aspekten und der Bedrohungsanalyse folgern die Autoren des Thesenpapiers u. a., dass das Gefechtsfeld durch das Zusammentreffen von verbesserter Aufklärung, schnelleren Entscheidungs- und Bekämpfungszyklen sowie verbesserter Wirkmittel letaler wird, selbst für gut geschützte Kräfte. Dies muss auch bei der Rettung und Bergung Verwundeter berücksichtigt werden.

Schematische Darstellung der Rettungskette im Einsatz (neu – „weiter...
Schematische Darstellung der Rettungskette im Einsatz (neu – „weiter hinten“)
Quelle: Bundeswehr/Dominique Mayer

Verwundetenversorgung

Durch Fortschritte bei der sanitätsdienstlichen Versorgung ist es in der Vergangenheit gelungen, die höchste Überlebensrate bei einsatzbedingten Verwundungen und Verletzungen (Vwu) zu erreichen. Ein wesentlicher Faktor für diesen Erfolg war die Fähigkeit, lebensrettende Maßnahmen innerhalb eines kurzen Zeitraums nach Vwu, der sogenannten „Platinum Ten Minutes“ und auch der „Golden Hour“, in geeigneten Sanitätseinrichtungen durchzuführen. Bei militärischen Operationen gegen gleichwertige oder nahezu gleichwertige Streitkräfte wird der Zugang zu Verwundeten und Verletzen sowie die Nachhaltigkeit medizinischer Fähigkeiten voraussichtlich stark einschränkt sein. Diese Komplexität des künftigen Gefechtsfeldes wird die beiden genannten Paradigmen erheblich in Frage stellen. Als Reaktion hierauf sind innovative und langfristig angelegte konzeptionelle, materielle, personelle und prozedurale Weiterentwicklungen entlang der gesamten Rettungskette von Nöten.

Als eine der grundlegen Fragen in der Verwundetenversorgung soll hier die Positionierung von Sanitätseinrichtungen im Einsatz (SanEinr i. E.) möglichst nah beim Ereignis und möglichst fern von der Bedrohung angesprochen werden. Die Entwicklung von unbegleiteten Lufttransportplattformen mit Bereitstellung von notfall- bzw. intensivmedizinischer Versorgung während des Transports wird als ein Lösungsansatz verfolgt.

Bislang bewährt hat sich ein enges Netz aus SanEinr i.E., dass möglichst eng gestrickt und nah am Ort der Vwu die erste Behandlungseinrichtung vorsieht. Die SanEinr i.E. werden durch den qualifizierten Verwundetentransport verbunden.

In einem modernen Szenar erscheint diese bewährte Dislozierung absehbar nicht mehr möglich. Aufklärung sowie Reichweite und Wirkung von indirektem Feuer erzwingen permanente Auflockerung und Bewegung. Damit wird letztendlich die Zeit fehlen, SanEinr i.E. aufzubauen, einzurichten und zu betreiben. Rasche Verlegung der LaSK entfernen die Anbindung an eine logistische Kette und den Schutz durch die Truppe. Die Nähe zur den LaSK birgt aber auch die Gefahr, im Rahmen der Gefechte, wenngleich völkerrechtswidrig, zum Angriffsziel zu werden.

Als ein Beitrag ist jetzt zu untersuchen, inwiefern die Dislozierung der SanEinr i.E. abseits des Geschehens („weiter hinten“) dem medizinischen Fachpersonal die notwendige Zeit für die Patientenversorgung einräumt und gleichzeitig noch die Zeit­linien zur Erstbehandlung gewahrt bleiben.

Die Positionierung weiter hinten im Raum verlängert allerdings die Transportwege und -zeiten. Da Zeit ein kritischer Faktor ist, müssen neue Möglichkeiten des Vwu-Transports entwickelt werden, wenn Hubschrauber für den Patiententransport nicht in ­ausreichendem Umfang zur Verfügung stehen. Als eine Lösung bietet es sich an, eine „unbegleitete (uncrewed) Lufttransportplattform“ mit Bereitstellung von notfall- bzw. intensivmedizinischer Versorgung während des Transports („En-Route-Care“) einzurichten. Diese Idee besteht bereits seit längerer Zeit, konnte aber in noch keinem Fall konkret realisiert werden. Durch heutige Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz und weitergehender Automatisierung könnte hier ein Prototyp zur Anwendung gebracht werden. Gleichwohl ist noch eine Vielzahl von Tests, Prüfungen und Planungen, wie auch Abstimmungen im nationalen und internationalen Rahmen notwendig.

Die Abteilung G

Das Personal der SanAkBw, insbesondere der Abteilung G, ist deshalb eng mit nationalen und internationalen Bedarfsträgern, „Think-Tanks“ sowie verschiedenen Anbietern vernetzt, um Einsatzmöglichkeiten zu eruieren und zur Weiterentwicklung der Systeme beizutragen. Dies schließt insbesondere die Teilnahme an Besprechungen, Tagungen und Übungen mit ein. Ganz besondere Herausforderungen aber auch erheblichen Erkenntnisgewinn bringen internationale Übungen, beispielsweise in Norwegen oder Ungarn. Den Rahmen stellen dann dabei die NATO oder Elemente der Europäischen Union. Gerade die Europäische Kommission bietet mit dem Europäischen Verteidigungsfond eine finanziell hervorragend ausgestattete Möglichkeit an, wehrmedizinische Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten im Zusammenwirken mit Partnernationen und der Industrie zu realisieren. Dies eröffnet, richtig angewandt, als Ergänzung zu den sehr begrenzten nationalen Haushaltsmitteln für die wehrmedizinische Forschung erhebliche zukünftige Möglichkeiten. Die besondere Herausforderung dabei ist aber, sich einerseits in die multinationalen Netzwerke einzuklinken, die in aller Regel sehr (!) kurzen Fristen zur Antragstellung zu nutzen sowie andererseits die besonderen Anforderungen der Europäischen Kommission nach internationaler Einbettung darzustellen und zu erfüllen. Gerade Letzteres ist aktuell Bestandteil von zwei – vermutlich für uns günstig verlaufenden – Ausschreibungen. Der Sanitätsdienst der Bundeswehr wechselt dabei von der Rolle des Anbieters in die Rolle des Nachfragers im europäischen Rahmen. Flexibilität und profunde Sachkenntnis sind unverzichtbar. Mit der Abteilung G der SanAkBw konnte bereits ein erster, möglichweise bahnbrechender Schritt gestaltet werden. 


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