PRÄVENTION UND BEWÄLTIGUNG HOCH KONTAGIÖSER INFEKTGESCHEHEN - UNTERSCHIEDE ZWISCHEN DEN STRATEGIEN DER BUNDESWEHR UND ANDERER NATIONEN
Prevention and Management of Highly Contagious Viral Diseases – Differences between Strategies of German Armed Forces and other Nations
Aus der Abteilung I - Hygiene und Präventivmedizin - der Überwachungsstelle für Öffentlich-Rechtliche Aufgaben des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Süd (Leiter: Oberstapotheker Dr. B. Mey) in Verbindung mit dem Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, Sachgebiet GE 2 Infektiologie (Leiter: Prof. Dr. Dr. A. Sing)
Canio Germano
WMM, 58. Jahrgang (Ausgabe 8/2014; S. 274-281)
Zusammenfassung:
Hintergrund: Vor dem Hintergrund zunehmender multinationaler Einsätze stellt die Bedrohung durch virale hämorrhagische Fieber den Sanitätsdienst der Bundeswehr vor neue Herausforderungen.
Methoden: Das Bundeswehrkonzept zur Behandlung und Eindämmung hochkontagiöser Erkrankungen wird vorgestellt und mittels Literaturrecherche die Leitlinien anderer Nationen / Organisationen sowie epidemiologische Kennzahlen in den aktuellen Einsatzländern ermittelt.
Ergebnisse: Konzeptionelle Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Leitlinien werden aufgezeigt.
Schlussfolgerungen: Die Strategie der Bundeswehr bedarf trotz Wirksamkeit einer konsequenten Weiterentwicklung; die Vereinheitlichung internationaler Standards sollte hierbei angestrebt werden.
Schlagworte: Virale hämorrhagische Fieber, Epidemiologie, Sekundärinfektion, Prävalenz, Beschäftigte im Gesundheitswesen
Summary
Background: Due to the background of multinational missions, the threat by viral hemorrhagic fevers will pose new challenges for the medical service of German Armed Forces.
Methods: The German Armed Forces concept of treating and containing highly contagious diseases is presented. By literature review guidelines of other nations / organizations as well as epidemiological indicators are found out in current mission countries.
Results: Conceptual advantages and disadvantages of different guidelines are shown.
Conclusions: The strategy of German Armed Forces requires despite effectiveness of a consistent further development.
Keywords: Viral Hemorrhagic Fever, Epidemiology, Secondary Infection, Prevalence, Health Care Workers
Einleitung
Hintergrund
Hoch kontagiöse virale Infektionen stellen besondere Herausforderungen an Diagnostik, Therapie und Infektionsmanagement. Insbesondere Ausbruchsgeschehen durch virale hämorrhagische Fieber (VHF) zeichnen sich durch eine hohe Virulenz respektive Pathogenität aus, sind im fortgeschrittenen Stadium eines Ausbruchs nur schwer zu kontrollieren und binden erhebliche Ressourcen, die nicht nur das jeweilige Gesundheitssystem betreffen.
Der unterschiedliche Verlauf von zwei aktuellen VHF-Verdachtsfällen im ersten Halbjahr 2013 im Einsatzland Kosovo macht deutlich, wie wichtig die Re-Evaluation des bisherigen Bundeswehr-Konzepts ist, um möglichen VHF-Szenarien angemessen begegnen zu können.
Im Mai 2013 wurde ein Angehöriger der US-Streitkräfte im Einsatzlazarett im Feldlager Prizren mit unspezifischer Erkältungssymptomatik, Fieber, Erbrechen und Durchfall stationär aufgenommen. Der Zustand des Soldaten verschlechterte sich innerhalb kurzer Zeit deutlich, so dass unter Betrachtung des klinischen Gesamtbildes die Verdachtsdiagnose Krim-Kongo- Hämorrhagisches-Fieber (CCHF) gestellt wurde. Das Management des CCHF-Verdachtsfalls erfolgte umgehend und leitliniengerecht gemäß den Vorgaben des Bundeswehr-eigenen Konzepts. Bei dem Patienten konnten schließlich labordiagnostisch Erreger der Gattung Hantavirus nachgewiesen werden, die ebenfalls Fiebererkrankungen mit bedrohlicher, hämorrhagischer Verlaufsform hervorrufen können. Eine detaillierte Schilderung des o. g. Krankheitsverlaufs ist Gegenstand eines kürzlich zu diesem Thema erschienen Case Reports [1].
Im Rahmen der umfangreichen laborchemischen Diagnostik konnte später der serologische Nachweis einer früher stattgehabten Infektion mit CCHF erbracht werden (IgG-Titer-Bestimmung). In der weiteren Krankengeschichte des Soldaten konnte ein fieberhafter Infekt im April des Jahres eruiert werden, der zum damaligen Zeitpunkt nur symptomatisch behandelt wurde. Laut Expositionsanamnese befindet sich der Soldat nach wie vor im ständigen Einsatz außerhalb des Feldlagers, demzufolge auch in ausgewiesenen CCHF-Risikogebieten im Kosovo („Hot Spots“).
Virale hämorrhagische Fieber
Gemeinsamkeiten der viralen hämorrhagischen Fieber
Gemäß gültiger CDC- und WHO-Kriterien werden die vier nachfolgend aufgeführten virusbedingten hämorrhagischen Fieber zu Erregern des Bio-Safety-Levels 4 (BSL) und somit zu der höchsten biologischen Schutzstufe gezählt [2]. Dies erfordert besondere Schutzmaßnamen für das involvierte medizinische Personal, da das Risiko für Sekundärinfektionen vorwiegend für diese Gruppe am größten ist [3]. Mit Ausnahme des CCHF gibt es derzeit keine erfolgreichen, medikamentösen Therapien gegen die meisten hämorrhagischen Fieber.
Die Inkubationszeiten werden mit 3 bis 15 Tagen (Ebola- und Lassa-Fieber: bis 21 Tage) angegeben [4]. Die Krankheitsverläufe zeichnen sich durch das folgende gemeinsame klinisches Bild aus:
Prähämorrhagische Phase:
Bei den Patienten wird zunächst eine unspezifische Anfangssymptomatik mit Fieber, Kopfschmerzen, Muskelschmerzen und Schwindel beobachtet. Durchfälle, Übelkeit und Erbrechen können das Bild ergänzen [5]. Agitiertheit und Aggression können ebenfalls in der Frühphase der Erkrankung auftreten [6].
Hämorrhagische Phase:
Diese beginnt abrupt und geht mit Blutungen in allen Organen einher. Besonders auffällig sind hierbei Blutungen ins Gewebe und aus den Schleimhäuten. Ursächlich hierfür sind schwere Gerinnungsstörungen, perivaskuläre Blutungen und eine gesteigerte Gefäßpermeabilität [4]. Das höchste Ansteckungsrisiko geht von Patienten in der hämorrhagischen Phase aus. Die Ansteckung erfolgt dabei durch direkten Kontakt mit Blut oder Ausscheidungen von infizierten Personen.
Ebola-Virus (EBOV)
Hier wird zusätzliche mögliche Ansteckungsmöglichkeit durch Anhusten (Tröpfcheninfektion) angenommen. Ein natürliches Reservoir für die Viren (Nagetiere, Fledermäuse) wird vermutet, ist aber nicht bewiesen. Das Ebola- und Marburgvirus gehören zur Familie der Filoviridae [7].
Krim-Kongo-Fieber, Crimean Congo Hemorrhagic Fever (CCHFV)
Das CCHF kommt endemisch in den aktuellen Einsatzgebieten der Bundeswehr vor, hier sind das Kosovo, Afghanistan und die Türkei zu nennen. Insbesondere aus der Türkei werden jährlich weit über 200 Erkrankungsfälle gemeldet. Eine Impfung gegen CCHF gibt es derzeit nicht, eine Behandlung mit einem Polymerase- Hemmer (Ribavirin) ist nur in der Frühphase der Infektion erfolgversprechend. Das CCHFV-Virus wird durch den Stich von Hyalomma-Zecken übertragen [7]. Das Virusreservoir sind grasfressende Haus- und Wildtiere. Das Virus gehört zur Familie der Bunyavirida.
Lassa-Virus (LSAV)
Nach Daten der WHO und IDSA [8] wird die Zahl der Lassavirus- Infektionen auf dem afrikanischen Kontinent auf jährlich 300 000 bis 500 000 Neuerkrankungen geschätzt. Ca. 15 - 20 % der hospitalisierten Erkrankten versterben an den Folgen des Lassafiebers, die Gesamt-Sterbe-Rate wird auf 1 % geschätzt [8]. Das Lassavirus gehört zur Familie der Arenaviren.
Marburg-Virus (MARV)
Symptome und Erreger sind eng mit dem Ebola-Fieber verwandt. Marburg und Ebola-VHF stellen Raritäten dar. Marburg- Virus-Infektionen werden vorwiegend aus Zentralafrika berichtet. Hier sind Uganda, Zimbabwe, Kenia, Angola und die Demokratische Republik Kongo zu nennen [9].
Bisherige Strategie der Bundeswehr
Das Aufgabenspektrum der Bundeswehr hat sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. Vor dem Hintergrund weltweiter, multinationaler Einsätze der Bundeswehr („out of area“) spielt das Management dieser Krankheitsbilder eine tragende Rolle im Bereich der bundeswehreigenen Präventivmedizin.
Generell gilt die Forderung nach einer medizinischen Versorgung deutscher Soldaten im Einsatzland, die in ihrem Ergebnis einer vergleichbaren Behandlung in Deutschland entspricht.
Auf Grundlage des BMVg-Erlasses “Management und die Kontrolle gefährlicher Infektionskrankheiten” aus dem Jahr 2003 konnte erstmalig im Jahr 2005 das Konzept „Management hochkontagiöser Erkrankungen im Einsatz / Barrier Nursing“ vorgestellt werden, das eine medizinische Behandlung im Einsatzland mittels temporären, mobilen Barrier-Nursing vorsieht.
Fragestellung dieser Arbeit
Die Konfrontation mit seltenen, aber bedrohlichen Krankheitsbildern ist mittlerweile Gegenstand des Bundeswehralltags in gegenwärtigen Auslandsmissionen. Auch vor dem Hintergrund der eingangs geschilderten Verläufe von VHF-Verdachtsfällen ist folgende Fragestellung begründet: Hält das Bundeswehr-eigene Konzept dem Vergleich mit anderen Leitlinien stand und ist es gegenüber der aktuellen Bedrohungslage angemessen?Methoden
Suchstrategie
Eine systematische Literaturrecherche war Grundlage der Suchstrategie, die vorwiegend elektronisch erfolgte. Neben gängigen wissenschaftlichen Datenbanken (PubMed) und der Internetpräsenz der Bayerischen Staatsbibliothek dienten die offiziellen Seiten von Behörden, Verbänden und der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Datenquellen.
Es wurde nach folgenden Schlüsselwörtern gesucht: „viral hemorrhagic fever“, „epidemiology“, „secondary infection“, „prevalence, „health care workers“.
Um einen genauen Überblick über die epidemiologische Situation in den gegenwärtigen Einsatzländern zu erhalten, wurden zudem VHF-Fallzahlen für die Einsatzländer ermittelt.
Die graphische Darstellung der ermittelten Daten wurde im Microsoft ® Tabellenkalkulationsprogramm Excel® realisiert.
Ein- und Ausschlusskriterien
Als zeitliche Eingrenzung für die Suchstrategie wurde ein Zeitfenster von 15 Jahren gewählt, da die älteste hier betrachtete Leitlinie bereits 1998 veröffentlicht wurde und bis heute Gültigkeit besitzt [10].
Zudem liegt eine kontinuierliche Erfassung von CCHF-Fallzahlen für das Kosovo erst seit 1998 vor [11], lückenlose, epidemiologische Daten aus der Türkei werden erst seit 2002 berichtet. Fallmeldungen für Ebola- und Marburg-Fieber lassen sich hingegen bis in das Jahr 1967 zurückverfolgen [8].
Betrachtet wurden nur die als BSL-4 eingestuften Erreger des Ebola-, Krim-Kongo-, Lassa- und Marburg-Fiebers, da bei diesen die Möglichkeit einer direkten Übertragung von Mensch zu Mensch besteht und die Erkrankung mit einer hohen Morbidität und Letalität vergesellschaftet ist.
Des Weiteren wurde ausschließlich nach Quellen gesucht, die in Englisch und Deutsch veröffentlicht wurden.
Darstellung des Konzeptes Barrier Nursing in der Bundeswehr
Als Grundlage für die Gegenüberstellung der Leitlinien wird zunächst das Bundeswehrkonzept erläutert.
Ziel ist es bei Vorliegen eines VHF-Verdachtsfalls, das Krankheitsbild als solches zu erkennen und rechtzeitig geeignete Isolierund Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um eine Weiterverbreitung insbesondere durch nosokomiale Sekundärinfektionen zu vermeiden (Abb. 1). Hierzu zählt auch eine erste Risikobewertung durch den behandelnden Sanitätsoffizier. Der Patient wird demnach als „at risk“ oder „high risk“ anhand einer Checkliste eingestuft. Grundsätzlich ist aber eine ausführliche Eigen- bzw. Fremdanamnese zu erheben.
Gemäß internationaler Richtlinien ist der grenzüberschreitende Lufttransport von Patienten mit Verdacht auf eine hochinfektiöse Erkrankung unzulässig [12]. Demnach folgt der Sanitätsdienst der Bundeswehr dem Grundsatz „stay and play“, d. h. Diagnostik und Behandlung erfolgen vor Ort. Fast jede stationäre Behandlungseinrichtung (ob in Festbauweise oder zeltgestützt) bietet die Möglichkeit, eine Isoliereinheit zu improvisieren [6].
Alle notwendigen Maßnahmen einschließlich der infrastrukturellen Anpassung des Behandlungsbereichs und persönlicher Schutzausrüstung (PSA) für medizinisches Fachpersonal werden unter dem Stichwort “Barrier Nursing” zusammengefasst. Die Behandlungseinrichtung mit einer zuvor festgelegten funktionellen Einteilung in einen Weiß-, Grau und Schwarzbereich wird demzufolge als “Barrier Nursing Unit” (BNU) bezeichnet. Demnach werden Intensivbehandlung und Laboruntersuchungen im Schwarzbereich unter Tragen eines geeigneten Kontaminationsschutzanzuges durchgeführt. Die vollständige Dekontamination der persönlichen Schutzausrüstung und das Entkleiden bis auf die Unterbekleidung erfolgen im Graubereich. Körperdusche sowie abschließende Dekontamination der Masken / Filteranlagen sind im Weißbereich vorgesehen. Abbildung 2 gibt einen Überblick über die wichtigsten Merkmale einer BNU.
Idealerweise kommen komplett abgedichtete Kontaminationsschutzanzüge (AstroProtect® C) mit integrierten Gebläse-System (Scott® ProFlow) als persönliche Schutzausrüstung (PSA) zum Einsatz.
Alternativ findet ein Schutzoverall aus partikeldichten Anzugmaterial (Typ 3/4/5/6 “Tychem® F” DuPont®) Verwendung. Hier müssen aber alle Übergangsbereiche des Anzuges zu Schuhen, Handschuhen und Masken luft- und flüssigkeitsdicht abgeklebt werden. Ergänzt wird dies durch Schutzbrillen und Halbfiltermasken (Face-Filtering-Piece: FFP) bzw. die ABC-Schutzmaske der Bundeswehr.
Die Dekontamination des eingesetzten Personals und Materials erfolgt im Rahmen des Schichtwechsels mittels Persessigsäure. Idealerweise handelt es sich bei den verwendeten Materialien bis auf die ABC-Schutzmaske um Einmalartikel.
- Sachgerechte Entnahme, Verpackung und Transport einer Blutprobe zu einer Laboreinrichtung der “Host Nation”, die über die infrastrukturelle und fachliche Eignung zum Erregernachweis verfügt (z. B. Realtime PCR).
- Unmittelbare Information und Einsatz der Task Force “Management Hochrisikoinfektionen” (TF MHRI) im Rahmen der Meldung des Verdachtsfalls nach Deutschland. Diese setzt sich zusammen aus Vertretern der Fachgebiete Innere Medizin, Epidemiologie/Tropenmedizin, Anästhesiologie, Labormedizin Public Health, Hygiene und Veterinärmedizin sowie besonders qualifizierten Pflegekräften [13].
- Mobilisierung und Verlegung der Task Force innerhalb von 48 bis 72 Stunden in das Einsatzland. Bis zum Eintreffen der Task Force erfolgt aber bereits die Behandlung der potentiell infizierten Patienten in einer improvisierten Barrier Nursing Unit.
Weitere Begriffsdefinitionen
Die betrachteten Handlungsanweisungen und Empfehlungen zum Management hoch kontagiöser Erkrankungen werden unter dem Begriff Leitlinie subsumiert.
Die Risikobewertung bei der Bundeswehr erfolgt anhand der Begriffe „at risk“ und „high risk“.
At risk: Febriler Patient mit Aufenthalt im Endemiegebiet
High risk: zusätzlich (mindestens) ein nachfolgend genanntes Kriterium:
- Kontakt mit unklaren Blutproben, Geweben, Sekreten, VHFPatient,
- Zeckenstich mit „Hyalommazecke“ bei CCHF, Kontakt mit Tierblut,
- unklare hämorrhagische Symptome.
Zur Länderkennzeichnung wurde der dreistellige NATO-Ländercode verwendet.
Ergebnisse
Es wurden insgesamt elf Leitlinien miteinander verglichen (Tab. 1/Tab. 2). Die aktuellste Leitlinie wurde 2013 überarbeitet, die älteste betrachtete Leitlinie datiert in der ersten Fassung auf 1997 (Tab. 3). Acht Leitlinien wurden von Regierungsorganisationen (Tab. 1), zwei von militärischen Institutionen (DEU und USA) herausgegeben, eine Leitlinie stammt von einer Nichtregierungsorganisation [8]. Art und Umfang weichen z. T. in erheblichem Maße voneinander ab.Vorstellung VHF
Allen Leitlinien ist gemein, dass im Einleitungsabschnitt eine Vorstellung der viralen hämorrhagischen Fieber z. T. mit Darstellung der epidemiologischen Kennzahlen erfolgt. Neben der Beschreibung der Krankheitsbilder gibt es bei 9/11 der Leitlinien eine tabellarische Übersicht über die wichtigsten viralen hämorrhagischen Fieber (Tab. 3), bei 6/11 werden zusätzlich VHF des BSL-3 vorgestellt (Tab. 3). 10/11 Leitlinien beschreiben die unspezifische Symptomatik zu Beginn einer VHF-Erkrankung und führen wichtige Differentialdiagnosen zur Eingrenzung (z. B. Malaria) auf.
9/11 Leitlinien favorisieren Ribavirin als Medikament der Wahl zur Behandlung eines CCHF-Patienten (Tab. 3) und als Postexpositionsprophylaxe nach Kontakt mit Blut oder Körperflüssigkeiten.
Risikobewertung / Umfeld
Die Risikobewertung von Verdachtsfällen und Einstufung von Kontakten im Umfeld eines VHF-Verdachtfalls wird unterschiedlich gehandhabt: 5/11 Guidelines kommen ohne eine weitergehende Kategorisierung der Verdachtsfälle aus, 3/11 Leitlinien stufen Patienten gemäß der zwei Kategorien „at risk / high risk ein“ (Irische Gesundheitsbehörde, ENVID, Bundeswehr). Die australische Gesundheitsbehörde und das Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung (BMG) verwenden eine dreistufige Kategorisierung: „low/medium/high risk“ bzw. „geringes, erhöhtes, besonderes Risiko“. Die britische Gesundheitsbehörde teilt VHF-Verdachtsfälle in vier Kategorien ein: „Highly unlikely, Possibility VHF, High Possibility VHF, Confirmed VHF“.
Bei der notwendigen Untersuchung des Patientenumfelds kommen ebenfalls unterschiedliche Kategorisierungen zum Einsatz. Diese reichen von zweistufigen („at risk / high risk“) bis hin zu aufwendigen, fünfstufigen Kriterien.
5/11 Leitlinien konkretisieren zudem die Umfelduntersuchung im Bereich von Luftfahrzeugen und Schiffen, die aufgrund der räumlichen Enge eine genaue, epidemiologische Betrachtung der Patientenkontakte notwendig macht (Tab. 4). Art und Umfang weichen aber auch hier in erheblichen Maß voneinander ab.
Public Health Aspekt
Die Darstellung von detaillierten Public Health Maßnahmen einschließlich Risikokommunikation sind Bestandteil von 9/11 der hier betrachteten Leitlinien (Tab. 3).
Persönliche Schutzausrüstung (PSA)
Die Anforderungen an die persönliche Schutzausrüstung sind grundsätzlich in allen hier betrachteten Leitlinien gleich.
Deutliche Unterschiede können in der Definition der geforderten Materialeigenschaften und Schutzklassen aufgezeigt werden. Hier sind die Guidelines des National Health Systems (NHS) in Großbritannien / Irland, gefolgt von den Leitlinien der WHO und der Bundeswehr zu nennen, die sehr detaillierte Anforderungen abbilden. Die übrigen Leitlinien formulieren jedoch einen Mindeststandard, z. B. N95-, FFP3- oder HEPAMasken im Bereich des Atemschutzes.
Glossar/ Ablaufpläne
9/11 Leitlinien weisen neben ausführlichen Inhaltsverzeichnissen eine Vielzahl von schematischen Ablaufplänen und Flussdiagrammen (Flowcharts) auf, die der übersichtlichen Darstellung von Prozessen und Entscheidungsfindung im Umgang mit VHF-Fällen dienen (Tab. 4). Die Bandbreite reicht von Maßnahmen der Isolation, des Personalschutzes bis hin zum sachgerechten Handling von Proben.
Alleinstellungsmerkmale
Hier ist die Leitlinie der WHO hervorzuheben, die in Zusammenarbeit mit der CDC entstanden ist und sich insbesondere auf das VHF-Management auf dem afrikanischen Kontinent bezieht. Sie definiert als einzige Mindestanforderungen an den Eigenschutz und zeigt detailliert, welche Möglichkeiten zur Improvisation mit vorhandenen Materialien genutzt werden können (Tab. 4).Neben dem eigentlichen Barrier-Nursing-Konzept (im Sinne einer Sekundärprävention) wird der Umgang mit VHF bei der Bundeswehr ganzheitlich betrachtet: Dies stützt sich auch auf die Faktoren Verhältnis- und Verhaltensprävention. Unter dem Begriff Verhältnisprävention versteht man z. B. den Einsatz von vektorgeschützer Kleidung (Permethrin-Faser) in CCHF-Endemie- Gebieten. Verhaltensprävention beschreibt die Aufklärung der im Einsatz befindlichen Soldaten über das Vermeiden von Zeckenstichen und Tierkontakten [6].
Neben dem speziellen Angebot für Barrier Nursing Lehrgänge und -Fortbildungen ist dies ein weiteres Alleinstellungsmerkmal der Bundeswehrleitlinie, da ein Training im Umgang mit VHF nicht nur empfohlen wird, sondern auch Bestandteil des Gesamtkonzeptes ist [13].
Infektionsdruck in den Einsatzländern
Abbildung 3 zeigt die Ebola-Ausbrüche aus den Einsatzländern Kongo, Demokratische Republik Kongo, Sudan, Süd-Sudan und Uganda aus den Jahren 2003 - 2009 [8] und gibt Aufschluss über die hohe Letalität der Erkrankung, die mit 25 - 90 % angegeben wird [9].
Die Abbildungen 4 und 5 zeigen eine deutliche Zunahme der Erkrankungszahlen für das Krankheitsbild CCHF in der Türkei und dem Kosovo. Laut einer Meldung aus dem National Public Health Institute of Kosovo wurden allein im Zeitraum März bis Juni 2013 2875 Zeckenstiche, davon 77 CCHF-Verdachtsfälle und 17 positiv bestätigte CCHF-Fälle erfasst, von denen fünf tödlich verliefen.
Die gegenwärtige bisher schwerste Ebola-Epidemie in Guinea verdeutlicht den steigenden Infektionsdruck durch BSL-4 Erreger. Der Ausbruch in Westafrika hat zwischenzeitlich (Stand 10. Juli 2014) mehr als 480 Todesopfer gefordert und ist zum ersten Mal nicht nur auf kleinere Cluster beschränkt, da zwischenzeitlich sogar Opfer in den Nachbarländern Sierra Leone und Liberia zu beklagen sind.
Diskussion und Limitationen
Grundsätzlich ist die Zielsetzung aller hier betrachteten Leitlinien gleich: Das Risiko einer Sekundärinfektion für Angehörige der Gesundheitsberufe zu minimieren oder ganz auszuschließen, da für diese nach aktueller Studienlage das Ansteckungsrisiko am größten ist [3, 10]. Durch den Einsatz geeigneter Schutzausrüstung kann das Risiko für diese auf das Risikoniveau der Landesbevölkerung gesenkt werden [11].
Der Autor versteht hierunter alle medizinischen Berufsgruppen, die einen un- oder mittelbaren Bezug zu Verdachts- bzw. bestätigten VHF-Fällen haben. Im Gegensatz zu den sehr seltenen importierten VHF-Fällen ist bei aktuellen Bundeswehreinsätzen mit dem Auftreten der Erkrankung noch im Einsatzland zu rechnen (Tab. 5).
Die aktuellen Geschehen im Kosovo rechtfertigen die Forderung nach einer praktikablen Handlungsleitlinie für das Management hochkontagiöser viraler Erkrankungen auch in Hinblick auf die hohe Anzahl letaler Verläufe dieser Erkrankungen. Problematisch ist zudem ein zunehmender Infektionsdruck in den Einsatzländern, was anhand steigender CCHF-Fallzahlen in der Türkei und Kosovo belegt werden kann.
Vor diesem Hintergrund sind eine richtige Einschätzung des zu Beginn „unspektakulären“ Krankheitsbilds sowie eine rasche Risikobewertung unabdingbar. Dies setzt aber medizinisches Personal voraus, das regelmäßig an Fortbildungsmaßnahmen und Trainingsprogrammen teilnimmt, um VHF-Verdachtsfälle als solche zu identifizieren.
In Ergänzung hierzu scheint eine Vereinheitlichung der Leitlinien notwendig, um in der Zusammenarbeit mit Sanitätspersonal anderer Nationen auf multinationale Standards (i. S. von Internationalen Gesundheitsvorschriften) zurückgreifen zu können. Verschiedene multinationale Klassifikationen der Risikoeinstufung von Verdachtsfällen bergen die Gefahr unterschiedlicher Prozesse/Abläufe im Umgang mit VHF-Patienten.
Limitationen dieser Arbeit sind vor allem durch folgende Faktoren bedingt:
- Der Zugang zu militärischen Leitlinien anderer Nationen auch für NATO-Bündnispartner ist eingeschränkt. Ein geeignetes Instrument, um Effekte bzw. die Effektivität der vorgestellten Leitlinien zu messen, fehlt. Praxis bezogene Erkenntnisse lassen sich nur aus bisherigen Fallbeschreibungen ableiten („Lessons Learnt“).
- Die Fallzahlen aus dem Kosovo sind nur Schätzwerte. Das National Public Health Institute of Kosovo (NIPH) mit Sitz in Pristina führt hierfür verschiedene Gründe auf: Neben den stark limitierten Geldmitteln der öffentlichen Kassen fehlen besonders in den infrastrukturell schwach entwickelten ländlichen Regionen Gesundheitseinrichtungen, die im Sinne eines Sentinel-Programms zur epidemiologischen Überwachung dienen könnten.
Schlussfolgerung
Um den Anforderungen des Infektions- und Gesundheitsschutz der Soldaten im Einsatz auch zukünftig gerecht werden zu können, ist eine konsequente und effiziente Weiterentwicklung der Bundeswehr-Leitlinie für das Management viraler hämorrhagischer Fieber dringend notwendig. Die Bedeutung einer kontinuierlichen Erhebung infektiologischer Daten im Sinne der „Medical Intelligence“ der Bundeswehr ist hierbei genauso hervorzuheben wie die Etablierung einer modernen Fehlerkultur und dem wiederholten Vergleich mit dem Setting anderer Nationen. Dabei sollte auch die Forderung nach einheitlichen, international gültigen Standards gestellt werden.
Literaturverzeichnis
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- Einsatzkonzept Management hochkontagiöser Erkrankungen / Barrier Nursing. Sanitätsamt der Bundeswehr V 1.4 Medical Intelligence; 2005.
Abb. 1: Organigramm Barrier Nursing
Abb. 2: Barrier Nursing Unit
Tab. 1: Übersicht Leitlinien / Organisationen / Länder
GO: Regierungsorganisation
NGO: Nichtregierungsorganisation
MIL: militärische Leitlinie
MN: multinational
Tab. 2: Übersicht Leitlinien / Herausgeber
Tab. 3: Übersicht Leitlinienauswertung Teil A
G1: Management of Hazard Group 4 viral haemorrhagic fevers and similar human infectious diseases of high consequence
G2: USA MRIID’s MEDICAL MANAGEMENT OF BIOLOGICAL CASUALTIES HANDB
G3: Contingency Plan for Health Management of Cases of Viral Haemorrhagic Fever within Western Australia
G4: Management und Kontrolle lebensbedrohender hochkontagio¨ser Infektionskrankheiten
G5: Contingency Plan for Viral Hemorrhagic Fever (VHF)
G6: Viral Special Pathogens Branch (VSPB)
G7: Management and Control of Viral Haemorrhagic Fevers
G8: Viral Hemorrhagic Fevers
G9: Infection Control for Viral Haemorrhagic Fevers in the African Health Care Setting
G10: The Management of Viral Haemorrhagic Fevers in Ireland
G11: Management hochkontagiöser Erkrankungen im Einsatz / Barrier Nursing
Tab. 4: Übersicht Leitlinienauswertung Teil B
G1: Management of Hazard Group 4 viral haemorrhagic fevers and similar human infectious diseases of high consequence
G2: USA MRIID’s MEDICAL MANAGEMENT OF BIOLOGICAL CASUALTIES HANDB
G3: Contingency Plan for Health Management of Cases of Viral Haemorrhagic Fever within Western Australia
G4: Management und Kontrolle lebensbedrohender hochkontagio¨ser Infektionskrankheiten
G5: Contingency Plan for Viral Hemorrhagic Fever (VHF)
G6: Viral Special Pathogens Branch (VSPB)
G7: Management and Control of Viral Haemorrhagic Fevers
G8: Viral Hemorrhagic Fevers
G9: Infection Control for Viral Haemorrhagic Fevers in the African Health Care Setting
G10: The Management of Viral Haemorrhagic Fevers in Ireland
G11: Management hochkontagiöser Erkrankungen im Einsatz / Barrier Nursing
*BT: Bioterrorism / Biodefense (information on risks)
Tab. 5: Vorkommen viraler hämorrhagischer Fieber in Einsatzländern
* Republic of the Congo / Democratic Republic of the Congo
Abb. 3: Ebolavirus Fallzahlen (2003 - 2009)
Abb. 4: CCHF Fallzahlen Kosovo (1998 - 2009)
Abb. 5: CCHF Fallzahlen Türkei (2002 - 2009)
Datum: 25.08.2014
Quelle: Wehrmedizinische Monatsschrift 2014/8