ENTWICKLUNG EINER MULTINATIONALEN „DEPLOYMENT HEALTH SURVEILLANCE CAPABILITY (DHSC)” FÜR DIE NATO*

Development of a multinational Deployment Health Surveillance Capability (DHSC) for NATO*



Aus der Abteilung A (Leiter: Flottenarzt Dr. S. Apel) des Kdo SanDstBw (Befehlshaber/Inspekteur des Sanitätsdienstes der Bundeswehr: Generaloberstabsarzt Dr. I. Patschke)



Hans-Ulrich Holtherm



*Dieser Artikel ist eine aktualisierte Version der bereits im „International Review of the Armed Forces Medical Services“ 3/2011 und im „Medical Corps International Forum“ 4/4-2011 veröffentlichten Beiträge.

Der NATO-Gipfel der Staats- und Regierungschefs in Prag 2002 konstatierte maßgebliche Defizite der NATO bei der Reaktion auf asymmetrische Bedrohungen.

Zu diesen Defiziten zählte auch das Fehlen eines Frühwarnsystems zum Überwachen natürlich auftretender und absichtlich herbeigeführter Ausbrüche von Infektionskrankheiten.

Diese Fähigkeitslücke wurde von höchster operationaler Bedeutung für die NATO betrachtet. Dies resultiert daraus, dass stets ABC-Bedrohungen in asymmetrischen Kriegen zu erwarten sind und in laufenden NATO-Operationen Krankheiten und sogenannte non-battle injuries (DNBI) häufigste Ursachen für die Hospitalisierung von Soldaten bilden.

Daher sind seit 2003 unter der Führung des NATO Allied Command Transformation (ACT) die existierenden Fähigkeiten und Systeme der NATO-Partner identifiziert und auf ihre Eignung für die operationale Anwendung in NATO-Einsätzen geprüft worden. Das französische Near Real Time (NRT) Surveillancesystem “Alert et Surveillance en Temps Reel” (ASTER) wurde ausgewählt, da es schon erfolgreich getestet and einige Jahre in Französisch Guaiana genutzt worden war. NATO ACT wählte das Sanitätsamt der Bundeswehr (SanABw) in München als “Central Analysis Center“ für einen Testlauf der multinationalen NRT-Krankheitssurveillance im Frühjahr 2006 aufgrund seiner international anerkannten Leistungsfähigkeit in der Präventivmedizin und der interdisziplinären technischen und analytischen Kapazitäten (Public Health, Tropenmedizin, Veterinärmedizin, Medizinischer ABC-Schutz etc.).

Nach erfolgreichem Abschluss dieses multinationalen Testlaufs der NRT in 2006, hat die Force Health Protection Working Group (FHP WG) der NATO multinationale Surveillancesystem-Übungsserien in einem realen NATO-Einsatz (Kosovo/KFOR) als zweiten Entwicklungsschritt geplant und durchgeführt. Diese Übungsserien im Kosovo wurden unter Deutsch-Französischer Führung 2008 bis 2010 geplant, vorbereitet und durchgeführt und durch die NATO C3 Agentur unterstützt. Weitere Teilnehmer im Kosovo und im „Central Analysis Center“ am SanABw waren die USA, POL, CZE and AUT. Als Beobachter-Nationen waren GBR, SWE, NLD, ITA und CAN vertreten. Diese multinationale Übungsserie wurde durch alle Teilnehmer und Beoabachter ebenfalls als Erfolg bewertet.

Daher empfahlen NATO ACT und die Übungspartner, eine ständige multinational besetzte Deployment Health Surveillance Capability (DHSC)-Struktur am SanABw zu schaffen.

Im Januar 2010 implementierte Deutschland am SanABw ein multinationales DHSC-Dezernat. 2011 wurde diese Abteilung als Satellitendezernat in das Center of Excellence for Military Medicine (MilMed COE) in Budapest (Ungarn) integriert und begann, für NATO-Einsatzgebiete epidemiologische State-of-the-Art-Surveillance bereitzustellen.

Summary
At the 2002 NATO Summit of the Heads of State and Government held in Prague decisive capability gaps were shown to exist within NATO.
Among other issues, warnings were raised about the lack in capability for the near-real-time (NRT) detection of disease outbreaks and the determination of whether these outbreaks are to be attributed to the use of biological weaponry or to natural causes.

This capability gap was considered to be of highest operational importance for NATO due to the fact, that CBRN threats have always to be expected in asymmetric warfare and that in the current NATO operations ­di­seases and non-battle injuries (DNBI) still represent the highest cause for the hospitalization of soldiers.

Since 2003, under the lead of NATO Allied Command Transformation (ACT), existing capabilities and systems of NATO partners have therefore been identified and examined as to their suitability for operational use in NATO deployments. The French NRT-surveillance system “Alert et Surveillance en Temps Reel” (ASTER) was chosen because it had already been successfully tested and used for several years in French Guiana.

NATO ACT designated the Bundeswehr Medical Office in Munich (SanABw), Germany as a “Central Analysis Center“ for a test-run of multinational NRT-disease surveillance in the spring of 2006 because of the Office’s internationally recognized performance abilities in the Preventive Medicine sector and its organic interdisciplinary technical and analytical capabilities (Public Health, Tropical Medicine, Veterinary Medicine, CBRN medical defense, etc).

Following the successful completion of this multinational test-run for multinational Near-Real-Time Surveillance in 2006, NATO’s Force Health Protection Working Group (FHP WG) planned to conduct a multinational surveillance system exercise series in real NATO mission (Kosovo/KFOR) as a second development step.

This exercise series in Kosovo was planned, prepared and conducted under German/ French lead during 2008 - 2010. Other participating nations in Kosovo and at the ­SanABw in Munich included: USA, POL, CZE and AUT. Support was provided by NATO’s C3 Agency. Observer nations present in the Central Analysis Center in Munich included GBR, SWE, NLD, ITA and CAN. This multinational exercise series, too, was rated as a success by all participants and observers.

Therefore, NATO ACT and the exercise participants recommended implementing a multinationally staffed Deployment Health Surveillance Capability structure on a continuing basis at the SanABw in Munich.

In January 2010 Germany implemented a multinational DHSC branch within the ­SanABw. In 2011 this branch has been integrated as a satellite branch into the Center of Excellence for Military Medicine (MilMed COE) and has started to provide state of the art epidemiological surveillance for NATO deployment areas.

1. Einleitung

Sogar während militärischer Konflikte mit hoher Intensität wie in Afghanistan oder im Irak stellen Infektionskrankheiten eine der Hauptursachen für Lazarettaufenthalte und die Einschränkung der Einsatzbereitschaft von Soldaten in den Einsatzgebieten dar (Kasten).

Kasten: Beeinträchtigung militärischer Einsätze durch Infektionskrankheiten (1).
Daher ist die Kontrolle und Eindämmung von Infektionskrankheiten bei Einsatzsoldaten für die militärischen Sanitätsdienste der beteiligten Nationen von größter Bedeutung.

Besonders in Einsatzgebieten mit niedrigen hygienischen Standards wie in bestimmten Regionen Afrikas und Süd- und Zentralasiens kann die Kontrolle von Infektionskrankheiten zu einem wesentlichen Faktor bei der Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Soldaten und damit zu einem wesentlichen gesamteinsatzrelevanten Merkmal werden.

Ein zweiter Faktor – speziell im Falle einer asymmetrischen Kriegsführung und Aufstandsbekämpfung – ist, dass bei bioterroristischen Bedrohungsszenarien immer damit gerechnet werden muss, dass diese unter Umständen massive Auswirkungen auf die Einsatzbereitschaft der eingesetzten Truppen haben können.

Wegen dieser beiden wichtigen operativen Tatsachen müssen die Sanitätskräfte der NATO nicht nur eine notfall- und kurativmedizinische Versorgung auf höchstem Niveau bieten, sondern in gleichwertiger Weise maßgeschneiderte Lösungen für die Bereiche der Präventivmedizin und Public Health sicherstellen, um einen hohen Standard für den Gesundheitsschutz der Einsatzkräfte, das heißt Force Health Protection (FHP), bei den stationierten Soldaten zu gewährleisten.

Einen wichtigen Bereich der Force Health Protection, besonders bei der Kontrolle von Infektionskrankheiten, stellt hierbei der Einsatz von effizienten Krankheitsüberwachungssystemen (Disease Surveillance Systems) zur rechtzeitigen und standardisierten Erkennung und Kontrolle von Ausbrüchen von Infektionskrankheiten und Seuchen dar.

Dazu ist eine sogenannte Deployment Health Surveillance Capability (DHSC) erforderlich. Die DHSC verwendet folgende Definitionen:

Krankheitsüberwachung (Disease Sur­veillance):
Fortlaufendes und systematisches Erheben und Auswerten von Daten und die Bereitstellung von Informationen, aufgrund derer Maßnahmen zur Prävention und Kontrolle von (natürlich auftretenden oder absichtlich herbeigeführten) Krankheiten entwickelt werden (8).

Syndromüberwachung in nahezu Echtzeit (NRT Syndromic Surveillance):
Früherkennen und Ergreifen von Maßnahmen gegen absichtlich herbeigeführte oder natürlich auftretende Krankheitsausbrüche durch statistische Auswertung der festgelegten Krankheitsanzeichen und -symptome (9).

Um eine Fähigkeit zur effizienten Krankheitsüberwachung auszubilden, ist nicht nur epidemiologische Fach­kompetenz, sondern auch technisches sowie operatives Know-how not­wendig. Primär ist natürlich ein profundes epidemiologisches Fachwissen unerlässlich, um aussagekräftige gesundheitsbezogene Daten zu erheben und auszuwerten und daraus Empfehlungen abzuleiten.

Zweitens braucht man umfangreiches Know-how im Bereich der Informationstechnologie (IT) für die Entwicklung und Programmierung brauchbarer, effizienter und einsatzfähiger Software zur Krankheitsüberwachung und Auswahl der geeigneten IT-Hardware.

Drittens müssen die besonderen Erfordernisse in Militäreinsätzen wie unter anderem Einstufungsfragen, Geheimhaltung und – wenn es um NATO-Einsätze geht – Multinationalität berücksichtigt werden. Daher sind operatives und militärisches Fachwissen eine „conditio sine qua non“ im Bereich der militärischen Gesundheitsüberwachung.

Letztlich werden für eine gleich bleibende Erhebung, Speicherung, Übermittlung und automatisierte Auswertung von Daten Ressourcen für hochmoderne IT-Hardwaresysteme und maßgeschneiderte Softwarelösungen benötigt.

Zudem ist zu beachten, dass eine umfassende und integrierte Fähigkeit zur militärischen Gesundheitsüberwachung verschiedene und interdisziplinäre Überwachungsaspekte wie Labor-, veterinärmedizinische, entomologische  und standardisierte codierte Überwachung wie zum Beispiel die Internationale Klassifikation von Krankheiten („International Classification of Diseases“ - ICD 10) umfassen muss.

Die Berichtintervalle bei der Gesundheitsüberwachung im Einsatz können von einer Syndromüberwachung in nahezu Echtzeit im Sinne eines Frühwarnsystems bis hin zu wöchentlichen oder monatlichen Berichtintervallen, zum Beispiel bei ICD 10 codierter Surveillance, reichen.
Interoperabilität, Multinationalität und Zugänglichkeit stellen ein absolutes Muss für das NATO-DHSC dar. Dies ist der Tatsache geschuldet, dass die NATO aus 28 Mitgliedstaaten besteht und nahezu alle NATO-Einsätze multinational geführt werden. Am Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe (ISAF) in Afghanistan beteiligen sich aber zusätzlich auch viele Nicht-NATO-Mitgliedstaaten, was die Komplexität noch weiter erhöht, da diese bei den Maßnahmen zur Krankheitsüberwachung im Einsatz mit eingeschlossen werden sollten.

2. Entstehungsgeschichte der DHSC der NATO

2.1 Identifikation einer Fähigkeitslücke „Krankheitsüberwachung“ im Einsatz der NATO

Während des NATO-Gipfels der Staats- und Regierungschefs in Prag 2002 – immer noch unter dem Eindruck der Terroranschläge in den USA 2001 – wurde festgestellt, dass die NATO maßgebliche Defizite bei der Reaktion auf asymmetrische Bedrohungen hat. Zu diesen Defiziten zählte auch das Fehlen eines Frühwarnsystems zur Überwachung von natürlich auftretenden und absichtlich herbeigeführten Ausbrüchen von Infektionskrankheiten. Der NATO-Gipfel beauftragte daher eine Arbeitsgruppe für die Abwehr von chemischen, biologischen und atomaren Bedrohungen (ABC-Abwehr) mit der Identifikation bestehender Gesundheitssurveillance-Systeme innerhalb der Streitkräfte der Mitgliedstaaten. Das NATO Allied Command Transformation (NATO ACT) in Norfolk, USA, wurde mit der Leitung dieser Aufgabe betraut.

Bis 2005 wurden mehrere nationale NRT-Überwachungssysteme identifiziert und auf ihre Eignung im Hinblick auf die Bedürfnisse der NATO getestet. Es wurden schließlich zwei Syndromüberwachungssysteme gefunden, die möglicherweise geeignet wären, die Lücke im Frühwarnsystem zu schließen: Das britische (GBR) Portable Remote Illness and Symptoms Monitor (PRISM) System und das französische (FRA) System Alert et Surveillance en Temps Réel (ASTER) (2).

2.2 Die multinationale „NRT Surveillance System“ (Nahe-Echtzeit-Überwachungs­system)-Versuchsreihe 2006–2010

In einem vom ACT geleiteten Table-Top-Experiment wurden 2006 die beiden Systeme und Konzepte der Syndromüberwachung von FRA und GBR mit dem Konzept einer integrierten und multinationalen NRT-Überwachung verglichen. Für dieses Table-Top-Experiment wurden von Epidemiologen zwei Szenarien eines Krankheitsausbruchs (1. absichtlich herbeigeführter Ausbruch von Lungenmilzbrand; 2. natürlich auftretender Ausbruch von Shigellose) in einer multinationalen NATO-Koalitionsstreitkraft, die in Afghanistan stationiert war, entwickelt. Die Datensätze dieses Krankheitsausbruchs wurden in die jeweiligen NRT-Überwachungssysteme eingegeben. Die NATO Consultation, Command and Control Agency (NC3A) stellte den notwendigen IT-Support für die IT-Infrastruktur des Projektes und das Netzwerk zur Verfügung (Abb 2).
Die Ergebnisse dieses Experiments sollten zur Entscheidungsfindung darüber beitragen, welches das geeignetste Frühwarnsystem und -konzept für die NATO ist (3). Die Abteilung V des Sanitätsamtes der Bundeswehr (SanABw) in München wurde wegen ihrer nachgewiesenen Kompetenz im Bereich ­Pub­lic Health und Medical Intelligence und wegen der zugeordneten ABC-Abwehr- und veterinär-medizinischen Einrichtungen als zentrales Analyse- und Auswertungszentrum für dieses Experiment bestimmt.
Die Ergebnisse des Table-Top-Experiments 2006 zeigten klar:

  • Das integrierte und multinationale NRT-Konzept zur Krankheitsüberwachung sprach besser an (Sensitivität = frühere Entdeckung) als die jeweiligen nationalen (FRA/GBR) Konzepte.
  • Das integrierte und multinationale NRT-Konzept zur Krankheitsüberwachung arbeitete exakter (Spezifität = bessere Fähigkeit, die wahre Krankheitsursache zu erkennen) als die jeweiligen nationalen (FRA/GBR) Konzepte.
  • Es wird ein Kernteam von Experten (Epidemiologen, IT-Spezialisten und erfahrenes Militärpersonal) für den Betrieb des Analysezentrums benötigt.
  • Das SanABw in München ist als Einbettungsrahmen für das NATO DHSC geeignet.

Nach den positiven Ergebnissen des Table-Top-Experiments 2006 entschied das NATO ACT, die DHSC-Testreihen in einem echten NATO-Einsatzgebiet als Life-Experiment fortzusetzen. Es wurde entschieden, dass der KFOR-Einsatz der geeignetste NATO-Einsatz für die Durchführung dieses Experiments wäre. Nach intensiver Vorbereitung wurde dieses zweite Experiment 2008 im Einsatzgebiet der KFOR durchgeführt. Deutschland, Frankreich, USA und Polen waren die Nationen, die mit ihren Kontingenten im Kosovo (Abb 3) aktiv beteiligt waren.
Die NC3A koordinierte und betreute alle IT-Aspekte des Experiments. Seit diesem Experiment wurde das französische NRT-Überwachungssystem ASTER als IT-Plattform eingesetzt, da es sich als geeignet für den Einsatz erwiesen hatte und kostenfrei für NATO-Experimente verfügbar war. Das britische PRISM-System war kommerzialisiert worden und daher nicht mehr für die Experimente erhältlich.
Der Schwerpunkt des Experiments lag in der Untersuchung der technischen Eignung von multinationalen NRT-Überwachungssystemen für die Nutzung in echten NATO-Einsätzen. Die Datenerhebung wurde durch Ärzte auf der Ebene der Krankheitssymptome in den Einheiten der „Role-1“-Sanitätseinrichtungen der teilnehmenden Nationen überwacht. Die erhobenen Daten wurden von den Einheiten der „Role-1“ an einen Server im KFOR-Hauptquartier in Priština übermittelt. Nach ihrer Anonymisierung wurden diese Daten über Satellit an den Analyse-Server im zentralen Analysezentrum in München übermittelt. Ein multinationales Team wertete diese Daten aus. Danach wurden die entsprechenden Rückschlüsse und Empfehlungen an das KFOR-Hauptquartier weitergeleitet.

In einem dritten DHSC-Experiment, wieder bei der KFOR, wurden 2010 verschiedene Softwareanwendungen und Datenübermittlungsarten getestet, zum Beispiel Internet vs. Satellit. Dabei stieg die Zahl der teilnehmenden Nationen, sodass sich neben Deutschland, Frankreich, den USA und Polen nun auch Österreich und die Tschechische Republik aktiv beteiligten (Abb 4–6). Im zentralen Analysezentrum in München führten französische Sozialwissenschaftler zusätzlich eine sozialwissenschaftliche Auswertung durch und untersuchten den Einfluss des menschlichen Faktors (4).

Die KFOR-Experimente 2008 und 2010 brachten folgende Ergebnisse:

  • Eine multinationale NRT-Syndromüberwachung militärischer Einsätze im Ausland ist technisch machbar.
  • Das NRT-Überwachungstraining für das Daten eingebende Personal (Truppenärzte), das mit dem ASTER-System arbeitet, kann in Kurzkursen (1/2 Tag) erfolgen.
  • Die Compliance bei den Truppenärzten war sehr gut (5).
  • Weitere Tests und Experimente sind für die Stabilisierung und Professionalisierung des NRT-Überwachungssystems für den multinationalen Einsatz notwendig.
  • Das bisherige EpiNATO-Reporting- und -Überwachungssystem der NATO ist nicht an die modernen Einsatznotwendigkeiten angepasst und muss verbessert werden.

NATO ACT, die NATO Allied Command Operations (ACO) und die teilnehmenden Nationen würdigten die Ergebnisse des NRT-Überwachungsexperiments als eine erfolgreiche Etappe auf dem Weg zum Schließen der vorhandenen Lücke in der Gesundheitsüberwachung im NATO Einsatz.
Nach dem erfolgreichen Abschluss der NRT-Überwachungs-Versuchsreihen 2006 – 2010, befürwortete das „Committee of the Chiefs of Military Medical Services in NATO“ (COMEDS Plenary), das die Chefs/Inspekteure der Sanitätsdienste aller NATO-Staaten repräsentiert, die Einrichtung einer Deployment Health Surveillance Capability (DHSC) für die NATO in München.

2.3 Einrichtung der DHSC in München

Der Sanitätsdienst der Bundeswehr schuf 2010 die Infrastruktur und die Rahmenbedingungen für eine Aufstellung des multinationalen DHSC in München, indem er ein DHSC-Dezernat in der Abteilung V/Präventivmedizin im Sanitätsamt der Bundeswehr einrichtete. Die Struktur dieses DHSC-Dezernats umfasste eine Sektion für Epidemiologie und Analyse, eine IT-Sektion sowie eine Sektion für operative Berichterstattung (Abb 7).
Deutschland stellte Mitte 2010 den Dezernatsleiter und zwei Unteroffiziere (Non Commissioned Officers – NCO) für die IT- und Einsatzabteilung. Frankreich stellte im Oktober 2010 den stellvertretenden Dezernatsleiter, einen promovierten Mediziner mit einer Spezialisierung in Epidemiologie und Public Health, und überlässt das ASTER NRT-Überwachssystem kostenlos der DHSC.
Weitere Staaten wie Großbritannien (GBR) und Belgien (BEL) haben Interesse an einer aktiven Teilnahme an der DHSC bekundet und auch schon dementsprechende Maßnahmen initiiert. Die Unterstützung und Beteiligung noch weiterer NATO-Mitgliedstaaten und die zeitnahe Besetzung der noch vakanten Positionen in der IT- und Einsatzsektion sind wesentliche Voraussetzung dafür, dass die DHSC zukünftig eine kontinuierliche Gesundheitsüberwachung auf höchstem Niveau für die NATO-Einsätze gewährleisten kann.

3. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte der DHSC

Die kontinuierliche Weiterentwicklung und Professionalisierung des NRT-Über-wachungssystems ASTER für den multinationalen und NATO-Einsatz hat bei der DHSC oberste Priorität. Zu diesem Zweck hat die DHSC im Februar 2011 ein NRT-Überwachungsprojekt in Dschibuti (DJI), Ostafrika gestartet. DJI wurde ausgewählt, weil dort französische, deutsche und US-Truppen stationiert sind und die NATO-Marinemission Operation OCEAN SHIELD durchgeführt wird. Frankreich setzt ASTER schon seit mehreren Jahren in DJI ein.

In einem zweiwöchigen DHSC-Einsatz in DJI hat ein internationales Expertenteam (Franzosen, Deutsche, US-Amerikaner) eine ASTER-Verbindung zwischen der DHSC in München mit der deutschen und französischen „Role-1“-Einrichtung in DJI hergestellt.

Außerdem gelang es dem Expertenteam gemeinsam mit den US-Kollegen, Vorbedingungen für eine mögliche künftige ASTER-Verbindung der medizinischen Einrichtung des US-Militärlagers Lemonnier in DJI mit der DHSC in München zu klären (Abb 8).

Eine weitere Maßnahme des DHSC-Teams war es, den Kontakt zum Verbindungsoffizier der NATO-Operation OCEAN SHIELD in DJI herzustellen, um die Möglichkeiten einer zukünftigen Unterstützung dieses NATO-Marineeinsatzes durch die DHSC auszuloten.
Seit März 2011 erhält die DHSC laufend NRT-Überwachungsdaten zur Auswertung von den deutschen und französischen „Role-1“-Einrichtungen in DJI. Dadurch kann die DHSC laufend die Kommunikationsverbindungen, Feedback-Mechanismen und Akzeptanz der ASTER-User überwachen und testen.
Den zweiten Arbeitsschwerpunkt von DHSC bildet die Verbesserung von EpiNATO, des wöchentlichen Reportsystems der NATO für die nicht kriegsbedingten Unfälle und Krankheiten (Diseases and Non Battle Realted Injuries (DNBI)), der Einsatzsoldaten. Das EpiNATO-Berichtssystem wurde in der NATO beim Einsatz der Implementation Force (IFOR) in Bosnien-Herzegowina 1996 auf britische Anregung hin eingeführt (6). Seither wurde sein Nutzen für den Einsatz wiederholt in Frage gestellt. Die Akzeptanz bei den Anwendern ist gering. Hauptgrund dafür scheint das Fehlen von Feedback-Mechanismen zu sein (7).

Nach einer Entscheidung der NATO COMEDS Force Health Protection Working Group (FHP WG) wurde die DHSC vom NATO ACO damit beauftragt, eine Initiative zur Verbesserung von EpiNATO zu starten. Die DHSC hat einen EpiNATO-Stakeholder-Workshop ins Leben gerufen, um konsolidierte Vorschläge für eine grundlegende Verbesserung des EpiNATO auszuarbeiten, wobei dieses von Grund auf verbesserte System einfach, effizient, sachdienlich und vor allem einsatzorientiert sein soll. Zu diesem Zweck wurde die DHSC von der NATO Standardisation Agency (NSA) als Custodian damit beauftragt, den konzeptionellen Hintergrund von ­Epi­NATO zu überarbeiten (siehe auch Allied Medical Publication-21, AMed P-21).

4. Die Zukunft der DHSC

Zur besseren Einbettung in die Struktur der NATO wurde eine enge Anbindung des Münchener DHSC-Dezernats

  • das initial ja integrativer Bestandteil des Sanitätsamtes der Bundeswehr war
  • an das Center of Excellence for Military Medicine (MilMed COE) der NATO in Budapest geplant.

Dieses Vorhaben wurde 2011 umgesetzt, als die DHSC vollständig in das Budapester MilMed COE – als Münchener Satellitendezernat – integriert wurde. Durch diese Integration ist eine bessere Verbindung zur Führungsstruktur der NATO gewährleistet.

Nach erfolgreichem Abschluss der letzten Tests des NRT-Überwachungssystems ASTER in DJI, plant die DHSC dieses Frühwarnsystem so bald wie möglich in laufenden NATO-Einsätzen zu nutzen. Dieses Ziel kann jedoch nur erreicht werden, wenn die Besetzung der vakanten Positionen in der DHSC zeitnah erfolgt.

Auf lange Sicht werden eine schrittweise Integration der verschiedenen interdisziplinären Überwachungsaspekte wie labormäßige, veterinärmedizinische, entomologische und standardisierte, codierte Überwachung wie zum Beispiel ICD 10 angestrebt. Dadurch wird sich die DHSC zu einem umfassenden und integrativen Werkzeug zur Gesundheitsüberwachung in der NATO entwickeln.

Da der umfassende Ansatz dieser neuen Surveillance-Strategie der NATO viel stärker auf eine intensive Kooperation und Koordination zwischen dem militärischen und zivilen Bereich abzielt, wird die DHSC künftig eng mit zivilen medizinischen Verantwortungsträgern zusammenarbeiten. Aus diesem Grund plant die DHSC, sich einem nationalen und internationalen zivil-militärischen Netzwerk von epidemiologischen Kompetenzzentren anzuschließen. Auf nationaler Ebene wurde bereits der Grundstein für eine Kollaboration mit dem Robert Koch-Institut (RKI) in Berlin gelegt. Auf internationaler Ebene bestehen Kontakte der DHSC zur Weltgesundheitsorganisation (WHO), insbesondere deren „Global Alert and Response Network“ (GOARN), und der Abteilung für Seuchenüberwachung des Europäischen Zentrums für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) in Stockholm.

Im militärischen Bereich wird die intensive und erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem französischen Centre d‘ Epidémiologie et de Santé Publique des Armées (CESPA) fortgesetzt. Darüber hinaus möchte die DHSC die ohnehin bereits sehr enge und produktive Zusammenarbeit mit dem US Armed Forces Health Surveillance Centre (AFHSC) intensivieren.

Auf einer im Juni 2012 unter Federführung des MILMED COE/DHSC mit großem Erfolg durchgeführten und international besetzten 1. NATO Health Surveillance Conference an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München wurden vielversprechende Gespräche mit weiteren möglichen zivilen und militärischen Kooperationspartnern aus dem In- und Ausland geführt.

5. Schlussfolgerungen

Die Entwicklungsgeschichte der DHSC der NATO ist eine Erfolgsgeschichte. Sie hat gezeigt, dass das Konzept einer Multinational Deployment Health Surveillance Capability für die NATO funktioniert. Der Ansatz der DHSC hat bewiesen, dass durch die Integration verschiedener nationaler Überwachungssysteme eine schnellere (höhere Empfindlichkeit) und exaktere (höhere Genauigkeit) Erkennung von (natürlich vorkommenden oder absichtlich herbeigeführten) Krankheitsausbrüchen als mit der Verwendung von nationalen Systemen alleine möglich ist. Zudem verspricht das multinationale Konzept der Integration und Kostenteilung der DHSC einen Kostenvorteil im Sinne des Pooling and Sharing beziehungsweise der Smart Defense gegenüber dem parallelen Betrieb mehrerer nationaler Überwachungssysteme und -konzepte.
Die Mission der DHSC ist es, dazu beizutragen, dass die NATO-Truppen im Einsatz besser gegen eine Bedrohung durch Infektionskrankheiten und bioterroristische Anschläge vorbereitet sind. Daher fördert die DHSC die Einsatzbereitschaft unserer Soldaten in den NATO-Einsatzgebieten und sie unterstützt die Sanitätsdienste der NATO bei ihren koordinierten Maßnahmen zum Gesundheitsschutz.

Bildnachweis: H.-U. Holtherm, Medical Corps International Corps Forum, 4./4-2011, 32-36.

Literatur

  1. Smallman-Raynor AD, Cliff MR: War Epidemics - An Historical Geography of Infectious Diseases in Military Conflict and Civil Strife, 1850 – 2000; Oxford University Press 2004: 595-597.
  2. Chaudet H, Pellegrin L, Meynard J-B et al.: Web services based syndromic surveillance for early warning within French Forces. Stud Health Technol Inform 2006; 124: 666-671.
  3. Chaudet H, Meynard J-B, Texier G, et al.: Lessons from the Participation of the French Real-Time Surveillance System ASTER/ 2SEFAG in an International Disease Surveillance Exercice. Proceedings of the 5th European Congress on Tropical Medicine and International Health; Amsterdam, Niederlande; 24 - 28 Mai, 2007.
  4. Pellegrin L, Gaudin C, Bonnardel N, Chaudet H : Apports d’une représentation événementielle des activités médicales collaboratives: l’exemple de la surveillance épidémiologique pour l’alerte précoce. Le Travail Humain 2010: 73(4); 385-406.
  5. Meynard JB, Chaudet H, Varcol C, et al. :  Evaluation of the NATO Disease Surveillance System by its users in Kosovo in 2008. Military Medicine 2010: 175(7); 466-468.
  6. Pascal B, Joss R., Jefferson T et al. : EPINATO : Un outil d’observation de la sante des militaires au cours d’une opération OTAN, Revue Internationale des Services de Sante des Forces Armées, 4/5/6 1998, Vol LXXI : 130-136.
  7. Carew MT, Wilson JL, Strauss BA: Canadian Forces Evaluation of the EPINATO Health Surveillance System in Bosnia-Herzegovina, Military Medicine, 2006: 171, 10: 955-961.
  8. http://www.medterms.com/script/main/art.asp?articlekey=26702
  9. Centers for Disease Control and Prevention. Syndromic Surveillance: Reports from a National Conference 2003. MMWR 2004; 53 (Suppl).

 

Datum: 19.12.2012

Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2012/11-12

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